Regie und Drehbuch: S. Craig Zahler, Musik: Jeff Herriott
und S. Craig Zahler
Darsteller: Kurt Russell, Patrick Wilson, Matthew Fox,
Richard Jenkins, Lili Simmons, Evan Jonigkeit, Kathryn Morris, David Arquette,
Sid Haig, Sean Young, Zahn McClarnon, Jay Tavare, Michael Paré
FSK: 18, Dauer: 137 Minuten.
In einer verschlafenen Western-Kleinstadt im ausgehenden 19.
Jahrhundert gehen die Dinge ihren gewohnten Lauf. Da die Cowboys
gerade mit den Rinderherden den langen Weg zum Viehmarkt angetreten sind, ist
der Ort fast wie ausgestorben; abgesehen von Frauen, Kindern und Alten sind
nur wenige gestandene Männer zurückgeblieben. Allen voran sind dies Sheriff
Franklin Hunt (Kurt Russell, "Miracle") mit seinen beiden Deputys Chicory (Richard Jenkins,
"The Cabin in the Woods") und Nick (Evan Jonigkeit, "X-Men: Zukunft ist Vergangenheit"), der
undurchschaubare Ex-Soldat John Brooder (Matthew Fox, "Extinction")
und der Viehtreiber Arthur O'Dwyer (Patrick Wilson, "Little Children"), der aufgrund eines gebrochenen Beins den diesjährigen
Viehtreck nicht mitmachen kann. Als der Bandit Purvis (David Arquette,
"Scream 4") eines Abends in der Stadt auftaucht, bringt er
in seinem Schlepptau unwissentlich das Unheil mit sich: Am nächsten Morgen sind er, Deputy Nick und
Arthurs Frau Samantha (Lili Simmons, TV-Serie "Banshee"), die den verwundeten Purvis ärztlich
versorgen sollte, spurlos verschwunden. Wie sich herausstellt, wurden sie von
Troglodyten verschleppt, einem kleinen Stamm primitiver Ureinwohner, die in
Höhlen wohnen und unter benachbarten Indianerstämmen für höchste Brutalität
und angeblich sogar Kannibalismus berüchtigt sind. Und so machen sich der
Sheriff, der betagte Chicory, Brooder und auch Arthur zu einer
Himmelfahrtsmission auf, um Samantha und Nick vielleicht doch noch zu retten,
ehe es zu spät ist …
Kritik:
Als die Awards Season 2015/2016 mit den Nominierungen für
den bedeutendsten Independent-Filmpreis, die Independent Spirit Awards, ihren
Lauf nahm, da war die Überraschung groß: Zwei Nominierungen für einen
Horror-Western von einem völlig unbekannten Regiedebütanten? Doch nein, die
Juroren der Independent Spirit Awards hatten nicht das falsche Zeug geraucht,
ihre Wahl wurde in den folgenden Wochen bei etlichen Kritikerpreisen bestätigt.
Und das ist eine verdiente Auszeichnung (wiewohl es stets bei
Nominierungen blieb und die Gewinner andere waren) für den mutigen,
selbstbewußten Eintritt von S. Craig Zahler in die Welt des großen Films. Denn
während die wenigen Western der letzten Jahre formal meist eher traditionell
daherkamen ("True Grit", "The Salvation", letztlich sogar
"Lone Ranger"), geht Zahler eher den Weg eines Quentin Tarantino
("Django Unchained", "The Hateful 8") und variiert die
bekannten Muster – ohne dabei allerdings seine Liebe für das, was das Genre
seit Jahrzehnten ausmacht, zu verhehlen.
So kommt es, daß "Bone Tomahawk" eine
ausgeprägte Oldschool-Atmosphäre vermittelt, die eher an die erzählerisch
starken Edelwestern eines John Ford erinnert als an die vielen Action-Western,
in denen es vor allem um Schießereien und Saloon-Schlägereien ging. Nach dem
unheilverheißenden Prolog legt Zahler zunächst eine sehr gemächliche
Erzählweise an den Tag, die großen Wert auf die Etablierung der vier zentralen
Charaktere legt. Das die Handlung vorantreibende Element der Suche nach
entführten geliebten Menschen ist selbstverständlich alles andere als originell, schon
besagter John Ford verwendete es in seinem Klassiker "Der schwarze
Falke", auch spätere Western wie Ron Howards unterschätzter "The
Missing" mit Cate Blanchett und Tommy Lee Jones setzten auf diesen
bewährten Storykniff. Generell kann man nicht wirklich unterstellen, daß
"Bone Tomahawk" vor dem bemerkenswerten Showdown sonderlich innovativ
daherkäme – wer sich anhand der (zutreffenden) Klassifizierung als
"Horror-Western" innovative, actionreiche Kost erhofft, der könnte
Zahlers betont charakterfokussierten, dialoggetriebenen Beginn durchaus als einigermaßen
zäh empfinden. Genretypische epische Landschaftsaufnahmen gibt es auch
nicht (möglicherweise aus Budgetgründen), stattdessen dominiert passend zur
Story und dem generellen nihilistischen Realismus, mit dem Zahler seine Erzählung in Szene
setzt, die Dunkelheit; und dabei sprechen wir wohlgemerkt nicht von jener
klassischen "Hollywood-Dunkelheit", bei der alles hübsch
ausgeleuchtet ist, sondern von echter Düsternis, bei der man kaum
etwas erkennt (eine Ausnahme machen schlauerweise die Actionsequenzen gegen
Ende).
Zum Glück zeigt sich Zahler aber sehr talentiert, was die
Figurenzeichnung betrifft, zumal er auf ein ausgezeichnetes Ensemble
zurückgreifen kann. Daß Kurt Russell einen nahezu perfekten Western-Haudegen
abgibt, konnte man sich ja denken, aber seine Kollegen unterstützen ihn
hervorragend, stellen ihn teilweise sogar noch in den Schatten. Matthew Fox
etwa veranlaßt mich einmal mehr dazu, ratlos den Kopf zu schütteln ob der
Frage, warum er nach dem Ende der TV-Serie "Lost" nicht zu einem
großen Kinostar aufgestiegen ist. Weißgott nicht zum ersten Mal verkörpert er
seine Figur – in diesem Fall den hartgesottenen, sehr pragmatischen
Revolverhelden Brooder, der in den späten Indianerkriegen unzählige Eingeborene
ohne Skrupel erschoß, aber Wert darauf legt, daß er dabei keinerlei
Vergnügen empfand, sondern einfach nur seinen Job erledigte – mit einer nahezu
beängstigenden Intensität. Der verzweifelte Ehemann Arthur ist eher das
Gegenteil, ein zwar mutiger, aber kaum kampferfahrener Cowboy, der
durch sein gebrochenes Bein extrem eingeschränkt ist. Patrick Wilson zählt
schon lange zu meinen Lieblingsschauspielern und auch in dieser Rolle zeigt er,
was er kann: Arthurs zunehmende Verzweiflung macht er fühlbar, ebenso die Hilflosigkeit angesichts seiner stark eingeschränkten Beweglichkeit (die ja seine Kameraden trotz der Pferde sogar behindert in ihren Bemühungen), aber auch seine zähe
Entschlossenheit, notfalls durch die Wüste zu kriechen, um die winzige Chance
zu erhalten, seine Frau doch noch zu retten. Das gar nicht so heimliche
Highlight des Vierer-Gespanns ist jedoch Richard Jenkins, der (neben Zahlers
Drehbuch) für das meiste Kritikerlob verantwortlich ist mit der Rolle als
alter (eigentlich nur inoffizieller) Deputy Chicory, ein einfacher, aber
unerschütterlich loyaler Mann mit ausgeprägtem Sinn für Gerechtigkeit.
Mag es vor dem Finale auch nur wenig Action geben, diesen vier unterschiedlichen Charakterköpfen sieht man gerne zu bei ihrer Verfolgung der
Troglodyten, und man hört ihnen gerne zu bei ihren durchaus kontroversen
Diskussionen über das richtige Vorgehen. Die einzige Kritik an dieser sehr langen
Exposition ist, daß sie zwar durchgängig unterhaltsam und sehr atmosphärisch
daherkommt, es aber an denkwürdigen Szenen mangelt, die echte Begeisterung
auslösen könnten.
Auch deshalb freut man sich, als endlich der Unterschlupf der
Troglodyten erreicht wird und Zahler nun viele jener klassischen Western-Topoi,
die er bis dahin aufgegriffen hat, ebenso gekonnt wie konsequent
unterläuft. Natürlich will ich nicht spoilern, aber ich kann wohl verraten: So
geradlinig und klassisch "Bone Tomahawk" in den ersten gut 90 Minuten
daherkommt, so wendungsreich und unvorsehbar kommt er in der letzten halben
Stunde daher. Und wird dabei ausgesprochen brutal! Vor allem mit einer ganz bestimmten, extrem fiesen und
in beinahe sadistischer Ausführlichkeit präsentierten Szene verdient sich der
Film das "Horror" in der Genrebezeichnung "Horror-Western"
redlich und ebenso die fehlende Jugendfreigabe der FSK in Deutschland. Wie
gesagt: Zahler geht mit hoher Konsequenz und Kompromißlosigkeit vor, die düstere,
unheilvolle Atmosphäre der ersten zwei Filmdrittel entlädt sich
ausnahmsweise tatsächlich mal ungehemmt. Die Kämpfe zwischen den Cowboys mit
ihren Schußwaffen und den mit Pfeil und Bogen sowie Handbeilen ausgerüsteten
Indianer-Höhlenmenschen setzt der Regisseur kurz und knackig, aber umso
authentischer in Szene, wobei der Ausgang des Ganzen bis zur allerletzten
Sekunde erfreulich unvorsehbar bleibt. Der gesamte Film profitiert übrigens
auch von dem stimmungsvollen Western-Score, den Multitalent Zahler gemeinsam
mit Jeff Herriott komponiert hat – absolutes Highlight ist der sehr
eigenwillige, aber extrem coole Retro-Western-Abspannsong "Four Doomed Men
Ride Out". Nebenbei bemerkt zeigt Zahler übrigens auch durch die
Nebenfiguren, daß er ein stolzer Filmnerd ist, denn in kleinen Rollen tauchen
teilweise fast vergessene Genre-Stars wie Sean Young (immerhin
Hauptdarstellerin im Kultfilm "Blade Runner"), Sid Haig ("The
Devil's Rejects", Rob Zombies "Halloween") und Michael Paré
("Das Philadelphia Experiment") auf. Das paßt einfach
zu dieser anfangs noch konventionell erscheinenden, am Ende
aber ziemlich irrsinnigen Liebeserklärung an ein leider seit Jahrzehnten
vernachlässigtes Genre.
Fazit: "Bone Tomahawk" ist eine stark
gespielte, formal ungewöhnliche, aber erstaunlich gut funktionierende Mischung
aus intelligentem Oldschool-Western und kompromißlosem Horror.
Wertung: Gut 7,5 Punkte.
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