Donnerstag, 1. August 2019

ROCKETMAN (2019)

Regie: Dexter Fletcher, Drehbuch: Lee Hall, Musik: Matthew Margeson
Darsteller: Taron Egerton, Jamie Bell, Bryce Dallas Howard, Richard Madden, Gemma Jones, Steven Mackintosh, Tom Bennett, Charlie Rowe, Stephen Graham, Tate Donovan, Kit Connor, Matthew Illesley, Rachel Muldoon, Celinde Schoenmaker, Harriet Walter, Jimmy Vee, Ophelia Lovibond
Rocketman
(2019) on IMDb Rotten Tomatoes: 89% (7,6); weltweites Einspielergebnis: $195,3 Mio.
FSK: 12, Dauer: 121 Minuten.

Der kleine, etwas rundliche Reginald Dwight wächst in den 1950er Jahren mit einem lieblosen Vater (Steven Mackintosh, "Underworld: Evolution") und seiner egozentrischen Mutter Sheila (Bryce Dallas Howard, "Jurassic World") nicht allzu behütet auf, doch zumindest hat er seine Gromußtter Ivy (Gemma Jones, "In guten Händen"), die ihn immer unterstützt und zudem sein musikalisches Talent fördert. Als junger Erwachsener (Taron Egerton, "Kingsman") ist Reggie daher bereits ein begnadeter Pianist und Sänger, der bei einem kleinen Auftritt mit seiner Band vom jungen Musikproduzenten Ray Williams (Charlie Rowe, "Radio Rock Revolution") entdeckt wird. Ray macht Reggie mit dem ebenfalls noch unbekannten Songtexter Bernie Taupin (Jamie Bell, "Snowpiercer") bekannt, woraufhin beide enge Freunde werden, Hits wie "Goodbye Yellow Brick Road" oder "Bennie and the Jets" erschaffen und von Rays Boß Dick James (Stephen Graham, "Dame, König, As, Spion") einen lukrativen Plattenvertrag bekommen – wofür Reggie seinen Namen in Elton John ändert. Das Debüt-Album wird ein Hit und nach dem ersten Auftritt in den USA avanciert Elton zum Weltstar – doch dann verliebt er sich in den Musikmanager John Reid (Richard Madden, "Cinderella"), den er bald zu seinem persönlichen Manager macht. Leider hat Reid aber keinen guten Einfluß auf Elton, der sich vor seiner Einsamkeit zunehmend in Drogen flüchtet …

Kritik:
Der britische Regisseur Dexter Fletcher könnte sich innerhalb kürzester Zeit zum Meister des Musiker-Biopics aufschwingen, denn nur Monate nach dem Queen-Film "Bohemian Rhapsody" bringt er mit "Rocketman" gleich das nächste dergestaltige Werk in die Kinos – und beide übertreffen die kommerziellen Erwartungen. Zugegeben, als "Bohemian Rhapsody"-Regisseur fungiert offiziell Bryan Singer, aber Fletcher löste ihn während der Dreharbeiten ab und durfte letztlich den Großteil der öffentlichen Anerkennung für den zwar von den Kritikern gemischt aufgenommenen, dafür OSCAR-prämierten und extrem erfolgreichen Film einstreichen. Sein Elton John-Biopic "Rocketman" reicht zwar nicht an den überwältigenden kommerziellen Erfolg von "Bohemian Rhapsody" heran, ist aber ebenfalls ein Hit, der noch deutlich stärker Fletchers Handschrift trägt und anspruchsvoller und künstlerischer wirkt als die (auf Betreiben der noch lebenden Bandmitglieder) allzu konventionell und massentauglich gestaltete Queen-Huldigung. Aus diesem Grund ist "Rocketman" nicht nur meiner Ansicht nach der bessere Film dieses Duos – und das sage ich als riesiger Queen-Fan. Elton Johns Musik mag ich und einige seiner Songs sind zweifellos Meisterwerke, doch an Queen kam er für mich nie heran. Trotzdem ist "Rocketman" eindeutig der ehrlichere, kunstvollere und mutigere Film.

Die Lebenswege von Queen-Sänger Freddie Mercury und von Elton John sind sich dabei nicht so unähnlich: Beide hatten in der Kindheit mit Diskriminierungen u.a. aufgrund ihres Aussehens zu kämpfen, beide fanden für ihren Berufswunsch kaum Unterstützung in der Familie, beide schafften dennoch in jungen Jahren den Durchbruch zum Weltstar, beide stürzten irgendwann gewaltig ab, was auch mit ihrer lange vor der Öffentlichkeit geheimgehaltenen Homosexualität zusammenhing und zu selbstzerstörerischen Drogenexzessen führte. Leider führen all diese Parallelen ziemlich unweigerlich dazu, daß sich auch beide Filme strukturell ziemlich ähneln. Natürlich sind manche Elemente bei dem einen stärker ausgeprägt als beim anderen – so war Eltons Kindheit weit liebloser als Freddies, der sich dafür später sexuell viel stärker auslebte als der auf der Bühne zwar extrovertierte, im Wesenskern aber eher schüchterne Elton –, aber um ein paar Déjà-vu-Momente kommt man kaum herum. Ein entscheidender Unterschied ist hingegen, daß "Rocketman" im Gegensatz zu "Bohemian Rhapsody" nicht einfach "nur" ein klassisches Biopic über einen Musiker (und seine Band) ist, sondern ein Biopic mit Musical-Anteilen. Sprich: Es kommt immer wieder vor, daß die Protagonisten plötzlich anfangen zu singen und auf diese Weise ihre Gefühle ausdrücken. Musical-Hassern – sowas soll's ja geben … – wird das eher nicht gefallen, für mich gehören diese Momente zu den besten im Film. Sie sind schön choreographiert, verleihen speziell Elton mehr charakterliche Tiefe und außerdem kommen wir so in den Genuß, Schauspieler wie Bryce Dallas Howard oder Jamie Bell singen zu hören – nur ein paar Zeilen, aber immerhin. Den Löwenanteil der Musiksequenzen stemmt natürlich Taron Egerton, der für seine leidenschaftliche Interpretation von Elton John in einer gerechten Welt ebenso wie Freddie Mercury-Darsteller Rami Malek einen OSCAR gewinnen müßte, zumal er im Gegensatz zu Malek sogar selbst singt – und das bemerkenswert gut. In "Bohemian Rhapsody" war es meines Erachtens die richtige Entscheidung, Freddie Mercurys unverkennbare Stimme nicht durch die eines Schauspielers zu ersetzen, aber in "Rocketman" funktioniert genau das wunderbar, obwohl Elton Johns Stimme kaum weniger charakteristisch ist. Doch Egerton kommt nicht nur akustisch, sondern auch optisch so nahe an das Original heran, daß man die meiste Zeit ganz vergißt, daß es sich eben doch um einen Schauspieler handelt. Chapeau, Mr. Egerton, das ist wirklich ganz große Kunst! Leider wurde sie von der Academy nicht belohnt, immerhin gab es für Egerton aber eine Golden Globe-Nomierung und für "Rocketman" den OSCAR für den besten Filmsong "(I'm Gonna) Love Me Again".

Nicht vergessen will ich jedoch die beiden sehr talentierten jungen Darsteller Matthew Illesley und Kit Connor ("Ready Player One"), die Elton bzw. Reggie in verschiedenen Altersstufen als Kind verkörpern. Auch sie bringen die Verletzlichkeit wie auch den Enthusiasmus glänzend zur Geltung und tragen im Verbund mit Egerton dazu bei, daß Elton John als ambivalente, aber sympathische Figur dem Publikum schnell ans Herz wächst. Ansonsten stechen vor allem Jamie Bell als Eltons langjähriger Arbeitspartner und bester Freund Bernie Taupin und Bryce Dallas Howard als seine Mutter hervor, zudem gibt Richard Madden als Eltons vorübergehender Lover und Manager John Reid eine gute Vorstellung als arrogantes Ekel ab. Reid ist übrigens eine Person, die in beiden Musik-Biopics von Fletcher auftaucht, wobei er interessanterweise beim Queen-Film (gespielt von Aidan Gillen) erheblich positiver wegkommt als in "Rocketman", wo er eher an die Darstellung von Freddie Mercurys vorübergehendem Manager Paul Prenter in "Bohemian Rhapsody" erinnert – beide sind die Antagonisten des jeweiligen Films, was bei "Rocketman" jedoch glaubwürdiger und weniger plakativ wirkt, zumal Eltons Mitverantwortung nicht verschwiegen wird (übrigens mit ausdrücklicher Zustimmung des echten Elton John, der kein weichgespültes Biopic wollte). Generell ist "Rocketman" weniger glattpoliert, die Figuren sind ausgefeilter und interessanter, was auch dazu beiträgt, daß die Geschichte weniger als Feelgood-Movie erzählt wird. Wie "Bohemian Rhapsody" deckt übrigens auch "Rocketman" nicht die ganze Karriere seiner Hauptfigur ab (was schon deshalb schwer wäre, weil Elton John noch lebt und musiziert), sondern endet irgendwann in den 1980er Jahren. Das hat zur Folge, daß einige von Eltons größten Hits – speziell seine "Der König der Löwen"-Songs "Can You Feel the Love Tonight" und "The Circle of Life" – gar nicht zu hören sind. Falls jemand das Greatest Hits-Doppelalbum "The One" besitzt: Der Film umfaßt ziemlich genau CD 1 (von CD 2 kommt, wenn mir nichts entgangen ist, nur "I'm Still Standing" dran, als passender Abschluß-Song). Da Elton John so viele Hits hatte, passen aber auch von seinen früheren Liedern nicht alle in den Film oder werden, so wie "Candle in the Wind", nur kurz instrumental angespielt. Trotzdem sorgen die Musiknummern – auf der Bühne ebenso wie die Musical-Einsprengsel – wenig überraschend für die Höhepunkte in einem ansonsten ambitionierten, aber erzählerisch doch einigermaßen konventionellen Biopic. Entscheidend ist jedoch letztlich: Taron Egerton ist ein brillanter Elton John und seine Auftritte auf der Bühne spiegeln dessen legendäre Exzentrik gekonnt wider, was man während des Abspanns selbst überprüfen kann, in dem einige Szenen historischen Aufnahmen des echten Elton John gegenübergestellt werden.

Fazit: "Rocketman" ist ein Musiker-Biopic mit einem tollen Hauptdarsteller Taron Egerton, das die letztlich weitgehend den Genrekonventionen entsprechende Story seiner Hauptfigur durch inspirierte Musical-Einschübe und energetisch gespielte und inszenierte Bühnenauftritte in den Hintergrund rücken läßt.

Wertung: 8 Punkte.


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