Donnerstag, 12. Dezember 2019

TRAUMFABRIK (2019)

Regie: Martin Schreier, Drehbuch: Arend Remmers, Musik: Philipp Noll
Darsteller: Dennis Mojen, Emilia Schüle, Ken Duken, Michael Gwisdek, Heiner Lauterbach, Nikolai Kinski, Anatole Taubman, Wilfried Hochholdinger, Ellenie Salvo González, Ilona Schulz, Svenja Jung, Milton Welsh, Lenn Kudrjawizki, Yevgeni Sitokhin, Lea Faßbender, Uwe Rohde, Lilian Mazbouh, Thomas Heinze, Oliver Korittke
 Traumfabrik (2019) on IMDb Rotten Tomatoes: -; weltweites Einspielergebnis: $0,9 Mio.
FSK: 6, Dauer: 128 Minuten.

Im August 1961 kommt der junge Emil Hellwerk (Dennis Mojen, TV-Miniserie "Morgen hör ich auf"), nachdem er seinen Dienst bei der Nationalen Volksarmee geleistet hat, in die Filmstudios Babelberg, wo ihm sein dort als Kulissenbauer tätiger älterer Bruder Alex (Ken Duken, "Zwei Leben") Arbeit besorgt hat. Eigentlich hält Emil wenig von der Scheinwelt des Films, doch als er die attraktive französische Hauptdarstellerin eines im Dreh befindlichen Piratenabenteuers erblickt, verliebt er sich sofort in sie – nur, daß es sich nicht um die berühmte Beatrice Morée (Ellenie Salvo González, "Wie Männer über Frauen reden") handelt, sondern um ihr Tanzdouble Milou (Emilia Schüle, "Jugend ohne Gott")! Das sorgt für Verwirrung und da sich Emil generell recht tollpatschig am Set anstellt (wo er als Komparse mitwirken soll), wird er vom grantigen Generaldirektor Beck (Heiner Lauterbach, "Wir sind die Neuen") kurzerhand gefeuert. Das hält Emil nicht davon ab, weiterhin um Milou zu werben, die selbst nicht abgeneigt ist – doch dann beginnt der Mauerbau und die innerdeutsche Grenze wird abgeriegelt, während Milou und die übrigen Schauspieler in ihrem Hotel in West-Berlin sind! Da der Film somit gestrichen ist, sieht Emil nur eine Chance, Milou wiederzusehen: Er schleicht sich unter dem falschen Namen Karl Boborkmann als vermeintlicher Produktionsleiter in die Babelsberger Studios ein und will die eitle Beatrice (und damit auch Milou) mit einem von ihm selbst geschriebenen und inszenierten Cleopatra-Film nach Ost-Berlin zurücklocken …

Kritik:
In Hollywood gibt es zahllose Filme (und einige TV-Serien), die hinter die Kulissen der Kino- und Theaterbranche blicken – manche kritisch oder sogar zynisch, vor allem in der "Goldenen Ära" Hollywoods in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts jedoch oft hymnisch bis verklärend oder einfach nostalgisch. In Deutschland gibt es zwar mit dem Studio Babelsberg in der Nähe von Berlin das älteste Großatelier-Filmstudio der Welt, das war für die Geschichtenerzähler in Film und Fernsehen aber sehr selten ein Thema. Dem schafft der erst 39 Jahre alte Regisseur Martin Schreier ("Unsere Zeit ist jetzt") in seinem beachtliche acht Millionen Euro teuren dritten Langfilm – der ersten Babelsberg-Eigenproduktion seit mehr als zwei Jahrzehnten – Abhilfe, denn "Traumfabrik" ist gleich in doppelter Hinsicht ein Liebesfilm. Einmal im offensichtlichen Sinne, da im Zentrum die komplizierte, aber ziemlich epische Liebesgeschichte zwischen Emil und Milou steht; zudem ist "Traumfabrik" aber auch eine Liebeserklärung an die Welt des Films im Allgemeinen und die Babelsberger Studios im Speziellen (was damit zusammenhängt, daß eigene Babelsberg-Erlebnisse von Produzent Tom Zickler eine Inspirationsquelle waren). Daß Schreier und sein Team im Bemühen, ein nostalgisches Kinomärchen in bunten Pastelltönen zu erzählen, bewußt auf nennenswerte Realitätsnähe verzichten, stieß bei einigen Kritikern und auch Zuschauern nicht unbedingt auf Gegenliebe. Aber ich finde es albern, einen Film dafür zu kritisieren, daß er etwas nicht ist, was er niemals sein wollte oder zu sein versprach – und als sympathisch-verklärte Liebeskomödie funktioniert "Traumfabrik" meines Erachtens einwandfrei.
Ich gebe zu, daß ich phasenweise sogar regelrecht begeistert war von dem, was Schreier dem Publikum hier auftischt, aber zugegebenerweise hatte ich schon immer ein Faible für diese Art von Wohlfühl-Kinomärchen. Speziell die erste Hälfte des zweistündigen Werks hat mir sehr viel Freude bereitet, ehe in der zweiten Hälfte sich ein paar Schwächen und fragwürdige Drehbuch-Entscheidungen negativ bemerkbar machen. Die Liebe zum Kino merkt man den Filmemachern jedenfalls schon in der einleitenden Sequenz deutlich an, in der Emil in Babelsberg ankommt und auf dem Weg zu seinem Bruder mit großen Augen die einzelnen Filmsets und die munter durcheinanderwuselnden Piraten, Soldaten und sonstig kostümierten Darsteller passiert. Auch wenn man – wie Emil – normalerweise nicht so viel mit Filmen anfangen kann: Diese Sequenz vermittelt die Magie der Welt des Films und die Faszination, die von ihr ausgeht, einwandfrei und findet mit Emils erstem Blickkontakt zu Milou ein passendes Ende. Zugegeben, danach geht es für Emil nicht ganz so idyllisch weiter, aber seine chaplinesken Mißgeschicke sorgen mit exzellentem Timing und einigen herrlichen Slapstick-Momenten für reichlich Amusement. Daran ändert sich auch im zweiten Akt nichts, als der vom relativen Newcomer Dennis Mojen sympathisch unbedarft und begeisterungsfähig verkörperte Emil – unter dem herrlich albernen "Künstlernamen" Karl Boborkmann – mit der Hilfe seines beneidenswert großmütigen Bruders (sehr sympathisch gespielt von Ken Duken) und einiger weiterer enthusiastischer "Komplizen" den "Cleopatra"-Dreh vorbereitet.
Die Verrenkungen, um aus dem Blickfeld des Generaldirektors Beck und seines Kompagnons Prager (Wilfried Hochholdinger, "Inglourious Basterds") zu bleiben und, sobald das irgendwann katastrophal mißlingt, trotzdem irgendwie im Spiel zu bleiben, machen viel Spaß, was neben einem spielfreudigen Ensemble mit schön schrulligen Nebenfiguren wie den beiden trinkfesten sowjetischen Komparsen Juri und Lew auch an amüsanten Dialogen liegt. Nur ein Beispiel: Als der langjährige Kameraassistent Helmut (Manfred Möck, "Werk ohne Autor") von Emil zum Kameramann ernannt wird, wendet dieser ein: "Aber ich bin farbenblind." – "Welche Farben?" – "Na, rot und grün." – "Kein Problem, unser Film spielt in der Wüste, da ist eh' alles gelb." Bedauerlicherweise halten sich Schreier und das Drehbuch von Arend Remmers in der zweiten Filmhälfte dann aber etwas zu sehr an die dramaturgischen Konventionen. Anders gesagt: Sie bauen noch ein paar zusätzliche Schwierigkeiten für Emil und Milou ein, von denen Milous frischgebackener Verlobter – der schnöselige Hauptdarsteller Omar (Nikolai Kinski, "Yves Saint Laurent") – noch die geringste ist. Vielmehr wird versucht, die graue DDR-Realität einzubinden, was aber so halbherzig wirkt, daß man es lieber ganz hätte weglassen sollen. Realistisch ist "Traumfabrik" sowieso nicht und will es gar nicht sein; dafür gibt es sogar eine erzählerische Rechtfertigung, denn die Geschichte von Emil und Milou wird in einer Rahmenhandlung von einem Großvater (Michael Gwisdek, "Good Bye, Lenin!") seinem kleinen Enkel erzählt, der sich selbst gerade zum ersten Mal in ein Mädchen verguckt hat – dadurch, daß die Kernhandlung des Films klar als eine subjektive und potentiell ausgeschmückte oder verklärte Geschichte gekennzeichnet wird, ist der Mangel an Glaubwürdigkeit – etwa beim erstaunlich reibungslosen Ablauf der Dreharbeiten unter der Leitung des komplett unerfahrenen Emil – eigentlich kein Problem. 
Genau deshalb sind die halbherzigen kurzen Ausflüge in den Unrechtsstaat DDR überflüssig bis kontraproduktiv. Zum Glück hält sich Schreier damit nicht lange auf, aber generell ist die zweite Filmhälfte etwas ernster gehalten als die erste und verliert damit ein wenig von dem bis dahin so hohen Unterhaltungswert und der Spritzigkeit. Daß es trotzdem nie langweilig wird, dafür sorgen auch einige gelungene Gastauftritte bekannter Namen wie Thomas Heinze (als erfahrener Regisseur, der die Dreharbeiten übernehmen soll, sobald Emil gescheitert ist), Oliver Korittke (als kauziger Pförtner) oder Anatole Taubman (als hohes SED-Tier). Doch Kern des Films bleiben die Ode an das Filmemachen und natürlich die Romanze zwischen Emil und der von Emilia Schüle gewohnt bezaubernd interpretierten, von der Branche allerdings bereits etwas desillusionierten Milou, die gut miteinander harmonieren. Es ist bedauerlich, daß das deutsche Kinopublikum eher einen Bogen um "Traumfabrik" gemacht hat (es reichte nur zu gut 120.000 Zuschauern), denn aus dem sonstigen deutschen Filmalltag sticht Martin Schreiers Film klar hervor – meiner Meinung nach eindeutig positiv.

Fazit: "Traumfabrik" ist eine sehr sympathische, stark besetzte deutsche Feelgood-Komödie, die eine übergroße, episch aufgezogene Liebesgeschichte mit einer nostalgischen Hymne an das Kino verbindet und dabei gepflegt auf nennenswerte Realitätsnähe pfeift. Nichts für Zyniker!

Wertung: 8 Punkte.


"Traumfabrik" erschien am 12. Dezember 2019 von EuroVideo Medien auf DVD und Blu-ray. Das Bonusmaterial umfaßt einige kurze Featurettes und Interviews sowie gut zehn Minuten "Deleted Scenes". Ein Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Entertainment Kombinat zur Verfügung gestellt.

Screenshots: © EuroVideo Medien

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