Regie und Drehbuch: Ana Lily Amirpour
Darsteller:
Sheila Vand, Arash Marandi, Mozhan Marnó, Dominic Rains, Marshall Manesh, Rome
Shadanloo, Milad Eghbali, Pej Vahdat
FSK: 12; Dauer: 100 Minuten.
In der (fiktiven) heruntergekommenen iranischen
Industriestadt Bad City lebt der junge Arash (Arash Marandi) mit seinem Vater
in einer kleinen Wohnung. Arashs ganzer Stolz ist sein Auto, auf dessen Kauf er
über sechs Jahre lang konsequent hingespart hat. Eines Tages nimmt ihm Saeed (Dominic
Rains, TV-Serie "Flash Forward"), ein selbstverliebter Drogendealer
und Zuhälter in Jogginghosen und mit Pac-Man-Tätowierung am Hals, den Wagen weg
– als eine Bezahlung für die hohen Schulden, die Arashs seit dem Tod seiner
Ehefrau drogensüchtiger Vater bei ihm hat. Wenig später scheint Arash doch das
Glück zuzulächeln, als er nach einem zufälligen Aufeinandertreffen mit einer
geheimnisvollen Schönheit (Sheila Vand, "Argo") Saeeds krumme
Geschäfte übernimmt. Im Anschluß an eine wilde Party in einem Nachtclub trifft Arash in ziemlich
drogenvernebeltem Zustand erneut auf die junge Frau, die – wie sich
herausstellt – ein einsamer Vampir ist …
Kritik:
Vampirfilme sind im 21. Jahrhundert bekanntlich nicht mehr wirklich
originell. Eine in eleganten Schwarzweiß-Bildern gefilmte Erzählung über einen
weiblichen Vampir im Iran, der des Nachts durch die heruntergekommenen Straßen
streift und dabei selbstverständlich ein muslimisches Kopftuch trägt, kann man
dagegen durchaus als eine Novität bezeichnen. Die junge iranisch-amerikanische
Regisseurin Ana Lily Amirpour adaptierte mit "A Girl Walks Home Alone at
Night" einen eigenen Kurzfilm aus dem Jahr 2011 – und wurde damit zu einem
Liebling der Filmfestivals weltweit. Der sehr gemächlich vorangetriebene
Genre-Mischmasch ist sicher nicht für ein klassisches Multiplex-Publikum
geeignet und kann im Mittelteil gar etwas ermüdend wirken; Arthouse-Freunde
dürften dennoch einiges finden, was sie anspricht.
Amirpours Inspirationsquellen sind dabei nicht schwer zu eruieren.
Stilistisch erinnert viel an Altmeister Jim Jarmusch (der erst 2013 mit
"Only Lovers Left Alive" gleichfalls eine etwas andere Vampir-Erzählung
in die Kinos brachte), auch der lakonische Humor und die subtile Gesellschaftskritik
würden gut in einen Jarmusch-Film (oder auch einen von Aki Kaurismäki) passen. Visuell fühlt man sich mitunter an
Paul Thomas Anderson ("There Will Be Blood") erinnert, die wenigen
Horrorszenen könnten von Park Chan-wook ("Durst – Thirst")
stammen und die zarte Liebesgeschichte zweier einsamer Seelen gemahnt sogar ein
wenig an Marcel Carné ("Kinder des Olymp"). Auch Elemente von Nouvelle Vague und Film noir lassen sich identifizieren. Obwohl man "A Girl
Walks Home Alone at Night" wohl streng genommen als (romantischen) Horrorfilm
klassifizieren kann, wird wenig Action oder Horror geboten. Amirpour setzt
vor allem auf Atmosphäre und stilvolle Bilder, das Erzähltempo ist fast
durchgehend langsam. Wenn es aber doch einmal rundgeht, dann sind die
entsprechenden Sequenzen dramaturgisch hervorragend aufgebaut und höchst
effektiv: Vor allem der erste "Vampireinsatz" und eine gruselige
Lektion für einen Straßenjungen bleiben nachhaltig im
Gedächtnis. Die internationale Werbe-Schlagzeile für "A Girl Walks Home
Alone at Night" lautet übrigens "der erste iranische Vampir-Western" –
wobei sich das mit dem Western aber eigentlich auf eine einzelne (sehr
gelungene) Szenenabfolge zu einer epischen Melodie im Ennio Morricone-Stil
beschränkt.
Überhaupt die Musik: Amirpour unterlegt die
eleganten Bilder ihrer wortkargen Geschichte mit einem tollen, sehr melodischen
Soundtrack aus teilweise englischsprachigen, teils auf Farsi vorgetragenen
Pop- und Rock-Songs. Die Künstler dürften außerhalb der arabischen Welt
ziemlich unbekannt sein (wobei ich meine, von der Indie-Rock-Band Radio Tehran
schon gehört zu haben), aber die Songs gehen – bis auf einen Techno-Track, zu dem Saeed in seiner Wohnung (extrem komisch) tanzt, um ein Mädchen zu beeindrucken – richtig ins Ohr und
untermalen gleichzeitig paßgenau einzelne Szenen. So ganz nebenbei zeigt die
Eingängigkeit dieser iranischen Musik auch für europäische oder amerikanische
Ohren, daß die kulturellen Unterschiede gar nicht so groß sind, wie man das
angesichts der Nachrichtenlage rund um den Iran oft glaubt. Bereits Marjane
Satrapi ("The Voices") hat das ja in ihrem OSCAR-gekrönten
autobiographischen Zeichentrickfilm "Persepolis" nachvollziehbar
gemacht – schließlich war der Iran vor der Islamischen Revolution Ende der
1970er Jahre von der US-gestützten Herrschaft des Schahs ziemlich westlich geprägt (zumindest in den Städten) und das hat
offensichtlich seine Spuren hinterlassen. Das erkennt man auch an den
drogengeschwängerten Partyszenen im wohlhabenden Viertel von Bad City, in dem
die verwöhnten Söhne und Töchter der Reichen sorglos in Genuß- und Drogensucht schwelgen – das sind
Club-Szenen, die man problemlos auch in Europa, Asien oder Nordamerika erleben
könnte.
Diese Sequenzen stehen in einem auffälligen Kontrast zum
freudlosen Dasein in den weniger noblen Stadtteilen von Bad City, die von
Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Prostitution und generell Trostlosigkeit geprägt sind.
Die Schere zwischen Arm und Reich klafft eben bei weitem nicht nur im
Kapitalismus auseinander, in – vorsichtig formuliert – weniger
demokratisch geprägten Staaten ist die Diskrepanz erfahrungsgemäß noch viel
größer. Amirpour illustriert die Kritik an den (nicht nur) iranischen
Verhältnissen unschwer erkennbar, aber doch recht subtil, indem sie den männlichen
Protagonisten Arash als Wandler zwischen den Welten präsentiert. Auf der einen
Seite wird er, der sich als Handwerker bei den Reichen finanziell über Wasser
hält, drangsaliert durch den Gangster Saeed, auch sein drogenabhängiger Vater
ist nicht gerade hilfreich für Arashs Wohlbefinden. Auf der anderen Seite geht es ihm aber immer noch
besser als dem bettelnden Jungen auf der Straße (Milad Eghbali) oder auch der
Prostituierten Atti (Mozhan Marnó, TV-Serie "The Blacklist"),
die regelmäßig seinen Weg kreuzen. Und natürlich wird Arash auch nicht übermäßig
durch die Religion in seiner Freiheit eingeschränkt, anders als das bei dem
mysteriösen Mädchen der Fall ist, das zwar nicht an einen Gott glaubt (kein Wunder,
wenn man ein Vampir ist), aber trotzdem außerhalb ihrer Wohnung nur mit Kopftuch
unterwegs sein darf. Nebenbei bemerkt wird in diesem Film ganz besonders
deutlich, welch negative Auswirkungen die muslimische Verschleierungspflicht
(in diesem Fall ein Tschador, bei dem man das
Gesicht sehen kann) in rein ästhetischer Hinsicht hat, denn in den
"privaten Szenen" sieht man, daß Hauptdarstellerin Sheila Vand eine
sehr hübsche (wenn auch etwas arg dünne) junge Frau ist, wohingegen sie mit Kopftuch unscheinbar wie ein Mauerblümchen wirkt. Und kurioserweise sieht mit Kopftuch ihre
Nase zu groß aus, während sie ohne genau paßt ... Davon abgesehen gelingt es Vand aber mit und ohne Kopftuch ausgezeichnet, die geheimnisvolle Aura des weiblichen Vampirs ebenso zur Geltung zu bringen wie ein leichtes, aber permanentes Gefühl der Verlorenheit. Ihr männlicher Widerpart Arash Marandi, der aus Hamburg stammt, kann dagegen (teils im Zusammenspiel mit seinem sehr präsenten Kater) mit einigen eher komödiantischen Einlagen punkten, die den ersten, an einen iranischen James Dean erinnernden Eindruck vom Filmanfang gekonnt und amüsant konterkarieren.
Fazit: "A Girl Walks Home Alone at Night"
ist eine mal humorvolle, mal gruselige, dazu leicht gesellschaftskritische
Vampirromanze, die von ihrem eigenwilligen, in elegante Schwarzweiß-Bilder
gekleideten Stil und einer dichten Atmosphäre lebt – den Figuren kommt man
nicht richtig nahe und das Erzähltempo dürfte manchmal etwas höher sein, doch
die zentrale, sehr zurückhaltend und nur andeutungsweise erzählte
Liebesgeschichte funktioniert und damit auch der Film.
Wertung: 8 Punkte.
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