Empfohlener Beitrag

In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 17. Februar 2016

BROOKLYN – EINE LIEBE ZWISCHEN ZWEI WELTEN (2015)

Regie: John Crowley, Drehbuch: Nick Hornby, Musik: Michael Brook
Darsteller: Saoirse Ronan, Emory Cohen, Domhnall Gleeson, Julie Walters, Jim Broadbent, Nora-Jane Noone, Jane Brennan, Fiona Glascott, Maeve McGrath, Eva Birthistle, Emily Bett Rickards, Eve Macklin, Samantha Munro, Jenn Murray, Mary O'Driscoll, Brid Brennan, Jessica Paré
Brooklyn - Eine Liebe zwischen zwei Welten
(2015) on IMDb Rotten Tomatoes: 97% (8,5); weltweites Einspielergebnis: $62,4 Mio.
FSK: 0, Dauer: 112 Minuten.

Irland, 1952: Da es im von ärmlichen Verhältnissen geprägten Irland kaum Zukunftsaussichten für die jüngeren Generationen gibt, verschafft die fürsorgliche Mittdreißigerin Rose Lacey (Fiona Glascott, "Resident Evil") ihrer kleinen Schwester Eilis (Saoirse Ronan, "Violet & Daisy") über die Kirche eine Anstellung als Verkäuferin in New York. Eilis (das wird übrigens "Äy-lihsch" ausgesprochen) verläßt Heimat und Familie mit sehr zwiespältigen Gefühlen, da sie einerseits natürlich alles zurückläßt, was sie kennt und liebt, andererseits aber nur so die Chance sieht, ihre beruflichen und auch privaten Ziele zu erreichen. In den USA angekommen und mit einigen anderen irischen Mädchen und Frauen in der Pension der zwar resoluten, aber gutherzigen Ms. Kehoe (Julie Walters, die Mrs. Weasley in den "Harry Potter"-Filmen) einquartiert, wird Eilis schnell von schrecklichem Heimweh gequält und hat erhebliche Anpassungsschwierigkeiten an die amerikanische Lebensart. Erst als ihr der mit ihrer Schwester befreundete Father Flood (Jim Broadbent, "Cloud Atlas") ein Abendstudium ermöglicht und sie den charmanten Klempner Anthony (Emory Cohen, "The Gambler") kennenlernt, scheint sie doch ihr Glück zu finden. Dann erreicht sie aber eine traurige Nachricht aus der Heimat, die sie veranlaßt, den langen Rückweg nach Irland anzutreten. Nicht nur Anthony fragt sich: Wird es nur ein vorübergehender Aufenthalt? Wird sie in das neue Leben, das sie sich in Brooklyn aufgebaut hat, zurückkehren?

Kritik:
Als der irische Regisseur John Crowley ("Boy A") seine Verfilmung eines Romans von Colm Tóibín in Angriff nahm, konnte er kaum ahnen, wie aktuell die Thematik der immerhin sechs Jahrzehnte in der Vergangenheit spielenden Geschichte bei der Veröffentlichung des Films sein würde. Denn Eilis ist wie Millionen Landsleute, die vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert in die USA emigrierten, jemand, der aus der Perspektivlosigkeit der Heimat in ein anderes Land, einen anderen Kontinent gar, auswandert, um dort das Glück zu suchen etwas, das heute (meist abschätzig) als "Wirtschaftsflüchtling" bezeichnet wird. Natürlich ist ihre Situation dennoch verschieden von der heutiger in Europa Asylsuchender aus Syrien, Afghanistan oder (besagte "Wirtschaftsflüchtlinge") dem Balkan, da Eilis sich in ihrer neuen Heimat weder an eine neue Sprache noch an ein deutlich anderes religiös-gesellschaftliches Umfeld gewöhnen muß. Daß sie trotz dieser Vorteile anfangs so schrecklich leidet unter der Trennung von ihrer Familie (die sie, wie heutige Flüchtlinge aus einem anderen Kontinent, auch nicht einfach mal kurz mit dem Flugzeug übers Wochenende besuchen kann), ist aber ein universelles Problem, das eigentlich jeder nachfühlen können sollte, der über ein Mindestmaß an Empathie verfügt. Insofern hat John Crowley mit seinem Film ein hochaktuelles Einwandererdrama geschaffen, jedoch ist das natürlich nur ein Element von "Brooklyn", der ebenfalls eine im besten Sinne altmodische Edelromanze ist wie auch ein einfühlsam erzählter Coming of Age-Film.

Die beiden größten Stärken von "Brooklyn" sind die Hauptdarstellerin Saoirse Ronan und das Drehbuch von Bestseller-Autor Nick Hornby ("High Fidelity") – die passenderweise beide für einen OSCAR nominiert wurden (eine dritte Nominierung ging an den Film selbst). Crowley ist sich dieser Stärken bewußt und bringt sie glänzend zur Geltung. So läßt Kameramann Yves Bélanger ("Dallas Buyers Club") sein Arbeitsgerät das in Freude wie Trauer oder Sehnsucht so ausdrucksstarke Gesicht Ronans regelrecht liebkosen, immer wieder richtet sich der Blick der Kamera – und damit der des Zuschauers – sekundenlang nur darauf und vergißt das ganze Drumherum. Diese selbstvergessene Zeitlosigkeit kennzeichnet den gesamten Film: Crowley läßt sich nicht hetzen, stattdessen entfaltet er die erfrischend unspektakuläre Handlung mit viel Augenmaß und Sinn für Details, wobei natürlich auch Hornbys Drehbuch ins Spiel kommt. Das verknüpft mit der für Hornby so typischen Leichtigkeit ernste und humorvolle Elemente virtuos zu einem funktionierenden Gesamtkunstwerk und begeistert dabei mit amüsanten Dialogen und sympathischen Charakteren. Vor allem das Zusammenspiel zwischen der mit einem wunderbar trockenen Humor ausgestatten Ms. Kehoe und einigen fröhlich-albernen Mitbewohnerinnen von Eilis sorgt für beste Stimmung. Aber auch in den romantischen Momenten findet Hornby stets genau die richtigen Worte, die er Eilis und Tony in den Mund legt und die die zarte Annäherung zwischen den beiden ebenso glaubwürdig wie unterhaltsam machen – das natürlich stets im Zusammenspiel mit der hervorragenden schauspielerischen Darbietung von Saoirse Ronan wie auch dem Newcomer Emory Cohen, die zusammen ein so harmonisches Liebespaar abgeben, d man von Herzen gerne zusieht.

So nimmt die Story ihren Lauf und man fühlt sich bestens unterhalten … bis es zu besagter trauriger Nachricht aus der Heimat kommt, die Eilis und das Publikum aus ihrem gerade erst gefundenen Glück herausreißt. Ich will natürlich nicht zu viel verraten, aber angesichts der Umstände verschweigt Eilis in Irland ihre Beziehung und freundet sich während ihres anfänglich für einen Monat vorgesehenen Aufenthalts mit Jim Farrell (Domhnall Gleeson, "Alles eine Frage der Zeit") an, der nicht minder nett und charmant ist als Tony. Dieser Teil der Geschichte sorgt dafür, daß sich "Brooklyn" von einem bis dahin (trotz der dramatischen Untertöne) klassischen Feelgood-Movie eher in die Drama-Richtung bewegt. Erfreulich ist dabei, daß es hier keinerlei Schwarzweiß-Malerei gibt (selbst die mit Abstand unsympathischste Figur hilft Eilis letztlich entscheidend, wenn auch ungewollt), sondern sich alles sehr authentisch und nachvollziehbar entwickelt. Unglücklicherweise wirkt die sich anbahnende Beziehung zwischen Eilis und Jim wegen der fehlenden Alleinstellungsmerkmale aber wie eine kürzere Wiederholung der ersten Filmhälfte; außerdem macht Eilis ihr Verhalten natürlich nicht unbedingt sympathischer, auch wenn Crowley und Hornby das in ihrer Inszenierung erkennbar ein wenig überspielen wollen. Selbstverständlich wird Eilis nicht zum Bösewicht, weil sie sich zu zwei Männern gleichzeitig sehr hingezogen fühlt, vielmehr wird das klar als ein (entscheidender) Teil des Prozesses ihres Erwachsenwerdens geschildert – ein Thema, das Hornby in vielen seiner Werke behandelt, darunter dem Drehbuch zu Lone Scherfigs in den 1960er Jahren spielendem "An Education". Dennoch ist Eilis' Verhalten, wenn man sich die Mühe macht, es zu hinterfragen, alles andere als vorbildlich. Ich will das gar nicht mal als Kritikpunkt am Film anführen, denn Sinn ergibt das alles sehr wohl und wahrscheinlich macht sogar gerade dieser Handlungsstrang, dieser gewisse Bruch in Eilis' Lebensweg "Brooklyn" zu etwas Besonderem; es ist gewissermaßen so, daß die Realität in der zweiten Filmhälfte das bis dahin Märchenhafte einholt. Mir gefallen die märchenhaften New York-Sequenzen schlicht und ergreifend etwas besser.

Nicht unerwähnt bleiben soll zu guter Letzt, wie gut es "Brooklyn" gelingt, das Irland, vor allem aber das New York der 1950er Jahre einzufangen. Ähnlich wie Todd Haynes' zur gleichen Zeit ebenfalls in New York spielender und "Brooklyn" auch in den Coming of Age-Aspekten nicht ganz unähnlicher "Carol" gelingt John Crowley und seinem Team mit detailgetreuer Ausstattung und prächtigen Kostümen (storybedingt aber natürlich weniger prächtig als in "Carol", dessen Titelfigur ja wohlhabend ist) ein authentisch wirkender Ausflug in eine andere, vergleichsweise entschleunigte Zeit. Interessant und amüsant sind dabei vor allem die Unterschiede zwischen den USA und Irland, die speziell nach Eilis' Rückkehr in die alte Heimat deutlich zu Tage treten und gleichzeitig dazu dienen, ihre persönliche Entwicklung vom schüchternen irischen Mädchen zur selbstbewußten jungen Frau zu unterstreichen. Und damit schließt sich auch der Kreis innerhalb dieser Rezension, denn wo ich mit großem Lob für Saoirse Ronan begann, kann und will ich es mir zum Abschluß nicht nehmen lassen, noch einmal zu betonen, welch großartige Schauspielerin die gebürtige (aber irischstämmige) New Yorkerin ist, die mit ihren 21 Jahren bereits zum zweiten Mal (nach "Abbitte") für den OSCAR nominiert ist. Und das wird garantiert nicht das letzte Mal gewesen sein.

Fazit: "Brooklyn – Eine Liebe zwischen zwei Welten" ist eine betont altmodisch inszenierte Edelromanze mit einem ernsten, immer noch aktuellen Hintergrund, die sich viel Zeit für das Erzählen ihrer lebensnahen Geschichte nimmt und mit einem glänzenden Schauspielensemble aufwartet, aus dem Hauptdarstellerin Saoirse Ronan noch herausragt.

Wertung: 8,5 Punkte.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen