Regie und Drehbuch: Woody Allen
Darsteller: Joaquin Phoenix, Emma Stone, Parker Posey, Jamie
Blackley, Tom Kemp, Ethan Phillips, Betsy Aidem, Sophie von Haselberg
FSK: 12, Dauer: 95 Minuten.
Als der bekannte Philosophie-Professor und erfolgreiche Sachbuch-Autor Abe Lucas
(Joaquin Phoenix, "Walk the Line") an das Kleinstadt-College Braylin
in Rhode Island wechselt, sind alle begeistert – abgesehen von Abe. Der befindet
sich nämlich in einer handfesten depressiven Phase, die er zum größten Teil mit
Alkohol und Selbstmitleid auslebt. Selbst die Anhimmelung seiner Studenten und
die amourösen Avancen durch die etwas ältere, aber attraktive
Chemie-Professorin Rita Richards (Parker Posey, "Superman Returns")
und die ebenso intelligente wie bildschöne Studentin Jill Pollard (Emma Stone,
"Birdman") bringen seine Lebensgeister nicht zurück. Das gelingt erst
einem Gespräch einer Gruppe Fremder in einem Café, das Abe und Jill zufällig
mitanhören und in dem es um ein großes Unrecht geht, das einer tapferen Mutter
droht. Abe weiß sofort, was zu tun ist: Er wird einen perfekten und zudem
moralisch gerechtfertigten Mord begehen! Alleine die Planungsphase versetzt Abe
in eine nie gekannte Euphorie, die auch sein Liebesleben endlich wieder in Schwung
bringt …
Kritik:
Eine Warnung vorweg: Um Woody Allens 45. Kinofilm richtig
besprechen zu können, muß ich im weiteren Verlauf dieser Kritik verraten, ob
Abe den Mord tatsächlich begeht oder nicht. Das ist zwar bei weitem kein so
krasser Spoiler wie es auf den ersten Blick den Anschein haben mag, da die Frage
"Tut er's oder tut er's nicht?" in der Handlung nie im Mittelpunkt
steht und sich das Ganze außerdem so zielgerichtet entwickelt, daß man beim
Zuschauen kaum Zweifel daran hat, wie sich Abe entscheiden wird; dennoch will
ich auf die SPOILER-Warnung nicht verzichten. Wer also nichts weiter über den
Storyverlauf wissen will, der sollte direkt zum Fazit springen.
Damit zum Analyse-Teil dieser Rezension: Eine Stunde
(oder zwei der drei klar erkennbaren Akte) lang ist Woody Allen mit
"Irrational Man" wieder mal ein richtig guter und sogar ziemlich
origineller Film gelungen. Klar, die Sache mit dem "perfekten Mord"
ist nicht ganz neu und Vergleiche speziell zu Hitchcocks kleinem Geniestreich
"Cocktail für eine Leiche" drängen sich wiederholt auf, auch
wenn Abes Motivation schon ziemlich einzigartig in der Filmgeschichte ist. Denn
er ist ja kein Rächer aus Prinzip, niemand, der geschehenes oder drohendes
Unrecht vergelten oder der Gerechtigkeit Genüge tun will. So rechtfertigt
er zwar den geplanten Mord vor sich selbst und – als hypothetisches
Gedankenspiel verkleidet – anderen, aber in Wirklichkeit geht es ihm vor allem
darum, wieder (oder gar erstmals) einen Sinn in seinem Leben zu haben. Er verkleidet also puren Egoismus
in eine vermeintlich philanthropische Tat, ohne das selbst wahrhaben zu wollen.
Diese faszinierende Prämisse gestaltet Allen zunächst
hervorragend aus. Joaquin Phoenix spielt den etwas an seinen bekifften
Privatdetektiv in Paul Thomas Andersons "Inherent Vice" erinnernden
Philosophie-Professor mit ganzem Körpereinsatz; beinahe stolz reckt er seinen
bemerkenswerten Kugelbauch in jeder zweiten Szene heraus (ob nackt im Bett oder
in einem Schlabber-T-Shirt an der Uni) und demonstriert damit, wie schnurzpiepegal
ihm alles ist und wie sehr ihn sein Leben deprimiert – so sehr übrigens, daß er
sogar impotent geworden ist (was natürlich auch seine anfänglich standhafte
Verweigerung gegenüber den Verführungsversuchen seiner beiden hartnäckigen
Verehrerinnen relativiert). Dieser Abe Lucas, den alle fast wie eine Bienenkönigin umschwärmen, ohne daß
man als Zuschauer so recht weiß, warum eigentlich, wird also als ziemlich
armselige Gestalt präsentiert. Umso beeindruckender ist sein Wandel nach dem
schicksalhaft mitangehörten Gespräch im Café – plötzlich sprüht Abe vor Energie
und Tatendrang, auch seine Libido meldet sich selbstverständlich in Bestform
zurück. Herrlich die moralphilosophischen Geplänkel zwischen Abe und Jill (und teilweise auch Rita),
wenn Abe nach vollbrachter Tat Theorien über den Mörder und den Tathergang
genüßlich kommentiert und beurteilt und auch dann noch regelrecht aufblüht, als
sich erstmals ein schleichender Verdacht gegen ihn richtet. Zugute kommt "Irrational Man"
dabei, daß Phoenix und Emma Stone trotz des immer noch beträchtlichen Altersunterschieds erheblich besser harmonieren als in Allens durchwachsenem "Magic in the Moonlight" Stone und Colin Firth (und Posey funktioniert als dritter Baustein dieses seltsamen Trios ebenfalls gut).
Das ganze wunderbar absurde und ironische Treiben unterlegt
Woody Allen übrigens mit einer verspielten, ohrwurmverdächtigen Swing- und Jazz-Musik,
die erstaunlicherweise ebenso gut zu Abes depressiver Phase im ersten Akt paßt
wie zum euphorischen Abe im zweiten und der finalen Zuspitzung im dritten. Mit einer
unnachahmlichen Leichtigkeit gelingt es Allen durch das Zusammenspiel aller
filmischen Elemente, stets eine gewisse ironisch-amüsierte Distanz zum unmoralischen
Treiben zu wahren, ganz wie es thematisch halbwegs vergleichbare Klassiker
der schwarzen Komödie wie "Arsen und Spitzenhäubchen" in Perfektion
vorgemacht haben. Alleine die Vorstellung, daß es für Abe nicht die
für Künstler sonst so obligatorische weibliche Muse ist, die seine Inspiration zurückbringt (wie es Rita
übrigens selbst formuliert, die gerne diese Muse wäre), sondern ein Mord, ist in seiner skurrilen
Morallosigkeit einfach nur herrlich. Allerdings will ich nicht verschweigen, daß sich der Humor von "Irrational Man" größtenteils in solch ironischen und absurden Situationen erschöpft; im Vergleich zu "normalen" Komödien von Woody Allen gibt es also deutlich weniger zu lachen.
Wer bereits anderswo etwas über "Irrational Man" gelesen hat, der fragt sich jetzt vermutlich: Wenn der Film so toll sein soll, warum
hat er dann so mittelmäßige Kritiken bekommen? Nun, die Antwort ist recht
einfach: Weil Allen das Finale ein Stück weit vermasselt. Wo es ihm eine Stunde
lang vortrefflich gelingt, den Zuschauer subtil zum Nachdenken und
Mitphilosophieren und -diskutieren zu bringen über diesen ach so perfekten und moralisch
gerechtfertigten Mord, sind ihm im letzten Akt offenbar die Ideen für ein
rundes Ende ausgegangen. Das ist besonders schade, weil die Fragen, die Abes
Handeln aufwirft, ja wirklich interessant sind. Kann es einen moralisch
"richtigen" Mord überhaupt geben? Oder ist Abes Tat auf jeden Fall
verwerflich, auch wenn alle (abgesehen vom Opfer, versteht sich) davon profitieren?
Oder gilt ein Mittelweg á la: Mord ist selbstverständlich falsch und schon
aus prinzipiellen Gründen des gesellschaftlichen Zusammenlebens abzulehnen, in
diesem speziellen Einzelfall aber doch zumindest tolerierbar? Unglücklicherweise
beläßt es Allen aber nicht dabei und will seine kleine Moritat doch nicht
einfach so für sich stehen lassen. Deshalb konstruiert er sich gegen Ende eine
Konstellation, in der speziell Abes Verhalten nicht mehr allzu konsistent ist
mit dem, was wir zuvor über ihn erfahren haben, und entscheidet sich für eine
für einen Autor seines Kalibers an sich unwürdig simple und abrupte Auflösung.
Eine Auflösung zudem, die die Unart vieler Episoden von Krimiserien
nachahmt, in denen am Ende zwar die Ermittler und die Zuschauer genau wissen, was
passiert ist, die Beweislage aber keineswegs so klar ist, daß der Ausgang des
folgenden Gerichtsprozesses eindeutig wäre. Durch dieses uninspirierte Ende wird "Irrational Man" von einem richtig guten zu einem insgesamt nur noch ordentlichen Film, der sich in Woody Allens eindrucksvoller Filmographie qualitativ im (unteren) Mittelfeld ansiedelt.
Fazit: "Irrational Man" ist eine anfangs gut durchdachte schwarze Komödie mit spannender Prämisse, der aber im letzten
Akt zunehmend die Ideen und auch der Mut ausgehen.
Wertung: 7 Punkte.
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