Regie: Todd Haynes, Drehbuch: Phyllis Nagy, Musik: Carter
Burwell
Darsteller:
Rooney Mara, Cate Blanchett, Kyle Chandler, Sarah Paulson, Cory
Michael Smith, Jake Lacy, John Magaro, Nik Pajic
FSK: 6, Dauer: 119 Minuten.
New York zu Beginn der 1950er Jahre: Therese Belavet (Rooney
Mara, "Verblendung") ist eine junge Warenhaus-Verkäuferin; einen
richtigen Plan für ihr Leben hat sie eigentlich noch nicht, allerdings spielt
sie mit dem Gedanken, Photographin zu werden. Carol Aird (Cate Blanchett,
"Cinderella") ist eine rund 20 Jahre ältere Upper Class-Lady und
Mutter einer kleinen Tochter; die Ehe mit ihrem Mann Harge (Kyle Chandler,
"The Wolf of Wall Street") ist jedoch am Ende, die Scheidung steht bevor. Eines
Tages in der Vorweihnachtszeit treffen sich in dem Geschäft, in dem Therese
arbeitet, die Blicke der Dame, die das Shoppen etwas nervös macht und der
jungen Frau, die das Verkaufen etwas nervös macht. Carol kauft ein Geschenk für ihre Tochter, später lädt sie Therese auf einen
Kaffee ein. Trotz ihrer so unterschiedlichen Lebenswege und Herkunft kommen
sie sich rasch näher …
Kritik:
Die meisten Menschen kennen Patricia Highsmith als Autorin
raffinierter Kriminalromane und als Schöpferin des faszinierenden Antihelden Tom
Ripley, der in diversen Verfilmungen bereits von schauspielerischen
Hochkarätern wie Matt Damon, John Malkovich und Dennis Hopper verkörpert wurde.
Doch im Jahr 1952 veröffentlichte sie – unter dem Pseudonym Claire
Morgan – ein Buch, das ganz anders war. "Salz und sein Preis" ist die
autobiographisch angehauchte Geschichte der Liebe zwischen zwei Frauen aus
verschiedenen Welten (Therese fungiert als Alter Ego der Autorin) zu einer
Zeit, in der Homosexualität mindestens verpönt war und bei Männern in
der McCarthy-Ära gar als "unamerikanisch" verfolgt wurde.
Erstaunlicherweise war das Buch trotzdem schon damals ein Bestseller, was
sicherlich zum Teil mit dem "Reiz des Verbotenen" zusammenhing, aber
auch darauf hindeuten könnte, daß Teile der Gesellschaft
aufgeschlossener waren als Politik und Justiz nicht nur in den USA. Aber wie dem
auch sei, heutzutage ist eine Erzählung über eine lesbische Liebe natürlich
und zum Glück kein Tabu mehr, auch wenn eine vollkommene Gleichberechtigung
hetero- und homosexueller Paare noch immer nicht erreicht ist. Die
gesellschaftliche Relevanz hat "Salz und sein Preis", hier als "Carol" verfilmt, also vielleicht ein Stück weit verloren, jedoch bleiben die impliziten Aussagen über Liebe und Toleranz natürlich
universal, letztlich würde die Geschichte auch mit Hetero-Paaren
funktionieren, denen aufgrund gewisser Unterschiede (z.B. im Alter, in der
Religion, in der Hautfarbe oder in der gesellschaftlichen Stellung) Steine in den Weg gelegt
werden. Das Entscheidende bei "Carol" ist, daß es sich (vermutlich
auch beim Buch, das ich jedoch nicht gelesen habe) um eine einfühlsam erzählte,
bewegende, mitunter gar aufrüttelnde Geschichte handelt, die von
Regisseur Todd Haynes mit einer perfekten Besetzung kongenial auf die große Leinwand
transportiert wurde. Daß es eine Liebe zwischen zwei Frauen ist, die im Mittelpunkt steht, ist eigentlich nebensächlich, beschert uns hier aber mit ganz großem Schauspielerkino.
Todd Haynes war im Grunde genommen fast die einzige denkbare Wahl
für den Regiestuhl von "Carol", denn bereits im Jahr 2002 bewies er mit
seinem gefeierten Liebesdrama "Dem Himmel so fern", wie nahe er dem
Stil von Douglas Sirk kommt, jenem Regisseur überlebensgroßer
Melodramen in den 1950er Jahren wie "Die wunderbare Macht" oder "Was der Himmel erlaubt" (die
größte Inspirationsquelle für "Dem Himmel so fern"). Wäre es damals
zensurtechnisch möglich gewesen, hätte bestimmt Sirk "Salz und sein
Preis" verfilmt, so kam diese Aufgabe 60 Jahre später seinem geistigen
Nachfolger Todd Haynes zu, der sie in angenehm altmodischer, unaufgeregter
Art und Weise mit stilvollendeter Eleganz vollbracht hat. Die gesellschaftliche
Ächtung der Homosexualität spielt dabei eine kleinere Rolle als man angesichts
der Prämisse erwarten würde; "Carol" verschweigt die Repressalien
dieser Zeit keineswegs und das, was gezeigt wird, macht einen mitunter wirklich
wütend (speziell die "Immoralitäts-Klausel", die geradezu zum Rufmord
animierte). Dennoch konzentriert sich der Film – analog zur durchaus
hoffnungsvoll endenden Buchvorlage – erkennbar auf das Positive: auf die ungewöhnliche
Liebe zwischen Therese und Carol.
Daß die für den Zuschauer glaubwürdig ist, liegt naturgemäß
in allererster Linie an den beiden Schauspielerinnen, die sich nicht nur mit
Leib und Seele ihren Rollen hingeben, sondern auch wunderbar miteinander
harmonieren. Alleine der erste Moment zwischen den beiden Frauen … sie befinden
sich in einem lauten, überfüllten Kaufhaus kurz vor Weihnachten, doch als sich
ihre Blicke treffen, sprühen regelrecht die Funken – eine atemberaubend schöne Szene, die mehr sagt als 1000 Worte! Todd Haynes ist sowieso ein
Regisseur, bei dem Blicke und Gesten oft mehr sagen als Worte und das lebt er
in "Carol" richtig aus. Zwar gibt es wohlgemerkt viele kluge Dialoge
voller Esprit, doch letztlich spielen diese immer nur die zweite Geige –
weshalb sie auch schon mal vorübergehend von der erhabenen Musik von Cater
Burwell ("True Grit") übertönt werden, um besagte Blicke und Geste
zweifelsfrei in den Mittelpunkt des Geschehens zu rücken. Gerade durch ihre penibel herausgearbeitete oberflächliche Unterschiedlichkeit ist die
Interaktion zwischen Carol und Therese besonders faszinierend. Hier die scheue junge
Frau, hübsch, aber mit dezentem Make-up auch recht unauffällig und ein wenig
burschikos, die Haltung zwar neugierig und aufgeschlossen, gleichzeitig aber –
ihrem gesellschaftlichen Stand entsprechend – ein wenig unterwürfig; dort die
ältere Dame aus der höheren Gesellschaft mit der perfekten Ausdrucksweise, der
majestätischen Stimme und dem makellosen Aussehen, etwas verloren und distanziert
wirkend in der Interaktion mit "normalen" Menschen aus der
Arbeiterklasse, aber immer freundlich und zuvorkommend. Ja, es ist ein
Klischee, aber es ist auch wahr: Carol und Therese kommen aus zwei
verschiedenen Welten, was sie (vor allem Carol) ihre jeweiligen Bekannten auch
deutlich spüren lassen. Und doch ist die Anziehungskraft zwischen ihnen
stärker, sie überwindet alles – oder zumindest scheint es so.
Ich kann Cate Blanchett und Rooney Mara nicht genug
Komplimente für ihre Schauspielkunst machen. Beide gehen in ihren Rollen auf,
machen sie sich zu eigen und verwandeln sie in etwas Faszinierendes, etwas
Wundervolles. Speziell bei Blanchett ist es beeindruckend, wie sie eine unter
der stets beherrschten Oberfläche vor Emotionen brodelnde Figur, die auf den
ersten Blick stark an ihre OSCAR-gekrönte Rolle in Woody Allens "Blue Jasmine" erinnert, mit einer Vielzahl raffinierter Feinheiten in Mimik und
Gestik so anbetungswürdig interpretiert, daß bereits nach kurzer Zeit
garantiert keine Verwechslungsgefahr mehr besteht. Und wo Blanchett auch wegen
ihrer wundervollen, tiefen und ein bißchen rauchigen Stimme an "Die
Göttliche" Greta Garbo erinnert (Blanchett hat eine wirklich gute deutsche
Synchronsprecherin, trotzdem kann ich nur jedem empfehlen, sich Filme mit ihr
und ganz speziell einen Film wie "Carol", bei dem es so sehr auf kleinste
Nuancen ankommt, im Original anzuschauen), ist Rooney Mara ein modernes Pendant
zu Audrey Hepburn in der Kombination aus zerbrechlicher, jugendlicher Unschuld
und scheuer, in ihrer Hartnäckigkeit aber durchaus selbstbewußter
Zielstrebigkeit. Beide sorgen im Zusammenspiel dafür, daß Carol und Therese auf
der Leinwand zum Leben erweckt werden, daß sie dem Zuschauer wie reale Menschen
erscheinen und ihm lange in Erinnerung bleiben werden. Daß Blanchett und Mara beide für einen OSCAR nominiert wurden, ist da nur folgerichtig.
Daß das für den gesamten Film gilt, ist natürlich auch
Todd Haynes' zurückgenommener, aber effektiver Regie zu verdanken, die Blanchett und
Mara die Bühne überläßt, sie jedoch in der Kombination mit den eleganten Bildkompositionen
von Kameramann Edward Lachmann ("Erin Brockovich"), der authentischen
1950er Jahre-Ausstattung, den gut ausgewählten Songs aus jener Ära (darunter
mein Lieblings-Weihnachtslied "Silver Bells" in der Interpretation
von Perry Como) und den edlen Kostümen perfekt in Szene setzt. Auch die
Nebendarsteller fügen sich hervorragend ein und setzen eigene Akzente, was ob der schauspielerischen Dominanz von Blanchett und Mara durchaus
bemerkenswert ist. Vor allem Sarah Paulson ("12 Years a Slave") als Carols loyale Kindheits-Freundin und Ex-Liebhaberin Abby und
Kyle Chandler als Carols Ehemann, der seit langem von ihrer wahren sexuellen Neigung
weiß und sie trotzdem nicht loslassen kann und will, haben einige starke
Szenen, die teils sogar tiefere Einsichten über Carol transportieren (wie
Abbys Vorwurf gegenüber Harge, er habe 20 Jahre lang erfolgreich dafür gesorgt,
daß sich Carols Leben nur um ihn drehe, weshalb sie nie eigene Freunde finden
konnte); zudem überzeugt in einem kurzen, aber für die Handlung wichtigen Auftritt
"Gotham"-Riddler Cory Michael Smith als Kurzwaren-Verkäufer Tommy.
Und so ergibt sich insgesamt ein wunderbarer Liebesfilm, der auch Menschen
begeistern kann, die sich sonst mit dem Genre eher schwertun (ich bin der
Beweis dafür).
Fazit: "Carol" ist ein elegantes, sehr
emotionales Liebesdrama, das eine subtil inszenierte und grandios gespielte
lesbische Beziehung mit den gesellschaftlichen Zwängen der 1950er Jahre
konfrontiert.
Wertung: 9 Punkte.
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