Mittwoch, 11. September 2019

OSCAR-News: Die (vielen) Tops und (wenigen) Flops des Toronto International Filmfestival 2019

Nach Venedig und Telluride (über die ich bereits berichtete) reist der Filmfestival-Zirkus nahtlos nach Kanada weiter, wo in Toronto das TIFF viele OSCAR-Anwärter präsentiert. Etliche Filme, die in Venedig Weltpremiere feierten, werden hier auch noch einmal als Nordamerika-Premiere gezeigt, was manchmal interessante Unterschiede bei der Aufnahme der einzelnen Werke bei den europäischen und bei den amerikanischen Rezensenten aufzeigt. Dieses Jahr ist das allerdings eher nicht der Fall, die Meinungen scheinen überwiegend recht einhellig zu sein.

Auf diese Weise können Joaquin Phoenix als "Joker" (deutscher Kinostart: 10. Oktober) und Renée Zellweger als "Judy" (2. Januar 2020) ihren noch sehr, sehr frühen Favoritenstatus in den Hauptdarsteller-Kategorien bereits mehr als zwei Monate vor Beginn der eigentlichen Awards Season weiter festigen. Beiden Stars werden beeindruckende Karrierebestleistungen in auch insgesamt überzeugenden Filmen attestiert. Jedoch gibt es bei Todd Phillips' Superschurken-Origingeschichte "Joker" auch hier ein paar Kritiker, die die Darstellung der Entwicklung des titelgebenden Antihelden für moralisch fragwürdig oder sogar gefährlich halten und befürchten, Phoenix' Joker könnte von antidemokratischen Fanatikern als eigentlicher Held mißverstanden werden. Ohne den Film selbst bereits gesehen zu haben, bin ich mir allerdings ziemlich sicher, daß dies (ähnlich wie zuletzt beim aktuellen OSCAR-Gewinner "Green Book") größtenteils eine reine Social Media-Diskussion bleiben wird, denn die meisten Zuschauer werden von "Joker" in erster Linie gute und vielleicht auch verstörende Unterhaltung erwarten und nicht versuchen, krampfhaft etwas in ihn hineinzuinterpretieren.

Eine der großen Überraschungen in Telluride war die tatsächlich von den meisten Kritikern als OSCAR-würdig empfundene Performance von Adam Sandler in der Kriminalkomödie "Uncut Gems" (noch kein deutscher Starttermin) - der Film der Safdie-Brüder wurde auch in Toronto gezeigt und kam dort ähnlich gut an. Den "damit hätte ich jetzt aber wirklich nicht gerechnet!"-Status macht Sandler allerdings Jennifer Lopez streitig. Und wenn man bedenkt, wie lange die inzwischen routinierte Sängerin und Schauspielerin von vielen als gutaussehende, charmante, aber eher mäßig talentierte RomCom-Spezialistin belächelt wurde, ist es bemerkenswert, daß sie mit 50 Jahren eine sehr aussichtsreiche OSCAR-Anwärterin ist! Dabei hatten im Vorfeld wenige von ihrem auf einer wahren Geschichte basierenden Gaunerfilm "Hustlers" (über einige Stripperinnen, die nach der weltweiten Finanzkrise skrupellose Banker und Broker ausnehmen wollen; noch kein deutscher Starttermin) mehr erwartet als eine im besten Fall unterhaltsame "Ocean's 8"-Variation. Stattdessen begeistert der Film von Lorene Scafaria die Kritiker mit gut beobachteten Figuren, einer unvorhersehbaren, wendungsreichen Geschichte und eben einer bärenstarken Leistung von Hauptdarstellerin Jennifer Lopez. Eine OSCAR-Verleihung mit Adam Sandler und Jennifer Lopez unter den Nominierten? Wer darauf vor 10 Jahren Geld gesetzt hat, der könnte demnächst stinkreich sein ...

Natürlich gibt es jedoch auch in Toronto einige vermeintliche Hochkaräter, die die Erwartungen nicht erfüllen und sich eigentlich schon vor dem Beginn aus der Awards Season verabschieden können. Am stärksten trifft das auf die Bestseller-Adaption "Der Distelfink" (26. September) mit Ansel Elgort zu, bei der die Mehrzahl der Kritiker eine viel zu oberflächliche und der komplexen Vorlage nicht ansatzweise gerecht werdende Story bemängelt. Allerdings wurde als Vergleich des öfteren Stephen Daldrys Tränenzieher "Extrem laut & unglaublich nah" genannt und der schaffte es 2012 trotz ähnlich mäßiger Kritiken immerhin noch zu zwei OSCAR-Nominierungen ... Recht kontrovers wurde Steven Soderberghs Steuerhinterzieher-Satire "Die Geldwäscherei" (ab 18. Oktober bei Netflix) aufgenommen, welche die Affäre um die "Panama Papers" bissig aufarbeitet. Nach meinem Gefühl kommt die u.a. mit Meryl Streep, Gary Oldman und Antonio Banderas hochkarätig besetzte Satire bei den europäischen Kritikern deutlich besser an, dürfte aber in der Awards Season angesichts einer als zu oberflächlich und plakativ bemängelten Herangehensweise keine große Rolle spielen. Das dürfte ebenso auf Taika Waititis von vielen sehnsüchtig erwartete Kriegs-Tragikomödie "Jojo Rabbit" (23. Januar 2020) zutreffen - diese skurrile Geschichte, in der Waititi selbst (neben Scarlett Johansson) einen imaginären Hitler spielt, erhielt vom Publikum zwar stehende Ovationen und kann sich insgesamt auch über gute Kritiken freuen, dürfte für OSCAR-Ehren aber doch etwas zu schräg und zu wenig subtil sein.

Typischer OSCAR-Stoff ist ein Agatha Christie-artiges Oldschool-Whodunit normalerweise auch nicht, aber Rian Johnsons clevere Fingerübung zwischen "Star Wars Episode VIII" und einer von ihm derzeit konzipierten ganz neuen "Star Wars"-Trilogie wird von den Kritikern dermaßen hymnisch abgefeiert (aktuell 38 zu 0 positive Kritiken bei Rotten Tomatoes!), daß zumindest eine Drehbuch-Nominierung für "Knives Out - Ein Mord zum Dessert" (2. Januar 2020) fast schon obligatorisch erscheint. Und bei einer Besetzung mit Daniel Craig, Jamie Lee Curtis, Michael Shannon und Chris Evans könnte auch die eine oder andere Darsteller-Nominierung drin sein. Maßstab muß wohl Robert Altmans "Gosford Park" sein, der es 2003 sogar auf sieben OSCAR-Nominierungen brachte. Gute Aussichten speziell im Darstellerbereich sollte zudem Paolo Sorrentinos einfühlsames Charakterdrama "Die zwei Päpste" (20. Dezember bei Netflix) mit Sir Anthony Hopkins als Papst Benedikt und Jonathan Pryce als sein Nachfolger Franziskus haben - und Noah Baumbachs "Marriage Story" (6. Dezember bei Netflix) mit Adam Driver und Scarlett Johansson wird wie schon in Venedig auch in Toronto mit Lob überschüttet. Und zu guter Letzt haben auch zwei Routiniers Kritiker und Publikum beeindruckt: Tom Hanks als US-Kinderfernsehlegende Mr. Rogers in "A Beautiful Day in the Neighborhood" (5. März 2020) und Eddie Murphy als strauchelnder Comedian in "Dolemite Is My Name" (25. Oktober bei Netflix - ja, der Streamingdienst scheint eine sehr starke Awards Season vor sich zu haben, zum Leidwesen eingefleischter Kinofans wie mir ...). Das Rennen um die jeweils fünf Plätze in den Hauptdarstellerkategorien dürfte also sehr spannend werden ...

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