Mittwoch, 4. Dezember 2019

OSCAR-News: Netflix dominiert den Auftakt der Awards Season 2019/2020

Wieder einmal ist es Zeit für eine neue Awards Season - ein paar Vorläufer gab es ja schon, aber mit der Vergabe der Gotham Awards und vor allem der Bekanntgabe der Gewinner beim altehrwürdigen National Board of Review geht die OSCAR-Saison endgültig in die heiße Phase über. Natürlich sind die ersten Preisvergaben noch kein Garant dafür, daß es bei den Academy Awards im Februar wirklich ähnlich ablaufen wird, doch sie sind ein wichtiger Wegweiser, der Momentum erzeugen oder auch abwürgen kann. Und nachdem die Abneigung der Academy-Mitglieder gegen die (nicht mehr ganz so) neuen Streaming-Dienste schon in den letzten ein, zwei Jahren deutlich nachließ - was sich vor allem anhand der drei OSCARs für "Roma" bei der letzten Verleihung zeigte -, dürfte es bei den für den 9. Februar 2020 angesetzten Academy Awards besonders schwierig sein, Netflix zu ignorieren. Denn nicht nur gingen die zwei ersten wichtigen Hauptpreise der Awards Season an Netflix ... sie gingen gar an zwei unterschiedliche Netflix-Produktionen!

Beginnen wir mit den bedeutendsten Gewinnern der vom National Board of Review seit 1920 vergebenen NBR Awards - letztes Jahr wurde hier "Green Book" als bester Film ausgezeichnet, der dann auch den entsprechenden OSCAR gewann (das war aber die erste Übereinstimmung beider Gewinner seit 2009):

Bester Film: The Irishman
Regie: Quentin Tarantino, "Once Upon a Time in ... Hollywood"
Schauspieler: Adam Sandler, "Uncut Gems"
Schauspielerin: Renée Zellweger, "Judy"
Nebendarsteller: Brad Pitt, "Once Upon a Time in ... Hollywood"
Nebendarstellerin: Kathy Bates, "Richard Jewell"
Original-Drehbuch: Josh und Benny Safdie sowie Ronald Bronstein, "Uncut Gems"
Adaptiertes Drehbuch: Steven Zaillian, "The Irishman"
Animationsfilm: Drachenzähmen leicht gemacht 3
Nicht-englischsprachiger Film: "Parasite", Südkorea
Dokumentarfilm: Maiden

Letztes Jahr wurden mit einer einzigen Ausnahme ("A Star Is Born"-Regisseur Bradley Cooper) alle NBR-Gewinner in diesen Kategorien später auch für den OSCAR nominiert, der gestrige Triumph ist also für alle Geehrten eine sehr gute und vielversprechende Nachricht. Bei Martin Scorseses Netflix-Gangsterepos "The Irishman" ist das wie bei "Once Upon a Time ...", "Judy" oder auch Clint Eastwoods "Richard Jewell" keine Überraschung, aber natürlich trotzdem eine gute Bestätigung ihrer Chancen. Am wichtigsten dürfte der Sieg für "Uncut Gems" und hier vor allem für Hauptdarsteller Adam Sandler sein, dem vermutlich nicht viele zugetraut hätten, mal für einen OSCAR nominiert zu werden. Doch nach den ersten Festivalvorführungen der Gauner-Tragikomödie "Uncut Gems" war klar, daß Sandler tatsächlich eine Chance hat, nach diesem Sieg hat er sogar eine einigermaßen gute Chance auf seine erste OSCAR-Nominierung. Es wäre generell wenig verwunderlich, würden auch diesmal alle oder fast alle NBR-Gewinner mit einer OSCAR-Nominierung bedacht werden. Persönlich freut mich am meisten der Preis für Brad Pitt, den ich in "Once Upon a Time ..." in der Tat herausragend gut fand. Oh, und den Sieg von "Drachenzähmen leicht gemacht 3" kann man durchaus als Überraschung werten, hatten hier doch die meisten Analysten Pixars "Toy Story 4" als Gewinner auf der Rechnung.

Zusätzlich zu den Siegern der einzelnen Kategorien veröffentlicht das NBR traditionell eine (nur alphabetisch sortierte) Liste der zehn weiteren besten Filme des Jahres - ein guter Wegweiser für die ebenfalls maximal zehn Filme umfassende "Bester Film"-Kategorie bei den OSCARs, auch wenn die Übereinstimmung hier meist nicht so hoch, in den letzten Jahren waren es stets zwischen vier und sieben Filmen, die es dann auch zu einer OSCAR-Nominierung als "Bester Film" brachten. Genannt werden diesmal:

- 1917
- Dolemite is My Name
- Le Mans 66
- Jojo Rabbit
- Knives Out
- Marriage Story
- Once Upon a Time in ... Hollywood
- Richard Jewell
- Uncut Gems
- Waves

Eine echte Sensation gibt es erneut nicht, es fehlt ungewöhnlicherweise auch eigentlich kein einziger der im Vorfeld erwarteten Topfavoriten. Am spannendsten ist vielleicht noch die Nicht-Nennung des DC-Megablockbusters "Joker", bei dem die Ansichten über die OSCAR-Chancen geteilt waren und sind. Daß er vom NBR ignoriert wird, ist zumindest keine gute Nachricht für Batmans Erzrivalen. Das gilt auch für "Rocketman", "The Farewell" (der aber immerhin in der Top 10-Liste der Independent-Filme genannt wird), "Bombshell", "Der wunderbare Mr. Rogers" und "Little Women" - alle hoffen ebenfalls auf diverse OSCAR-Nominierungen inklusiver einer in der Königskategorie, aber ihre Aussichten sind nach den NBR Awards etwas gesunken; wobei nicht klar ist, ob tatsächlich alle rechtzeitig fertig wurden, um berücksichtigt werden zu können.

Die besten Aussichten auf eine OSCAR-Nominierung als "Bester Film" sollten Sam Mendes' Erster Weltkriegs-Drama "1917", das Scheidungsdrama "Marriage Story" und "Once Upon a Time ..." haben. Bei "Richard Jewell" muß man berücksichtigen, daß die unverbrüchliche Liebe des NBR zu Clint Eastwood in der Branche fast schon legendär ist - kaum eine Regiearbeit von Eastwood wurde nicht in diese Top 10 gewählt ... Jedoch sind die Kritiken für "Richard Jewell" stark genug, daß der Film (über das Bombenattentat während der Olympischen Sommerspiele in Atlanta 1996) eine gute Rolle in der gesamten Awards Season spielen sollte. "Waves" von Trey Edward Shults ist der typische Indie-Vertreter, von denen es meist einen oder zwei im "Best Picture"-Feld der Academy Awards gibt, die Aussichten sind also ebenso wie bei "Uncut Gems" nicht schlecht. Relativ unberechenbar, da nicht unbedingt in den Lieblingsgenres der Academy-Mitglieder verortet, bleiben Rian Johnsons vergnügliche Krimikomödie "Knives Out", das Rennfahrerdrama "Le Mans 66" und Taika Waititis Satire "Jojo Rabbit". Die ersten beiden haben sehr starken Kritiken auf ihrer Seite, allerdings haben es in der jüngeren Vergangenheit nicht viele Krimikomödien oder Rennfahrerfilme zu großem Erfolg bei den OSCARs gebracht - in guter respektive schlechter Erinnerung ist noch Ron Howards "Rush", der ebenfalls Top-Rezensionen hatte und viele Preise in der Awards Season gewann, dann aber bei den OSCAR-Nominierungen komplett leer ausging. Etwas anders ist der Fall bei "Jojo Rabbit" gelegen, denn der hat bei den Kritikern relativ polarisierende Reaktionen hervorgerufen, weshalb ich zunächst nicht wirklich an eine große Rolle in der OSCAR-Saison glaubte - allerdings kommt der Film beim "normalen" Publikum super an und letztlich sind auch die OSCAR-Juroren eher "normale Zuschauer" als professionelle Kritiker.

Alle Gewinner und Top-Listen der NBR Awards kann man auf der NBR-Homepage nachlesen.

Noch kurz zu den auf Independent-Produktionen beschränkten Gotham Awards, die eine recht eigentümliche Auswahl an Kategorien haben (z.B. kein "Beste Regie"): "Marriage Story" war hier mit vier Preisen (Bester Film, Drehbuch, Hauptdarsteller, Publikumspreis) der Dominator, was im Zusammenspiel mit der Top 10-Nennung bei den NBR Awards ein guter Auftakt für die Netflix-Produktion ist.

Alle Gewinner kann man auf der Homepage der Gotham Awards nachlesen.

In den nächsten Tagen und Wochen bis Weihnachten wird es unzählige weitere Kritikerpreise geben, die das Favoritenfeld weiter formen werden. Über die wichtigsten werde ich hier natürlich berichten, zu den weniger bedeutenden zumindest gelegentlich twittern.

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