Regie: Antonia Bird, Drehbuch: Ted Griffin, Musik: Michael
Nyman und Damon Albarn
Darsteller:
Guy Pearce, Robert Carlyle, Jeffrey Jones, Neal McDonough, Jeremy Davies, David
Arquette, Sheila Tousey, Stephen Spinella, John Spencer, Joseph Runningfox, Bill
Brochtrup, David Heyman
FSK: 18, Dauer: 101 Minuten.
Nachdem im mexikanisch-amerikanischen Krieg Mitte des 19.
Jahrhunderts der US-Lieutenant John Boyd (Guy Pearce, "Iron Man 3") eher zufällig zum Helden
wurde – er selbst sagt, er habe seinen Orden für Feigheit erhalten –, wird er
von General Clauson (John Spencer, TV-Serie "The West Wing") widerwillig zum Captain befördert und gleich zu einem abgelegenen Außenposten in der Sierra Nevada versetzt.
Das Fort ist nicht gerade ein Ausbund an Professionalität, denn
neben dem freundlichen Kommandanten Colonel Hart (Jeffrey Jones, "Sleepy Hollow") zählen zur
dünnen Besetzung der versoffene Arzt Knox (Stephen Spinella, "Can You Ever Forgive Me?"), der Kiffer
Cleaves (David Arquette, "Scream"), der ehrgeizige Reich (Neal McDonough, "Captain America"), der religiöse Eiferer Toffler (Jeremy Davies, "Der Soldat James Ryan") und das indianische Geschwisterpaar
George (Joseph Runningfox, "Savaged") und Martha (Sheila Tousey, "Lord of Illusions"). Normalerweise gibt es
für die Fort-Besetzung wenig anderes zu tun als sich zu langweilen, doch nur kurz
nach Boyds Ankunft taucht ein halb verhungerter Mann namens Colqhoun (Robert
Carlyle, "28 Weeks Later") auf. Er berichtet, daß seine sechsköpfige Siedlergruppe von ihrem
Führer Colonel Ives auf einer "Abkürzung" in die Irre geführt wurde
und letztlich nach dem Wintereinbruch mitten im Gebirge in einer Höhle Zuflucht
suchen mußte – um kurz vor dem Verhungern zu Kannibalen zu werden! Colonel Hart
beschließt, sich mit Boyd, Colqhoun, Reich, Toffler und Scout George auf die
Suche nach möglichen Überlebenden zu machen, obwohl George eindringlich vor der
indianischen Legende vom "Wendigo" warnt, einem Dämon, der durch den
Verzehr von Menschenfleisch immer mächtiger wird …
Kritik:
Obwohl der Western jahrzehntelang eines der am häufigsten
bespielten Genres in Hollywood war und auch im 21. Jahrhundert noch regelmäßig
interessante neue Filme hervorbringt, gibt es erstaunlich wenige Western, die
eine deutliche Horror-Komponente beinhalten. Außer S. Craig Zahlers
Kannibalen-Film "Bone Tomahawk" (2015) gibt es kaum gelungene Beispiele dafür; wenn man das Genre etwas großzügiger definiert,
kann man vielleicht noch die beiden Vampir-Western "Near Dark" (1987)
von Kathryn Bigelow und "John Carpenters Vampire" aus dem Jahr 1998 dazuzählen.
Ein Horror-Western, der mir bislang noch nicht bekannt war – unter anderem
deswegen, weil er in Deutschland bis 2012 indiziert war und auch deshalb nie im deutschen Free-TV lief – ist "Ravenous – Friß oder stirb" der
2013 verstorbenen britischen Regisseurin Antonia Bird ("Der
Priester"). Die Produktion von "Ravenous" verlief ziemlich
holprig: Das Skript von Drehbuch-Debütant Ted Griffin ("Ocean's
Eleven") wurde während der Dreharbeiten immer wieder umgeschrieben, der
ursprüngliche Regisseur Milcho Machevski ("Vor dem Regen") nach
wenigen Wochen gefeuert und sein vorgesehener Ersatz Raja
Gosnell ("Ungeküßt") fand nicht die Zustimmung des Casts, weshalb man
sich auf Vorschlag von Hauptdarsteller Robert Carlyle auf Antonia Bird einigte.
Als der Film schließlich das Licht der Öffentlichkeit
erblickte, fielen die Kritiken mittelmäßig aus und das Publikum blieb den
wenigen Kinos, die "Ravenous" spielten, weitgehend fern. Trotzdem hat
"Ravenous" sich im Lauf der Jahre einen gewissen Kultstatus
erarbeitet, der sicherlich mit der ungewöhnlichen Thematik und der guten
Besetzung zu tun hat, aber auch mit den ziemlich schonungslosen Gewaltszenen
und dem schwarzen Humor. Die Kombination dieser Elemente macht
"Ravenous" in der Tat ziemlich einzigartig, angesichts einiger
inaltlicher und stilistischer Probleme konnte mich der Film trotzdem nicht auf ganzer Linie
überzeugen.
Die größte Schwäche von "Ravenous" ist, daß er
nicht wie aus einem Guß wirkt, sondern recht abrupt Stil und
Tonfall wechselt. Das hängt sicherlich mit den erwähnten Überarbeitungen des
Drehbuches zusammen, liegt aber ebenso in einer offensichtlich gewollten
Zweiteilung der lose von wahren Ereignissen inspirierten Geschichte
begründet. Die erste Hälfte von "Ravenous" ist wenig originell, aber
spannend und unterhaltsam inszeniert. Als es bereits nach weniger als einer
Stunde zu einer Konfrontation kommt, die man eigentlich als Showdown erwartet
hätte, stellt sich die Frage, was eigentlich in der zweiten Filmhälfte noch geschehen soll. Konkret kann ich das ohne massive Spoiler nicht beantworten und weil
sich die Handlung erstaunlich unvorsehbar entwickelt und einige
gelungene Überraschungen bereithält, will ich niemandem die Freude
verderben, das selbst zu erfahren. Erwähnen kann und muß ich aber, daß beide
Hälften nicht so recht zusammenpassen wollen. Nimmt "Ravenous" im
ersten Teil sich und seine Geschichte noch sehr ernst – abgesehen von den mehr
oder weniger skurillen Figuren –, nehmen in der zweiten Hälfte die
schwarzhumorigen Elemente immer mehr überhand. Dagegen ist grundsätzlich
nichts einzuwenden, aber es gelingt kein flüssiger, harmonischer
Übergang, sondern wirkt beinahe so, als würden wir zwei kurze Filme
nacheinander sehen. Ist der erste ein ziemlich klassisch anmutender (wenn auch
ungewöhnlich splattriger) Horror- und Survival-Western á la "Bone
Tomahawk" oder "The Revenant", kommt der zweite eher als
Mischung aus Psycho-Thriller und schwarzer Komödie daher und hat mich
phasenweise gar an Mary Harrons "American Psycho"-Adaption erinnert.
Doch obwohl diese zweite Hälfte so unvorhersehbar und
wesentlich einfallsreicher als die erste ist, funktioniert sie in meinen Augen
deutlich schlechter. Die (bis hierhin überlebenden) Figuren vollführen teils innerhalb kurzer Zeit so krasse Verhaltensänderungen, daß die
Glaubwürdigkeit darunter stark leidet. Generell entwickelt sich die Handlung –
schwarzer Humor hin oder her – arg abstrus und teilweise unlogisch (ich glaube
beispielsweise nicht, daß die Sache mit der Bärenfalle so funktionieren kann)
und speziell die Wendigo-Legende ist für meine Begriffe wenig überzeugend
integriert. Auch die häufig vor Ironie und Zynismus triefenden Dialoge sind
meines Erachtens ein wenig übertrieben und langweilen auf Dauer eher. Das
ist umso bedauerlicher, als "Ravenous" ansonsten etliche Pluspunkte
verbuchen kann. So hat man eine namhafte und
talentierte Besetzung versammelt, aus der vor allem der entfesselt aufspielende Robert Carlyle hervorsticht, aber auch Guy Pearce als Antiheld sowie
Jeffrey Jones oder Neal McDonough stark aufspielen. Sogar noch
besser ist die musikalische Untermalung des Films geraten, bei der ein echter
Coup gelang: Gemeinsam mit dem bereits damals erfahrenen Michael Nyman
("Das Piano") zeichnet nämlich der visionäre britische Blur- und
Gorillaz-Mastermind Damon Albarn für die Musik verantwortlich. Und die kann
sich wahrlich hören lassen, denn Nyman und Albarn entfesseln einen
abwechslungsreichen, adrenalingetriebenen und jederzeit hörenswerten Score, der
die Stimmung der Handlung kongenial musikalisch umsetzt. Schade, daß der Film
selbst da qualitativ nicht mithalten kann. Trotzdem: Für Genrefans definitiv einen Blick wert.
Fazit: "Ravenous – Friß oder stirb" ist ein
ungewöhnlicher Kannibalen-Western, der mit einigen Überraschungen, einem guten Cast und einem tollen Soundtrack aufwartet, aber mit seiner deutlichen
Zweiteilung inhaltlich nicht ganz rund ist und in der zweiten Hälfte etwas zu sehr
ins Abstruse abdriftet.
Wertung: 6,5 Punkte.
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