Donnerstag, 21. Januar 2016

BONE TOMAHAWK (2015)

Regie und Drehbuch: S. Craig Zahler, Musik: Jeff Herriott und S. Craig Zahler
Darsteller: Kurt Russell, Patrick Wilson, Matthew Fox, Richard Jenkins, Lili Simmons, Evan Jonigkeit, Kathryn Morris, David Arquette, Sid Haig, Sean Young, Zahn McClarnon, Jay Tavare, Michael Paré
 Bone Tomahawk
(2015) on IMDb Rotten Tomatoes: 91% (7,3); weltweites Einspielergebnis: $0,5 Mio.
FSK: 18, Dauer: 137 Minuten.
In einer verschlafenen Western-Kleinstadt im ausgehenden 19. Jahrhundert gehen die Dinge ihren gewohnten Lauf. Da die Cowboys gerade mit den Rinderherden den langen Weg zum Viehmarkt angetreten sind, ist der Ort fast wie ausgestorben; abgesehen von Frauen, Kindern und Alten sind nur wenige gestandene Männer zurückgeblieben. Allen voran sind dies Sheriff Franklin Hunt (Kurt Russell, "Miracle") mit seinen beiden Deputys Chicory (Richard Jenkins, "The Cabin in the Woods") und Nick (Evan Jonigkeit, "X-Men: Zukunft ist Vergangenheit"), der undurchschaubare Ex-Soldat John Brooder (Matthew Fox, "Extinction") und der Viehtreiber Arthur O'Dwyer (Patrick Wilson, "Little Children"), der aufgrund eines gebrochenen Beins den diesjährigen Viehtreck nicht mitmachen kann. Als der Bandit Purvis (David Arquette, "Scream 4") eines Abends in der Stadt auftaucht, bringt er in seinem Schlepptau unwissentlich das Unheil mit sich: Am nächsten Morgen sind er, Deputy Nick und Arthurs Frau Samantha (Lili Simmons, TV-Serie "Banshee"), die den verwundeten Purvis ärztlich versorgen sollte, spurlos verschwunden. Wie sich herausstellt, wurden sie von Troglodyten verschleppt, einem kleinen Stamm primitiver Ureinwohner, die in Höhlen wohnen und unter benachbarten Indianerstämmen für höchste Brutalität und angeblich sogar Kannibalismus berüchtigt sind. Und so machen sich der Sheriff, der betagte Chicory, Brooder und auch Arthur zu einer Himmelfahrtsmission auf, um Samantha und Nick vielleicht doch noch zu retten, ehe es zu spät ist …

Kritik:
Als die Awards Season 2015/2016 mit den Nominierungen für den bedeutendsten Independent-Filmpreis, die Independent Spirit Awards, ihren Lauf nahm, da war die Überraschung groß: Zwei Nominierungen für einen Horror-Western von einem völlig unbekannten Regiedebütanten? Doch nein, die Juroren der Independent Spirit Awards hatten nicht das falsche Zeug geraucht, ihre Wahl wurde in den folgenden Wochen bei etlichen Kritikerpreisen bestätigt. Und das ist eine verdiente Auszeichnung (wiewohl es stets bei Nominierungen blieb und die Gewinner andere waren) für den mutigen, selbstbewußten Eintritt von S. Craig Zahler in die Welt des großen Films. Denn während die wenigen Western der letzten Jahre formal meist eher traditionell daherkamen ("True Grit", "The Salvation", letztlich sogar "Lone Ranger"), geht Zahler eher den Weg eines Quentin Tarantino ("Django Unchained", "The Hateful 8") und variiert die bekannten Muster – ohne dabei allerdings seine Liebe für das, was das Genre seit Jahrzehnten ausmacht, zu verhehlen.

So kommt es, daß "Bone Tomahawk" eine ausgeprägte Oldschool-Atmosphäre vermittelt, die eher an die erzählerisch starken Edelwestern eines John Ford erinnert als an die vielen Action-Western, in denen es vor allem um Schießereien und Saloon-Schlägereien ging. Nach dem unheilverheißenden Prolog legt Zahler zunächst eine sehr gemächliche Erzählweise an den Tag, die großen Wert auf die Etablierung der vier zentralen Charaktere legt. Das die Handlung vorantreibende Element der Suche nach entführten geliebten Menschen ist selbstverständlich alles andere als originell, schon besagter John Ford verwendete es in seinem Klassiker "Der schwarze Falke", auch spätere Western wie Ron Howards unterschätzter "The Missing" mit Cate Blanchett und Tommy Lee Jones setzten auf diesen bewährten Storykniff. Generell kann man nicht wirklich unterstellen, daß "Bone Tomahawk" vor dem bemerkenswerten Showdown sonderlich innovativ daherkäme – wer sich anhand der (zutreffenden) Klassifizierung als "Horror-Western" innovative, actionreiche Kost erhofft, der könnte Zahlers betont charakterfokussierten, dialoggetriebenen Beginn durchaus als einigermaßen zäh empfinden. Genretypische epische Landschaftsaufnahmen gibt es auch nicht (möglicherweise aus Budgetgründen), stattdessen dominiert passend zur Story und dem generellen nihilistischen Realismus, mit dem Zahler seine Erzählung in Szene setzt, die Dunkelheit; und dabei sprechen wir wohlgemerkt nicht von jener klassischen "Hollywood-Dunkelheit", bei der alles hübsch ausgeleuchtet ist, sondern von echter Düsternis, bei der man kaum etwas erkennt (eine Ausnahme machen schlauerweise die Actionsequenzen gegen Ende).

Zum Glück zeigt sich Zahler aber sehr talentiert, was die Figurenzeichnung betrifft, zumal er auf ein ausgezeichnetes Ensemble zurückgreifen kann. Daß Kurt Russell einen nahezu perfekten Western-Haudegen abgibt, konnte man sich ja denken, aber seine Kollegen unterstützen ihn hervorragend, stellen ihn teilweise sogar noch in den Schatten. Matthew Fox etwa veranlaßt mich einmal mehr dazu, ratlos den Kopf zu schütteln ob der Frage, warum er nach dem Ende der TV-Serie "Lost" nicht zu einem großen Kinostar aufgestiegen ist. Weißgott nicht zum ersten Mal verkörpert er seine Figur – in diesem Fall den hartgesottenen, sehr pragmatischen Revolverhelden Brooder, der in den späten Indianerkriegen unzählige Eingeborene ohne Skrupel erschoß, aber Wert darauf legt, daß er dabei keinerlei Vergnügen empfand, sondern einfach nur seinen Job erledigte – mit einer nahezu beängstigenden Intensität. Der verzweifelte Ehemann Arthur ist eher das Gegenteil, ein zwar mutiger, aber kaum kampferfahrener Cowboy, der durch sein gebrochenes Bein extrem eingeschränkt ist. Patrick Wilson zählt schon lange zu meinen Lieblingsschauspielern und auch in dieser Rolle zeigt er, was er kann: Arthurs zunehmende Verzweiflung macht er fühlbar, ebenso die Hilflosigkeit angesichts seiner stark eingeschränkten Beweglichkeit (die ja seine Kameraden trotz der Pferde sogar behindert in ihren Bemühungen), aber auch seine zähe Entschlossenheit, notfalls durch die Wüste zu kriechen, um die winzige Chance zu erhalten, seine Frau doch noch zu retten. Das gar nicht so heimliche Highlight des Vierer-Gespanns ist jedoch Richard Jenkins, der (neben Zahlers Drehbuch) für das meiste Kritikerlob verantwortlich ist mit der Rolle als alter (eigentlich nur inoffizieller) Deputy Chicory, ein einfacher, aber unerschütterlich loyaler Mann mit ausgeprägtem Sinn für Gerechtigkeit. Mag es vor dem Finale auch nur wenig Action geben, diesen vier unterschiedlichen Charakterköpfen sieht man gerne zu bei ihrer Verfolgung der Troglodyten, und man hört ihnen gerne zu bei ihren durchaus kontroversen Diskussionen über das richtige Vorgehen. Die einzige Kritik an dieser sehr langen Exposition ist, daß sie zwar durchgängig unterhaltsam und sehr atmosphärisch daherkommt, es aber an denkwürdigen Szenen mangelt, die echte Begeisterung auslösen könnten.

Auch deshalb freut man sich, als endlich der Unterschlupf der Troglodyten erreicht wird und Zahler nun viele jener klassischen Western-Topoi, die er bis dahin aufgegriffen hat, ebenso gekonnt wie konsequent unterläuft. Natürlich will ich nicht spoilern, aber ich kann wohl verraten: So geradlinig und klassisch "Bone Tomahawk" in den ersten gut 90 Minuten daherkommt, so wendungsreich und unvorsehbar kommt er in der letzten halben Stunde daher. Und wird dabei ausgesprochen brutal! Vor allem mit einer ganz bestimmten, extrem fiesen und in beinahe sadistischer Ausführlichkeit präsentierten Szene verdient sich der Film das "Horror" in der Genrebezeichnung "Horror-Western" redlich und ebenso die fehlende Jugendfreigabe der FSK in Deutschland. Wie gesagt: Zahler geht mit hoher Konsequenz und Kompromißlosigkeit vor, die düstere, unheilvolle Atmosphäre der ersten zwei Filmdrittel entlädt sich ausnahmsweise tatsächlich mal ungehemmt. Die Kämpfe zwischen den Cowboys mit ihren Schußwaffen und den mit Pfeil und Bogen sowie Handbeilen ausgerüsteten Indianer-Höhlenmenschen setzt der Regisseur kurz und knackig, aber umso authentischer in Szene, wobei der Ausgang des Ganzen bis zur allerletzten Sekunde erfreulich unvorsehbar bleibt. Der gesamte Film profitiert übrigens auch von dem stimmungsvollen Western-Score, den Multitalent Zahler gemeinsam mit Jeff Herriott komponiert hat – absolutes Highlight ist der sehr eigenwillige, aber extrem coole Retro-Western-Abspannsong "Four Doomed Men Ride Out". Nebenbei bemerkt zeigt Zahler übrigens auch durch die Nebenfiguren, daß er ein stolzer Filmnerd ist, denn in kleinen Rollen tauchen teilweise fast vergessene Genre-Stars wie Sean Young (immerhin Hauptdarstellerin im Kultfilm "Blade Runner"), Sid Haig ("The Devil's Rejects", Rob Zombies "Halloween") und Michael Paré ("Das Philadelphia Experiment") auf. Das paßt einfach zu dieser anfangs noch konventionell erscheinenden, am Ende aber ziemlich irrsinnigen Liebeserklärung an ein leider seit Jahrzehnten vernachlässigtes Genre.

Fazit: "Bone Tomahawk" ist eine stark gespielte, formal ungewöhnliche, aber erstaunlich gut funktionierende Mischung aus intelligentem Oldschool-Western und kompromißlosem Horror.

Wertung: Gut 7,5 Punkte.


Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger amazon.de-Bestellungen über einen der Links in den Rezensionen oder das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen