Regie: Bill
Condon, Drehbuch: Jeffrey Hatcher, Musik: Carter Burwell
Darsteller:
Sir Ian McKellen, Laura Linney, Milo Parker, Hiroyuki Sanada, Roger Allam, Hattie Morahan,
Phil Davis, Patrick Kennedy, Frances de la Tour
FSK: 0,
Dauer: 104 Minuten.
England, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg: Der frühere
Meisterdetektiv Sherlock Holmes (Sir Ian McKellen, "Der Hobbit") ist
nun stattliche 93 Jahre alt und lebt auf dem Land, wo er sich vor allem dem
Bienenzüchten widmet. Körperlich geht es ihm gar nicht so schlecht, geistig ist
er noch immer topfit – abgesehen davon, daß seine Erinnerung immer stärker
nachläßt. Und so fällt ihm eines Tages auf, daß er sich nicht mehr erinnern
kann, wie sein letzter Fall endete – nur, daß er deshalb vor 35 Jahren seine
Detektiv-Karriere beendete, weiß er genau. Verzweifelt versucht er sich der
damaligen Geschehnisse zu entsinnen und den wohl ungelöst gebliebenen
Fall der Mrs. Ann Kelmot (Hattie Morahan, "Bank Job") doch noch aufzuklären, die sich nach zwei Fehlgeburten
immer seltsamer verhielt. Als unschätzbare Hilfe erweist sich dabei
Roger (Milo Parker, "Gespensterjäger"), der wißbegierige Sohn seiner Haushälterin Mrs. Munro
(Laura Linney, "Tatsächlich … Liebe") – die allerdings lieber heute
als morgen einen anderen Job annehmen würde, da Mr. Holmes nicht unbedingt der
liebenswerteste Dienstherr ist, den man sich vorstellen kann …
Kritik:
Die Anzahl der Sherlock
Holmes-Adaptionen für Kino und TV läßt sich mittlerweile kaum noch zählen, am
populärsten sind aktuell sicher die TV-Serien "Sherlock" und
"Elementary" sowie die Filmreihe von Guy Ritchie mit Robert Downey
Jr. als Holmes. Im Kinobereich schmuggeln sich auch immer wieder
originelle Variationen des Stoffes auf die Leinwand wie Billy Wilders
"Das Privatleben des Sherlock Holmes" (1970) oder Herbert Ross'
"Kein Koks für Sherlock Holmes" (1976). Regisseur Bill Condon
("Kinsey") und Drehbuch-Autor Jeffrey Hatcher ("Die
Herzogin") fügen mit "Mr. Holmes" – basierend auf dem
gleichnamigen Roman von Mitch Cullin – dem reichhaltigen Fundus an Erzählungen
über die Romanfigur von Sir Arthur Conan Doyle eine weitere
sehenswerte Facette hinzu, indem sie den meisterhaften Detektiv als zunehmend von Erinnerungslücken geplagten Greis zeigen, der von seinem lange zurückliegenden letzten
Fall verfolgt wird beziehungsweise von seiner fehlenden Erinnerung an dessen Ende.
Ungewöhnlich ist "Mr.
Holmes" schon deshalb, weil er den Meisterdetektiv einmal nicht mit einem
spektakulären Kriminalfall konfrontiert. Stattdessen gibt es vorrangig zwei
kleinere Fälle zu lösen, einen pro Zeitstrang: In der Nachkriegsgegenwart will
er den gehäuften Tod der von ihm gezüchteten Bienen aufklären; und in dem Fall
von 1912 geht es in Rückblenden, die sich nach und nach entfalten, wenn Holmes
weitere Erinnerungsfetzen in seinem Gedächtnis findet, um das
Schicksal der unglücklichen Mrs. Kelmot. Beide Fälle sind ziemlich banal und
ihre jeweilige Auflösung ist für Holmes-Verhältnisse simpel – was dank
einer klugen Dramaturgie ihre emotionale Wucht aber nicht schmälert. Dennoch ist das
einer am häufigsten geäußerten Kritikpunkte an "Mr. Holmes": daß die Story dem
legendären Ermittler nicht gerecht werde. Einerseits kann ich schon verstehen,
daß man von einem Holmes-Film packende, rätselhafte Fälle erwartet,
andererseits vertrete ich jedoch die Meinung, daß das in diesem Szenario nicht
angemessen wäre. Holmes ist hier nun einmal 93 Jahre alt, sein Gedächtnis läßt
nach und eine kürzliche Reise nach Japan (die im Grunde sogar noch
einen dritten Fall enthält, den Holmes quasi im Vorbeigehen löst) war aus
körperlichen Gründen mit Sicherheit das letzte Mal, daß er für längere Zeit
sein Haus verläßt. Seine besten Zeiten sind definitiv vorbei – das waren sie
auch schon 35 Jahre zuvor –, da ist es einfach nicht nur passend, sondern sogar
zwingend, daß die Fälle, die ihn beschäftigen, keine Schlagzeilen mehr machen.
Und so ist "Mr. Holmes" folgerichtig ein kleines, unspektakuläres Drama der leiseren Töne,
in dem die Mühen des Altwerdens eigentlich sogar stärker im Mittelpunkt stehen
als Holmes' Ermittlungen – die aber dennoch genügend Momente enthalten, in
denen die typische elegante Sherlock-Brillanz noch durchschimmert. Es mag sich um einen Abgesang auf Sherlock Holmes handeln, aber es ist ein sehr gefühlvoller, würdiger
Abgesang.
Daß Condons Vorgehen
funktioniert, ist natürlich auch und besonders der Schauspielkunst von Sir Ian
McKellen geschuldet. Er ist Herz und Zentrum des Films und mit seinen beim Dreh 75 Jahren ebenso als agiler 58-Jähriger überzeugend (abgesehen von den
Altersflecken in einigen Nahaufnahmen) wie als glaubwürdig auf alt geschminkter,
gebrechlicher 93-Jähriger. Er zeigt eine anrührende Darstellung des Alterns und der Sehnsucht nach früherer körperlicher und vor allem geistiger Stärke,
für deren zumindest ansatzweise Rückerlangung er alles versucht – inklusive
besagter Reise nach Japan, um dort ein angeblich vielversprechendes Naturheilmittel
einzusammeln, das ausgerechnet in den verkohlten Trümmern von Hiroshima wächst (was die den Film durchziehende Melancholie naturgemäß noch weiter verstärkt).
Ich weiß nicht, ob für jemanden mit der Brillanz eines Sherlock Holmes der
schleichende Verlust seiner geistigen Fähigkeiten wirklich schlimmer ist als
für jemanden mit eher durchschnittlicher Intelligenz – letztlich dürfte es für
jeden ein sehr ernüchterndes Erlebnis sein (salopp formuliert). Dennoch ist
es ohne Frage eindrucksvoll, wie intensiv McKellen Holmes' zunehmend verzweifelte
Suche nach seinen Erinnerungen zum Ausdruck bringt, aber auch die schrittweise
Resignation und die Versuche, seinen Zustand gegenüber anderen zu überspielen.
Ein wenig funktioniert "Mr. Holmes" in dieser Hinsicht als
das bodenständige Pendant zu Paolo Sorrentinos spielerisch-kunstvollem Umgang mit
der gleichen Thematik in seinem Meisterwerk "Ewige Jugend" (das ich wenige
Wochen zuvor sah).
Es mag sein, daß die verschiedenen Zeitebenen und
Handlungsstränge eine Vielschichtigkeit vorgaukeln, die der elegant gefilmte "Mr. Holmes"
nur ansatzweise zu bieten hat; die Aufgabe, die Aufmerksamkeit des Zuschauers
wachzuhalten und ihn einfach gut zu unterhalten, erfüllen sie aber problemlos.
Für emotionale Augenblicke sorgt vor allem Holmes' Beziehung zu seiner
Haushälterin und ihrem begabten Sohn. Während der den Detektiv offen bewundert
und alles in sich aufsaugt, was er von ihm lernen kann, will seine ungebildete Mutter
eigentlich nur weg von diesem unfreundlichen, (wenngleich wohl gar nicht
gezielt) herablassenden Greis, der vor ihr bereits viele andere
Bedienstete vergrault hat. Das ist von Condon einfühlsam und zugleich amüsant
geschildert und lebt vor allem von der bemerkenswerten Leinwandchemie zwischen
McKellen und dem jungen Milo Parker – allerdings will ich auch nicht
verschweigen, daß das Ende dieses Handlungsstrangs sehr vorhersehbar ist. Für
Holmes' letzten "echten" Fall gilt das nicht, dessen Auflösung, als Holmes endlich alle Puzzlesteile zusammengestückelt hat, zwar
wie erwähnt simpel ist, aber ungemein effektiv auch als Charakterisierung
dieses nie einfachen Menschen. Auch wenn dieser Sherlock Holmes nicht mehr der
ist, den wir aus unzähligen Filmen, Serien, Büchern und sogar Comics kennen –
er ist unverkennbar immer noch Sherlock Holmes.
Fazit: "Mr. Holmes" ist keine klassische
Detektivgeschichte, sondern ein leises, einfühlsames, aber nicht zu
pessimistisches Drama über das Altwerden eines brillanten Mannes, der auf
schmerzhafte Art und Weise lernen muß, daß sein überragender Intellekt am Ende
nicht alles ist, was zählt im Leben.
Wertung: 7,5 Punkte.
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger amazon.de-Bestellungen über einen der Links in den Rezensionen oder das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen.
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