Regie: Alexander Payne, Drehbuch: David Hemingson, Musik: Mark Orton
Darsteller: Paul
Giamatti, Dominic Sessa, Da'Vine Joy Randolph, Carrie Preston, Jim Kaplan, Andrew
Garman, Naheem Garcia, Brady Hepner, Michael Provost, Ian
Dolley, Darby Lily Lee-Stack, Stephen Thorne, Gillian Vigman, Tate
Donovan, Kelly AuCoin, Oscar Wahlberg
FSK: 12, Dauer: 134
Minuten.
Als Schüler und
Lehrer des privaten Internats "Barton Academy" in
Neuengland im Jahr 1970 in die Weihnachtsferien aufbrechen, muß der
einzelgängerische und nicht nur bei seinen Schülern unbeliebte Professor für
Antike Zivilisationen Paul Hunham (Paul Giamatti, "Barney's
Version") zurückbleiben, um auf eine Handvoll Schüler aufzupassen, die die Feiertage an der Academy
verbringen müssen. Darunter befindet sich der rebellische Angus
(Dominic Sessa), der von seiner Mutter versetzt wurde, da sie lieber
mit ihrem neuen Ehemann in die Ferien fährt. Hinzu kommen Angus'
arroganter Klassenkamerad Teddy (Brady Hepner, "The Black Phone"), der Strahlemann Jason
(Michael Provost, "Fear Street: 1978") – der einen kleinen Machtkampf mit seinem
stinkreichen Vater austrägt – und die beiden deutlich jüngeren
Ye-Joon (Jim Kaplan, "Marry Me") und Alex (Ian Dolley, "Spirited"). Bis auf Angus dürfen die
Schüler nach ein paar Tagen aber doch noch die Academy verlassen, weshalb nur Professor Hunham, Angus, die um ihren im Vietnam-Krieg gefallenen
Sohn trauernde afroamerikanische Köchin Mary (Da'Vine Joy Randolph,
"Dolemite Is My Name") und Hausmeister Danny (Naheem
Garcia, "Challengers") zurückbleiben. Obwohl Hunham und Angus immer wieder
miteinander streiten, entwickelt sich nach und nach eine unerwartet
enge Bindung zwischen den Zurückgelassenen, die sich immer
stärker einander öffnen ...
Kritik:
Der 1961 geborene
US-Filmemacher Alexander Payne hat sich früh in seiner
Karriere als einer der talentiertesten Autorenfilmer des Landes
etabliert: Mit der smarten High School-Politsatire "Election",
der gefühlvollen Tragikomödie "About Schmidt", der
lakonischen Romanverfilmung "Sideways", der schönen
Vater-Tochter-Geschichte "The Descendants" und dem
Schwarzweiß-Roadmovie "Nebraska" schuf er zwischen 1999
und 2013 fünf von der Kritik gefeierte kleine Meisterwerke, die
jeweils mindestens für einen OSCAR nominiert wurden (zusammen kommen
sie auf 19 Nominierungen bei zwei Siegen) und bis auf den erst später
zum Kultfilm avancierten "Election" auch beim Kinopublikum
glänzend ankamen. 2017 folgte dann aber ausgerechnet mit
seinem mit Abstand teuersten Film, der Gesellschaftssatire
"Downsizing", ein ziemlicher Schiffbruch mit mittelmäßigen
Kritiken und einem Flop an der Kinokasse. Davon mußte er sich wohl
erstmal erholen und so dauerte es sechs Jahre, bis er sich mit
"The Holdovers" erfolgreich zurückmeldet –
interessanterweise seinem erst zweiten Film (nach "Nebraska"),
zu dem er nicht das Drehbuch schrieb (sondern TV-Autor und
-Produzent David Hemingson, der damit sein Kinodebüt gibt). Das
Comeback fällt dafür umso überzeugender aus, denn Payne knüpft mit
dem für fünf OSCARs nominierten "The Holdovers"
nahtlos an seine stärkste Karrierephase an und begeistert
das Publikum mit einer warmherzigen, gefühlvollen
Weihnachtsgeschichte, die wahrscheinlich schon bald zu den
Weihnachts-Klassikern gezählt werden wird.
Auch wenn Payne
diesmal nicht für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, merkt man
"The Holdovers" dennoch seinen typischen, lakonischen,
tragikomischen und warmherzigen Stil deutlich an. Die Protagonisten
von "The Holdovers" sind – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – klassische Außenseiter auf der
Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft, die eher
zufällig zueinander finden. Bei Hunham und Angus erfahren wir die
genauen Gründe erst recht spät, weshalb ich nicht zu viel verraten
will. Es ist aber so, daß Hunham vor allem von einem Vorkommnis am College verfolgt wird, welches seine Lebenspläne durchkreuzt und sein
Vertrauen in die Menschen stark beschädigt hat, weshalb aus dem
einst idealistischen Lehrer und Historiker über die Jahrzehnte hinweg
ein zynischer, bei Schülern wie Kollegen unbeliebter Griesgram
geworden ist. Angus wiederum hat primär unter seiner
Familiensituation zu leiden sowie unter typischen Teenager-Problemen
wie einer Antipathie gegen Autoritäten oder dem Ringen nach Anerkennung unter Gleichaltrigen zulasten seiner
tatsächlichen, eigentlich sehr freundlichen und wißbegierigen (er
ist Hunhams bester Schüler) Persönlichkeit. Köchin Mary
wiederum wird von der Trauer um ihren in Vietnam gefallenen Sohn –
der wahrscheinlich noch leben würde, wenn er weiß wäre –
niedergedrückt. Dennoch ist ironischerweise ausgerechnet sie am
ehesten die treibende Kraft bei dem unsichtbaren Band, das sich
zwischen dem Trio (und dem nur gelegentlich anwesenden Hausmeister
Danny) und speziell zwischen Hunham und Angus bildet.
Ein wenig fühlt man
sich wegen des Settings und der melancholischen Atmosphäre an Peter
Weirs 1980er Jahre-Meisterwerk "Der Club der toten Dichter"
erinnert oder auch an ebenfalls leicht märchenhaft anmutende Filme wie "Tokyo Godfathers" oder "Willkommen,
Mr. Chance". Dabei kommt "The Holdovers" allerdings
denkbar unspektakulär daher und macht alles eine Nummer kleiner als
speziell "Der Club der toten Dichter". Die Konflikte sind
eher alltäglich und selbst im Finale bleibt Alexander Paynes Film
subtil und vergleichsweise unscheinbar – es bekommt eben nicht
jeder seinen "Oh Captain, my Captain"-Moment, wenn er oder
sie im Bewußtsein negativer persönlicher Konsequenzen das Richtige
tut … Daß "The Holdovers" so wunderbar
funktioniert, hängt naturgemäß stark mit der Besetzung speziell der drei
Hauptrollen zusammen (unter den Nebenfiguren sticht primär Carrie Prestons freundliche Lehrerin Lydia Crane hervor). Paul Giamatti, der bereits in Paynes "Sideways"
die Hauptrolle spielte, ist eine Idealbesetzung für Mr. Hunham und
schafft es, aus diesem chronisch schlecht gelaunten und vom Leben
enttäuschten Miesepeter eine glaubwürdige Person mit (gut
versteckten) Stärken und (offensichtlichen) Schwächen zu machen, den man gerne näher
kennenlernt. Der in einem langwierigen Casting-Prozeß gefundene
Debütant Dominic Sessa überzeugt ebenfalls auf der ganzen Linie als
sein Widerpart Angus, der seine Verletzlichkeit nur unzureichend
hinter einer coolen Fassade verbirgt. Und Da'Vine Joy Randolph wurde
für ihre einnehmende Darstellung der trauernden, aber starken und
gutherzigen Köchin Mary sogar mit dem OSCAR für die beste
Nebendarstellerin geehrt. Ein wunderbarer Film.
Fazit:
Alexander Paynes "The Holdovers" ist eine feinfühlige,
stark gespielte Tragikomödie der leisen Töne, die mit ihrer
Warmherzigkeit dem weihnachtlichen Setting alle Ehre
macht.
Wertung:
9 Punkte.
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