Originaltitel:
News of the World
Regie: Paul
Greengrass, Drehbuch: Luke Davies und Paul Greengrass, Musik: James Newton
Howard
Darsteller:
Tom Hanks, Helena Zengel, Michael Angelo Covino, Thomas Francis Murphy, Mare
Winningham, Elizabeth Marvel, Bill Camp, Ray McKinnon, Fred Hechinger, Neil
Sandilands, Winsome Brown
FSK: 12, Dauer: 119 Minuten.
Texas, 1870: Der Bürgerkrieg ist vorbei und aus der Sicht der Südstaaten verloren, wobei die Bevölkerung sich nur höchst widerwillig mit der
Niederlage abfindet. Auch für Captain Jefferson Kyle Kidd (Tom Hanks, "Die Verlegerin") ist das Soldatenleben Vergangenheit,
der einstige Drucker verdient sein Geld nun als eine Art personifizierte
Presseschau: Er reist von Ort zu Ort und liest dort gegen ein geringes
Eintrittsgeld den Bewohnern – welche nicht die Zeit, das Geld oder die Muße haben,
jeden Tag Zeitung zu lesen – ausgewählte Nachrichten aus Zeitungen aus dem ganzen Land vor. Eines Tages stößt Kidd auf der Reise im Wald auf einen
zerstörten Wagen, dessen schwarzer Fahrer gelyncht
wurde – und in der Nähe auf ein etwa zehnjähriges, scheues blondes Mädchen.
Durch Papiere im Besitz des Gelynchten findet Kidd heraus, daß das Mädchen
Johanna Leonberger (Helena Zengel, "Systemsprenger") heißt und vor
Jahren bei einem Überfall auf seine im Kiowa-Gebiet siedelnde Familie von den
Kiowa entführt und als eine der Ihren aufgezogen wurde. Kürzlich wurde jedoch ihre Kiowa-Familie vom Militär getötet und Johanna sollte vom
gelynchten Fahrer zu Verwandten gebracht werden. Als das Militär wenig
Interesse an Johannas Schicksal zeigt, entschließt sich Kidd nach anfänglichem
Zögern, das fast nur Kiowa sprechende Mädchen selbst zum 400 Meilen
entfernten Castroville zu bringen, wo ihre Tante und ihr Onkel leben. Doch die
Reise ist voller Gefahren …
Kritik:
Irgendwie ist dem britischen Filmemacher Paul Greengrass das
Kunststück zu gelingen, selbst in der filminteressierten Öffentlichkeit
vergleichsweise unbekannt zu bleiben, obwohl eine ganze Reihe hervorragender
und auch sehr erfolgreicher Werke auf sein Konto gehen. "Vom Fliegen und anderen
Träumen" (1998), "Bloody Sunday" (2002), "Die Bourne
Verschwörung" (2004) und "Das Bourne Ultimatum" (2007), der
meiner Ansicht nach beste 9/11-Film "Flug 93" (2006), "Green
Zone" (2010) und "Captain Phillips" (2013) dürften die
bekanntesten sein und belegen sowohl die hohe Qualität seiner
Arbeit wie auch deren Abwechslungsreichtum. Was bislang fehlte, war
ein Western, doch diese Lücke konnte Paul Greengrass mit dem wegen der
Corona-Pandemie in den meisten Ländern leider direkt bei Netflix
veröffentlichten "Neues aus der Welt" schließen. Für die Adaption
des gleichnamigen Romans von Paulette Jiles tat sich Greengrass erneut mit
Tom Hanks zusammen, der in Greengrass' Survival-Thriller
"Captain Phillips" eine der besten Leistungen seiner schillernden
Karriere abgeliefert hatte und diesmal an der Seite des während der
Dreharbeiten 11-jährigen deutschen Shooting-Stars Helena Zengel agiert. Das
Resultat der erneuten Zusammenarbeit schnitt bei den Kritikern glänzend ab und
erzielte u.a. vier OSCAR-Nominierungen, beim Publikum blieb jedoch die ganz
große Begeisterung aus – so auch bei mir. Zwar bietet "Neues aus der
Welt" gute Unterhaltung, kann inhaltlich als Folge seiner anekdotenhaften Erzählweise (bei der die meisten Episoden zudem recht unspektakulär ausfallen) aber nur selten mitreißen.
Obwohl "Neues aus der Welt" zu einer Reihe von Oldschool-Western
Ähnlichkeiten aufweist und offensichtlich auch stilistisch von diesen inspiriert wurde, existieren die klarsten Parallelen meines Erachtens
zu Anthony Minghellas "Unterwegs nach Cold Mountain" – so spielen
beide Filme im Umfeld des Amerikanischen Bürgerkrieges und sind im Kern episodisch aufgebaute Roadmovies. Natürlich gibt es einige
signifikante Unterschiede: Erstens findet die Handlung von Minghellas Film
während des Krieges statt, die von "Neues aus der Welt" erst ein
paar Jahre danach; zweitens ist der Roadmovie-Teil von "Unterwegs nach
Cold Mountain" einer von zwei gleichberechtigten
Haupthandlungssträngen – denn Jude Laws mühseliger Weg zurück in die Heimat wird
bedingt durch die epische Liebesgeschichte seiner Figur Inman zu der von Nicole
Kidman verkörperten Ada. Die Unterschiede in Prämisse und Dramaturgie
kommen im direkten Vergleich "Unterwegs nach Cold Mountain" eindeutig
zu Gute, da es durch die gleichwertigen Storystränge
mehr Abwechslung gibt als beim etwas monotonen "Neues aus der Welt", zudem sind Inmans
Erlebnisse inmitten des Krieges erheblich spektakulärer und intensiver als die von Captain
Kidd und Johanna. In emotionaler Hinsicht kann man sicherlich geteilter Meinung
sein, ob die so epische wie tragische Romanze in "Unterwegs nach Cold
Mountain" mehr zu Herzen geht oder doch die Vater-Tochter-Beziehung in
"Neues aus der Welt". Außer Frage steht, daß die anfangs
zögerliche Annäherung von Kidd und Johanna die größte
Stärke von Greengrass' Film ist. Tom Hanks spielt den von seinen Kriegserlebnissen gezeichneten Captain Kidd sehr gekonnt, er bringt die innere Zerrissenheit des Veteranen glaubwürdig zum
Ausdruck, ebenso seine gelegentliche Überforderung mit den bösartigen
Auswüchsen der Menschheit, wirkt dabei aber ungemein sympathisch und
wie die beinahe altmodische Verkörperung der Menschlichkeit und Bescheidenheit
in einer grausamen und verrohten Zeit. Auf der anderen Seite steht die bei den
Kiowa aufgewachsene Johanna, wild, ungezügelt, der englischen Sprache nicht mächtig – ein äußerst ungleiches Duo, das natürlich eine Zeit braucht, um
sich aneinander zu gewöhnen. Aber da Kidd viel Geduld aufbringt und Johanna ein
ausgesprochen aufgewecktes, lernwilliges Kind ist, geht es doch ziemlich
schnell und man verfolgt mit Freude, wie das emotionale Band zwischen ihnen wächst.
Das ist auch dringend notwendig, da die Reise nach
Castroville sehr gefährlich ist. Banditen, Ex-Soldaten mit einem Faible für
Kinder-Zwangsprostituierte, diktatorische Landbesitzer, dazu die ständige
Gefahr, auf rachsüchtige Ureinwohner zu treffen – nein, diese Reise ist weder leicht noch ereignislos. Dennoch kommen wir hier wieder
zum Vergleich mit "Unterwegs nach Cold Mountain", denn während dort
Jude Laws Erlebnisse auf dem Heimweg samt und sonders mindestens skurril,
manchmal sogar spektakulär sind, bleibt "Neues aus der Welt"
betont bodenständig. Das kann man natürlich als realistisch loben,
während Minghellas Film sicher so weit entfernt von einer Doku ist wie man
sich das nur vorstellen kann. Der Unterhaltungswert der einzelnen
"Neues aus der Welt"-Episoden hält sich als Folge der
Bodenständigkeit aber in gewissen Grenzen, zumal die Nebenfiguren wenig
denkwürdig gestaltet sind. Die Begegnung mit den Ex-Soldaten erinnert ein wenig
an "True Grit" und beinhaltet die spannendste Sequenz des Films, ist
aber letztlich nichts, was man nicht schon viele Male in Western gesehen hätte.
Die übrigen Episoden sind weniger actionhaltig, dabei nicht übermäßig aufregend
oder originell und können eher mit Einzelmomenten (wie bei der Begegnung mit einigen Kiowa) überzeugen als in
ihrer allzu anekdotisch wirkenden Gesamtheit. Nebenbei bemerkt fallen die Übergänge zwischen den
Begegnungen mitunter auch etwas abrupt aus. Kurzum: Die Story von
"Neues aus der Welt" ist eher mittelmäßig und braucht außerdem eine
halbe Stunde, um überhaupt richtig in Fahrt zu kommen. Dann stellt sich in der
Tat phasenweise ein gewisser Sog ein, der aber weniger der Handlung zu verdanken
ist als den beiden exzellenten Hauptdarstellern (beide wurden für etliche wichtige Preise nominiert, Zengel gar für einen Golden Globe), den schönen Bildern und der stimmungsvollen Musik von Altmeister James Newton Howard ("Die Tribute von
Panem") – gerechterweise erhielten Kamera und Musik ebenso
OSCAR-Nominierungen wie Ton und Ausstattung. Nicht unerwähnt bleiben soll, daß, wiewohl "Neues aus der Welt" von Greengrass bewußt altmodisch inszeniert
wurde, durch Kidds Tätigkeit als Zeitungsvorleser gewisse Parallelen zur
Gegenwart offenbar werden, allen voran hinsichtlich der Polarisierung der
eigentlich niemals wirklich "Vereinigten Staaten von Amerika" sowie
der "Fake News" und faktenbefreiten Propaganda gewisser Kreise (der
erwähnte diktatorische Landbesitzer gibt etwa seine eigene Zeitung
heraus, die einzig der Lobhudelei ihres Besitzers dient). Da das nicht zu
plakativ geschieht und historisch durchaus zutreffend sein dürfte, ist das kein
Problem, eine allzu große Rolle spielt dieses Element aber sowieso nicht, da
Paul Greengrass seine beiden Protagonisten wichtiger sind. Und die sind eben auch
der Grund dafür, daß man "Neues aus der Welt" all jenen empfehlen
kann, die von einem Western nicht nur Action und Shootouts erwarten, sondern
sich mit einer bedächtigen Erzählweise und einer wenig spektakulären Story anfreunden können.
Fazit: "Neues aus der Welt" ist ein
langsames und nachdenkliches Western-Roadmovie, das technisch hervorragend
umgesetzt ist, allerdings mehr Wert auf seine beiden stark gespielten zentralen
Figuren legt als auf eine durchgehend aufregende Geschichte.
Wertung: 7 Punkte.
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