Regie und Drehbuch: Martin McDonagh, Musik: Carter Burwell
Darsteller: Colin
Farrell, Brendan Gleeson, Kerry Condon, Barry Keoghan, Gary Lydon,
Sheila Flitton, Pat Shortt, David Pearse, Aaron Monaghan
FSK: 16, Dauer: 115
Minuten.
Irland, 1923:
Während auf der Hauptinsel ein erbitterter Bürgerkrieg über die
Einführung des Iritischen Freistaates herrscht, geht das Leben auf
der kleinen vorgelagerten Insel Inisherin im Wesentlichen seinen
gewohnten Gang. Bis etwas Ungeheuerliches passiert: Der Musiker Colm
(Brendan Gleeson, "The Guard") weigert sich eines Tages,
wie seit vielen Jahren gemeinsam mit seinem besten Freund Pádraic
(Colin Farrell, "Saving Mr. Banks") den Pub zu
besuchen. Alle sind verwirrt, schließlich sind der Musiker und der
Landwirt sonst unzertrennlich. Pádraic ist logischerweise
verletzt und bedrängt Colm, bis dieser ihm sagt, warum er ab sofort
nichts mehr mit ihm zu tun haben will: Pádraic sei einfach zu
langweilig und er selbst wolle seine Zeit deshalb lieber damit
verbringen, Musik zu komponieren und auf diese Weise der Nachwelt etwas zu hinterlassen. Als Pádraic das nicht akzeptieren
will, droht Colm, er werde sich selbst jedes Mal, wenn Pádraic ihm
wieder auf die Nerven geht, einen Finger abschneiden! Colm ist
ratlos, doch auch seine belesene Schwester Siobhán (Kerry Condon,
"Unleashed") kann ihm nicht wirklich weiterhelfen ...
Kritik:
Was tust du, wenn
dein bester Freund von heute auf morgen nichts mehr mit dir zu tun
haben will? Diese Frage steht im Mittelpunkt von "The Banshees
of Inisherin" und vermutlich kann sich jeder Mensch in Pádraics
Lage und seine Verzweiflung hineinversetzen. Doch das ist nur ein
Grund dafür, dass "The Banshees of Inisherin" so sehr
fesselt – denn das liegt auch daran, dass sich Martin
McDonagh nach Werken wie "Brügge sehen … und sterben?" oder "Three
Billboards outside Ebbing, Missouri" wieder einmal als Meister
darin erweist, zum Schreien komische (schwarzhumorige) Szenen mit
tiefsinnigen, nicht selten todtraurigen Momenten zu kombinieren. Wobei sein neues Werk
eigentlich am stärksten an eines seines Bruder John Michael
erinnert, nämlich "Am Sonntag bist du tot"
(ohne so depressionsfördernd zu sein). Hier
wie dort wird das Leben einer kleinen irischen Gemeinde gezeigt,
wobei die Charaktere im Vordergrund stehen und das glänzende
Drehbuch die Schauspieler teils zu atemberaubenden
Karrierebestleistungen animiert. Daß die Geschichte nebenbei auch
noch als Metapher auf den im Hintergrund eine Rolle spielenden
irischen Bürgerkrieg funktioniert, ist zweifellos so gewollt und
unterstreicht nur noch, welch erzählerisches Meisterwerk Martin
McDonagh hier gelungen ist – was von der Branche u.a. mit neun OSCAR-Nominierungen belohnt wurde.
Eigentlich
passiert in "The Banshees of Inisherin" gar nicht viel, das
sollte jedem Interessierten bewußt sein. Es wird viel geredet und
getrunken und musiziert und spazierengegangen (was von Kameramann Ben
Davis erheblich idyllischer eingefangen wird als die Stimmung auf der
Insel ist), doch ansonsten tut sich wenig. Es ist eben ein
ziemlich beschauliches Inselleben, bei dem auch die Anzahl der
potentiellen sozialen Kontakte auf natürliche Weise stark limitiert
ist – was Pádraics Situation naturgemäß nicht vereinfacht. Als
"Ersatz" für Colm verbringt er mehr Zeit mit dem –
meiner Meinung nach etwas ungerechtfertigt – als einfältig
verschrienen Polizistensohn Dominic (Barry Keoghan, "Eternals").
Dieser hört Pádraic recht geduldig zu und gibt ihm (bedingt
taugliche) Ratschläge, denkt ansonsten aber eigentlich immer nur an
Frauen – inklusive Pádraics Schwester Siobhán, auch wenn die
deutlich älter ist als er. Obwohl Colm mit seiner abrupten Abkehr
von Pádraic als Auslöser der Geschehnisse fungiert, bilden doch Pádraic, Siobhán und Dominic das zentrale
Figurengeflecht. Colm darf sich zwar durchaus erklären – wenn auch
seine einsichtsvollsten Argumente im Beichtstuhl dargelegt werden und
somit kaum Auswirkungen auf die übrigen Personen haben –, aber er
bleibt dem Publikum relativ fremd. Man kann seine Entscheidung
schon irgendwo nachvollziehen, die Radikalität seines Vorgehens
löst jedoch eher Befremden aus als große Sympathie.
Hingegen
fühlt man sich dem restlichen Trio erheblich näher, zumal es sich
mit der Offenbarung seiner Gefühle weit weniger zurückhält als
der stets etwas distanziert wirkende Colm. Colin Farrell hat in
seiner langen Karriere viele starke Leistungen gezeigt (darunter
in McDonaghs grandiosem "Brügge sehen … und sterben?"),
aber in "The Banshees of Inisherin" liefert er eine wahre
Meisterleistung ab. Den einfachen, etwas naiven und, ja, auch recht
langweiligen, dabei aber herzensguten Typen nimmt man ihm problemlos
ab und im Verlauf der zweistündigen Handlung zeichnen sich in seinem
Gesicht ohne jedes Overacting Konfusion, Frustration, Wut und
Verzweiflung über Colms Ablehnung zutiefst glaubwürdig ab.
Vielleicht sogar noch etwas mehr zu Herzen gehen aber die sich
überschneidenden Storylines von Siobhán und Dominic. Kerry Condon –
seit "Unleashed" aus dem Jahr 2005 eine meiner persönlichen
Favoritinnen – glänzt als vernünftige, durchaus ehrgeizige und
sich daher zunehmend fehl am Platze fühlende Siobhán, die vor
allem durch die Liebe zu ihrem Bruder vom Verlassen der Insel
abgehalten wird. Und Barry Keoghan verkörpert mit einer tiefen
inneren Verletzlichkeit den nur oberflächlich leichtlebigen und
unhöflichen Dominic, der vielleicht sogar das heimliche Herz der Geschichte
darstellt. Das wird speziell in zwei Szenen offensichtlich: Einmal,
als er Pádraic mit wenigen Worten klarmacht, wie
falsch einer seiner Versuche war, Colm umzustimmen; und dann vor
allem in einem herzzerreißend wahrhaftigen
Moment mit Siobhán. "The Banshees of Inisherin" ist –
trotz einiger sehr lustiger Momente – ein Film
der leisen Töne, der aber nicht davor zurückscheut, ganz große Fragen unseres Seins zu behandeln wie die nach dem Wert der Freundschaft oder auch des bloßen Nettseins (ohne eindeutige Antworten zu liefern), letztlich sogar nach dem Sinn des Lebens und des Vermächtnisses, das wir hinterlassen (oder eben nicht). Dabei stechen die fein gezeichneten
Charaktere und die empathischen, häufig witzigen, aber auch zum Nachdenken anregenden Dialoge besonders hervor. Das
gilt übrigens auch für einige Nebenfiguren wie die von allen ob
ihrer dunklen Prophezeiungen gefürchtete alte Mrs. McCormack (Sheila
Flitton, "The Northman"), die McDonagh offenkundig als Verkörperung der
titelgebenden Banshees (Todesfeen aus der keltischen Mythologie)
dient.
Fazit:
"The Banshees of Inisherin" ist eine herausragend
geschriebene und gespielte irische Tragikomödie, die aufmerksamen
Zuschauern viel Stoff zum Nachdenken mitgibt.
Wertung:
9,5 Punkte.
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