Donnerstag, 18. Januar 2024

KILLERS OF THE FLOWER MOON (2023)

Regie: Martin Scorsese, Drehbuch: Eric Roth und Martin Scorsese, Musik: Robbie Robertson
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Robert De Niro, Lily Gladstone, Jesse Plemons, Jillian Dion, Tantoo Cardinal, Cara Jade Myers, Scott Shepherd, Janae Collins, Jason Isbell, John Lithgow, William Belleau, Brendan Fraser, Tatanka Means, Pete Yorn, Tommy Schultz, Barry Corbin, Sturgill Simpson, Ty Mitchell, Gary Basaraba, Elden Henson, Jack White, Larry Fessenden, Martin Scorsese
Killers of the Flower Moon (2023) on IMDb Rotten Tomatoes: 93% (8,5); weltweites Einspielergebnis: $157,0 Mio.
FSK: 12, Dauer: 206 Minuten.
Als Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Stammesgebiet der Osage große Mengen Öl gefunden werden, schwimmen die Stammesmitglieder fortan im Reichtum – und ziehen damit natürlich auch jede Menge Weiße an, die sich auf die eine oder andere Weise bereichern wollen. Als der Weiße Ernest Burkhart (Leonardo DiCaprio, "The Revenant") im Jahr 1919 aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrt, zieht er zu seinem Onkel William "King" Hale (Robert De Niro, "Joker"), der im Osage-Gebiet eine große Ranch besitzt – ohne Ölzugang, dennoch ist Hale wohlhabend und bei den Osage wegen seiner großzügigen Investitionen in die Gemeinschaft anerkannt und beliebt. In Wirklichkeit geht es Hale allerdings primär darum, sich den Reichtum der Osage auf illegale Weise anzueignen. Da kommt es gerade recht, daß Ernest sich in die Osage Mollie (Lily Gladstone, "Certain Women") verliebt – ermutigt von Hale heiraten sie bald und bekommen Kinder. Um an Mollies gesamte, riesige Erbschaft zu gelangen, muß Hale allerdings zuerst ihre Mutter und ihre Schwestern beseitigen. Hale schreckt dafür auch vor Mord nicht zurück und spannt den leicht beeinflußbaren Ernest und dessen Bruder Byron (Scott Shepherd, "Jason Bourne") für sich ein. Irgendwann wird der Staat auf die jahrelange Mordserie im Osage-Gebiet (die nicht allein auf Hale zurückgeht) aufmerksam und schickt den Bundesagenten Tom White (Jesse Plemons, "Game Night"), um der Sache auf den Grund zu gehen ...

Kritik:
Nein, man kann nicht wirklich behaupten, daß Martin Scorsese sich auf seine alten Tage (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von "Killers of the Flower Moon" stand er kurz vor seinem 80. Geburtstag) kürzer faßt als zuvor. Eher im Gegenteil. Zwar schuf der OSCAR-prämierte US-Filmemacher auch früher schon öfter Filme mit einer Laufzeit von zweieinhalb bis drei Stunden ("New York, New York", "Die letzte Versuchung Christi", "GoodFellas", "Casino"), aber seit der Jahrtausendwende kann er scheinbar kaum noch anders – von seinen neun Werken seitdem blieben nur "Hugo Cabret" und (knapp) "Shutter Island" unterhalb der 150 Minuten-Marke. Und seit Scorsese die Streamingdienste als Finanziers für sich entdeckt hat, geht er noch weiter: Nach der Netflix-Produktion "The Irishman" (209 Minuten) ist der von AppleTV+ mitfinanzierte "Killers of the Flower Moon" der zweite Film in Folge, der satte dreieinhalb Stunden dauert. Die Frage ist natürlich, ob diese Länge berechtigt ist oder irgendwann nicht doch zum Selbstzweck verkommt, weil heutzutage keiner mehr der Legende Scorsese reinredet und dieser sich nicht so richtig zügeln kann? Nunja, bei Filmen wie "The Irishman", "Silence" oder "Aviator" ist die Laufzeit für mich berechtigt, "Gangs of New York" hätte sogar noch länger sein müssen, um der erzählten Geschichte vollauf gerecht zu werden. Der auf einem Sachbuch von David Grann basierende "Killers of the Flower Moon" hingegen ist meines Erachtens zu lang geworden, um gänzlich zu überzeugen.

Das liegt nicht etwa daran, daß die zugrundeliegende wahre Geschichte nicht genügend Stoff für dreieinhalb Stunden hergeben würde – nein, Schuld ist Scorseses erzählerischer Ansatz. Denn die vermeintlich zentrale Kriminalgeschichte spielt in Wirklichkeit eher eine Nebenrolle, die Ermittlungen werden ziemlich kurz abgehandelt (Plemons' Bundesagent taucht überhaupt erst nach zwei Stunden auf) und der Gerichtsprozeß auch nicht viel ausführlicher. Stattdessen geht es Scorsese darum, ein Sittenbild dieser Zeit und des sehr speziellen Ortes zu zeichnen. Das gelingt ihm vortrefflich – wobei ich die Kritik einiger Indigener in den USA nachvollziehen kann, daß mit Burkhart und Hale letztlich doch wieder zwei Weiße die Hauptfiguren sind –, rechtfertigt für mich aber nicht die Laufzeit von dreieinhalb Stunden, in denen letztlich gar nicht so viel geschieht. Angesichts der Filmlänge dürfte es niemanden überraschen, daß sich Martin Scorsese sehr viel Zeit nimmt, um dem Publikum diese fremde Welt und Ära nahezubringen. Wir erfahren viel über das Leben der Osage mit ihrem Reichtum und auch über die Versuche der Weißen, daran auf legale oder illegale Weise teilzuhaben. Dabei sticht King Hale zunächst positiv hervor, denn er hat sich in die indigene Gemeinde integriert, spricht ihre Sprache, wird von ihr akzeptiert und empfindet offensichtlich große Zuneigung für sie. Umso erschreckender, aber auch faszinierender ist es, nach und nach herauszufinden, daß Hale in Wirklichkeit ein gieriger Serienmörder ist – auch wenn er die Morde nicht selbst begeht und sich zudem in seiner größenwahnsinnigen Verblendung einredet, er würde damit letztlich nur im Interesse der Osage handeln. Wem dieser Absatz meiner Kritik arg spoilerlastig vorkommt, den kann ich übrigens beruhigen, denn fast alles Wesentliche wird (anders als in der Buchvorlage) bereits in der ersten halben Stunde offenbart.

Wie beiläufig Scorsese uns dieses Wissen vermittelt und damit aus dem charismatischen Hale und seinem etwas einfältigen, aber nicht unsympathischen Neffen Ernest quasi im Vorbeigehen die Bösewichter dieser Geschichte macht, ist definitiv beeindruckend. Natürlich hilft es, daß die beiden Hauptfiguren von zwei der besten Schauspieler ihrer jeweiligen Generation verkörpert werden, wobei ich De Niros Leistung sogar noch ein klein wenig besser finde als DiCaprios. Leider verwendet Scorsese weniger Mühe und Akribie auf die Osage-Charaktere. Zwar spielen Mollie und ihre Familie eine wichtige Rolle, aber letztlich kommt nur Mollie auf einigermaßen vergleichbare Screentime wie Hale und Burkhart –, und obwohl die für ihre Leistung vielfach ausgezeichnete Lily Gladstone stark aufspielt, ist es selbst innerhalb der dreieinhalb Stunden schwierig, sich Mollie wirklich nahezufühlen, weil sie die meiste Zeit über alles stoisch erträgt und deshalb schlicht weniger auffällt als ihre weißen Gegenparts. Problematisch ist zudem, daß trotz Überlänge gar nicht so viel geschieht in "Killers of the Flower Moon". Wir verfolgen, wie Hale, Ernest und ihre Kompagnons nach und nach Osage um die Ecke bringen, was aber nicht übermäßig spannend oder aufregend inszeniert ist – wenn auch jederzeit stilvoll –, und warten, bis irgendwann mal irgendjemand etwas dagegen unternimmt. Auftritt Agent White, der jedoch, wie bereits erwähnt, erheblich kürzer und unspektakulärer ausfällt als man vermuten würde. Seine Ermittlungen gestalten sich geradlinig und führen rasch zu einem Prozeß, der von Scorsese ebenfalls recht beiläufig abgehandelt wird. Die Fakten des Falls interessieren den legendären Filmemacher eben weniger als seine teilweise abgründigen Hauptfiguren. Das ist völlig legitim und für ein aufgeschlossenes Publikum faszinierend zu beobachten; zu einem Meisterwerk fehlt dann aber doch ein Stück, ist der ganze Film etwas zu präzise kalkuliert und trotz einiger starker Szenen zu wenig emotional.

Fazit: "Killers of the Flower Moon" ist ein gut beobachtetes, überlanges Sittenbild einer sehr speziellen Ära der US-Historie, das sich aber etwas zu sehr auf seine Hauptfiguren konzentriert und darob den Handlungs- und Spannungsbogen vernachlässigt.

Wertung: 7,5 Punkte.

David Grann: Killers of the Flower Moon Killers of the Flower Moon (Soundtrack)

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