Regie: Denis Villeneuve, Drehbuch: Taylor Sheridan, Musik:
Jóhann Jóhannson
Darsteller: Emily Blunt, Benicio del Toro, Josh Brolin,
Daniel Kaluuya, Victor Garber, Jeffrey Donovan, Jon Bernthal, Raoul Trujillo,
Maximiliano Hernández, Bernardo P. Saracino, Julio Cedillo
FSK: 16, Dauer: 122 Minuten.
Kate Macer (Emily Blunt, "Edge of Tomorrow") ist
eine taffe und erfahrene FBI-Agentin, doch daß sie und ihr Team beim Versuch einer
Geiselbefreiung in Arizona anstelle der erwarteten Geiseln Dutzende teilweise seit
Jahren verwesende Leichen hinter den Wänden des Hauses entdecken, hätte sie
wirklich nicht erwartet. Immerhin gerät sie durch den grausigen Fund ins Visier
des undurchsichtigen Matt Graver (Josh Brolin, "Everest"), der sich
offiziell als "Berater des Verteidigungsministers" ausgibt, jedoch in
Wirklichkeit zur CIA gehört. Graver und sein schweigsamer Kollege Alejandro
(Benicio del Toro, "Inherent Vice") jagen den unbekannten Boß eines
Drogenkartells, das auch für die von Kate aufgedeckten Morde verantwortlich
ist. Dafür stellen sie eine Spezialeinheit zusammen, zu der auch Kate als
Verbindungsperson zum FBI gehören soll. Da Kate unbedingt die Verantwortlichen
zur Rechenschaft ziehen will, willigt sie ein, obwohl Graver ihr kaum Details
über den geplanten Einsatz offenbart. Das hat seine Gründe, denn die
Spezialeinheit agiert im amerikanisch-mexikanischen Grenzgebiet jenseits der
gesetzlichen Vorgaben, was für eine Idealistin wie Kate nur schwer zu ertragen
ist. So stellt sich ihr schon bald die Frage: Was ist ihr wichtiger – die
Einhaltung der Gesetze oder das Erbringen von echten, zählbaren Resultaten?
Kritik:
Nachdem der kanadische Regisseur Denis Villeneuve mit seinem
düsteren Thriller "Prisoners" mit Hugh Jackman und Jake Gyllenhaal
2013 den internationalen Durchbruch schaffte, legt er mit "Sicario"
noch einmal eine gewaltige Schippe drauf. Theoretisch ist "Sicario" –
übrigens das mexikanische Wort für einen Auftragsmörder – ein
actionreicher Drogen-Thriller; ehrlicher wäre die Bezeichung als Kriegsfilm.
Denn genau so hat Villeneuve die Geschichte inszeniert: als brutalen, erbarmungslosen Kriegsfilm, in dem Ex-Elitesoldaten in den Kampf gegen die
ebenfalls hochgerüstete Drogenmafia ziehen, was dem Publikum passenderweise phasenweise
durch Nachtsicht- oder Infrarotfilter präsentiert wird, welche die ohnehin hohe Immersion
dieses packenden Meisterwerks des Spannungskinos noch weiter intensivieren.
Wenn man die Realität bedenkt, ist Villeneuves
Vorgehensweise nur folgerichtig. Immerhin ist die Region, in der
sich die Handlung von "Sicario" abspielt, (nicht nur) statistisch gesehen eine der
gefährlichsten weltweit. Uns in Europa erreichen ja nur die
schlimmsten Horrormeldungen über Massaker oder die Funde von Massengräbern in
Ciudad Juárez, Tijuana oder Chihuahua, doch vor Ort muß es sich in der Tat um
eine Art Kriegsgebiet handeln, in dem die Staatsmacht sehr begrenzt ist. Und so präsentiert uns "Sicario" das auch, speziell bei einem
Abstecher nach Ciudad Juárez, wo Anarchie und Korruption herrschen und Kate auf
offener Straße mit einem grausigen Anblick nach dem anderen konfrontiert wird.
Das ist wohl die ideale Stelle innerhalb dieser Rezension, um nachdrücklich
darauf hinzuweisen, daß "Sicario" nichts für zarte Gemüter ist! Zwar
gibt es keine Splatterorgien, aber das Gezeigte ist schon ziemlich explizit und unglaublich intensiv dargebracht –
allerdings eben auch betont abschreckend in Szene gesetzt, womit die FSK ihre Altersfreigabe bereits ab 16 Jahren begründet.
Villeneuves Anleihen beim revolutionären "New
Hollywood" der 1970er Jahre sind unübersehbar: der schmutzig-realistische
Look, die fast ausnahmslos verkommenen, zwiespältigen Figuren, die bedrückende
Atmosphäre. Ja, "Sicario" paßt wunderbar in eine Reihe mit Werken wie
"French Connection", "Chinatown" oder "Taxi
Driver" – und die Adjektive, mit denen sich dieser Film am besten beschreiben
läßt, enden irgendwie alle auf "los": schonungslos, kompromißlos und
vor allem gnadenlos. Mindestens ebenso viel Anteil wie Regisseur Villeneuve hat
daran Taylor Sheridan, dessen Drehbuch-Debüt wahrlich bemerkenswert ist. Eigentlich kennt man Sheridan nämlich als Schauspieler, etwa als Sheriff Hale in den frühen Staffeln von "Sons of Anarchy" –
einer Serie, von deren Schöpfer Kurt Sutter sich Sheridan offensichtlich
einiges abgeschaut hat, denn die tonalen Parallelen zwischen
"Sicario" und "Sons of Anarchy" sind deutlich.
Inhaltlich geht Sheridan jedoch einen sehr eigenständigen Weg: Er hat ein
Alptraum-Szenario geschaffen, das gerade wegen seiner Nähe zur Realität sowieso
schon richtig an die Nieren geht; noch verstärkt wird dieser Eindruck durch die nahezu pausenlose Spannung, die durch den wie eine unheilverheißende
Prophezeiung düster wummernden Score von OSCAR-Nominee Jóhann Jóhannsson
("Die Entdeckung der Unendlichkeit") auf die Spitze getrieben wird – sich aber gar nicht mal so oft entlädt, wie man vermuten könnte (was ich als weiteren Pluspunkt empfinde).
Das Erstaunlichste daran, wie tief "Sicario" einen
in seine Geschichte hineinsaugt, ist die Tatsache, daß die Handlung eigentlich
ziemlich rudimentär bleibt. Es geht um die Jagd mit allen Mitteln auf einen
mysteriösen Drogenbaron, klar. Aber viel mehr ist da nicht. Dadurch, daß Kate –
und damit das Publikum, als dessen Identifikationsfigur die FBI-Agentin
fungiert – lange Zeit über die genauen Absichten von Graver und Alejandro im
Unklaren bleibt, ist die Story eigentlich nur Augenwischerei, wie so vieles in diesem
Film. Das wird von manchen Zuschauern kritisiert – ebenso wie die vergleichsweise
passive Rolle von Kate –, ist für mich aber ein entscheidendes Element dessen,
was "Sicario" so brillant macht. Leider kann ich diesbezüglich nicht ins Detail gehen, ohne zu viel zu verraten, aber es ist sehr beeindruckend,
wie raffiniert – und zugleich doch so simpel – das Drehbuch nicht nur die
Zuschauer, sondern auch die vermeintliche Hauptfigur Kate Macer (deren
Bedeutung für die Handlung aber kurz vor Schluß direkt adressiert wird, auch
wenn das scheinbar einige Zuschauer gar nicht richtig mitbekommen, wenn man so die
Internetforen durchforstet) an der Nase herumführt. Und wenn wir schon bei
möglichen Kritikpunkten sind: Es gibt Stimmen, die die
"Auflösung" von "Sicario" als viel zu unglaubwürdig
bemängeln – wer so empfindet (was durchaus nachvollziehbar ist), dem kann ich nur empfehlen, sich einmal
intensiver mit der amerikanischen Außenpolitik der 1980er Jahre
auseinanderzusetzen. Erneut: Mehr kann ich dazu leider nicht schreiben, da
die Spoilergefahr zu hoch wäre. Das, was "Sicario" schildert, ist auf jeden Fall alles andere als unrealistisch – vielleicht entspricht es nicht der
aktuellen Realität, es ist aber ohne weiteres vorstellbar. Und die Fragen
moralischer und politischer Natur, die hier gestellt und ganz bewußt (und
dankenswerterweise, denn alles andere wäre eine unzulässige Simplifizierung der
Realität) nicht final beantwortet werden, sind heutzutage wahrscheinlich
relevanter denn je zuvor.
Schauspielerisch konzentriert sich "Sicario" auf das Trio Emily Blunt, Josh Brolin und Benicio del Toro, vielleicht noch
zuzüglich Daniel Kaluuya ("Johnny English – Jetzt erst recht!") als
Kates FBI-Partner und Vertrauter Reggie Wayne. Auch die Nebenfiguren sind mit Victor
Garber ("Argo") als Kates Vorgesetzter, Jeffrey Donovan
("Extinction") als einer von Gravers Männer sowie Jon Bernthal
("Herz aus Stahl") oder Raoul Trujillo ("Riddick") namhaft besetzt, doch bleiben sie letztlich Beiwerk. Die
zentralen Figuren dagegen sind, soweit das angesichts der geheimnisumwobenen
Stellung von Graver und Alejandro möglich ist, gut und nachvollziehbar
ausgearbeitet und hervorragend gespielt. Vor allem die Beziehung zwischen Kate und
Reggie ist erfrischend, denn sie ist frei von jedweden romantischen
Gefühlen, stattdessen vergleicht Kate ihren fürsorglichen Partner sogar
(nicht zu Unrecht) mit ihrer Mutter – das ist eine sehr erfrischende
Variation der sonst in Filmen dieser Art üblichen Konstellation. Emily Blunt
beweist dabei einmal mehr ihre Klasse und daß sie absolut in der Lage ist, das
Gewicht einer großen Hauptrolle – auch in einem Actionfilm – auf ihren
Schultern zu tragen. Josh Brolin spielt eine Rolle, die er so ähnlich schon
des Öfteren innehatte und meistert sie mit entsprechender Souveränität. Heimliches Highlight des Films ist jedoch Benicio del Toro, dieser von Hollywood
so lang vernachlässigte, mit ihn oft unterfordernden Nebenrollen abgespeiste OSCAR-Gewinner (im Jahr 2001 für Soderberghs "Traffic"), der hier
mit einer ungemein intensiven Darbietung und seiner beeindruckenden Ausstrahlung
endlich wieder glänzen kann. Eine verdiente erneute OSCAR-Nominierung gab es dafür leider nicht, komplett leer ging "Sicario" mit drei Nennungen (Kamera, Musik, Tonschnitt) trotzdem nicht aus.
Fazit: "Sicario" ist ein unbequemes und schonungslos inszeniertes Meisterwerk des
modernen Spannungskinos, ein drastischer,
bedrückend aktueller Kriegsfilm im Gewand eines Drogen-Thrillers, veredelt
durch ein mutiges Drehbuch und Schauspieler in Bestform.
Wertung: 10 Punkte.
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