Originaltitel: Tale of Tales
Regie:
Matteo Garrone, Drehbuch: Edoardo Albinati, Ugo Chiti, Massimo Gaudioso und
Matteo Garrone, Musik: Alexandre Desplat
Darsteller:
Salma Hayek, Toby Jones, Vincent Cassel, Bebe Cave, Shirley Henderson, Hayley
Carmichael, Stacy Martin, John C. Reilly, Christian Lees, Jonah Lees, Guillaume
Delaunay, Alba Rohrwacher, Massimo Ceccherini
FSK: 12, Dauer: 133 Minuten.
Als die Königin von Longtrellis (Salma Hayek,
"Savages") an ihrer Unfähigkeit, ein Kind zu bekommen, zu verzweifeln
droht, entschließt sich der König (John C. Reilly, "Guardians of the Galaxy"),
den Rat eines mysteriösen Alten anzunehmen. Er soll ein Meeresungeheuer
töten, dessen von einer Jungfrau gekochtes Herz muß die Königin dann
verspeisen. Es funktioniert, die Königin bekommt einen Sohn namens Elias (als Teenager: Christian Lees), muß
aber einen hohen Preis dafür bezahlen …
Der König von Strongcliff (Vincent Cassel, "Black Swan") ist, man kann es nicht anders sagen, sexsüchtig. Als er eines
Abends in seinem Schloß einen aus dem nahen Dorf heranwehenden, wunderschönen Gesang
vernimmt, muß er die Sängerin unbedingt kennenlernen – und in sein Bett holen. Doch die
holde Maid Dora (Hayley Carmichael, TV-Film "Viva Blackpool") ziert
sich zunächst; kein Wunder, denn ihre äußere Erscheinung hält in keiner Weise
mit der Schönheit ihres Gesangs mit …
Der König von Highhills (Toby Jones, "My Week with Marilyn") ist mit einer hübschen, ihn liebenden Tochter namens Violet (Bebe
Cave, "Große Erwartungen") gesegnet – verbringt den Großteil seiner
Zeit aber lieber in seinen Gemächern mit seinem neuen, heimlichen Haustier, einem (außergewöhnlichen) Floh!
Auch deshalb will Violet schnellstmöglich heiraten, doch als ihr Vater
schließlich ein (Rate-)Turnier ausrichtet, dessen Gewinner die Hand seiner
Tochter erhalten soll, ist sie nicht wirklich zufrieden. Schließlich würde sie
sich ihren Ehemann schon am liebsten selbst aussuchen. Dabei ahnt sie noch gar nicht,
welch, nunja, unkonventionellen Bräutigam das Schicksal für sie vorgesehen hat
…
Kritik:
Seit einigen Jahren sind Märchenverfilmungen (oder auch von
Märchen inspirierte TV-Serien wie "Once Upon a Time" oder
"Grimm") ja wieder richtig "in". Vor allem Disney macht
sich einen Heidenspaß daraus, alte Zeichentrick-Märchenhits als
Realverfilmungen wie "Cinderella" in die Kino-Gegenwart zu transportieren –
und fährt damit zumindest bis in das Jahr 2015 hinein außerordentlich erfolgreich.
Nun gibt es aber natürlich genügend Märchenfreunde, die mit der
familienfreundlichen "Disneyfizierung" der im mittelalterlichen
Original in den Details doch oft ziemlich grausamen Märchen überhaupt nicht
zufrieden sind – trotz erwachsenerer Ausnahmen wie der Broadway-Adaption
"Into the Woods". Die sollten Gefallen finden an "Das Märchen
der Märchen" des italienischen "Gomorrha"-Regisseurs Matteo
Garrone. In den gut zwei Stunden Laufzeit präsentiert Garrone drei voneinander
weitestgehend unabhängige dunkle Erzählungen, die lose auf Giambattista Basiles
Mitte des 17. Jahrhunderts erschienener Märchensammlung "Il
Pentamerone" basieren.
Visuell und akustisch ist "Das Märchen der
Märchen" einfach wunderschön ausgestaltet. Die detailverliebten Kulissen, die schwelgerischen und buchstäblich märchenhaft
ausgeleuchteten Kamerafahrten des britischen Kameramannes
Peter Suschitzky ("A History of Violence", "Star Wars Episode V – Das Imperium schlägt zurück"), die
farbenfrohen, opulenten Kostüme und die verspielte, ungemein facettenreiche
Musik des OSCAR-gekrönten Komponisten Alexandre Desplat ("Grand Budapest Hotel") sind schlicht und ergreifend ein wahrer Genuß, den man
idealerweise auf der großen Leinwand erleben sollte. Bedauerlicherweise kann
der Inhalt qualitativ nicht ganz mithalten, da zumindest zwei der drei Episoden
– wie es bei Märchen öfter der Fall ist – im Kern doch recht banal und vorhersehbar daherkommen. Zwar wird es niemals langweilig, dennoch plätschern
die Storys, die sich alle um Spielarten der Liebe und Begierde drehen, phasenweise
eher vor sich hin. Zum Glück kann neben der generellen Pracht der Produktion auch
die bunt gemischte, aber gut durchdachte Besetzung darüber hinwegtrösten. Vincent
Cassel ist als notgeiler König zwar schauspielerisch eher unterfordert, dafür aber hochgradig amüsant anzuschauen; Hayley Carmichael
als sein auf häßlich geschminktes Objekt der Begierde Dora und Shirley
Henderson ("Marie Antoinette") als deren Schwester Imma überzeugen in ihren Rollen ebenfalls. Und bei
Salma Hayek frage ich mich wie schon seit Jahren bei jedem neuen Film mit ihr,
wie sie es nur schafft, auch mit inzwischen 48 Jahren immer noch so alterslos schön
auszusehen. Im Originalton profitiert der auf Englisch gedrehte Film übrigens zusätzlich von der Internationalität des Casts, die nämlich zu einem reizvollen sprachlichen
Mix führt: Salma Hayeks zauberhafter mexikanischer Akzent, Vincent Cassels
schmeichelnder französischer, dazu Toby Jones' britischer und John C. Reillys
amerikanischer sowie natürlich die der vielen italienischen
Nebendarsteller – was bei "ernsten" Filmen schon wieder die authentische Wirkung untergraben könnte, paßt perfekt zu einer phantasievollen Märchenadaption (und beweist schon von der Sprachmelodik her, wie schön die Globalisierung klingen kann …).
Schauspielerisch hinterläßt derweil das
Vater-Tochter-Gespann Toby Jones und Bebe Cave den stärksten Eindruck. Wenn
Cave etwa zu Beginn als Violet ihrem geliebten königlichen Vater ein Lied
widmet, ihre Stimme dann – als sie bemerkt, daß der König von irgendetwas abgelenkt
ist und deshalb überhaupt nicht mehr auf sie achtet – aber ganz kurz verunsichert
zittert … wow! Und es macht einfach Spaß, Toby Jones dabei zuzusehen, wie er
mit kindlicher Freude mit seinem neuen "Haustier", dem Floh, spielt,
während sein Verhalten Violet gegenüber immer merkwürdiger wird. Überhaupt ist
die zweigeteilte Geschichte rund um den König von Highhills, seine Tochter Violet und einen später dazustoßenden Oger (Guillaume Delaunay, "Stonehearst
Asylum") meines Erachtens die mit Abstand stärkste von "Das
Märchen der Märchen". Neben den tadellosen Leistungen der Darsteller und
dem komödiantischen Potential des sich reichlich kindisch verhaltenden Königs
liegt das vor allem daran, wie subversiv sich die Handlung mit dem Eintreffen
des Ogers entwickelt. Denn wiewohl der häßliche Riese von allen wie jenes Monster
behandelt wird, wie das er aussieht, wird einem nach und nach ganz subtil
verdeutlicht (so subtil gar, daß es vermutlich nicht alle Zuschauer überhaupt
bemerken), daß in Wirklichkeit gar nicht der Oger das Monster in diesem Märchen
ist …
Klassische Happy Ends darf man in "Das Märchen der
Märchen" folglich eher nicht erwarten, stattdessen herrschen von Anfang bis Ende
angenehm ambivalente, teils gar abgründige Töne vor, die durch die
schwelgerische Inszenierung und den poetischen Tonfall geschickt kaschiert
werden. Stilistisch und auch inhaltlich erinnert das ein wenig an Tarsems noch
bildgewaltigeren "The Fall" oder an Jacques Demys recht
obskure französische Märchenverfilmung "Eselshaut" mit Catherine
Deneuve aus dem Jahr 1970 (die auf einer Erzählung von Basiles französischem
Pendant Charles Perrault basiert). Ein großer Unterschied zu dem technisch
makellosen "The Fall" ist allerdings, daß die phantastischen
Kreaturen, die gelegentlich in "Das Märchen der Märchen" auftauchen, bewußt
altmodisch und unter weitgehendem Verzicht auf CGI-Effekte gestaltet sind. Das
erinnert ein bißchen an die fiktiven Meeresbewohner in Wes Andersons "Die Tiefseetaucher" und unterstreicht den schrägen Charme des Films ebenso wie
den – trotz unübersehbarer allegorischer Ansätze – märchenhaften Charakter der
Geschichten.
Fazit: "Das Märchen der Märchen" ist eine durchaus
hintergründige, subversiv angehauchte und wunderschön anzusehende und -hörende Sammlung
dreier schräg-dunkler phantastischer Erzählungen, die jedoch unter einer
gewissen inhaltlichen Profanität und einem mitunter etwas zu gemächlichen
Erzähltempo leidet.
Wertung: 7,5 Punkte.
"Das Märchen der Märchen" kommt am 27. August regulär in die deutschen Kinos.
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger amazon.de-Bestellungen über einen der Links in den Rezensionen oder das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen.
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