Donnerstag, 23. Januar 2020

LE MANS 66 – GEGEN JEDE CHANCE (2019)

Originaltitel: Ford v Ferrari
Regie: James Mangold, Drehbuch: Jez und John-Henry Butterworth, Jason Keller, Musik: Buck Sanders und Marco Beltrami
Darsteller: Christian Bale, Matt Damon, Caitriona Balfe, Tracy Letts, Jon Bernthal, Josh Lucas, Noah Jupe, Ray McKinnon, Remo Girone, JJ Field, Jack McMullen, Corrado Invernizzi, Ben Collins, Benjamin Rigby, Francesco Bauco, Rudolf Martin, Wallace Langham, Brad Beyer, Jonathan LaPaglia, Stefania Spampinato, Brea Bee
 Le Mans 66: Gegen jede Chance
(2019) on IMDb Rotten Tomatoes: 92% (7,8); weltweites Einspielergebnis: $225,5 Mio.
FSK: 12, Dauer: 153 Minuten.

Mitte der 1960er Jahre kriselt die US-amerikanische Automarke Ford, weshalb der Firmenchef Henry Ford II. (Tracy Letts, "Die Verlegerin") nach einem neuen Erfolgsrezept sucht. Auf den Vorschlag seines Marketingchefs Lee Iacocca (Jon Bernthal, "Baby Driver"), sich stärker im Renngeschäft zu engagieren und vor allem Seriensieger Ferrari beim legendären 24-Stunden-Rennen von Le Mans herauszufordern, reagiert er zunächst mit Skepsis – doch in Folge einer beispiellosen Provokation durch Ferrari-Eigner Enzo Ferrari (Remo Girone, "Heaven") will Ford süße Rache und gibt deshalb Iacocca weitgehend freie Hand. Dieser überredet zunächst den früheren Le Mans-Sieger Carroll Shelby (Matt Damon, "Der Marsianer") zur Zusammenarbeit, der aus gesundheitlichen Gründen keine Rennen mehr fahren kann und stattdessen eine kleine Autofirma gründete, deren Wägen auch an Autorennen teilnehmen. Zur Unterstützung bei der Entwicklung eines komplett neuen Rennwagens in kürzester Zeit heuert Shelby seinen Freund Ken Miles (Christian Bale, "American Hustle") an, einen im Herbst seiner Karriere stehenden britischen Rennfahrer mit hitzigem Temperament, aber unvergleichlichem Gespür für die Autos, die er fährt. Shelby und sein Team kommen trotz Rückschlägen recht gut voran, doch dann will der bei Ford für die Rennsport-Sparte zuständige Leo Beebe (Josh Lucas, "Poseidon") aufgrund persönlicher Animositäten Miles als Fahrer bei den Rennen ausbooten …

Kritik:
Filme über Autorennen sind ein Sportfilm-Subgenre, das von Hollywood seit jeher sehr spärlich bedient wird. Die Anzahl der wirklich guten wie auch kommerziell erfolgreichen Rennfahrerfilme ist sogar noch erheblich niedriger – einen kurzen Abriß darüber kann man zu Beginn meiner Rezension zu Ron Howards "Rush" aus dem Jahr 2013 nachlesen (der zwar richtig gut ist, aber an den Kinokassen leider nur überschaubar erfolgreich war und auch von den OSCARs ignoriert wurde). Mit dem für vier Academy Awards nominierten "Le Mans 66 – Gegen jede Chance" von "Logan"-Regisseur James Mangold gibt es nun einen weiteren Rennfilm-Vertreter, der in einer ähnlichen Zeit wie "Rush" spielt und sich ebenfalls auf ein schlagzeilenträchtiges Rennsport-Duell fokussiert – nur, daß es hier nicht um die Formel 1 geht, sondern um das legendäre 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Und das Duell wird nicht von zwei Rennfahrern ausgetragen, sondern von den ehrgeizigen Chefs zweier Automarken. Dabei stehen die jedoch gar nicht im Zentrum von "Le Mans 66", der sich vielmehr in erster Linie um die wechselhafte, aber intensive Freundschaft zwischen dem alleinstehenden Ex-Rennfahrer Carroll Shelby und dem notorisch aufbrausenden verheirateten Rennfahrer Ken Miles kümmert, die gemeinsam die herkulische Aufgabe auf sich nehmen, innerhalb kürzester Zeit und von Null beginnend einen zuverlässigen Weltklasse-Rennwagen zu entwickeln. Diese aussichtslos erscheinende Mission sorgt für viel Spannung (sofern man nicht weiß, wie es in der Realität ausging) und Unterhaltung, doch zu einem besonderen Film macht "Le Mans 66" die Beziehung zwischen den von zwei exzellenten Schauspielern auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft verkörperten Shelby und Miles.

Trotzdem diese Freundschaft das Herz von "Le Mans 66" bildet, möchte ich zunächst auf die Rahmenhandlung um das Duell Ford versus Ferrari (so auch der englischsprachige Originaltitel) eingehen. Die gestaltet sich nämlich interessanter, als man zunächst glauben möchte. Anfangs wirkt es so, als handele es sich bei "Le Mans 66" um eine eher einfallslose hurra-patriotische Aufteilung in die arroganten Italiener rund um Ferrari-Patriarch Enzo Ferrari und die heroischen, strebsamen US-Außenseiter aus dem Team von Henry Ford II. – zwar gibt es stets ein paar Elemente, die diesem Eindruck zuwiderlaufen (primär die aus gekränkter Eitelkeit gespeiste Fehde zwischen Miles und Leo Beebe), doch muten die lange so nebensächlich an, daß man sie als reines Alibi abzutun geneigt ist. In der fast schon subversiv anmutenden letzten halben Stunde ist das allerdings nicht mehr möglich, da zeigt sich, daß es abseits einzelner Personen unmöglich ist, eine generelle Gut-und-Böse-Zweiteilung vorzunehmen, denn dazu wird die Ford-Führungsriege zu ambivalent dargestellt. Das erfreut patriotismusaverse Zuschauer wie mich, wirft allerdings eine sehr interessante Frage auf: Was genau wollen uns die Drehbuch-Autoren Jez und John-Henry Butterworth ("Edge of Tomorrow") und Jason Keller ("Spieglein Spieglein") sagen, welche Botschaft vermitteln? Geht es ihnen um den ewigen Konflikt zwischen rein auf den Kommerz bedachten Wirtschaftsleuten und den Fachleuten in der Materie, die von den Geldgebern teuer bezahlt werden, nur damit dann doch nicht (komplett) auf sie gehört wird, wenn es darauf ankommt? Das ergäbe absolut Sinn und würde dem Film bei einer leichten Ausweitung auf die Politik gar eine zeitlose Allgemeingültigkeit verleihen, denn beispielsweise in Sachen Klimawandel, aber auch bei Themen wie der Rentenpolitik läuft es meist nicht viel anders. Oder handelt es sich konkreter um eine Kritik an der US-Autobranche, die bekanntlich nach langer Dominanz etwa ab Ende des 20. Jahrhunderts in eine tiefe Krise geriet, sicher nicht zuletzt wegen zu kurzsichtiger und profitorientierter Entscheidungsträger? Oder haben die Autoren das Drehbuch einfach deshalb so entwickelt, weil es dramaturgisch am sinnvollsten erschien? Eine klare Antwort darauf kann ich nicht geben, daß man über einen Motorsportfilm so ausgiebig diskutieren und Interpretation überdenken kann, gefällt mir aber definitiv sehr gut!

Doch wie gesagt: Eigentlich geht es ja in erster Linie um das dynamische Duo Ken Miles und Carroll Shelby. Deren Beziehung ist von Höhen und Tiefen geprägt, was kaum verwundert, wenn man sieht, welch unterschiedliche Charaktere sie sind. Nicht zu übersehen ist jedoch, daß sie eine tiefe grundsätzliche Sympathie füreinander empfinden, die sie selbst nach der heftigsten Streiterei früher oder später doch wieder zueinander finden läßt – zumal beide Meister ihres Fachs sind. Mit Matt Damon und Christian Bale hat Regisseur Mangold natürlich zwei denkbar geeignete Darsteller gefunden, die mit ihrem häufig bewiesenen Können und ihrem enormen Charisma selbst viel schlechtere Filme im Alleingang sehenswert machen können. Aus einem so guten Material, wie es ihnen "Le Mans 66" liefert, holen sie logischerweise noch viel mehr heraus. Sowohl ihre von Rückschlägen geprägte Zusammenarbeit am neuen Ford-Rennwagen, der den haushohen Favoriten Ferrari besiegen soll, bereitet dem Publikum viel Spaß als auch ihre erfeulich humorvoll geschilderte private Beziehung. Bale hat es insgesamt jedoch etwas besser getroffen, denn während Damon als Shelby fast nur zusammen mit Miles oder seinen Ford-Vorgesetzten zu sehen ist (im Rennen selbst dann jedoch mit ein paar eigentlich unfairen Schummeleien auffällt, die man ihm ob seines schlitzohrigen Charmes aber kaum übelnehmen kann), bringt "Le Mans 66" uns bei Miles auch sein Familienleben nahe. Der "Outlander"-Star Caitriona Balfe ist als Miles' bewundernswert verständnisvolle Gattin Mollie zugegebenermaßen in einer ziemlich klassischen und limitierten Ehefrauen-Nebenrolle gefangen, verkörpert diese aber ungemein sympathisch und glaubwürdig – und in einer herrlichen Szene (mit Ken im Auto) darf sie richtig glänzen. Eine noch wichtigere Stellung im Film nimmt Kens Sohn Peter (Noah Jupe, "Honey Boy") ein, der als rennsportbegeisterter Außenseiter Stellvertreter des Publikums ist und es geschickt inhaltlich rechtfertigt, daß Ken rennsportspezifische Dinge in einfachen Worten erläutert, die auch ein Laie, der nur wenig über Autos weiß, nachvollziehen kann. Die gesamte Handlung von "Le Mans 66" ist einfach erstklassig konstruiert, weshalb der Film trotz seiner Dauer von zweieinhalb Stunden keinerlei Längen aufweist. Nicht ganz unwichtig sind bei einem Rennfilm selbstredend die Rennszenen und die gehören zum Besten, was das Genre hervorgebracht hat. Mit schnellen (ebenso wie der Tonschnitt OSCAR-gekrönten) Schnitten und einer dynamischen Kamerarbeit von Phedon Papamichael ("The Huntsman & The Ice Queen") – die mit kurzen Abstechern in Miles' Ich-Perspektive die Immersion sehr effektiv verstärkt – entwickelt "Le Mans 66" ein unglaubliches Tempogefühl, sodaß man gut mit dem armen Henry Ford mitfühlen kann, als der von Shelby zu einer Testfahrt mitgenommen wird (nicht zuletzt dank Tracy Letts' Darstellungskunst als Ford eine wunderbare Szene). Für Rennsport-Fans ist "Le Mans 66" also absolut eine Empfehlung wert, doch auch Zuschauer wie ich, die sonst eher wenig mit Autorennen anfangen können, werden von Mangolds Film vortrefflich unterhalten.

Fazit: "Le Mans 66 – Gegen jede Chance" ist ein mitreißender, trotz ausufernder Länge sehr temporeicher Rennfilm, dessen wahre Stärke jedoch in der einfühlsam geschilderten und von Christian Bale und Matt Damon erstklassig gespielten Freundschaft der Hauptfiguren liegt.

Wertung: 8,5 Punkte.


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