Regie: Jonathan van Tulleken, Cherie Nowlan, Eva Sørhaug und
Salli Richardson-Whitfield, Drehbuch: Josh Corbin, Justin Boyd, Nate
Crocker, Elizabeth Hunter, Adam Lash, Lisa Long, Salvatore Stabile
und Cori Uchida, Musik: The Haxan Cloak
Darsteller: Abigail
Spencer, Mena Massoud, Rodrigo Santoro, Rory
Cochrane, Rhys Wakefield, Madison Davenport, Bethany Anne Lind, Craig Tate, Wavyy Jonez,
Gilbert Owuor, Lea DeLaria, David Dastmalchian, W. Earl Brown, Blake
Sheldon, Shane Callahan, Scarlett Blum, Bill Sage, Tamara Austin,
Blake Perlman, Renes Rivera, Happy Anderson, Ron Perlman, Ray
McKinnon
Als Doris Quinns
(Abigail Spencer, "Die fantastische Welt von Oz") Ehemann
Tommy (Ray McKinnon, TV-Serie "Mayans M.C.")
krankheitsbedingt verstirbt, beschließt sie, sich nun einer unerledigten
Aufgabe aus ihrer Vergangenheit zu widmen. In Wirklichkeit heißt
Doris nämlich Katherine Harlow und war etwa eineinhalb Jahrzehnte vorher ein
Mitglied der von ihrem großen Bruder Burt (Rory Cochrane, "Oculus")
angeführten kriminellen Autogang der Brawlers. Doch dann betrog
Burt Katherine, hängte ihr einen Verrat an, den in Wirklichkeit er
beging, und ließ ihren geschundenen, vermeintlich toten Körper
achtlos zurück. Hierfür sinnt Doris / Katherine nach Rache an Burt
sowie seinen engsten Vertrauten Joel (Rodrigo Santoro, "300")
und Bash (Gilbert Owuor, TV-Serie "Goliath"). Zu diesem
Zweck schleust Doris den jungen Ethan (Mena Massoud, "Aladdin")
bei den Brawlers ein, der in dem von ihr geleiteten Restaurant
gearbeitet hatte und nach einem Zwischenfall auf der Flucht vor der
Polizei ist. Während Ethan sich rasch bei den Brawlers einlebt –
wobei er selbst an der Seite der etablierten Matty (Rhys Wakefield,
"The Purge") und Johnson (David Dastmalchian, "The
Suicide Squad") zunächst ein "Phoenix" wird,
quasi die Vorstufe zu den Brawlers – macht sich Doris auf die Suche
nach Verstärkung und wird nicht nur unerwarteterweise bei Molly
(Bethany Anne Lind, TV-Serie "Doom Patrol"), der Witwe
ihres Ziehsohnes, fündig, sondern durch einen glücklichen Zufall
auch bei den beiden tatkräftigen afroamerikanischen Veteranen Earl (Craig Tate, "Greyhound")
und Cordell (Wavyy Jonez, TV-Serie "Dickinson"). Daß
außerdem durch einen vermeintlich harmlosen Zwischenfall die Fehde zwischen den Brawlers und der rivalisierenden Bikergang der
"Happiness Ghouls" wiederauflebt, kommt Doris durchaus
zupaß ...
Kritik:
Ich
habe dieses Blog vor rund zehn Jahren begonnen, um alle Filme
ausführlich zu besprechen, die ich als eifriger Kinogänger auf der
großen Leinwand gesehen habe – daher logischerweise der Name "Der
Kinogänger". Hundertprozentig korrekt war der noch nie, denn um mein
Blog regelmäßig befüllen zu können, habe ich neben News, TV-Tips,
Berichterstattung rund um die Awards Season und Kinovorschauen auch
gelegentlich über Filme geschrieben, die ich im TV
gesehen habe, darunter etliche Klassikerrezensionen. In
Pandemiezeiten nahmen schließlich Streaming-Filme bei meinen
Kritiken überhand, da ich als vorsichtiger Mensch nur bis zu einer
gewissen Corona-Inzidenzgrenze freiwillig den öffentlichen
Nahverkehr nutze (auf den ich, um zum Kino zu kommen, angewiesen bin).
Was bei "Der Kinogänger" keine große Rolle spielt, sind TV-Serien – obwohl ich seit jeher ein großer Serienfan
bin. Jedoch fand ich es nie wirklich sinnvoll, ganze Serienstaffeln in
einer Kritik abzuhandeln oder alternativ jede einzelne
Episode zu besprechen – daher rezensiere ich Serien fast nur dann,
wenn ich ein mich interessierendes Rezensionsexemplar angeboten
bekomme (z.B. "Poldark"). Die einzige Ausnahme mache ich
für (Mini-)Serien, die mich richtig begeistert haben, aber
größtenteils unbekannt sind und daher mehr Aufmerksamkeit verdient
haben. Bislang war das genau einmal der Fall, nämlich bei der
grandiosen britischen Miniserie "River" mit Stellan
Skarsgård
– jetzt kommt "Reprisal" dazu. Denn die von Josh Corbin
(TV-Serie "Startup") ersonnene Pulp-Serie ist ziemlich
einzigartig und sucht im Seriengeschäft Ihresgleichen, wiewohl aus
dem Filmbereich einige Inspirationsquellen erkennbar sind:
"Reprisal" wirkt wie eine abgefahrene Mischung aus "Drive"
und "Bad Times at the El Royale" mit starken
Tarantino-Einflüssen.
Beim
US-Pay-TV-Sender Hulu floppte diese ungewöhnliche Mischung und wurde
nach einer Staffel abgesetzt, was mich absolut nicht überrascht –
selbst für die Verhältnisse des durchaus mutigen Hulu (zu dessen
Serien u.a. "The Handmaid's Tale", "Dopesick" und
"High Fidelity" zählen) ist "Reprisal" einfach
zu abgedreht, um ein größeres Publikum erreichen zu können, zumal
mit ziemlich mittelmäßigen Kritiken. Aber was soll ich sagen? Ich
habe mich bereits nach wenigen Minuten in dieses so
stylishe wie kompromißlose Pulp-Actionabenteuer verliebt und an
dieser Liebe hat sich in den rund 500 Minuten der einzigen Staffel
nichts geändert! Das
genaue zeitliche Setting von "Reprisal" ist schwer zu identifizieren,
da die Story offensichtlich nicht den Anspruch hat, fest in der
Realität verankert zu sein, sondern alle möglichen Elemente
kombiniert. So dürften die aufgemotzten Oldtimer der Brawlers den 1930er Jahren entstammen, während die rivalisierende Bikergang der
Ghouls eher zur "Easy Rider"-Ära in den 1960er oder 1970er
Jahren paßt, der generelle Look und die Musik aber an die
1950er Jahre erinnern. Dazu gibt es Klapphandys aus der Zeit um die
Jahrtausendwende herum, ein Song aus der "Rocky Horror (Picture)
Show" (1970er Jahre) spielt in der vorletzten Episode eine
wichtige Rolle und Earl und Cordell sind Veteranen eines Krieges, der
mir anhand der genannten Stichworte eher der Zweite Weltkrieg als der
Vietnam-Krieg zu sein scheint. Kurzum: Es ist ein riesengroßer
Mischmasch (allein der Schauplatz sollte relativ eindeutig mit
"irgendwo in den US-Südstaaten" zu benennen sein), der ein
außergewöhnliches, einzigartiges Gesamtbild ergibt und jedenfalls
für mich bemerkenswert gut funktioniert.
"Reprisal"
umfaßt zahlreiche Storystränge, die naturgemäß nicht alle
gleich gut funktionieren. Den größten Raum nehmen Doris'
Vorbereitung ihrer Rache und Ethans Einführung bei den Brawlers ein.
Doris' Geschichte macht viel Spaß, sie erinnert ein wenig an die
Braut in den "Kill Bill"-Filmen und wird von Abigail
Spencer überzeugend verkörpert. Sie bringt die nötige Coolneß für
eine so abgebrühte Femme
fatale-Rolle mit, läßt jedoch auch immer wieder eine gewisse Verletzlichkeit durchschimmern,
die sie für das Publikum trotz ihrer mitleidlosen Rachepläne zu
einer guten Identifikationsfigur macht. Zugegebenermaßen wirkt auf
ihrer (Anti-)Heldinnenreise nicht alles immer ganz glaubwürdig, so ist etwa nur bedingt nachvollziehbar, wie schnell sie die
Loyalität von Earl und Cordell gewinnt. Wenn sich einer der beiden in sie verlieben würde, okay, aber Earl ist ziemlich glücklich verheiratet und Cordell interessiert sich eher für Molly ... Auch deren
Entwicklung von der unterdrückten Hausfrau zum absoluten Badass
strotzt nicht gerade vor Realitätsnähe, ist dafür aber umso
unterhaltsamer und sorgt für einige Krachermomente – und
seien wir ehrlich: Realitätsnähe ist sehr offensichtlich (neben
Subtilität) so ziemlich
das Letzte, was die Serienmacher im Sinn hatten, insofern kann man
ihnen ihr Fehlen wohl kaum ernsthaft vorwerfen. Dennoch wirkt Ethans
Handlungsstrang etwas runder, was allerdings damit zusammenhängt,
daß er deutlich linearer vonstattengeht. Bei Ethan
wird glaubwürdig erklärt, wieso das Leben bei den Brawlers nach
anfänglicher Skepsis einen immer größeren Reiz auf ihn ausübt,
gerade die ihm bislang unbekannte Kameradschaft mit
Matty und Johnson (lässig verkörpert von David
Dastmalchian, dem Spezialisten für denkwürdige Nebenrollen) gefällt
ihm sehr.
Weitere,
kleinere Storyfäden fallen etwas zu kurz aus, um gänzlich
überzeugen zu können, fügen sich insgesamt aber trotzdem gut ins
Gesamtbild ein – das gilt etwa für Burts Tochter Meredith (Madison
Davenport, TV-Serie "From Dusk Till Dawn: The Series"), die gerne aus der kriminellen Welt, in der sie
aufgewachsen ist, ausbrechen will und Ethans Interesse weckt; aber
auch für die Geschichte von Burts sympathischem Stellvertreter Joel (Rodrigo Santoro),
der in dessen Abwesenheit der eigentliche Anführer ist und damit zu
kämpfen hat, das mit der Sorge um seine mit einer ausgesprochen
regen Phantasie gesegneten Tochter Lyla (Scarlett Blum, TV-Serie "The Outsider") zu
verbinden. Burt selbst bleibt relativ lange ein Phantom und
spielt erst in der zweiten Serienhälfte eine größere Rolle. Seine
Motivation für den Verrat an seiner Schwester wirkt ziemlich
klischee- und alibihaft, Rory Cochrane verkörpert ihn
jedoch geheimnisvoll und charismatisch genug, um als Antagonist gut zu
funktionieren, wobei etliche kurze Rückblenden dem Publikum ein immer genaueres Bild
dessen liefern, was seinerzeit genau vorgefallen ist.
Generell zählt die Besetzung zu den vielen Stärken von "Reprisal",
auch kleinere Rollen gefallen
mit so prominenten und prägnanten Schauspielern wie Ron "Hellboy" Perlman
(als Gangsterboß mit Verbindung zu Doris' Ehemann) oder
dem "Orange is the New Black"-Star Lea DeLaria (als Teil von
Burts Führungsriege). Negativ fallen ein paar Längen im Mittelteil ins Gewicht, alles in allem bleibt das Erzähltempo aber stets hoch genug. "Reprisal"
war nicht von vornherein als Miniserie geplant, funktioniert als
solche aber durchaus. Es bleiben einige offene Enden, aber
die Hauptstory um Doris' Rache wird weitestgehend abgeschlossen. Zwar
wäre es zweifellos sehr interessant zu erfahren, wie es mit
den überlebenden Figuren weitergeht, doch auch so kann man
"Reprisal" ein hinreichend rundes Ende attestieren.
Fazit:
"Reprisal" ist
eine ebenso kurzlebige wie einzigartige TV-Serie in der Art von "Kill
Bill" und "Drive", die
eine actionreiche und äußerst stilvolle, obgleich wenig subtile
Rachegeschichte erzählt.
Wertung:
9 Punkte.
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