Regie und Drehbuch: Jasmila Žbanić, Musik: Antoni
Lazarkiewicz
Darsteller: Jasna Djuričić, Izudin Bajrović, Dino Bajrović,
Boris Ler, Johan Heldenbergh, Boris Isaković, Raymond Thiry, Emir Hadžihafizbegović,
Edita Malovčić, Reinout Bussemaker, Juda Goslinga, Teun Luijkx, Jelena Kordić
Kuret, Rijad Gvozden
FSK: 12, Dauer: 104 Minuten.
Juli 1995: Obwohl das bosnische Srebrenica
offizielle Schutzzone der Vereinten Nationen ist, dringt die serbische Armee
unter der Führung von General Ratko Mladić (Boris Isaković, "Last
Christmas") weitestgehend unbehelligt ein und erobert die Stadt. Tausende
Einwohner flüchten aus Angst vor Mladićs berüchtigten Truppen zum UN-Lager am
Rand der Stadt, welches vom niederländischen Colonel Karremans (Johan Heldenbergh,
"The Broken Circle") kommandiert wird. Allerdings ist das Lager
denkbar schlecht ausgestattet – nicht einmal Benzin ist noch vorhanden – und
kann deshalb nur einen Teil der Flüchtigen aufnehmen, die übrigen warten vor
dem Lager oder fliehen in die umliegenden Wälder. Die Grundschullehrerin Aida
Selmanagić (Jasna Djuričić) ist im Lager als Übersetzerin für die UNO tätig und
schafft es so wenigstens, ihren Gatten Nihad (Izudin Bajrović, "Tod in
Sarajevo") und ihre erwachsenen Söhne Hamdija (Boris Ler,
"Männer weinen nicht") und Sejo (Dino Bajrović) ins Lager zu holen –
dafür muß der Schuldirektor Nihad allerdings als einer von drei zivilen
Vertretern der Stadt mit General Mladić verhandeln. Diese Verhandlungen sind aber eine Farce und das UN-Lager soll geräumt werden, weshalb Aida
verzweifelt darum kämpft, ihre Familie als Teil des UN-Konvois in Sicherheit zu
bringen …
Kritik:
Dafür, daß die Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren der
einzige echte, "heiße" Krieg auf dem europäischen Kontinent seit dem Ende des Zweiten
Weltkrieges waren, ist es eigentlich erstaunlich, wie wenig sie filmisch verarbeitet
wurden. Für Hollywood war dieser blutige Konflikt wahrscheinlich zu weit weg und
geopolitisch zu unbedeutend – weshalb es mit John Moores nach spannendem Beginn
arg mittelmäßigem Actionfilm "Im Fadenkreuz – Allein gegen alle"
(2001) mit Owen Wilson und Gene Hackman, der sehenswerten Indie-Produktion
"Savior – Soldat der Hölle" (1998) mit Dennis Quaid sowie Angelina Jolies ambitioniertem "In the Land of Blood and
Honey" (2011) nur drei nennenswerte Werke zum Thema gibt. Für die
europäische Filmindustrie wiederum war dieser Krieg wohl zu nah und angesichts der
weiter anhaltenden Spannungen zwischen den beteiligten Bevölkerungsgruppen zu
brisant. Die Aufarbeitung blieb so letztlich Filmemachern aus dem früheren
Jugoslawien selbst vorbehalten, wobei sich neben dem Bosnier Danis Tanović mit
seinem OSCAR-gekrönten Meisterwerk "No Man's Land" (2001) vor allem
seine Landsfrau Jasmila Žbanić hervortat. Bereits mit ihrem während der
Nachwehen des Krieges spielenden Langfilmdebüt "Esmas Geheimnis –
Grbavica" (2006) beeindruckte sie und gewann den Goldenen Bären der Berlinale.
14 Jahre später kehrt Žbanić mit dem OSCAR-nominierten "Quo Vadis,
Aida?" zur Thematik zurück und beeindruckt Kritiker und Zuschauer
vielleicht noch mehr mit einer weitgehend gewaltfreien, aber umso
intensiveren, bedrückenderen und erhellenderen Schilderung des Falls
von Srebrenica.
Obwohl es sich bei "Quo Vadis, Aida?" inhaltlich
um ein Drama handelt, eine Tragödie gar, hat Jasmila Žbanić ihren Film wie
einen Thriller aufgebaut. Mit dem Einmarsch von General Mladić in Srebrenica
und später der "ausgehandelten" – korrekter wäre: von Mladić den Serben
wie auch den überforderten UN-Truppen aufoktroyierten – Evakuierung der
Zivilisten beginnt für Aida ein Wettlauf gegen die Zeit, da sie bereits mehr
als nur ahnt, daß diese "Evakuierung" tödlich enden könnte. Mit
zunehmender Verzweiflung versucht Aida alles, um ihre Familie zu retten, indem
sie dafür sorgt, daß diese das Lager mit den UN-Truppen verläßt. Doch
dabei rennt sie von Pontius zu Pilatus und stößt auf immer weitere Hürden, weil
sich die UN-Offiziere hinter Bürokratie und Regelungen verstecken. Nicht nur wegen
Jasna Djuričićs grandioser, atemloser Performance wird ihr Kampf gegen die
Windmühlen für jeden Zuschauer im Wissen um die historische Realität nahezu
unerträglich (und selbst denjenigen, die nicht Bescheid wissen,
sollte sich angesichts des Geschilderten die Dringlichkeit der Situation
erschließen). Neben dieser Inszenierung als Wettlauf gegen die Zeit zeichnet
"Quo Vadis, Aida?" auch der erklärte Fokus auf die Opfer aus. Ja, Täter kommen vor und General Mladić wird wenig zuvorkommend dargestellt (was
nicht zuletzt ob der Tatsache, daß er 2017 vom Internationalen
Strafgerichtshof wegen erwiesenen Völkermordes zu lebenslanger Haft verurteilt
wurde, nicht übertrieben sein dürfte) und auch die bis heute kontrovers
diskutierte Rolle der Vereinten Nationen ist Thema. Doch im Zentrum
stehen nicht die Kriegshandlungen und die Soldaten, sondern ganz eindeutig die hilflosen
Zivilisten, die unverschuldet zum Spielball der Mächte werden und kaum etwas
anderes tun können als zu hoffen, daß es irgendwie gut ausgehen wird –
was symbolträchtig durch die Pseudo-Verhandlungen zwischen dem so großspurig wie gönnerhaft auftretenden Mladić und den drei eingeschüchterten, eher unfreiwilligen
Zivilvertretern der Stadt belegt wird, die Mladić genußvoll für eine Demütigung
und Verhöhnung des Trios wie auch der UN-Truppen nutzt.
Dabei unterstreicht Žbanić die Absurdität dieses Krieges
dadurch, daß sich viele der Beteiligten untereinander kennen – so ist ein
serbischer Soldat ein früherer Schüler von Aida, während eine der zivilen
Vertreterinnen Srebrenicas früher gut mit einem von Mladićs Offizieren
befreundet war. Daß Mladić die UNO nicht ernstnimmt, kann man übrigens gut
nachvollziehen, immerhin verstreichen Ultimaten folgenlos und die von Karremans
kommandierten Truppen vor Ort sind großteils halbe Kinder, während die Offiziere mangels Unterstützung von oben
hilflos sind und sich sinnlos an die Bürokratie klammern, obwohl zumindest
einigen von ihnen offensichtlich klar sein muß, daß Mladić die geflohenen
Einwohnder Srebrenicas nicht einfach selbstlos in Sicherheit bringen wird.
Natürlich ist auch Aidas Handeln nicht ganz frei von Egoismus, weil sie nunmal von der
UNO Sonderregeln für sich einfordert; aber ihr kann man kaum vorwerfen, daß ihr
die Sicherheit ihrer eigenen Familie wichtiger ist als die der Tausenden
übrigen Einwohner, daher funktioniert sie als Sympathieträgerin trotzdem gut. Auf
der anderen Seite kann man sich auch in die schwierige Lage von Colonel
Karremans und Major Franken (Raymond Thiry, "Der Bankier des
Widerstands") versetzen, die sichtlich bemüht sind, jedoch von ihren
Vorgesetzten schmählich im Stich gelassen werden und ihre Frustration deswegen nicht verbergen. Inwiefern sie mehr
zum Schutz der Zivilbevölkerung hätten ausrichten können, wird wahrscheinlich
nie abschließend geklärt werden können und auch Žbanić erlaubt sich
diesbezüglich klugerweise kein klares Urteil. Generell ist "Quo Vadis,
Aida?" trotz der Thriller-Elemente betont realistisch und nachdenklich in
Szene gesetzt und verzichtet auf Übertreibungen oder Actionsequenzen, auch um
Schuldzuweisungen geht es nicht. Erstaunlicherweise gelingt es Jasmila Žbanić gar, den eindringlichen, erschütternden Film mit
einem einigermaßen versöhnlichen, hoffnungsvollen und sehr weisen Epilog
zu versehen. Alles andere wäre aber wohl auch zu niederschmetternd gewesen …
Fazit: "Quo Vadis, Aida?" ist ein so
packendes wie kluges und erschütterndes, wie ein Thriller inszeniertes Kriegsdrama, das
die Perspektive der Opfer in den Vordergrund stellt.
Wertung: 9 Punkte.
"Quo Vadis, Aida?" wird vom farbfilm verleih am 5. August 2021 in die deutschen Kinos gebracht. Eine Rezensionsmöglichkeit wurde mir netterweise vom Entertainment Kombinat zur Verfügung gestellt.
Screenshots: © farbfilm verleih
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