Donnerstag, 5. September 2024

THE BANSHEES OF INISHERIN (2022)

Regie und Drehbuch: Martin McDonagh, Musik: Carter Burwell
Darsteller: Colin Farrell, Brendan Gleeson, Kerry Condon, Barry Keoghan, Gary Lydon, Sheila Flitton, Pat Shortt, David Pearse, Aaron Monaghan
The Banshees of Inisherin (2022) on IMDb Rotten Tomatoes: 96% (8,7); weltweites Einspielergebnis: $49,3 Mio.
FSK: 16, Dauer: 115 Minuten.
Irland, 1923: Während auf der Hauptinsel ein erbitterter Bürgerkrieg über die Einführung des Iritischen Freistaates herrscht, geht das Leben auf der kleinen vorgelagerten Insel Inisherin im Wesentlichen seinen gewohnten Gang. Bis etwas Ungeheuerliches passiert: Der Musiker Colm (Brendan Gleeson, "The Guard") weigert sich eines Tages, wie seit vielen Jahren gemeinsam mit seinem besten Freund Pádraic (Colin Farrell, "Saving Mr. Banks") den Pub zu besuchen. Alle sind verwirrt, schließlich sind der Musiker und der Landwirt sonst unzertrennlich. Pádraic ist logischerweise verletzt und bedrängt Colm, bis dieser ihm sagt, warum er ab sofort nichts mehr mit ihm zu tun haben will: Pádraic sei einfach zu langweilig und er selbst wolle seine Zeit deshalb lieber damit verbringen, Musik zu komponieren und auf diese Weise der Nachwelt etwas zu hinterlassen. Als Pádraic das nicht akzeptieren will, droht Colm, er werde sich selbst jedes Mal, wenn Pádraic ihm wieder auf die Nerven geht, einen Finger abschneiden! Colm ist ratlos, doch auch seine belesene Schwester Siobhán (Kerry Condon, "Unleashed") kann ihm nicht wirklich weiterhelfen ...

Kritik:
Was tust du, wenn dein bester Freund von heute auf morgen nichts mehr mit dir zu tun haben will? Diese Frage steht im Mittelpunkt von "The Banshees of Inisherin" und vermutlich kann sich jeder Mensch in Pádraics Lage und seine Verzweiflung hineinversetzen. Doch das ist nur ein Grund dafür, dass "The Banshees of Inisherin" so sehr fesselt – denn das liegt auch daran, dass sich Martin McDonagh nach Werken wie "Brügge sehen … und sterben?" oder "Three Billboards outside Ebbing, Missouri" wieder einmal als Meister darin erweist, zum Schreien komische (schwarzhumorige) Szenen mit tiefsinnigen, nicht selten todtraurigen Momenten zu kombinieren. Wobei sein neues Werk eigentlich am stärksten an eines seines Bruder John Michael erinnert, nämlich "Am Sonntag bist du tot" (ohne so depressionsfördernd zu sein). Hier wie dort wird das Leben einer kleinen irischen Gemeinde gezeigt, wobei die Charaktere im Vordergrund stehen und das glänzende Drehbuch die Schauspieler teils zu atemberaubenden Karrierebestleistungen animiert. Daß die Geschichte nebenbei auch noch als Metapher auf den im Hintergrund eine Rolle spielenden irischen Bürgerkrieg funktioniert, ist zweifellos so gewollt und unterstreicht nur noch, welch erzählerisches Meisterwerk Martin McDonagh hier gelungen ist – was von der Branche u.a. mit neun OSCAR-Nominierungen belohnt wurde.

Eigentlich passiert in "The Banshees of Inisherin" gar nicht viel, das sollte jedem Interessierten bewußt sein. Es wird viel geredet und getrunken und musiziert und spazierengegangen (was von Kameramann Ben Davis erheblich idyllischer eingefangen wird als die Stimmung auf der Insel ist), doch ansonsten tut sich wenig. Es ist eben ein ziemlich beschauliches Inselleben, bei dem auch die Anzahl der potentiellen sozialen Kontakte auf natürliche Weise stark limitiert ist – was Pádraics Situation naturgemäß nicht vereinfacht. Als "Ersatz" für Colm verbringt er mehr Zeit mit dem – meiner Meinung nach etwas ungerechtfertigt – als einfältig verschrienen Polizistensohn Dominic (Barry Keoghan, "Eternals"). Dieser hört Pádraic recht geduldig zu und gibt ihm (bedingt taugliche) Ratschläge, denkt ansonsten aber eigentlich immer nur an Frauen – inklusive Pádraics Schwester Siobhán, auch wenn die deutlich älter ist als er. Obwohl Colm mit seiner abrupten Abkehr von Pádraic als Auslöser der Geschehnisse fungiert, bilden doch Pádraic, Siobhán und Dominic das zentrale Figurengeflecht. Colm darf sich zwar durchaus erklären – wenn auch seine einsichtsvollsten Argumente im Beichtstuhl dargelegt werden und somit kaum Auswirkungen auf die übrigen Personen haben –, aber er bleibt dem Publikum relativ fremd. Man kann seine Entscheidung schon irgendwo nachvollziehen, die Radikalität seines Vorgehens löst jedoch eher Befremden aus als große Sympathie.

Hingegen fühlt man sich dem restlichen Trio erheblich näher, zumal es sich mit der Offenbarung seiner Gefühle weit weniger zurückhält als der stets etwas distanziert wirkende Colm. Colin Farrell hat in seiner langen Karriere viele starke Leistungen gezeigt (darunter in McDonaghs grandiosem "Brügge sehen … und sterben?"), aber in "The Banshees of Inisherin" liefert er eine wahre Meisterleistung ab. Den einfachen, etwas naiven und, ja, auch recht langweiligen, dabei aber herzensguten Typen nimmt man ihm problemlos ab und im Verlauf der zweistündigen Handlung zeichnen sich in seinem Gesicht ohne jedes Overacting Konfusion, Frustration, Wut und Verzweiflung über Colms Ablehnung zutiefst glaubwürdig ab. Vielleicht sogar noch etwas mehr zu Herzen gehen aber die sich überschneidenden Storylines von Siobhán und Dominic. Kerry Condon – seit "Unleashed" aus dem Jahr 2005 eine meiner persönlichen Favoritinnen – glänzt als vernünftige, durchaus ehrgeizige und sich daher zunehmend fehl am Platze fühlende Siobhán, die vor allem durch die Liebe zu ihrem Bruder vom Verlassen der Insel abgehalten wird. Und Barry Keoghan verkörpert mit einer tiefen inneren Verletzlichkeit den nur oberflächlich leichtlebigen und unhöflichen Dominic, der vielleicht sogar das heimliche Herz der Geschichte darstellt. Das wird speziell in zwei Szenen offensichtlich: Einmal, als er Pádraic mit wenigen Worten klarmacht, wie falsch einer seiner Versuche war, Colm umzustimmen; und dann vor allem in einem herzzerreißend wahrhaftigen Moment mit Siobhán. "The Banshees of Inisherin" ist – trotz einiger sehr lustiger Momente – ein Film der leisen Töne, der aber nicht davor zurückscheut, ganz große Fragen unseres Seins zu behandeln wie die nach dem Wert der Freundschaft oder auch des bloßen Nettseins (ohne eindeutige Antworten zu liefern), letztlich sogar nach dem Sinn des Lebens und des Vermächtnisses, das wir hinterlassen (oder eben nicht). Dabei stechen die fein gezeichneten Charaktere und die empathischen, häufig witzigen, aber auch zum Nachdenken anregenden Dialoge besonders hervor. Das gilt übrigens auch für einige Nebenfiguren wie die von allen ob ihrer dunklen Prophezeiungen gefürchtete alte Mrs. McCormack (Sheila Flitton, "The Northman"), die McDonagh offenkundig als Verkörperung der titelgebenden Banshees (Todesfeen aus der keltischen Mythologie) dient.

Fazit: "The Banshees of Inisherin" ist eine herausragend geschriebene und gespielte irische Tragikomödie, die aufmerksamen Zuschauern viel Stoff zum Nachdenken mitgibt.

Wertung: 9,5 Punkte.


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