Donnerstag, 5. Dezember 2019

OFFICIAL SECRETS (2019)

Regie: Gavin Hood, Drehbuch: Gregory Bernstein, Sara Bernstein und Gavin Hood, Musik: Paul Hepker und Mark Kilian
Darsteller: Keira Knightley, Matt Smith, Ralph Fiennes, Adam Bakri, Matthew Goode, Jeremy Northam, Rhys Ifans, Conleth Hill, Indira Varma, MyAnna Buring, Tamsin Greig, Jack Farthing, Hattie Morahan, Ray Panthaki, Angus Wright, Niccy Lin, Martin Bright
Official Secrets (2019) on IMDb Rotten Tomatoes: 82% (6,9); weltweites Einspielergebnis: $10,1 Mio.
FSK: 6, Dauer: 112

Katharine Gun (Keira Knightley, "Niemandsland") arbeitet seit wenigen Jahren als Chinesisch-Übersetzerin beim britischen Geheimdienst GCHQ (der anders als die bekannteren MI5 und MI6 primär durch das Abhören von Kommunikation auf elektronischem Wege an Informationen gelangt) und nimmt ihre Arbeit sehr ernst. Doch im Januar 2003 erhält sie ein streng geheimes Memo vom US-amerikanischen Geheimdienst NSA, der sie und ihre GCHQ-Kollegen auffordert, Material zu sammeln, das sich gegen einige nicht-ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats wie Bulgarien, Kamerun oder Pakistan verwenden läßt. Ziel des Vorhabens: Die völkerrechtliche Legitimierung des geplanten, international sehr umstrittenen US-amerikanischen und britischen Angriffs auf den irakischen Diktator Saddam Hussein. Nicht nur Katharine ist empört über das von ihren Vorgesetzten abgenickte Ansinnen, doch sie entschließt sich nach einigem Zögern dazu, auch tatsächlich etwas zu tun. Katharine übergibt einen Ausdruck des Memos an eine befreundete Anti-Kriegs-Aktivistin, die es an interessierte Journalisten weiterleiten soll. Längere Zeit tut sich nichts, doch dann veröffentlicht die eigentlich den drohenden Krieg mit dem Irak unterstützende Zeitung "The Observer" einen Artikel des Journalisten Martin Bright (Matt Smith, "Terminator: Genisys") über das skandalträchtige Memo. Der Wirbel ist groß, doch in den Krieg ziehen USA und Großbritannien trotzdem – nun ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrats. Whistleblowerin Katharine soll derweil wegen ihres Verstoßes gegen den "Official Secrets Act" angeklagt werden. Der renommierte Menschenrechts-Anwalt Ben Emmerson (Ralph Fiennes, "Hail, Caesar!") will Katharine pro bono verteidigen, obwohl die Erfolgsaussichten gering sind …

Kritik:
Nicht allein Hollywood befaßt sich etwa eine Dekade nach deren Ablauf in Werken wie "The Report" und "Vice" mit den Sünden der Bush-Regierung von 2001 bis 2009, sondern auch die Briten. Wobei es den Briten in "Official Secrets" natürlich eher um die Regierungszeit von Tony Blair (1997-2007) geht, dessen Sündenfall aber eng mit der Entscheidung von George W. Bush und Dick Cheney zusammenhängt, den Irak und dessen Diktator Saddam Hussein anzugreifen. Mit den Konsequenzen der verhängnisvollen Entscheidung muß mehr oder weniger die ganze Welt leben (Stichwort "IS"), ironischerweise waren die politischen Folgen für Großbritannien aber wohl deutlich schwerwiegender als die für die USA. Denn Blairs ebenso unverbrüchliche wie hochgradig umstrittene Nibelungentreue zu den USA nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 – nach Umfragen sprachen sich in Großbritannien phasenweise rund 90% der Bürger gegen eine Kriegsbeteiligung aus! – kostete nicht nur viele britische Soldaten das Leben und brachte ihm den wenig schmeichelhaften Spitznamen "Bushs Pudel" ein, sondern führte die sozialdemokratische Labour-Partei beinahe in die Bedeutungslosigkeit. Nur so konnten die konservativen Tories recht unangetastet in der Regierung agieren und Premierminister Cameron mit einer beispiellosen Fehlkalkulation den Brexit ermöglichen. Gründe für eine Aufarbeitung der britischen Beteiligung an der Irak-Invasion gibt es also reichlich, "Official Secrets" nimmt sich eines wichtigen Aspekts an – kurioserweise unter der Leitung des Südafrikaners Gavin Hood, aber der hat sich 2007 mit "Machtlos" ja auch schon einmal mit der US-amerikanischen Seite des "Kriegs gegen den Terrorismus" befaßt (konkret mit den CIA-Auslandsgefängnissen) und ist somit durchaus prädestiniert für die Thematik. Qualitativ sind "Machtlos" und "Official Secrets" ebenfalls vergleichbar, obgleich mir der emotionalere "Machtlos" ein bißchen besser gefallen hat.

Nicht nur im Vergleich zum etwas älteren "Machtlos", sondern vor allem zum beinahe parallel gestarteten "The Report" ist die geringere emotionale Wucht auffällig. Katharines verzweifelter Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit lädt zweifellos zum Mitfühlen ein und vor allem, wenn sie und ihr kurdisch-muslimischer Ehemann Yasar (Adam Bakri) scheinbar machtlos den sehr fragwürdigen Repressalien der eigenen Regierung ausgesetzt sind, teilt man ihr Entsetzen und ihre Wut. Doch dadurch, daß sich das auf einem Sachbuch basierende Drehbuch von Hood und dem Ehepaar Sara und Gregory Bernstein ("Die Lincoln Verschwörung") in erster Linie auf die Whistleblowerin Katharine und in zweiter auf den Journalisten Martin Bright konzentriert, geraten die wesentlich schwerwiegenderen Konsequenzen des drohenden Krieges für Soldaten wie auch die irakische Zivilbevölkerung ein wenig aus dem Blickfeld. Das hat "The Report" mit den aufwühlenden Rückblenden zu den verschiedenen Folterpraktiken der CIA effektiver gelöst, wenn man auch argumentieren kann, daß "Official Secrets" einfach weniger sensationalistisch vorgeht. Da ist schon was dran, aber man kann genauso gut einwenden, daß "Official Secrets" dem ganzen Ausmaß der Thematik durch den Fokus auf Katharine nicht gerecht wird. Letztlich ist es jeweils eine individuelle Entscheidung der Filmemacher; beide sind legitim, mich hat "The Report" aber deutlich stärker berührt und dabei auch eine größere Dringlichkeit und Intensität verströmt. Ein Stück weit ist das natürlich den realen Geschehnissen und den Protagonisten geschuldet. Während in "The Report" der von Adam Driver verkörperte Senatsmitarbeiter Daniel Jones im Laufe der Jahre zu einem beinahe manischen Aufklärer avanciert, ist Katharine eher ein Durchschnittsmensch, der den Job beim Geheimdienst aus reinem Pragmatismus annahm und sich von vielen ähnlich denkenden Kollegen nur dadurch unterscheidet, daß sie beschließt, das belastende Memo weiterzureichen – ohne sich selbst jederzeit völlig sicher zu sein, daß sie damit wirklich das Richtige getan hat.

Für Keira Knightley, die sonst oft mehr oder weniger selbstbewußte Frauenrollen spielt (ob in "Fluch der Karibik", "Stolz und Vorurteil", "The Imitation Game" oder "Colette"), ist das eine eher ungewöhnliche Rolle, die sie aber mit der gewohnten Souveränität meistert. Katharines Aufrichtigkeit und Impulsivität und ihre mit Trotz durchmischte Verletzlichkeit und Unsicherheit verkörpert Knightley zumeist etwas zurückgenommen, aber sehr überzeugend – und gerade weil diese Katharine Gun so wunderbar normal wirkt, zollt man ihr umso mehr Respekt für ihre mutige Tat. Ein weiterer Grund dafür, daß "Official Secrets" bei allen Vorzügen nicht ganz an die Intensität ähnlich gelagerter herankommt, liegt derweil darin, daß er im Grunde genommen dreigeteilt ist. Zwar steht Katharine eindeutig im Mittelpunkt, zwischendurch verschwindet sie aber minutenlang komplett aus der Handlung, die sich stattdessen auf die Journalisten beim "Observer" oder später auf Katharines Anwaltsteam konzentriert. Alle drei Handlungsstränge sind interessant und spannend, kommen allerdings in einem nicht einmal zweistündigen Film fast zwangsläufig zu kurz, um voll und ganz fesseln zu können. Vor allem von den Journalisten hätte ich gerne mehr gesehen, denn Ex-"Doctor Who" Matt Smith ist als unnachgiebiger Martin Bright eine Wucht und seine Kollegen sind ähnlich interessant und dabei gut gespielt. Wegen mir könnten sie einen ganzen Film über Bright, den abgeklärten Kriegsreporter Peter Beaumont (Matthew Goode, "Stoker"), den aufbrausenden US-Korrespondenten Ed Vulliamy (Rhys Ifans, "Radio Rock Revolution") und den zynischen, aber nicht unsympathischen Herausgeber Roger Alton (Conleth Hill alias Varys aus "Game of Thrones") drehen, ich würde ihn mir anschauen! Katharines Anwaltsteam kann da nicht ganz mithalten, wiewohl es ähnlich hochkarätig besetzt ist. Hier kommt aber hauptsächlich Ralph Fiennes als aufrechter Streiter für die Gerechtigkeit zum Zuge, während seine Kollegen wie Shami Chakrabarti (Indira Varma, TV-Serie "Rom") oder auch der Ankläger der Regierung, Ken Macdonald (Jeremy Northam, "Gosford Park"), ziemlich kurz kommen. Zugegebenermaßen konnten die Autoren da aber wenig machen, weil sie sich nunmal weitgehend an die realen Geschehnisse halten müssen und die geben in diesem Fall einfach nicht den Stoff für ein spektakuläres, wendungsreiches Gerichtsdrama her ...

Fazit: "Official Secrets" ist ein unterhaltsames, informatives und gut gespieltes Whisteblower-Drama über eine mutige Frau, das aber u.a. durch die Aufteilung in drei Handlungsstränge nicht die Intensität und emotionale Wucht ähnlicher Filme erreicht.

Wertung: 7 Punkte.


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