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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 15. Juni 2021

NEUES AUS DER WELT (2020)

Originaltitel: News of the World
Regie: Paul Greengrass, Drehbuch: Luke Davies und Paul Greengrass, Musik: James Newton Howard
Darsteller: Tom Hanks, Helena Zengel, Michael Angelo Covino, Thomas Francis Murphy, Mare Winningham, Elizabeth Marvel, Bill Camp, Ray McKinnon, Fred Hechinger, Neil Sandilands, Winsome Brown
Neues aus der Welt (2020) on IMDb Rotten Tomatoes: 88% (7,4); weltweites Einspielergebnis: $12,7 Mio.
FSK: 12, Dauer: 119 Minuten.
Texas, 1870: Der Bürgerkrieg ist vorbei und aus der Sicht der Südstaaten verloren, wobei die Bevölkerung sich nur höchst widerwillig mit der Niederlage abfindet. Auch für Captain Jefferson Kyle Kidd (Tom Hanks, "Die Verlegerin") ist das Soldatenleben Vergangenheit, der einstige Drucker verdient sein Geld nun als eine Art personifizierte Presseschau: Er reist von Ort zu Ort und liest dort gegen ein geringes Eintrittsgeld den Bewohnern – welche nicht die Zeit, das Geld oder die Muße haben, jeden Tag Zeitung zu lesen – ausgewählte Nachrichten aus Zeitungen aus dem ganzen Land vor. Eines Tages stößt Kidd auf der Reise im Wald auf einen zerstörten Wagen, dessen schwarzer Fahrer gelyncht wurde – und in der Nähe auf ein etwa zehnjähriges, scheues blondes Mädchen. Durch Papiere im Besitz des Gelynchten findet Kidd heraus, daß das Mädchen Johanna Leonberger (Helena Zengel, "Systemsprenger") heißt und vor Jahren bei einem Überfall auf seine im Kiowa-Gebiet siedelnde Familie von den Kiowa entführt und als eine der Ihren aufgezogen wurde. Kürzlich wurde jedoch ihre Kiowa-Familie vom Militär getötet und Johanna sollte vom gelynchten Fahrer zu Verwandten gebracht werden. Als das Militär wenig Interesse an Johannas Schicksal zeigt, entschließt sich Kidd nach anfänglichem Zögern, das fast nur Kiowa sprechende Mädchen selbst zum 400 Meilen entfernten Castroville zu bringen, wo ihre Tante und ihr Onkel leben. Doch die Reise ist voller Gefahren …
 
Kritik:
Irgendwie ist dem britischen Filmemacher Paul Greengrass das Kunststück zu gelingen, selbst in der filminteressierten Öffentlichkeit vergleichsweise unbekannt zu bleiben, obwohl eine ganze Reihe hervorragender und auch sehr erfolgreicher Werke auf sein Konto gehen. "Vom Fliegen und anderen Träumen" (1998), "Bloody Sunday" (2002), "Die Bourne Verschwörung" (2004) und "Das Bourne Ultimatum" (2007), der meiner Ansicht nach beste 9/11-Film "Flug 93" (2006), "Green Zone" (2010) und "Captain Phillips" (2013) dürften die bekanntesten sein und belegen sowohl die hohe Qualität seiner Arbeit wie auch deren Abwechslungsreichtum. Was bislang fehlte, war ein Western, doch diese Lücke konnte Paul Greengrass mit dem wegen der Corona-Pandemie in den meisten Ländern leider direkt bei Netflix veröffentlichten "Neues aus der Welt" schließen. Für die Adaption des gleichnamigen Romans von Paulette Jiles tat sich Greengrass erneut mit Tom Hanks zusammen, der in Greengrass' Survival-Thriller "Captain Phillips" eine der besten Leistungen seiner schillernden Karriere abgeliefert hatte und diesmal an der Seite des während der Dreharbeiten 11-jährigen deutschen Shooting-Stars Helena Zengel agiert. Das Resultat der erneuten Zusammenarbeit schnitt bei den Kritikern glänzend ab und erzielte u.a. vier OSCAR-Nominierungen, beim Publikum blieb jedoch die ganz große Begeisterung aus – so auch bei mir. Zwar bietet "Neues aus der Welt" gute Unterhaltung, kann inhaltlich als Folge seiner anekdotenhaften Erzählweise (bei der die meisten Episoden zudem recht unspektakulär ausfallen) aber nur selten mitreißen.
 
Obwohl "Neues aus der Welt" zu einer Reihe von Oldschool-Western Ähnlichkeiten aufweist und offensichtlich auch stilistisch von diesen inspiriert wurde, existieren die klarsten Parallelen meines Erachtens zu Anthony Minghellas "Unterwegs nach Cold Mountain" – so spielen beide Filme im Umfeld des Amerikanischen Bürgerkrieges und sind im Kern episodisch aufgebaute Roadmovies. Natürlich gibt es einige signifikante Unterschiede: Erstens findet die Handlung von Minghellas Film während des Krieges statt, die von "Neues aus der Welt" erst ein paar Jahre danach; zweitens ist der Roadmovie-Teil von "Unterwegs nach Cold Mountain" einer von zwei gleichberechtigten Haupthandlungssträngen – denn Jude Laws mühseliger Weg zurück in die Heimat wird bedingt durch die epische Liebesgeschichte seiner Figur Inman zu der von Nicole Kidman verkörperten Ada. Die Unterschiede in Prämisse und Dramaturgie kommen im direkten Vergleich "Unterwegs nach Cold Mountain" eindeutig zu Gute, da es durch die gleichwertigen Storystränge mehr Abwechslung gibt als beim etwas monotonen "Neues aus der Welt", zudem sind Inmans Erlebnisse inmitten des Krieges erheblich spektakulärer und intensiver als die von Captain Kidd und Johanna. In emotionaler Hinsicht kann man sicherlich geteilter Meinung sein, ob die so epische wie tragische Romanze in "Unterwegs nach Cold Mountain" mehr zu Herzen geht oder doch die Vater-Tochter-Beziehung in "Neues aus der Welt". Außer Frage steht, daß die anfangs zögerliche Annäherung von Kidd und Johanna die größte Stärke von Greengrass' Film ist. Tom Hanks spielt den von seinen Kriegserlebnissen gezeichneten Captain Kidd sehr gekonnt, er bringt die innere Zerrissenheit des Veteranen glaubwürdig zum Ausdruck, ebenso seine gelegentliche Überforderung mit den bösartigen Auswüchsen der Menschheit, wirkt dabei aber ungemein sympathisch und wie die beinahe altmodische Verkörperung der Menschlichkeit und Bescheidenheit in einer grausamen und verrohten Zeit. Auf der anderen Seite steht die bei den Kiowa aufgewachsene Johanna, wild, ungezügelt, der englischen Sprache nicht mächtig – ein äußerst ungleiches Duo, das natürlich eine Zeit braucht, um sich aneinander zu gewöhnen. Aber da Kidd viel Geduld aufbringt und Johanna ein ausgesprochen aufgewecktes, lernwilliges Kind ist, geht es doch ziemlich schnell und man verfolgt mit Freude, wie das emotionale Band zwischen ihnen wächst.
 
Das ist auch dringend notwendig, da die Reise nach Castroville sehr gefährlich ist. Banditen, Ex-Soldaten mit einem Faible für Kinder-Zwangsprostituierte, diktatorische Landbesitzer, dazu die ständige Gefahr, auf rachsüchtige Ureinwohner zu treffen – nein, diese Reise ist weder leicht noch ereignislos. Dennoch kommen wir hier wieder zum Vergleich mit "Unterwegs nach Cold Mountain", denn während dort Jude Laws Erlebnisse auf dem Heimweg samt und sonders mindestens skurril, manchmal sogar spektakulär sind, bleibt "Neues aus der Welt" betont bodenständig. Das kann man natürlich als realistisch loben, während Minghellas Film sicher so weit entfernt von einer Doku ist wie man sich das nur vorstellen kann. Der Unterhaltungswert der einzelnen "Neues aus der Welt"-Episoden hält sich als Folge der Bodenständigkeit aber in gewissen Grenzen, zumal die Nebenfiguren wenig denkwürdig gestaltet sind. Die Begegnung mit den Ex-Soldaten erinnert ein wenig an "True Grit" und beinhaltet die spannendste Sequenz des Films, ist aber letztlich nichts, was man nicht schon viele Male in Western gesehen hätte. Die übrigen Episoden sind weniger actionhaltig, dabei nicht übermäßig aufregend oder originell und können eher mit Einzelmomenten (wie bei der Begegnung mit einigen Kiowa) überzeugen als in ihrer allzu anekdotisch wirkenden Gesamtheit. Nebenbei bemerkt fallen die Übergänge zwischen den Begegnungen mitunter auch etwas abrupt aus. Kurzum: Die Story von "Neues aus der Welt" ist eher mittelmäßig und braucht außerdem eine halbe Stunde, um überhaupt richtig in Fahrt zu kommen. Dann stellt sich in der Tat phasenweise ein gewisser Sog ein, der aber weniger der Handlung zu verdanken ist als den beiden exzellenten Hauptdarstellern (beide wurden für etliche wichtige Preise nominiert, Zengel gar für einen Golden Globe), den schönen Bildern und der stimmungsvollen Musik von Altmeister James Newton Howard ("Die Tribute von Panem") – gerechterweise erhielten Kamera und Musik ebenso OSCAR-Nominierungen wie Ton und Ausstattung. Nicht unerwähnt bleiben soll, daß, wiewohl "Neues aus der Welt" von Greengrass bewußt altmodisch inszeniert wurde, durch Kidds Tätigkeit als Zeitungsvorleser gewisse Parallelen zur Gegenwart offenbar werden, allen voran hinsichtlich der Polarisierung der eigentlich niemals wirklich "Vereinigten Staaten von Amerika" sowie der "Fake News" und faktenbefreiten Propaganda gewisser Kreise (der erwähnte diktatorische Landbesitzer gibt etwa seine eigene Zeitung heraus, die einzig der Lobhudelei ihres Besitzers dient). Da das nicht zu plakativ geschieht und historisch durchaus zutreffend sein dürfte, ist das kein Problem, eine allzu große Rolle spielt dieses Element aber sowieso nicht, da Paul Greengrass seine beiden Protagonisten wichtiger sind. Und die sind eben auch der Grund dafür, daß man "Neues aus der Welt" all jenen empfehlen kann, die von einem Western nicht nur Action und Shootouts erwarten, sondern sich mit einer bedächtigen Erzählweise und einer wenig spektakulären Story anfreunden können.
 
Fazit: "Neues aus der Welt" ist ein langsames und nachdenkliches Western-Roadmovie, das technisch hervorragend umgesetzt ist, allerdings mehr Wert auf seine beiden stark gespielten zentralen Figuren legt als auf eine durchgehend aufregende Geschichte.
 
Wertung: 7 Punkte.

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