Donnerstag, 21. März 2024

Klassiker-Rezension: DER SPION, DER AUS DER KÄLTE KAM (1965)

Originaltitel: The Spy Who Came in from the Cold
Regie: Martin Ritt, Drehbuch: Paul Dehn und Guy Trosper, Musik: Sol Kaplan
Darsteller: Richard Burton, Claire Bloom, Oskar Werner, Peter van Eyck, Cyril Cusack, Rupert Davies, Sam Wanamaker, George Voskovec, Beatrix Lehmann, Michael Hordern, Robert Hardy, Anne Blake, Bernard Lee
The Spy Who Came in from the Cold (1965) on IMDb Rotten Tomatoes: 86% (7,6); US-Einspielergebnis: $7,6 Mio.
FSK: 12, Dauer: 112 Minuten.
Als der berüchtigte ostdeutsche Geheimdienstchef Hans-Dieter Mundt (Peter van Eyck, "Lohn der Angst") erneut einen Informanten des britischen Geheimdienstes enttarnt und beseitigt hat, beschließt MI6-Chef "Control" (Cyril Cusack, "Fahrenheit 451"), zu drastischen Maßnahmen zu greifen. Um Mundt endlich loszuwerden, wird der bisherige Leiter der Berliner MI6-Station, Alec Leamas (Richard Burton, "Cleopatra"), offiziell degradiert, was den Beginn eines drastischen sozialen Abstiegs darstellt, an dessen Ende Leamas' Rekrutierung durch die Stasi stehen soll. Diese soll er dann vorsichtig mit Informationen füttern, die darauf hindeuten, Mundt könne ein für die Briten arbeitender Doppelspion sein. Zunächst läuft alles nach Plan, wenngleich nicht unbedingt vorgesehen war, daß der irgendwann als Bibliotheks-Assistent arbeitende Leamas sich in seine junge, naiv-idealistische Kollegin Nancy (Claire Bloom, "Die Brüder Karamasov") verliebt. Doch schließlich wird Leamas tatsächlich von der Stasi angeworben und von Mundts Stellvertreter (und größtem internen Rivalen) Fiedler (Oskar Werner, "Jules und Jim") befragt ...

Kritik:
Der Ende 2020 im Alter von 89 Jahren verstorbene Brite John le Carré – eigentlich David John Moore Cornwell – ist einer der erfolgreichsten und bekanntesten Autoren von Spionageromanen überhaupt und bildete eine Art Gegenpol zu James Bond-Schöpfer Ian Fleming. Denn obwohl beide selbst als Geheimagenten aktiv waren und daher genau wußten, worüber sie schrieben, entschied sich John le Carré dazu, seine Erfahrungen in möglichst realitätsnahe Geschichten umzusetzen – wogegen Fleming bekanntlich eher auf eine actionreiche Fantasy-Version der Realität setzte. Beide Vorgehensweisen sind legitim und haben sich als äußerst einträglich erwiesen, auch bezogen auf die Leinwand-Adaptionen (wobei die James Bond-Filme natürlich wesentlich massentauglicher sind). Zu den populärsten le Carré-Adaptionen zählt bis heute die allererste: Martin Ritts ("Der Wildeste unter Tausend") Schwarzweiß-Verfilmung von "Der Spion, der aus der Kälte kam" hält sich recht eng an die Vorlage und erzählt eine typische le Carré-Geschichte: dialoglastig, humorarm, mit eher drögen Figuren, aber intelligent, mit raffinierten Wendungen und fast ohne Schießereien oder Verfolgungsjagden. Das trifft nicht jedermanns Geschmack und gerade die erste Hälfte legt für heutige Sehgewohnheiten ein arg langsames Tempo vor – doch wer sich auf die clever konstruierte Story und die ambivalenten Charaktere einläßt, bekommt ein phasenweise brillantes Spionage-Kammerspiel mit einem in mehrfacher Hinsicht denkwürdigen letzten Akt geboten. Für mich ist "Der Spion, der aus der Kälte kam" daher neben, vielleicht sogar knapp vor "Dame, König, As, Spion" (dessen ikonische Hauptfigur George Smiley hier übrigens in der angemessen unglamourösen Verkörperung durch Rupert Davies aus "Der Hexenjäger" eine kleine, aber wichtige Rolle spielt) die beste le Carré-Adaption bislang.

Nach einem kurzen Prolog in Berlin nimmt sich Regisseur Ritt viel Zeit, um Leamas' Londoner Scharade glaubwürdig zu etablieren. Das nimmt mit seiner Detailverliebtheit reichlich Tempo aus der Geschichte, funktioniert aber trotzdem gut. Richard Burton – der für seine Leistung eine von zwei OSCAR-Nominierungen des Films erhielt – spielt den chronisch grantigen, dabei sichtlich frustrierten und dem Alkohol verfallenen vermeintlichen Ex-Agenten so authentisch, daß man ihm sofort abnimmt, er würde sein Land für ein wenig Geld und die Gelegenheit zur Rache an seinen Vorgesetzten verraten. Allein in der sich unerwartet entwickelnden Beziehung zu seiner netten Kollegin Nancy – die ironischerweise eine bekennende Kommunistin ist – taut Leamas auf und gefährdet so auch ein wenig seine Tarnung. Dennoch weckt er wie geplant die Aufmerksamkeit der Stasi und schafft es trotz seiner anfänglich der Glaubwürdigkeit wegen vorgespielten ablehnenden Haltung, mehrere "Anwerber" ausreichend von seiner mangelnden Loyalität zu seinem Heimatland zu überzeugen, um letzten Endes vom stellvertretenden Stasi-Chef Fiedler persönlich rekrutiert zu werden.

Insgesamt ist der Londoner Teil von "Der Spion, der aus der Kälte kam" etwas zu ausführlich geraten, wogegen der Rest der Geschichte nach Leamas' Anwerbung dafür etwas zu schnell vonstatten geht. Hätte man zu Beginn ein paar Minuten eingespart, hätte man das gedankliche Schachspiel zwischen Leamas, Fiedler und Mundt, bei dem jeder von ihnen möglichst viele Züge im Voraus berechnet, um die beiden anderen zu übertrumpfen, noch etwas ausführlicher würdigen können. Das ist allerdings Kritik auf hohem Niveau, denn Ritt und seine Drehbuch-Autoren Paul Dehn (noch ein Ex-Spion) und Guy Trosper ("Der Gefangene von Alcatraz") geben sich viel Mühe, die Spannungskurve immer steiler ansteigen zu lassen. Dabei helfen ebenso die intelligenten Dialoge, die sich wie ein Katz-und-Maus-Spiel entfalten, wie die hochkarätige Besetzung. Sowohl der mit einem Golden Globe belohnte österreichische Star Oskar Werner als intelligenter und eloquenter, jedoch etwas zu sehr von seiner offenen Abneigung gegenüber seinem Ex-Nazi-Chef Mundt getriebener Fiedler liefert eine starke Leistung ab als auch "Lohn der Angst"-Akteur Peter van Eyck als aufbrausender, skrupelloser Mundt, und die Rededuelle der beiden mit Richard Burtons Leamas sind elektrisierend gespielt und inszeniert. Daß "Der Spion, der aus der Kälte kam" einem lange im Gedächtnis bleibt, liegt allerdings in erster Linie an einem genialen Storytwist im Finale sowie am Ende selbst, das Alec Leamas mit einem intensiven, verbittert-desillusionierten Monolog einleitet, der in die Filmgeschichte einging.

Fazit: "Der Spion, der aus der Kälte kam" ist ein exzellenter, kammerspielartiger Spionage-Thriller, der nach gemächlichem Beginn mit einer hochkarätigen Besetzung, einem intelligenten Drehbuch und einem grandiosen Finale begeistert.

Wertung: 9 Punkte.


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