Regie und
Drehbuch: Emerald Fennell, Musik: Anthony Willis
Darsteller:
Carey Mulligan, Bo Burnham, Jennifer Coolidge, Clancy Brown, Chris Lowell,
Alison Brie, Alfred Molina, Laverne Cox, Max Greenfield, Adam Brody, Samuel
Richardson, Connie Britton, Christopher Mintz-Plasse, Francisca Estevez, Molly
Shannon, Emerald Fennell
FSK: 16, Dauer: 114 Minuten.
Die 30-jährige Cassie (Carey Mulligan, "Die
Ausgrabung") hat ein etwas eigentümliches Hobby: Sie geht gerne Abends in
Clubs, tut so, als wäre sie stockbesoffen und läßt sich von einem hilfsbereiten
Gentleman "nach Hause bringen". In Wirklichkeit ist sie vollkommen nüchtern
und testet, wie weit ihre "Retter" gehen und ob sie ihren
vermeintlich hilflosen Zustand ausnutzen wollen, um sie zu vergewaltigen –
falls ja, erteilt sie ihnen eine Lektion, die sie nicht so schnell vergessen … Der Grund für Cassies "Hobby" liegt sieben Jahre in der
Vergangenheit, als ein traumatisches Erlebnis die begabte Medizinstudentin dazu
brachte, das College zu verlassen, bei ihren besorgten Eltern Susan
(Jennifer Coolidge, "American Pie – Das Klassentreffen") und Stanley
(Clancy Brown, "The Ballad of Buster Scruggs") einzuziehen und eine anspruchslose, wenig einträgliche Arbeit in einem Coffee-Shop anzunehmen. Als
dort eines Tages Cassies charmanter ehemaliger Kommilitone Ryan (Bo Burnham,
"The Big Sick") auftaucht und sie um ein Date bittet, sagt Cassie
zögerlich zu. Tatsächlich kommen die beiden gut miteinander aus, die durch Ryan
ausgelöste Erinnerung an den damaligen College-Vorfall bringt Cassie jedoch auch
dazu, ihre "Lektionen" zielgerichteter auf die damals Beteiligten
auszurichten …
Kritik:
Als 2017 im Zuge des Harvey Weinstein-Skandals die
#MeToo-Bewegung nicht nur Hollywood durchrüttelte, war klar, daß diese zu
Änderungen führen würde – allgemein in der Gesellschaft und in der
Arbeitswelt, aber auch ganz konkret in der US-amerikanischen sowie der
weltweiten Film- und Fernsehwelt. Vier Jahre später kann man vielleicht ein
wenig desillusioniert sein, daß sich die Fortschritte in Sachen
Gleichberechtigung und Bekämpfung von Mißbrauch langsamer vollziehen als
erhofft, aber immerhin: Es geht voran. Inzwischen gibt es auch erste
Kinofilme, die sich direkt ("Bombshell", "The Assistant")
oder eher indirekt ("Niemals Selten Manchmal Immer") mit der Thematik
befassen – doch der erste "richtige" #MeToo-Film mit einer größeren
Reichweite ist wohl tatsächlich "Promising Young Woman". Das Kino-Regie- und Drehbuch-Debüt der britischen Schauspielerin Emerald
Fennell ("The Danish Girl") nimmt niemals konkret Bezug auf
Weinstein oder vergleichbare Skandale wie den in "Bombshell"
behandelten beim TV-Sender Fox News, aber die gesamte Story und die Dialoge
des oft als (schwarzhumoriger) feministischer Rachethriller beschriebenen
Films – wobei die Kategorisierung der Komplexität nicht wirklich gerecht
wird – sind durchzogen von entsprechenden Aspekten. Zwar geht Fennell manchmal
arg plakativ vor, oft aber wunderbar subtil, weshalb sie für ihr clever
konstruiertes, sehr stylish inszeniertes und von der grandiosen
Hauptdarstellerin Carey Mulligan kongenial auf die Leinwand übertragenes
Original-Drehbuch einen verdienten OSCAR gewann (zudem gab es Nominierungen für
ihre Regie, den Schnitt und Carey Mulligan sowie als Bester Film).
"Promising Young Woman" geht sogleich in medias res
und zeigt, wie die scheinbar fast bis zur Besinnungslosigkeit betrunkene Cassie vom noblen Helfer Jerry
(Adam Brody, "Mr. & Mrs. Smith") vor möglichen Gefahren in
Sicherheit gebracht wird – direkt in seine Wohnung. Dort erwartet ihn eine
große und zutiefst peinliche Überraschung, als Cassie sich als stocknüchtern
entpuppt und Jerry verständlicherweise wenig mitfühlend mit seinem
Fehlverhalten konfrontiert. Für das Publikum ist diese Wendung eher keine
Überraschung, sofern man sich vorher auch nur ansatzweise über den Film
informiert oder den Trailer gesehen hat, effektiv ist die Sequenz
trotzdem – gerade weil Jerry zu Beginn tatsächlich ein wohlmeinender,
sympathischer Helfer zu sein scheint, der erst ohne Zuschauer die Abgründe
hinter der freundlichen Maske offenbart. Noch verstärkt wird die Wirkung
dadurch, daß Emerald Fennell sicherlich sehr bewußt viele von Cassies – fast
hätte ich "Opfer" geschrieben, aber das wäre eine fatale
Fehlbezeichnung; also sagen wir: – Zielobjekten mit Schauspielern besetzt hat,
die einst als von Fans umschwärmte Charmebolzen in einer TV-Serie bekannt
wurden. Neben "O.C., California"-Star Adam Brody sind das vor allem
Chris Lowell ("Veronica Mars") und Max Greenfield ("New
Girl"), und alle drei spielen in "Promising Young Woman" Typen,
die von ihren damaligen Starrollen auf den ersten Blick gar nicht so weit entfernt
sind. Adam Brody könnte tatsächlich der etwas gealterte, aber immer noch charmante,
witzige und romantische Seth Cohen aus "O.C., California" sein – bis
er unvermittelt zum Möchtegern-Vergewaltiger avanciert. Am erschreckendsten ist jedoch Max Greenfields fließende Transformation vom liebenswert durchgeknallten Chaoten (wie bei "New
Girl") zum eiskalten Soziopathen –
alleine beim Gedanken daran läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken! Dabei
muß ich allerdings auf eine erste kleine Ungereimtheit zu sprechen
kommen, denn daß Cassie so lange mit ihren Lektionen durchkommt (wie lange genau sie das schon tut, erfahren wir nicht, die abgehakte Namensliste in ihrem Notizbuch ist aber lang ...), obwohl sie
keine Helfer hat und nicht einmal irgendwie bewaffnet zu sein scheint, wirkt etwas unglaubwürdig. Ja, sie setzt auf den Überraschungseffekt und weiß
sich zu wehren, trotzdem dürfte es sicher sein, daß sie das in der Realität
nicht so lange schadlos durchziehen könnte.
Davon abgesehen wird Cassie dem Publikum allerdings sehr
authentisch nähergebracht. Bleibt man zunächst noch im Ungewissen über die
konkreten Hintergründe für ihr "Hobby" und ihren Lebenswandel von
der "vielversprechenden jungen Frau" im Medizinstudium zur
griesgrämigen Kaffeeverkäuferin, erfahren wir nach und nach mehr und lernen sie
besser kennen. Dazu dient auch ihr Wiedersehen mit ihrem früheren Kommilitonen
Ryan – einnehmend verkörpert von Komiker Bo Burnham, der während der
Corona-Pandemie mit seinem gefeierten Netflix-Special "Inside" für
Furore sorgte –, dem es mit Charme, Humor und einer gewissen Hartnäckigkeit
gelingt, Cassie aus ihrem Schneckenhaus herauszuholen und sie wieder am relativ normalen Leben teilhaben zu lassen (zur großen Erleichterung
ihrer Eltern übrigens). Nur sorgt die sanft erblühende Beziehung zu Ryan eben
auch dafür, daß die Erinnerungen an jenes Trauma am College mit aller Macht
zurückkehren, das nicht nur ihr Leben so sehr aus dem Tritt brachte. Cassies
Zwiespalt zwischen der Sehnsucht nach Vergeltung und dem Wunsch nach
Normalität bringt Carey Mulligan herausragend zur Geltung, man sieht ihr den
Widerstreit der Gefühle mit dem lange gepflegten Haß auf die Täter und ihre Ermöglicher
ebenso an wie die zarte Hoffnung, endlich alles hinter sich lassen zu können.
Cassies Lektionen werden in dieser Phase deutlich zielgerichteter und perfider
und man ahnt ebenso wie vermutlich Cassie selbst, daß irgendwann ein Punkt der
Eskalationsspirale erreicht ist, an dem es kein Zurück mehr gibt – nur daß man
nicht sicher ist, ob man den erwarten oder fürchten soll, denn schließlich wünscht
man dieser traumatisierten jungen Frau von ganzem Herzen ein glückliches Leben,
ihren Zielobjekten aber ebenso leidenschaftlich eine gerechte Bestrafung.
Wobei die wohlgemerkt zumindest großteils nicht plakativ als böse Menschen gezeichnet werden,
sondern sehr realistisch und ambivalent, manchmal sogar mit nachvollziehbaren
Argumenten für ihr damaliges Verhalten.
Besonders eindrucksvoll fällt die Lektion für die heutige
Unidekanin Walker (Connie Britton, TV-Serie "Nashville") aus, die
sich mit den üblichen, juristisch durchaus stichhaltigen Argumenten
verteidigt (z.B. "Aussage gegen Aussage"), teilweise aber auch mit
ziemlich erbärmlichen und entlarvenden Ausreden ("kam jede Woche
vor", "können nicht alle verfolgen"). Die entstammen
allerdings sehr wohl den Schlagzeilen realer Fälle, vor allem die
haarsträubende Geschichte rund um den heutigen Supreme Court-Richter Brett
"I like beer" Kavanaugh – dem von einer heutigen Professorin
glaubwürdig sexuelles Fehlverhalten am College vorgeworfen wurde – war eine so
offensichtliche wie beklemmende Inspirationsquelle für Fennell; auch die
"Argumente", die nach Donald Trumps geleaktem "Grab them by the
pussy"-Video von seinen Verteidigern vorgebracht wurden ("locker room
talk"), erkennt man sinngemäß wieder. Cassies Geschichte läuft derweil auf
drei drastische Wendungen im letzten Akt hinaus, von denen die erste leider äußerst offensichtlich und meiner Ansicht nach auch
inhaltlich ein bißchen ärgerlich ist (der "Gotcha"-Moment erinnert ungut an
einen ähnlichen aus David Slades "Hard Candy" aus dem Jahr 2005). Der
zweite ist hingegen grandios, während man über den letzten definitiv streiten
kann – für mich funktioniert er aber gut. Ein kleiner Geniestreich gelingt
Fennell zudem, indem sie in dieser Schlußphase ihr Werk zu einer subtilen Parodie
typischer politisch unkorrekter Hollywood-Komödien á la "Hangover"
macht, die Vorkommnisse aber gerade eben stark genug überzeichnet, daß vermeintlich harmlose Unterhaltung zu höchst unangehmen Momenten führt.
Das paßt dazu, daß man als Mann kaum anders kann, als sich
wenigstens ab und zu direkt angesprochen zu fühlen von Cassies Lektionen und
dem Verhalten ihrer Zielobjekte. Ich bin mir eigentlich sicher, daß ich
mich Frauen gegenüber stets mehr oder weniger vorbildlich (jedenfalls niemals
mißbräuchlich) verhalten habe und ich bin sehr zuversichtlich, daß meine weiblichen
Bekanntschaften der letzten zwei bis drei Dekaden das größtenteils, womöglich ausnahmslos bestätigen würden – dennoch muß ich zugeben, daß
ich mich in ein oder zwei (harmloseren) Momenten von "Promising Young Woman"
etwas ertappt fühlte. Fennells Film bringt männliche Zuschauer dazu, sich
selbst, ihr Verhalten, gar ihre Gedanken und alltäglichen Gewohnheiten
zu hinterfragen (beispielhaft dafür steht eine kurze, aber ziemlich geniale
Szene, in der Cassie von drei Bauarbeitern auf der anderen Straßenseite blöd
angemacht wird, sie mit ihrer Reaktion aber komplett auf dem falschen Fuß
erwischt) – und das ist eine erstaunliche und lobenswerte Leistung.
Schauspielerisch ist Carey Mulligan unumstrittener Star des Films
mit einer wirklich herausragenden Leistung; ansonsten hatte ich Max Greenfields furchterregende Transformation schon lobend hervorgehoben und möchte Alfred
Molina ("Prince of Persia") nicht unerwähnt lassen, der als reumütiger Anwalt einen sehenswerten
Kontrapunkt zu den übrigen männlichen Figuren des Films setzt (die, das sollte
man schon anmerken, teilweise arg eindimensional daherkommen). Lob verdient
abschließend noch die musikalische Begleitung von "Promising Young
Woman", bei der eine auf den ersten Blick sehr eigentümlich anmutende,
jedoch in sich erstaunlich stimmige Songzusammenstellung mit seichten
Pophits (Spice Girls, Paris Hilton), Evergreens ("Angel of the
Morning"), klassischen Musikstücken (Wagner, Pachelbel) und zwei
stimmungsvollen Liedern der jungen US-Künstlerin DeathbyRomy (ein "It's
Raining Men"-Cover und "Come and Play with Me") im Mittelpunkt
steht, deren Interpreten passenderweise alle
weiblich sind – als Höhepunkt wird eine Schlüsselszene zu Beginn des dritten
Akts von einer genialen, gänsehauterzeugend dissonanten
Streicher-Instrumentalversion von Britney Spears' "Toxic" unterlegt. Äußerst merkwürdig, aber ziemlich grandios – wie der gesamte Film!
Fazit: "Promising Young Woman" ist eine
stylishe, beinahe altgriechisch anmutende Tragödie im Gewand einer
rabenschwarzen Tragikomödie mit starken Thriller-Elementen und aktuellem gesellschaftlichen Bezug –
getragen von einem intelligenten Drehbuch und einer grandiosen
Hauptdarstellerin Carey Mulligan.
Wertung: 9 Punkte.
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