Mittwoch, 18. September 2019

ONCE UPON A TIME IN ... HOLLYWOOD (2019)

Regie und Drehbuch: Quentin Tarantino
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Margaret Qualley, Al Pacino, Damian Lewis, Nicholas Hammond, Kurt Russell, Zoë Bell, Emile Hirsch, Timothy Olyphant, Mike Moh, Julia Butters, Luke Perry, Michael Madsen, Bruce Dern, Lorenza Izzo, Damon Herriman, Austin Butler, Dakota Fanning, Lena Dunham, Maya Hawke, Madisen Beaty, Mikey Madison, James Landry Hébert, Harley Quinn Smith, Victoria Pedretti, Sydney Sweeney, Rafal Zawierucha, Kansas Bowling, Danielle Harris, Ronnie Zappa, Costa Ronin, Samantha Robinson, Rebecca Gayheart, Scoot McNairy, Clifton Collins Jr., Dreama Walker, Rumer Willis, James Remar, Martin Kove, Lew Temple, Spencer Garrett, Daniella Pick, Quentin Tarantino (Stimme)
Once Upon a Time in Hollywood
(2019) on IMDb Rotten Tomatoes: 86% (7,9); weltweites Einspielergebnis: $377,6 Mio.
FSK: 16, Dauer: 161 Minuten.

Los Angeles, Februar 1969: Die Karriere des bekannten Schauspielers Rick Dalton (Leonardo DiCaprio, "The Revenant") befindet sich am Scheideweg. Nachdem er Star der Westernserie "Bounty Law" war, diese aber für eine Leinwandkarriere verließ, die ihm tatsächlich einige gute Rollen einbrachte, ist sein Stern in Hollywood am Sinken. Das aufkeimende "New Hollywood", das die Branche revolutioniert und viele alte Zöpfe abschneidet, scheint mit Rick nicht mehr viel anfangen zu können, weshalb er nur zwei Optionen hat: Gastrollen in TV-Serien anzunehmen oder nach Rom zu gehen und dort Star von Spaghetti-Western zu werden. Da Rick von diesen italienischen Genrefilmen nicht viel hält, entscheidet er sich zunächst für die Fortsetzung seiner TV-Karriere – seinen besten Freund und langjährigen Stuntman Cliff Booth (Brad Pitt, "Herz aus Stahl") immer im Schlepptau. Zum neuen Hollywood zählen Ricks neue Nachbarn, denn in der Villa nebenan sind der aufstrebende polnische Regisseur Roman Polanski (Rafal Zawierucha, "Warschau 44") und seine schöne Schauspieler-Gattin Sharon Tate (Margot Robbie, "I, Tonya") eingezogen. Die fröhliche Aufbruchstimmung in Hollywood soll allerdings nicht lange anhalten, denn der Sektenguru Charles Manson (Damon Herriman, "Das Versprechen eines Lebens") und seine vorwiegend weiblichen Hippie-Anhänger um die charmante "Pussycat" (Margaret Qualley, "The Nice Guys") planen Teuflisches …

Kritik:
Schon seit vielen Jahren erzählt Quentin Tarantino, daß er seine Karriere (zumindest als Kino-Regisseur) nach seinem zehnten Film beenden werde – wobei er freundlicherweise die beiden "Kill Bill"-Teile als einen Film wertet. So richtig ernst haben diese Ankündung die meisten wohl lange nicht genommen, schließlich ist es schwer vorstellbar, daß ein so filmverrückter Typ wie Tarantino einfach von heute auf morgen komplett Schluß machen würde. Doch bislang besteht er weiterhin hartnäckig darauf, daß er das durchziehen wolle und somit wäre "Once Upon a Time in … Hollywood" die vorletzte Chance, ein neues Tarantino-Werk auf der großen Leinwand genießen zu dürfen (sofern er nicht irgendwann noch den immer wieder angedachten "Kill Bill Vol. 3" dreht, weil er ihn nicht als neuen Film, sondern als dritten Akt von "Kill Bill" betrachtet). Und um ehrlich zu sein: Wäre dies bereits sein letzter Film, es wäre ein perfekter Abschluß. Denn "Once Upon a Time in … Hollywood" wirkt wie ein mitunter sogar selbstreferentielles (zu Beginn wird eine Szene aus "Inglourious Basterds" nachgestellt) "Best of Tarantino"-Potpourri, zumal diese Hommage an die Traumfabrik der 1960er Jahre wie der persönlichste Film des gigantischen Filmnerds Tarantino anmutet. Obwohl der recht anekdotenhaft anmutende "Once Upon a Time in … Hollywood" somit inhaltlich nicht übermäßig originell ist und zudem nicht einmal eine richtige Handlung hat, bietet er gut zweieinhalb Stunden lang beste Unterhaltung mit einer großartigen Besetzung und vielen denkwürdigen Momenten.

Einmal mehr beeindruckt, mit welch riesiger Liebe zum Detail Tarantino seinen Film vollpackt mit zeithistorischen und popkulturellen Anspielungen, passend untermalt von einem wie immer großartig ausgewählten Soundtrack. Naturgemäß wird sich kaum jemand finden, der alle Film- und Serienanspielungen erkennt und gerade die erwähnten TV-Serien sind außerhalb des englischsprachigen Raums teilweise ziemlich unbekannt – zumal wenn man die damalige Zeit nicht selbst mitbekommen hat, also heute mindestens 70 ist. Ein wenig Recherche zeigt aber, daß die Serien, in denen Rick Dalton hier mitspielt oder mitgespielt hat, allesamt tatsächlich existierten, lediglich die Western-Serie "Bounty Law", die ihn vor Jahren zum Star machte, ist eine Abwandlung der realen Sendung "Der Kopfgeldjäger". Deren Hauptrolle spielte die spätere Leinwand-Ikone Steve McQueen – und in "Once Upon a Time in … Hollywood" erfahren wir, daß Rick beinahe McQueens ikonische Rolle im Meisterwerk "Gesprengte Ketten" gespielt hätte (wir sehen sogar entsprechende Szenen, in denen Leo DiCaprio als Captain Hilts in John Sturges' Abenteuerklassiker hineinmontiert wurde!). Das steht beispielhaft für die besessene Detailtreue, die Tarantino hier einmal mehr zelebriert. Noch ein Beispiel: Der Italo-Western, der Rick von einem von Al Pacino verkörperten Produzenten angeboten wird, heißt "Nebraska Jim" – was der deutsche Titel des realen "Ringo del Nebraska" (respektive "Ringo from Nebraska") ist. Zufall? Bei jedem anderen Regisseur und/oder Drehbuch-Autor höchstwahrscheinlich, aber bei Tarantino kann man darauf wetten, daß er diesen Titel sehr bewußt auswählte …

Angesichts der Thematik gibt es derartige Momente naturgemäß zuhauf, und selbst wenn man als Zuschauer nicht bemerkt, wie nah Tarantino an der damaligen Film- und TV-Realität bleibt, macht es einfach Spaß, die stets hochgradig unterhaltsamen Episoden vom Set zu verfolgen. Wenn man sich jedoch mit dem Hollywood der 1960er Jahre ein bißchen auskennt, fällt das Vergnügen natürlich noch größer aus und man wundert sich, wie überzeugend "Homeland"-Star Damian Lewis als Steve McQueen agiert, oder man fühlt sich bei Rick an Clint Eastwood oder Lee Van Cleef erinnert, die wie Rick Ende der 1960er Jahre vor der Wahl standen, in Italien als Star zu arbeiten oder in Hollywood als einer von vielen. Im Mittelpunkt stehen in "Once Upon a Time in … Hollywood" die Dreharbeiten zur Pilotfolge der (realen) Westernserie "Lancer", in der der inzwischen etwas sehr dem Alkoholgenuß zugeneigte Rick den Bösewicht gibt (als der in der Realität von James Stacy verkörperte Titelheld agiert Timothy Olyphant). Für Leonardo DiCaprio ist der ziemlich mitgenommene Ex-Star Rick Dalton eine sehr schöne Rolle, um seine schauspielerische Bandbreite zu zeigen – immerhin spielt er einen guten Schauspieler, der vor allem wegen seiner Alkoholabhängigkeit größere Schwierigkeiten hat, sein Können abzurufen, das auch noch genau weiß und deshalb wütend auf sich selbst ist. Keine einfache Aufgabe, aber wenig überraschend bewältigt sie DiCaprio problemlos, wobei vor allem seine von Tarantino stark geschriebenen Szenen mit der etwas altklugen, sehr professionellen Kinderdarstellerin Trudi (Julia Butters, "13 Hours") etliche schöne, sogar berührende Momente beinhalten.

So gut DiCaprio aber auch spielt und obwohl er die meiste Screentime aller Darsteller haben dürfte, ist dies doch in erster Linie Brad Pitts Film. Schauspielerisch dürfte er als stoischer Stuntman Cliff Booth zwar weniger stark gefordert sein als DiCaprio, aber er interpretiert den loyalen und kampfstarken Mann mit der düsteren Vergangenheit (für die übrigens natürlich auch ein realer Skandal Pate stand, nämlich der bis heute ungeklärte Tod von Hollywood-Star Natalie Wood) mit einer so ungeheuer beiläufigen Coolneß, daß er jede Szene dominiert, in der er zu sehen ist. Vorteilhaft für ihn ist es sicher auch, daß er letztlich den ernsthaften Teil des Films trägt, denn während DiCaprios an sich zweifelnder Rick Dalton und seine Erlebnisse bei den Dreharbeiten zu "Lancer" doch in erster Linie unterhaltend sind, gerät Cliff immer stärker mit der Manson Family in Kontakt. Zwar darf auch Pitt zunächst in der Film- und TV-Welt auftreten und ist in einen der meistdiskutierten, dabei stark inszenierten Momente am Set involviert – Cliff legt sich bei den Dreharbeiten zu einer Episode der frühen Superheldenserie "Die grüne Hornisse" mit Bruce Lee höchstpersönlich an, dessen etwas überzogene und recht arrogante Darstellung durch Mike Moh ("Killerman") bei Fans und Nachkommen der Martial Arts-Ikone für Verstimmung gesorgt hat, auch wenn Tarantino sich dabei auf ein Buch von Lees Witwe stützt –, aber da er beim "Lancer"-Dreh nicht benötigt wird, gehen er und Rick dann vorübergehend getrennte Wege. Dabei lernt Cliff zufällig die attraktive, noch minderjährige "Pussycat" kennen, was als wunderbar in Szene gesetzter, stummer Fernflirt (Cliff sieht sie mehrfach als Anhalterin am Straßenrand, während er vorbeifährt) beginnt, den Stuntman schließlich aber zur "Spahn Movie Ranch" führt, einem früheren Filmgelände, auf dem auch für "Bounty Law" gedreht wurde. Nun jedoch hat hier die Manson Family ihr Quartier bezogen, und je mehr diese sektenartige Gemeinschaft in den Mittelpunkt von "Once Upon a Time in … Hollywood" rückt, desto stärker verschiebt sich die Atmosphäre von fröhlicher Nostalgie ganz subtil hin zu einem zunehmend unguten Gefühl. Das speist sich natürlich auch daraus, daß die meisten Zuschauer wissen dürften, wie die Geschichte der Manson Family ausging, aber trotzdem ist es eindrucksvoll, wie harmonisch Tarantino der fließende Übergang der Stimmung gelingt – und dabei steht Brad Pitt als Cliff (mit seiner glänzend trainierten Pibull-Dame Brandy) immer stärker im Mittelpunkt. Und selbst wenn Tarantino mehrere Minuten lang einfach nur zeigt, wie Cliff mit rasantem Fahrstil und guter Musik aus dem Radio nach Hause fährt, rockt Brad Pitt einfach (was natürlich genau der Grund dafür ist, daß Tarantino sich diese stimmungsvolle Sequenz überhaupt leistet)! Kein Wunder, daß Pitt für seine Leistung mit seinem ersten Schauspiel-OSCAR geehrt wurde (einen weiteren gab es für die Ausstattung des Films).

Weitestgehend unabhängig vom restlichen Film verfolgen wir außerdem die Wege der jungen Schauspielerin Sharon Tate, die gerade ihre ersten Erfolge im Business feiert (u.a. in "Tanz der Vampire" von ihrem Ehemann Roman Polanski) und sich mit beinahe kindlicher Freude ihres sorgenfreien Lebens erfreut. Schauspielerisch eigentlich keine große Herausforderung für eine Könnerin wie Margot Robbie, trotzdem ist es schön mitanzusehen, wie sie Sharons naiven, unschuldigen Enthusiasmus spielt, wenn sie sich etwa bei einer Kinovorstellung ihres aktuellen Films (die Komödie "Rollkommando" mit Dean Martin und Elke Sommer) der Kassiererin stolz vorstellt, in der Vorstellung vergnügt die Reaktionen der Zuschauer verfolgt und sogar verstohlen eine Kampfchoreographie mitspielt, die sie offenbar noch gut im Griff hat. Tarantino mußte sich ein wenig Kritik anhören, weil Robbies Rolle insgesamt überschaubar ausfällt, und tatsächlich sind die Sharon-Szenen streng genommen ziemlich belanglos. Sie passen trotzdem wunderbar in einen Film, der keine stringente Story verfolgt, sondern in erster Linie eine Liebeserklärung an die Traumfabrik Hollywood ist – und da sind Sharons Sequenzen eine gelungene Ergänzung zu denen von Rick und Cliff. Und natürlich bereiten sie das große Finale mit der Manson Family vor (über deren Tat häufig gesagt wird, durch sie habe Hollywood seine Unschuld verloren – wie gesagt, das paßt zu Tates Darstellung hier), über das ich wegen der Spoilergefahr gar nicht viel erzählen will. Nur soviel: "Once Upon a Time in … Hollywood" ist eindeutig Tarantinos action- und gewaltärmster Film – aber der blutige, grindhouse-artige Showdown hat es wahrlich in sich, wobei die Gewalt, ähnlich wie zuletzt bei "The Hateful 8", nicht zuletzt durch die Verwendung von Toneffekten dermaßen übertrieben inszeniert ist, daß sie eher absurd als realistisch wirkt. Nicht jeder mag dieses in der Tat sehr spezielle Ende, aber für mich funktioniert es gut genug – vor allem angesichts der logischen Alternative.

Noch kurz zur Besetzung: Große Rollen haben letztlich nur DiCaprio, Pitt und Robbie inne, dafür tummeln sich in den Nebenrollen wie so oft bei Tarantino bekannte Namen. Kurt Russell spielt beispielsweise wie schon in Tarantinos "Death Proof" einen Stuntman (und Tarantinos langjährige Stuntkoordinatorin Zoë Bell dessen Ehefrau), Emile Hirsch Sharons Schauspieler-Freund Jay Sebring und Bruce Dern den fast blinden Farmbesitzer George Spahn. Als Teil der Manson Family sind u.a. Dakota Fanning, Lena Dunham, Danielle Harris (die "Scream Queen" war in mehreren "Halloween"- und "Hatchet"-Teilen zu sehen), Harley Quinn Smith (Tochter von Kevin Smith), Maya Hawke (Tochter von Ethan Hawke und Uma Thurman) und Austin Butler ("The Dead Don't Die") zu sehen und als Ricks Co-Stars Michael Madsen, James Remar, der kurz nach Drehschluß verstorbene Luke Perry, Rumer Willis (Tochter von Bruce Willis), Scoot McNairy ("Destroyer"), Lorenza Izzo ("Knock Knock"), Dreama Walker (TV-Serie "Apartment 23"). Einen netten Bonus gibt es übrigens in der deutschen Synchronfassung, wo der Erzähler (in der Originalfassung: Kurt Russell) von Manfred Lehmann gesprochen wird, der nicht nur der Stammsprecher von Russell ist, sondern auch von Bruce Willis, der ja ebenso seine Tarantino-Verbindungen hat ("Pulp Fiction"). Und Sprecher eines TV-Spots ist Engelbert von Nordhausen, den jeder deutschsprachige Cineast sofort als Samuel L. Jackson erkennt (welcher diesmal erstaunlicherweise nicht mitspielt). Klar ist: Wer hier eine mehr oder weniger normale Handlung erwartet, der könnte von Tarantinos neuntem Film enttäuscht, angesichts der Länge vielleicht sogar gelangweilt sein. Doch wer ein Tarantino-Fan ist und/oder Filme und Hollywood generell liebt, der bekommt von "Once Upon a Time in … Hollywood" 160 Minuten beste Unterhaltung geliefert. Mal sehen, ob Quentin Tarantino tatsächlich einen noch geeigneteren Abschlußfilm seiner Karriere findet (oder sich idealerweise doch umentscheidet und einfach weitermacht).

Fazit: "Once Upon a Time in … Hollywood" ist eine detailverliebte Hommage an die Film- und Fernsehbranche der 1960er Jahre, vollgepackt mit wunderbaren und denkwürdigen Momenten, aber dominiert von einem Brad Pitt, der vielleicht noch nicht so gut war wie hier.

Wertung: Von einem eingefleischten Filmfan: 8,5 Punkte. Wer weniger gut in der Materie drin ist, kann vermutlich einen Punkt abziehen.


Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger Bestellungen über einen der amazon.de-Links in den Rezensionen oder über das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen