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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 4. März 2015

INHERENT VICE – NATÜRLICHE MÄNGEL (2014)

Regie und Drehbuch: Paul Thomas Anderson, Musik: Jonny Greenwood
Darsteller: Joaquin Phoenix, Josh Brolin, Katherine Waterston, Benicio del Toro, Owen Wilson, Reese Witherspoon, Joanna Newsom, Martin Short, Maya Rudolph, Hong Chau, Eric Roberts, Jena Malone, Martin Donovan, Sasha Pieterse, Peter McRobbie, Keith Jardine, Jefferson Mays, Elaine Tan, Jeannie Berlin, Serena Scott Thomas, Michael Kenneth Williams, Michelle Sinclair, Wilson Bethel, Anders Holm
Inherent Vice
(2014) on IMDb Rotten Tomatoes: 74% (7,2); weltweites Einspielergebnis: $14,8 Mio.
FSK: 16, Dauer: 148 Minuten.

Los Angeles, 1970: Larry "Doc" Sportello (Joaquin Phoenix, "Hotel Ruanda") ist Privatdetektiv und ein leidenschaftlicher Kiffer. Man möchte meinen, daß Letzteres für Ersteres nicht gerade zuträglich ist, doch tatsächlich hat er so einiges zu tun. Dafür, daß Doc in einen ziemlichen Schlamassel gerät, der eigentlich mindestens eine Nummer zu groß für ihn ist, ist primär seine Ex-Freundin Shasta (Katherine Waterston, "Taking Woodstock") verantwortlich. Die informiert Doc nämlich darüber, daß sie von der Frau ihres Geliebten – dem reichen Immobilientycoon Michael Z. Wolfmann (Eric Roberts, "Express in die Hölle") – und deren Liebhaber aufgefordert wurde, ihnen bei einem Komplott gegen Wolfmann zu helfen. Kurz nachdem Doc dies erfahren hat, verschwinden sowohl Wolfmann als auch Shasta scheinbar spurlos. Unterdessen erhält der Privatdetektiv weitere Aufträge, so soll er beispielsweise im Auftrag dessen vermeintlicher Witwe (Jena Malone, "Die Tribute von Panem – Catching Fire") den angeblichen Tod des Surfer-Saxophonisten Coy Harlingen (Owen Wilson, "Midnight in Paris") überprüfen. Und irgendwie scheinen all seine neuen Fälle mit Michael Z. Wolfmann in Zusammenhang zu stehen. Das ruft auch den mit Doc nicht wirklich befreundeten Detective "Bigfoot" Bjornsen (Josh Brolin, "True Grit"), das FBI sowie die Staatsanwaltschaft – in Person von Docs aktueller Freundin Penny Kimball (Reese Witherspoon, "Wasser für die Elefanten") – auf den Plan …

Kritik:
Man kann es schon anhand dieser groben Inhaltsbeschreibung erahnen: "Inherent Vice" erzählt keine ganz einfache Handlung. Und ich sage: welch erfrischende Abwechslung! Ganz ehrlich, ich habe ja prinzipiell keine großen Genre-Vorlieben, da ich vor allem gute Filme sehen will, unabhängig von ihrer konkreten Thematik; aber das Thriller-Genre ist doch eines, das mir schon seit längerem einige Sorgen bereitet. Irgendwie habe ich das Gefühl, daß es in der heutigen Zeit zumindest im Kinobereich kaum noch "normale" Thriller gibt, sondern es sich fast immer um Action-Thriller handelt, bei denen die Action viel stärker im Vordergrund steht als der Thrill. Die Storys sind häufig entweder simpel oder hanebüchen oder, wenn es doch einmal etwas verschlungener wird, hemmungslos überkonstruiert. Nun will ich bestimmt nicht in eine "Früher war alles besser"-Leier verfallen, schließlich gibt es immer noch die obligatorischen positiven Ausnahmen (in jüngerer Zeit etwa "Nightcrawler" oder "Prisoners"). Für meinen Geschmack war es in Sachen Thriller früher aber tatsächlich besser! Besonders die Film noir-Welle in den 1940er und 1950er Jahren hat es mir angetan, aber auch in den 1970er Jahren entstanden im Kielwasser des Siegeszuges des "New Hollywood" bemerkenswerte Thriller voller Komplexität und Abgründigkeit. Meister-Regisseur Paul Thomas Anderson ("There Will Be Blood") vereint nun in seiner Adaption eines Romans von Thomas Pynchon viele der gelungensten Elemente dieser Ären. Man kann es wohl so sagen: "Inherent Vice" wirkt wie eine Kreuzung aus "Die Spur des Falken" oder "Tote schlafen fest" mit "Chinatown", "Klute" oder "Ein Fall für Harper" – dazu gesellt sich noch ein guter Schuß Drogenfilm á la "Angst und Schrecken in Las Vegas", der reichlich pechschwarzen, bizarren Humor einbringt. Diese höchst merkwürdige Melange hat bei Kritikern und Publikum konträre Reaktionen hervorgerufen: Viele loben "Inherent Vice" als kleines Meisterwerk oder zumindest hervorragende Unterhaltung; nicht viel weniger kritisieren Andersons Film als unlogisch, zäh und langweilig. Glücklicherweise zähle ich mich zur ersten Gruppe – aber ich liebe ja auch komplizierte Geschichten voll von schrägen Charakteren und absurdem Humor …

Manchmal erkennt man schon früh anhand kleinster Details, daß man den folgenden Film höchstwahrscheinlich sehr mögen wird. In Baz Luhrmanns "Moulin Rouge" beispielsweise habe ich mich bereits verliebt, als das Musical ganz zu Beginn wie ein Bühnenstück präsentiert wird, inklusive Dirigent für das Orchester und Vorhang, der ganz zu Beginn den Film "auf der Bühne" verdeckt. Bei "Inherent Vice" ging es nicht ganz so schnell, doch nachdem ich einige der Figurennamen hörte, wußte ich: Wer solche Namen erfindet, dessen Humorgeschmack paßt genau zu meinem! Shasta Fay Hepworth; Christian F. "Bigfoot" Bjornsen; Petunia Leeway; Sauncho Smilax; Dr. Rudy Blatnoyd; Japonica Fenway; Dr. Lily Hammer (!); Puck Beaverton; Adrian Prussia; Agents Borderline und Flatweed … wie könnte man solche Namen denn nicht phantastisch finden? Nun, ich tue es jedenfalls, und der Film hält für mich genau das, was diese klangvoll-absurden Namen versprechen.

Dabei haben die Kritiker in einer Hinsicht gar nicht mal Unrecht: Die Handlung ist tatsächlich ziemlich verschlungen und verliert sich schon mal etwas in dramaturgisch nicht notwendig erscheinenden Schlenkern. Doch in den meisten Fällen funktioniert das für mich wunderbar, weil diese Episoden eben so herrlich durchgeknallt sind. Zudem erreicht Andersons OSCAR-nominiertes Drehbuch durch diese Vorgehensweise (die wohl der Romanvorlage entspricht, jedenfalls wird der Film als ziemlich vorlagengetreu eingestuft), daß sich Docs Tätigkeit als Privatdetektiv authentisch anfühlt. Es gibt nicht den einen spektakulären Fall, dem er sich mit voller Kraft widmen kann; nein, es sind mehrere Aufträge, von denen einige zumindest anfangs belanglos oder gar langweilig erscheinen. Aber als von den Honoraren (und von nicht gerade billigen Drogen) abhängiger Privatdetektiv muß Doc natürlich auch die erledigen. Auf Details will ich ansonsten gar nicht eingehen, weil Docs immer wieder haarsträubende Erlebnisse erstens schwer zu beschreiben sind (ein typischer Fall von "das muß man gesehen haben, um es zu glauben …") und weil sie zweitens allesamt kleine Stücke des großen Puzzles sind, das man in seiner Gesamtheit erst am Ende erkennt – wenn überhaupt. Man sollte jedenfalls keine vollkommen logische Story erwarten, auch keine, von der am Ende jedes Fitzelchen haarklein aufgeklärt wird. Wobei man eventuelle Logik- oder Glaubwürdigkeitsmängel praktischerweise immer auf Docs ausufernden Drogenkonsum schieben kann, denn es ist absolut möglich, daß er einige Dinge schlicht halluziniert … Dennoch ergibt die Handlung in ihrer Gesamtheit absolut Sinn – sie erfordert aber allein durch die beträchtliche Anhäufung von Szenerie- und Storyline-Wechseln, daß man ihr konzentriert folgt.

Joaquin Phoenix verkörpert den ständig bekifften Privatdetektiv mit sichtlicher Hingabe. Soll heißen: Er wirkt, als wäre er tatsächlich während der gesamten Dreharbeiten "high" gewesen, was zu einer mitunter recht übertriebenen Schauspielerei führt … Das ist zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, paßt aber natürlich genau zu diesem merkwürdigen Protagonisten und offenbart ein gutes Comedy-Timing. Stimmungsvoll ist zudem die begleitende Musikauswahl, die von diversen Psychedelic Rock-Songs der damaligen Zeit dominiert wird sowie von den stilistisch daran angepaßten Kompositionen des Radiohead-Gitarristen Jonny Greenwood. Im Zusammenspiel mit den farbenfrohen Kostümen entsteht so ganz nebenbei eine überzeugende 1970er Jahre-Atmosphäre. Die übrigen Schauspieler können ihre Charaktere derweil leider nur in Maßen ausgestalten, dazu ist das Figurenensemble einfach zu groß und dementsprechend die Screentime der einzelnen Personen zu gering. Doch das wird dadurch wieder wettgemacht, daß die Figuren ihren schillernden Namen mehr als gerecht werden und damit ihren Darstellern die Gelegenheit geben, ihre Spielfreude zu demonstrieren. Vor allem Josh Brolin als ständig an einer Schokobanane am Stiel herumlutschender Detective und Erzfeind von Doc sowie die Theaterschauspielerin Katherine Waterston als Docs Ex-Freundin, Auftraggeberin und Femme fatale nutzen diese Chance weidlich aus, wohingegen Benicio del Toro ("Savages") als Docs Anwalt sowie Owen Wilson eher blaß bleiben. Dafür wird man Martin Shorts ("Vater der Braut") kurzen, aber wunderbar bizarren Auftritt als exzentrischer Zahnarzt ganz gewiß im Gedächtnis behalten.

Fazit: "Inherent Vice – Natürliche Mängel" ist ein bizarrer Genremix aus Thriller, Film noir, schwarzer Komödie und Drogenfilm, der sein Publikum mit einer für die heutigen Hollywood-Verhältnisse komplizierten, verästelten Handlung ebenso herausfordert wie mit seinem ziemlich speziellen Humor – die Figurenzeichnung erreicht nicht das Niveau früherer Anderson-Filme, wird aber durch durch die selbst in kleinen Nebenrollen hochkarätige Besetzung kompensiert. Das Resultat dürfte ein typischer "love it or hate it"-Film sein …

Wertung: 9 Punkte.


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