Regie: Danny Boyle, Drehbuch: Aaron Sorkin, Musik: Daniel
Pemberton
Darsteller: Michael Fassbender, Kate Winslet, Seth Rogen,
Jeff Daniels, Michael Stuhlbarg, Katherine Waterston, Sarah Snook, Makenzie
Moss, Ripley Sobo, Perla Haney-Jardine, John Ortiz, Adam Shapiro
FSK: 6, Dauer: 123 Minuten.
Im Jahr 1984 präsentiert der visionäre, aber charakterlich
nicht ganz einfache Apple-Gründer Steve Jobs (Michael Fassbender,
"Macbeth") auf einer Veranstaltung seinen revolutionären neuen
Computer, den Macintosh. Vier Jahre später, nachdem der Macintosh bei weitem
nicht den gewünschten Erfolg zeitigen konnte, präsentiert Jobs (der zu dieser
Zeit nicht mehr bei Apple arbeitet) seinen vor allem für Bildungseinrichtungen
konzipierten Computer NeXT. 1998 schließlich steht nach Jobs' Rückkehr zum
strauchelnden Apple-Konzern die Präsentation des iMac an. Unmittelbar vor
diesen drei wichtigen Veranstaltungen trifft Jobs jedes Mal auf die
gleiche Handvoll von Wegbegleitern, die auf die eine oder andere Weise großen
Anteil an seinem Werdegang haben. Dies sind seine loyale Vertraute Joanna
Hoffman (Kate Winslet, "Little Children"), sein Jugendfreund und
Apple-Mitgründer Steve Wozniak (Seth Rogen, "Das ist das Ende"), der
Softwareentwickler Andy Hertzfeld (Michael Stuhlbarg, "A Serious
Man") und der Apple-Chef John Scully (Jeff Daniels, "Looper")
sowie auf privater Seite Jobs' frühere Geliebte Chrisann (Katherine Waterston, "Inherent Vice") und ihre (mit einer 94,1-prozentigen Wahrscheinlichkeit) gemeinsame
Tochter Lisa. Die emotionalen Konfrontationen zeichnen das Psychogramm eines
getriebenen, oft egomanischen, aber letztlich genialen Menschen …
Kritik:
Ich weiß nicht, woran es liegt, aber scheinbar gefallen mir
Filme über internetrelevante Themen, die mich eigentlich überhaupt nicht
interessieren, besonders gut. So war es bei David Finchers "The Social Network", obwohl ich eine ziemliche Abneigung gegen Facebook habe.
Und so ist es nun auch bei "Steve Jobs", obwohl ich in meinen 36
Lebensjahren kein einziges Apple-Produkt gekauft und auch nur eines über
längere Zeit genutzt habe (ein Macintosh war Ende der 1980er Jahre der erste
Computer bei uns im Haus). Aber ich muß mich korrigieren, denn eigentlich weiß
ich genau, warum ich diese beiden Filme so schätze: weil
sie einfach sehr gut gemacht sind. Und weil sie einen gemeinsamen Nenner
haben: Aaron Sorkin. Der Schöpfer der phasenweise brillanten (aber wegen
"zu amerikanischer Thematik" nie im deutschen Free-TV gezeigten) und
mit Auszeichnungen überhäuften Politserie "The West Wing – Im
Zentrum der Macht" gehört zu den relativ wenigen Drehbuch-Autoren in Hollywood,
die einen ganz eigenen, unverwechselbaren Schreibstil haben – der auch noch
erfolgreich ist. Zwar nicht immer (seine letzten beiden Serien "Studio
60 on the Sunset Strip" und "The Newsroom" liefen bestenfalls
mittelmäßig), aber häufig genug, um den meinungsstarken Kreativen zu einem
einflußreichen Player in Hollywood zu machen. Wobei es aber auch gar nicht so wenige
Kritiker gibt, die ihm vorwerfen, seine (aus US-Perspektive sehr liberalen)
Ansichten zu offensiv in seine Drehbücher einzuarbeiten oder generell die
von ihm erzählten Geschichten zu stark in sein messerscharfes (wenn auch beinahe
unglaubwürdig eloquentes) Dialog-Konstrukt einzuengen und somit dem Regisseur
und den Darstellern wenig Raum zum Arbeiten zu geben. Diese
Anschuldigungen sind nicht gänzlich aus der Luft gegriffen und auch "Steve
Jobs" merkt man die Konstruiertheit deutlich an. Das ist allerdings kein
allzu großes Problem, wenn das, was Sorkins Gehirn da fabriziert und
konstruiert hat, so brillant ausfällt wie in diesem komplexen Psychogramm eines
unangepaßten technologischen Visionärs (oder wie in "The Social
Network"). Denn dann muß der Regisseur diese Vorlage "nur noch" souverän verwandeln und die Schauspieler freuen sich sowieso, wenn sie so toll geschriebene Dialoge zum Leben erwecken dürfen.
Eine nicht unerhebliche Einschränkung für mein überschwängliches Lob für Sorkins Arbeit gibt es
allerdings; denn nach allem, was man von den Weggefährten des mittlerweile
verstorbenen Steve Jobs hört und liest, hat sich kaum etwas von dem, was der
Film von Danny Boyle ("127 Hours") so mitreißend schildert, tatsächlich
zugetragen. Obwohl sich Aaron Sorkin an einem Sachbuch von Walter Isaacson über
den Apple-Gründer orientiert (das bei Jobs' Familie wenig Freude auslöste), hat er sich große künstlerische Freiheiten
genommen bei dem Versuch, sich dem Kern von Jobs' Wesen anzunähern. Ob ihm das
gelungen ist oder nicht, kann ich natürlich nicht beurteilen; die Aussagen dazu
von Menschen, die ihn kannten, sind sehr wechselhaft ausgefallen, Fakt scheint jedoch zu sein, daß Jobs nach dem Ende der von Boyles Werk abgehandelten
Zeitspanne von 1984-1998 deutlich milder wurde. Letztlich ist es bei Filmen
über gut dokumentierte historische Ereignisse oder Personen wohl immer so, daß
man eigentlich zwei Kritiken verfassen müßte: Eine über den Film als eigenständiges Kunstwerk und eine weitere über den Film als authentische Annäherung
an die Realität. In letzterer Deutung ist "Steve Jobs" wohl
bestenfalls zweifelhaft zu nennen, dafür funktioniert er als eigenständiges
Werk umso besser. Ein US-Kritiker hat einen ziemlich passenden Vergleich zu
Orson Welles' Jahrhundert-Meisterwerk "Citizen Kane" gezogen. Der
dortige Protagonist hieß Charles Foster Kane, war aber klar erkennbar nach dem
realen Zeitungsmagnaten William Randolph Hearst modelliert – so deutlich, daß der
wenig erfreut reagierte und alles versuchte, um den Film vollständig zu vernichten
(was übrigens wörtlich gemeint ist, denn Hearst wollte tatsächlich alle
Negative aufkaufen und verbrennen; zum Glück scheiterte er mit diesem
Vorhaben). Vielleicht wäre es auch bei "Steve Jobs" besser gewesen,
keine realen Namen zu verwenden. Aber daran läßt sich nun nichts mehr ändern
und so wird Boyles Film leider für immer nicht nur mit seiner großartigen
cineastischen Machart verbunden werden, sondern auch mit den Fragen über die
Authentizität des Gezeigten.
Dabei läßt Aaron Sorkin eigentlich von Anfang an kaum
Zweifel über seinen sehr künstlerischen und damit eben auch recht freien
Ansatz. "Steve Jobs" ist wie ein klassisches Theaterstück aufgebaut,
mit drei klar voneinander abgegrenzten Akten, die (abgesehen von ein paar kurzen
Rückblenden) allesamt in einer großen Location stattfinden, nämlich einem
Convention Center, in dem Jobs eine große Produktpräsentation durchführt. Okay,
streng genommen sind es zwei Schauplätze, denn während die Apple-Präsentationen
im Flint Center in Cupertino abgehalten wurden, geschah dies für den
NeXT 1988 in San Francisco. Das wird im Film aber nicht näher thematisiert und
ist sowieso nicht wichtig, zumal solche Kongreßzentren von innen wohl fast alle ziemlich
gleich aussehen. Für den Zuschauer wirkt es also so, als würden alle drei Akte
am selben Ort stattfinden und dieser einheintliche Eindruck wird noch dadurch
verstärkt, daß Steve Jobs in den letzten 40 Minuten vor seinem jeweiligen
Auftritt stets auf genau die gleichen Leute trifft. Das ist natürlich nicht
sonderlich glaubwürdig (und bestätigt in seiner Konstruiertheit nur, was ich
über Sorkins künstlerische anstatt quasi-dokumentarische Intention schrieb),
dafür aber ein ausgezeichneter dramaturgischer Kniff. Obwohl wir Jobs nur an
drei Tagen seines Lebens kennenlernen, erfahren wir durch seine Gespräche mit
diesen wichtigen, ihn prägenden Weggefährten viel über ihn, seinen Charakter
und vor allem seine Entwicklung. Wirkt er zu Beginn noch wie ebenjenes
"Arschloch", als das er im Lauf des Films oftmals bezeichnet wird,
lernen wir ihn schon bald näher kennen und vor allem anhand seines
Verhaltens gegenüber seiner zunächst von ihm abgelehnten Tochter Lisa auch zu
schätzen. Wir erfahren nach und nach auf subtile Weise, was Jobs bewegt, was ihn
kränkt, wofür er sich begeistert, was ihn verunsichert. Kurzum: Wir erhalten
immer neue kleine Teile für das große, komplexe Puzzle namens "Steve
Jobs".
Und obwohl das vor allem dank Aaron Sorkins preiswürdigem
Drehbuch gelingt, das tiefgründig, temporeich, witzig, einfallsreich, elegant
konstruiert und vor allem – wie immer bei Sorkin – ungemein eloquent ist, sind
natürlich die Schauspieler ein ebenso wichtiger Bestandteil des Gelingens von
"Steve Jobs". Im Zentrum steht logischerweise Michael Fassbender, der
dem echten Apple-Gründer optisch zwar nicht übermäßig ähnelt, ihn dafür aber inhaltlich
umso überzeugender zum Leben erweckt. Jobs' charakterliche Ambivalenz bringt er
hervorragend zum Ausdruck, so daß das Publikum zwar immer wieder nur
fassungslos den Kopf schütteln kann ob seiner bodenlosen Arroganz oder seines
scheinbar gefühllosen Verhaltens, ihm aber trotzdem nicht auf Dauer böse sein
kann. Obwohl Steve Jobs in diesem Film charakterlich wiederholt schlecht
wegkommt, schimmern auch
stets seine positiven Seiten durch, die er eigentlich eher verstecken will. Das
Resultat dieses eher ungewöhnlichen Vorgehens ist, daß Jobs bei aller
Antipathie, die sein Verhalten auslöst, realer wirkt als es bei
den Protagonisten vieler "klassischer" Biopics der Fall ist, die nicht selten
an bloße, unkritische Heldenverehrung grenzen. Dank Sorkins Drehbuch und
Fassbenders Darstellung wirkt dieser Steve Jobs einfach "echt" – und
gleichzeitig wird an seinem geistigen Erbe keineswegs gerüttelt (auch wenn oder
gerade weil es gar nicht im Mittelpunkt steht). Die übrigen Figuren werden
naturgemäß weniger ausführlich beleuchtet, sind aber ebenfalls paßgenau besetzt
und sehr gut geschrieben. Kate Winslet als Jobs' einzige echte Vertraute Joanna, die
immer zu ihm hält, aber auch nicht davor zurückscheut, ihm die Meinung zu
sagen; Michael Stuhlbarg als Softwareentwickler Andy Hertzfeld, der vielleicht
am meisten unter Jobs' extrem hohem Anspruchsdenken zu leiden hat (mit seiner
Schlagfertigkeit aber dennoch für die größten Lacher im Film sorgt); Jeff Daniels
als von Jobs installierter Apple-Chef John Scully, der für ihn beinahe wie eine
Vaterfigur ist, von dem er sich aber bald verraten fühlt; und Seth Rogen in
einer ungewohnt ernsten Rolle als von Jobs zunehmend enttäuschter Jugendfreund
Steve Wozniak. Sie alle nutzen die Möglichkeiten, die Sorkins Drehbuch ihnen
gibt, und liefern Glanzleistungen ab, die in einer gerechten (Kino-) Welt jedem von ihnen eine
OSCAR-Nominierung bescheren sollten (Fassbender und Winslet haben sie tatsächlich erhalten). Lediglich Katherine Waterston hat als Mutter von Jobs' Tochter
Lisa eine recht undankbare Rolle erwischt, die auch als einzige der hier
genannten nur vor zwei der drei Präsentationen zugegen ist.
Ich weiß, ich habe bereits reichlich von Sorkins Drehbuch
geschwärmt, aber einen Aspekt muß ich zusätzlich beleuchten: "Steve
Jobs" ist nämlich nicht nur das erwähnte Jobs-Psychogramm geworden,
sondern entfaltet sich gleichzeitig auch noch als gefühlvolles Familiendrama
und als einsichtsreicher Wirtschaftsfilm. Es ist schier unglaublich, wie viel
Stoff Sorkin in diese zwei Stunden bester Kinounterhaltung packt, weswegen übrigens
dringend anzuraten ist, den Film konzentriert zu verfolgen. Großes Lob gebührt
selbstverständlich auch Regisseur Danny Boyle, der zwar schlauerweise Sorkins Drehbuch dominieren läßt anstatt selbst durch inszenatorische Mätzchen
beeindrucken zu wollen, dem es aber auch eindrucksvoll gelingt, den
Inhaltsreichtum des Drehbuchs in einen 120 Minuten-Film zu komprimieren, ohne
daß dieser je überladen (oder zu theaterhaft) wirken würde; unterstützt wird er
dabei von der lebhaften, abwechslungsreichen Musik des jungen britischen
Komponisten Daniel Pemberton ("Codename U.N.C.L.E."). Nur in wenigen
Szenen übertreibt es Boyle für meinen Geschmack ein wenig mit dem
Symbolismus, wenn er etwa in einer Rückblende prasselnden Regen Jobs' Entlassung
bei Apple begleiten läßt. Natürlich kann es sein, daß es in jener Nacht zufällig
tatsächlich regnete, aber selbst in diesem Fall wäre Boyles Inszenierung recht
plakativ geraten. Andererseits: Hätte er darauf verzichtet, wäre seinem Publikum
eine wunderbar atmosphärisch inszenierte Schlüsselszene entgangen;
insofern ist selbst dieser Kritikpunkt schlimmstenfalls ein halber …
Fazit: "Steve Jobs" ist ein intelligentes,
vielseitiges und sprachgewaltiges (aber inhaltlich sehr freies) Porträt des
Apple-Gründers geworden, das in einem kammerspielartigen Szenario mit brillanten
Dialogen und psychologischem Tiefgang ebenso begeistert wie mit den Leistungen der Schauspieler, dabei aber von seinem Publikum eine hohe Konzentration
einfordert sowie die Bereitschaft, sich ganz auf die Charaktere einzulassen.
Wertung: 9,5 Punkte.
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