Dienstag, 4. Februar 2020

LITTLE WOMEN (2019)

Regie und Drehbuch: Greta Gerwig, Musik: Alexandre Desplat
Darsteller: Saoirse Ronan, Florence Pugh, Timothée Chalamet, Emma Watson, Eliza Scanlen, Laura Dern, Chris Cooper, Meryl Streep, James Norton, Louis Garrel, Jayne Houdyshell, Bob Odenkirk, Tracy Letts, Dash Barber, Hadley Robinson, Sasha Frolova
Little Women (2019) on IMDb Rotten Tomatoes: 95% (8,5); weltweites Einspielergebnis: $218,8 Mio.
FSK: 0, Dauer: 135 Minuten.

Während des amerikanischen Bürgerkrieges wachsen die vier March-Schwestern in den 1860er Jahren mit ihrer Mutter (Laura Dern, "Marriage Story") behütet im ländlichen Massachusetts in den Nordstaaten auf, während ihr Vater (Bob Odenkirk, "Long Shot") im Krieg kämpft. Obwohl die Schwestern in ihrer Persönlichkeit verschieden sind, eint sie neben der unverbrüchlichen Liebe füreinander ihr künstlerisches Talent: Die verantwortungsbewußte Meg (Emma Watson, "Vielleicht lieber morgen") ist eine Schauspielerin, die burschikose Jo (Saoirse Ronan, "Maria Stuart, Königin von Schottland") – die viel lieber ein Junge wäre – Schriftstellerin, die brave Beth (Eliza Scanlen, TV-Serie "Sharp Objects") spielt Klavier und das verwöhnte Nesthäkchen Amy (Florence Pugh, "Fighting with My Family") malt. Doch das 19. Jahrhundert ist keine Zeit, in der sich Frauen ohne weiteres selbst verwirklichen können und so erwartet die Gesellschaft von ihnen in erster Linie, brave Ehefrauen zu werden, wenn sie erwachsen sind. Während Meg sich damit abfindet und den etwas langweiligen, aber liebevollen Lehrer John Brooks (James Norton, "Mr. Turner") heiratet, verfolgt Jo weiterhin ihren Traum, als Schriftstellerin ihren Lebensunterhalt zu verdienen und geht dafür schmerzhafte künstlerische Kompromisse ein. Von Heirat will sie derweil nichts wissen – zur Verbitterung des wohlhabenden Nachbarsjungen Laurie (Timothée Chalamet, "Interstellar"), der mit den March-Schwestern aufgewachsen und schon lange Zeit in Jo verliebt ist. Dann erkrankt auch noch Beth schwer …

Kritik:
Der Ende der 1860er Jahre erschienene Roman "Little Women" von Louisa May Alcott ist in den USA auch 150 Jahre später noch sehr populär und gilt als Klassiker der amerikanischen Literatur (zu dem sie zwei Fortsetzungen veröffentlichte). Kein Wunder, daß er schon mehrfach fürs Kino adaptiert wurde, wobei mit George Cukors "Vier Schwestern" aus dem Jahr 1933 (mit Katharine Hepburn), Mervyn LeRoys "Kleine tapfere Jo" von 1949 (mit den jungen Janet Leigh und Elizabeth Taylor) und Gillian Armstrongs "Betty und ihre Schwestern" (1994, mit Winona Ryder und Gabriel Byrne) gleich drei davon sogar OSCAR-Ehren erfuhren. Die autobiographisch geprägte Geschichte der March-Schwestern scheint ebenso unkaputtbar wie zeitlos zu sein, trotzdem hat Greta Gerwig ("Lady Bird") sie in ihrer zweiten Regiearbeit behutsam modernisiert – was möglicherweise nicht jedem gefallen mag, aber dramaturgisch Sinn ergibt und speziell beim Ende sogar näher an den tatsächlichen Absichten von Autorin Alcott sein dürfte als ihr Roman (in dem sie teilweise Wünschen ihres Verlegers oder ihrer Leser nachgab - Letzteres war möglich, da "Little Women" in zwei Teilen erschien, die erst nachträglich zusammengefaßt wurden). Von den bisherigen Verfilmung kenne ich lediglich "Kleine tapfere Jo", der mir in seiner selbstbewußten, für jene Hollywood-Ära typischen Sentimentalität ausgesprochen gut gefallen hat. Bei Gerwigs für sechs OSCARs nominierter Version (letztlich gab es nur den Goldjungen für die besten Kostüme) handelt es sich gleichfalls um eine gelungene Adaption, bei der die Besetzung sogar noch besser ist – trotzdem reicht er für mich mit seiner etwas nüchterneren Machart nicht ganz an "Kleine tapfere Joe" heran.

Der offensichtlichste Unterschied von Gerwigs "Little Women" zum Buch wie auch (soweit ich weiß) zu den vorherigen Verfilmungen ist der Abschied von der chronologischen Erzählweise. Gerwig springt zwischen den Jahren 1861 und 1868 hin und her, was für etwas Dynamik sorgt, meines Erachtens aber nur in einem konkreten Aspekt der Geschichte (der mit Beth' Krankheit zu tun hat) einen wirklich Vorteil bringt. Da nur der erste Zeitsprung per Texteinblendung klar benannt wird, muß man als Zuschauer etwas aufpassen, um nicht durcheinanderzukommen, auch wenn Gerwig den Wechsel der Zeitebenen durch visuelle Hinweise wie Jos Frisur deutlich genug hervorhebt, daß man mit kurzem Nachdenken stets weiß, in welchem Jahr man sich gerade befindet. Letztlich halte ich die nicht-chronologische Szenenanordnung zwar nicht für nötig, sie stört aber auch nicht und daß sie dem Publikum etwas mehr Konzentration abfordert, ist ja nicht per se schlecht. Im Zentrum von "Little Women" stehen selbstredend die fünf March-Frauen (auch wenn die von Laura Dern einfühlsam gespielte Mutter etwas zurückstehen muß), ihre Beziehungen untereinander und die Frage, wie sich ihre Lebenswege entwickeln, als sie erwachsen werden. Wie im Buch erfährt Jo, die Zweitgeborene, die meiste Aufmerksamkeit – kein Wunder, ist sie doch das Alter Ego der Romanautorin Louisa May Alcott. Ist sie schon im Buch eine selbstbewußte, gegen die Konventionen ihrer Zeit ankämpfende Frau, haben Gerwig und Darstellerin Saoirse Ronan sie sogar noch etwas moderner angelegt. Diesem Zweck dient vor allem die Rahmenhandlung, die Jos Kommunikation mit dem Verleger Mr. Dashwood (Tracy Letts, "Le Mans 66") nachzeichnet, der Jos Texte zwar für gut hält, ihr jedoch klare inhaltliche Vorgaben macht ("Frauen müssen am Ende der Geschichte verheiratet sein – oder tot!"); doch auch sonst ist Jo eine Frau, die sich durchzusetzen weiß.

Saoirse Ronans Verkörperung von Jo March ist wenig überraschend sehr überzeugend geraten – die immer noch erst 25 Jahre alte Irin ist eine der besten Schauspielerinnen ihrer Generation und wurde für diese Rolle nicht ohne Grund bereits zum vierten Mal für einen Academy Award nominiert (nach "Abbitte", "Brooklyn" und "Lady Bird"). Sie interpretiert Jo als ebenso bestimmt und manchmal sogar stur wie sie feinfühlig ist, zudem ist sie sehr aufbrausend und kann nicht wirklich gut mit Kritik umgehen. Jo ist keine idealisierte Filmheldin, sie hat und sie macht ihre Fehler und trifft falsche Entscheidungen. Kurzum: Jo March ist eine sympathische und wie aus dem Leben gegriffene Person. Die vielleicht wichtigste inhaltliche Änderung von Gerwigs "Little Women" zu den bisher bekannten Versionen der Geschichte betrifft derweil die jüngste March-Schwester Amy. Hat diese normalerweise ihren Ruf als unsympathischstes der Mädchen weg, als verzogene Göre, die sich besonders mit Jo regelmäßig fetzt und einige wirklich bösartige Dinge macht, wird sie hier ein Stück weit rehabilitiert. Jawohl, sie ist immer noch verwöhnt und mitunter krankhaft nachtragend, doch sie wirkt weit weniger klischeehaft als Fiesling der Story konzipiert, sondern darf sogar die deutlichste und dabei absolut glaubwürdige Entwicklung der vier Schwestern durchlaufen und avanciert schließlich sogar zum Scenestealer. Das ist nicht nur das Verdienst von Greta Gerwigs sorgfältig durchdachter Drehbuch-Adaption, sondern auch jenes der Schauspielerin Florence Pugh, die Amy in ihren guten und den schlechten Momenten so einnehmend und leidenschaftlich verkörpert, daß man es nur bewundern kann. Zum Lohn wurde sie wie Saoirse Ronan für einen OSCAR nominiert, wobei es für sie – die, obwohl sie nur zwei Jahre jünger ist als Ronan, immer noch eine Newcomerin ist, die eigentlich erst 2019 mit "Fighting with My Family", "Midsommar" und eben "Little Women" ihren Durchbruch feierte – die erste Nominierung ist.

Ebenfalls noch ziemlich neu im Geschäft ist die Australierin Eliza Scanlen, die als gutmütige und besonders liebenswerte Beth einige gefühlvolle Szenen mit Lauries von Chris Cooper ("Die Muppets") verkörpertem Großvater hat, ansonsten aber wegen ihrer Krankheit in erster Linie sehenswert leiden muß – was sie glänzend hinbekommt. Neben diesem Trio sieht die arme Emma Watson als Meg etwas blaß aus, man muß ihr aber zugestehen, daß Meg die klar am langweiligsten geschriebene der vier Schwestern ist. Eine starke Leistung liefert dafür Timothée Chalamet in der einzigen männlichen Hauptrolle ab, die durchaus vergleichbar mit Amy ist: Mal wirkt er liebenswert, mitfühlend und freundlich, mal (besonders nach Alkoholkonsum) gehässig und eifersüchtig. Wobei das bei ihm recht deutlich in die beiden Zeitebenen unterteilt ist, denn seine schlechten Seiten scheinen erst 1868 richtig durch (wofür es durchaus nachvollziehbare Gründe gibt). Nicht unerwähnt soll auch Meryl Streep ("Mary Poppins' Rückkehr") bleiben, die ihre eher kleine Rolle als reiche Tante gewohnt souverän und spielfreudig absolviert, ohne ihren jungen Kolleginnen die Schau zu stehlen. Vor allem die erste Hälfte von "Little Women" macht wirklich viel Spaß. Gerwigs Inszenierung ist leichtfüßig und präzise, die leicht modernisierten Dialoge speziell in den Auseinandersetzungen der Schwestern wirken absolut authentisch und die verspielte, ebenfalls OSCAR-nominierte Musik von Alexandre Desplat ("Isle of Dogs") paßt perfekt zum Geschehen auf der Leinwand. Die zweite Hälfte konnte mich nicht mehr ganz so sehr überzeugen, denn hier wirkt alles etwas schwerfälliger und mancher Handlungsstrang ist stärker in die Länge gezogen als notwendig. Daß auch der Humor zunehmend flöten geht, ist natürlich in erster Linie der inhaltlichen Entwicklung geschuldet, dennoch bleibt festzuhalten, daß der Unterhaltsamkeitsgrad der ersten Stunde unerreicht bleibt. Alles in allem ist "Little Women" trotzdem auch in der neuesten (aber mit Sicherheit nicht letzten) Version immer noch eine schöne, intelligente, glaubwürdige und zu Herzen gehende Geschichte.

Fazit: "Little Women" ist eine gelungene, über weite Strecken leichtfüßige Neuinterpretation des US-Literaturklassikers, der behutsam modernisiert wurde und von einem starken Ensemble getragen wird.

Wertung: 7,5 Punkte.


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