Regie und Drehbuch: François Simard, Anouk Whissell,
Yoann-Karl Whissell, Musik: Le Matos
Darsteller: Munro Chambers, Laurence Leboeuf, Michael
Ironside, Aaron Jeffery, Edwin Wright, Romano Orzari, Orphée Ladouceur, François
Simard, Anouk Whissell, Yoann-Karl Whissell
Wir schreiben das Jahr 1997: Nach einem fatalen Atomkrieg
ist die Erde nahezu unbewohnbar geworden, die wenigen Überlebenden vegetieren
in einer Welt vor sich hin, in der einzig das Recht des Stärkeren zählt. In der
Gegend, in der ein jugendlicher Comic-Fan lebt, der einfach nur "The
Kid" (Munro Chambers aus der kanadischen Kult-Jugendserie
"Degrassi") genannt wird, ist dieser Stärkere der brutale Zeus (Michael Ironside, "Starship Troopers"), der mit seinen
Schergen mitleidlos die Zivilisten auspresst. Eines Tages steht plötzlich eine
überdrehte junge Frau namens Apple (Laurence Leboeuf, TV-Serie "Being
Erica") vor Kid, die sich ihm ungefragt anschließt. Wider Erwarten
freundet sich Kid recht schnell mit Apple an, deren unschuldige Naivität im
positiven Sinne fehlplaziert wirkt in dieser unwirtlichen neuen Welt. Als Apple kurz darauf
in Zeus' Gefangenschaft landet, macht sich Kid auf, um sie zu befreien – als
hilfreich erweist sich dabei eine mächtige, aber sehr energiehungrige Handschuh-Waffe, die er
zufällig in einem abgestürzten Flugzeug gefunden hat. Mit Apple und
dem einarmigen Armdrück-Experten (lange Geschichte …) Frederic (Aaron Jeffery aus der
TV-Serie "McLeods Töchter") will Kid Zeus' Schreckensherrschaft ein blutiges
Ende setzen …
Kritik:
Die 1980er Jahre waren eine schöne Zeit – zumindest wenn man
Gefallen an Synthesizer-Pop fand sowie an von der Endphase des Kalten Kriegs geprägten
dystopischen Filmen von "Blade Runner" oder "Brazil" über kostengünstig, aber häufig einfallsreich
produzierte (mal mehr, mal weniger) B-Movies wie der "Mad
Max"-Trilogie, "Das Ding", "Repo Man", "Videodrome", "Sie
leben" oder "RoboCop" bis hin zu Trash der
Sorte "Cherry 2000". Natürlich gab es viel mehr Dinge, die diese
Dekade prägten – manche toll, manche schrecklich –, aber die sind nicht
Ziel der liebevollen Hommage durch die kanadisch-neuseeländische Co-Produktion
"Turbo Kid".
Das Regie-Trio läßt sich zunächst ungewöhnlich viel Zeit, um die
buchstäblich verwüstete Erde des Jahres 1997 zu etablieren und dem Publikum den Protagonisten Kid näherzubringen. Das gelingt insofern gut, als einem
der etwas unbeholfene, aber durchaus gewitzte Comic-Fan schnell ans Herz
wächst. Dennoch ist die Einführungsphase tendenziell eher zu lang geraten, denn
um ehrlich zu sein: So wahnsinnig ungewöhnlich oder spannend sind das
präsentierte Endzeitszenario und seine Bewohner nicht, wenn man einmal davon
absieht, daß sie großteils auf BMX-Rädern unterwegs sind. Und so dauert es etwa
eine halbe Stunde, bis die Geschichte richtig Fahrt aufnimmt – was größtenteils
der energetischen Apple geschuldet ist, die in jeder Hinsicht wie ein bunter
Farbtupfer in der ansonsten von monotonen Wüstenfarben dominierten Filmwelt
wirkt. Laurence Leboeuf und Munro Chambers geben als Apple und Kid ein
wunderbar schräges und unheimlich sympathisches Duo ab, das – beinahe wie
Hitchcock-Protagonisten – unverhofft und unverschuldet in ganz erhebliche
Kalamitäten gelangt. Und spätestens mit einer herrlichen Anspielung auf den Charlton Heston-Klassiker "... Jahr 2022 ... die überleben wollen" (aka "Soylent Green") hatte mich "Turbo Kid" endgültig auf seine Seite gezogen.
Kid erfährt schnell, daß er Apple nicht mit schönen Worten
oder schlauen Taten befreien kann, stattdessen muß der brutale Widerling Zeus
eine nicht völlig neue Weisheit lernen: Gewalt erzeugt Gegengewalt. Und im Fall von
"Turbo Kid" bedeutet das dank der von Kid gefundenen
"Superwaffe", daß sich die Zuschauer über haarsträubende,
handgemachte Splatter-Sequenzen mit zerplatzenden Körpern,
durcheinanderfliegenden Gliedmaßen und lachhaft übertriebenen Blutfontänen
freuen dürfen (zumindest solange, bis die Batterien leer sind)! Das klingt gar
nicht witzig? Ist es aber, wenn es mit solch kindlicher Zerstörungsfreude,
so absurder Inszenierung (es ist einfach herrlich, wenn die Schurken sich
ihren Opfern in obercoolen Posen auf ihren BMX-Rädern nähern und dabei noch ein paar Tricks vorführen!) und dermaßen unglaubwürdigen Spezialeffekten
präsentiert wird wie in "Turbo Kid". Und da es nunmal eine Hommage an
die B-Movies der 1980er Jahre ist (kurz vor der Etablierung von CGI-Effekten in
den 1990er Jahren bekanntlich Hochphase kunstvoll handgemachter und von
deutschen Jugendschutzbehöreden inbrünstig gehasster Splatterszenen in heutigen
Kultfilmen wie "The Evil Dead", "Re-Animator" oder
Cronenbergs "Scanners"), wird das ganze permanent von einem schmissigen
Synthie-Soundtrack der kanadischen Gruppe Le Matos begleitet (der allerdings so dominant ausfällt, daß er in der Originalfassung leider manchmal die Dialoge
übertönt).
Die Story verkommt da trotz gelegentlicher unerwarteter Schlenker und
ein paar Rückblenden zur Randnotiz, ja sogar zum reinen Mittel zum Zweck.
Unwahrscheinliches Helden-Trio (den Mad Max-Verschnitt Frederic
miteingerechnet) legt sich mit fiesem Brutalo und seiner Bande an … mehr muß
man nicht wissen. Logischerweise leidet unter diesem spartanischen Ansatz ein wenig die
Figurenzeichnung, zumindest nach der sehr gemächlich erzählten ersten
halben Stunde. Neben Kid und Apple hinterläßt nur noch Frederic Eindruck, der
von Aaron Jeffery charismatisch verkörpert wird und dessen zynische
Macho-Helden-Klischeehaftigkeit immer wieder durch nette Drehbuch-Einfälle
ironisch gebrochen wird. Und die B-Movie-Ikone Michael Ironside ist perfekt gewählt,
um den sadistischen, aber eigentlich wenig originellen Bösewicht Zeus mit lustvollem Overacting so hassenswert rüberzubringen, daß man es kaum abwarten
kann, bis er endlich seine gerechte – und selbstverständlich blutige! – Strafe erhält
…
Fazit: "Turbo Kid" ist eine wenig
originelle, aber umso sympathischere B-Movie-Hommage, die langsam beginnt, aber
schließlich in ein wahres – infolge bewußt übertriebener Präsentation
niemals ernstzunehmendes – Splatterinferno mündet. Das ist sehr amüsant für
Genrefans, aber sicher nichts für den durchschnittlichen Multiplex-Besucher.
Wertung: 7 Punkte.
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