Donnerstag, 5. November 2015

SPECTRE (2015)

Regie: Sam Mendes, Drehbuch: John Logan, Neal Purvis, Robert Wade und Jez Butterworth, Musik: Thomas Newman
Darsteller: Daniel Craig, Christoph Waltz, Léa Seydoux, Ralph Fiennes, Andrew Scott, Ben Whishaw, Naomie Harris, Dave Bautista, Monica Bellucci, Rory Kinnear, Jesper Christensen, Alessandro Cremona, Stephanie Sigman, Detlef Bothe, Dame Judi Dench
James Bond 007 - Spectre
(2015) on IMDb Rotten Tomatoes: 63% (6,4); weltweites Einspielergebnis: $880,7 Mio. 
FSK: 12, Dauer: 148 Minuten.

Während in London eine von Max Denbigh (Andrew Scott, Moriarty in der TV-Reihe "Sherlock") alias C vorangetriebene Geheimdienstreform trotz der gegenteiligen Bemühungen von M (Ralph Fiennes, "Grand Budapest Hotel") die Existenz des gesamten Doppelnull-Programms bedroht, sorgt James Bond (Daniel Craig, "Verblendung") in Mexiko wieder einmal für aufsehenerregende Verwüstungen – und das ohne Auftrag des MI6. Konsequenterweise wird Bond vorübergehend suspendiert, was ihn jedoch erwartungsgemäß nicht davon abhält, mithilfe von Quartiermeister Q (Ben Whishaw, "Cloud Atlas") und Miss Moneypenny (Naomie Harris, "Ninja Assassin") auf eigene Faust Spuren zu verfolgen, die ihn schließlich zu der mächtigen Geheimorganisation Spectre führen. Als deren Anführer entpuppt sich der seit vielen Jahren totgeglaubte Franz Oberhauser (Christoph Waltz, "Django Unchained") – Bonds Ziehbruder. Daraufhin startet 007 gemeinsam mit der unfreiwillig mit Spectre verbundenen Psychiaterin Madeleine Swann (Léa Seydoux, "Midnight in Paris") die Jagd auf Oberhauser, hat allerdings selbst Spectres obersten "Problemlöser" Mr. Hinx (Dave Bautista, "Guardians of the Galaxy") auf den Fersen …

Kritik:
Die James Bond-Filme mit Daniel Craig waren von Anfang an deutlich serieller ausgelegt als die früheren Bond-Abenteuer – in denen sich die seriellen Elemente in der Regel im wiederholten Auftreten einiger Figuren oder Organisationen erschöpften. In der Craig-Ära wurde hingegen immer wieder ganz direkt Bezug genommen auf vergangene Ereignisse, "Ein Quantum Trost" knüpfte sogar unmittelbar an das Ende von "Casino Royale" an. In "Spectre" findet dieses Vorgehen seinen (vorläufigen?) Höhepunkt – wie sich bereits anhand der gewohnt kunstvoll gestalteten Titelsequenz erahnen läßt, in die einige Szenen aus den drei vorangegangenen Filmen eingeflochten sind. Doch auch abseits der speziellen Craig-Kontinuität verneigen sich Regisseur Sam Mendes ("Zeiten des Aufruhrs") und das von OSCAR-Gewinner John Logan ("Gladiator") angeführte Drehbuch-Autoren-Quartett immer wieder mit subtilen Anspielungen und Zitaten vor früheren Teilen der Reihe (obwohl ich die Prä-Craig-Bonds seit vielen Jahren nicht mehr gesehen habe, fielen mir mehr oder weniger klare Verbindungen mindestens zu "Goldfinger", "Octopussy" und "Man lebt nur zweimal" auf). Doch auch wenn die Filmemacher sich so offensichtlich der Vergangenheit und der Stärken der Reihe bewußt sind, gelingt es "Spectre" unglücklicherweise nicht, in die Riege der besten Bond-Filme aufzusteigen.

Das würde sich mit Sicherheit anders darstellen, wäre der gesamte Film so stark wie seine Eröffnungssequenz. Denn das Highlight von "Spectre" gibt es gleich zu Beginn, als Mendes (natürlich mit Hilfe des niederländischen "Interstellar"-Kameramannes Hoyte van Hoytema) mit einer virtuosen, rund fünfminütigen "One Take"-Sequenz (also ohne jeden Zwischenschnitt) während des "Tages der Toten" in Mexiko beweist, daß er nicht nur irgendein Bond-Regisseur ist, sondern ein wahrer Meister seines Fachs. Diese Eröffnung funktioniert wunderbar und ist zudem ausgesprochen stimmungsvoll, was nicht nur an den tollen Kostümen der Maskierten liegt, sondern auch an Thomas Newmans einfallsreichem Score, der typisch mexikanische Klänge spielerisch mit den ikonischen Bond-Motiven der Vergangenheit vermengt. Angesichts dieser geballten Kunstfertigkeit kann man auch über einige Logik- und Glaubwürdigkeitsmängel im actionreichen zweiten Teil des Prologs großzügig hinwegsehen (ein ganzes Gebäude kracht dank James Bond lautstark zusammen, aber nur wenige Hundert Meter entfernt wird ungerührt weitergefeiert; ein Hubschrauer landet inmitten eines hoffnungslos überfüllten Platzes, da die Passanten in einer spontanen organisatorischen Meisterleistung diszipliniert genau genügend Platz machen).

Daß "Spectre" anschließend die Qualität nicht ganz halten kann, hat meines Erachtens zwei Hauptgründe. Der erste ist die mangelnde Präsenz des Bösewichts. Jeder wird sich vorstellen können, daß Christoph Waltz diese Rolle wieder einmal wunderbar sardonisch ausfüllt, wie man es aus "Inglourious Basterds" oder "Green Hornet" gewohnt ist. Diese Erwartung erfüllt Waltz, das Problem ist nur: In den ersten 100 Minuten hat er gerade einmal einen einzigen Auftritt. Der ist zwar sehr effektiv in Szene gesetzt und macht innerhalb von Sekunden gekonnt klar, wie gefährlich dieser Mann mit dem harmlos klingenden Namen Franz Oberhauser ist – aber im Vergleich zum direkten Vorgänger "Skyfall", in dem Javier Bardem als durchgeknallter, von persönlichen Motiven getriebener Raoul Silva durchgehend präsent war, ist Oberhausers sehr sparsamer Einsatz in den ersten beiden Akten von "Spectre" schlicht und ergreifend enttäuschend und dabei schädlich für das Gesamtkunstwerk. Bis zum großen Finale müssen wir uns mit dem Ex-Wrestler Dave Bautista als Bösewicht-Platzhalter begnügen, der zwar – wie Oberhauser – eindrucksvoll eingeführt wird, anschließend vom Drehbuch aber keine wirklich mitreißenden Szenen mehr gegönnt bekommt, ehe er bezeichnend unspektakulär den Abgang macht. Bautista ist sicher kein meisterhafter Schauspieler, aber wer ihn in "Guardians of the Galaxy" oder in "The Man with the Iron Fists" gesehen hat, der weiß, daß man ihn und seine beeindruckende physische Präsenz deutlich besser einsetzen kann als das hier der Fall ist. Was im Grundsatz ebenso für die im Vergleich zu "Skyfall" häufigeren Actionsequenzen gilt, die sehr solide umgesetzt sind, aber trotz der netten Anspielungen auf frühere Bond-Filme echte Höhepunkte missen lassen.

Der zweite gewichtige Grund für das leider nicht vollkommene Gelingen von "Spectre" ist der Nebenhandlungsstrang rund um C und die geplante Geheimdienstreform. Zwar ist die Intention dahinter klar und auch sehr nachvollziehbar, denn einerseits wird so der neue M aktiver in die Handlung involviert als es bei den meisten früheren Bond-Filmen der Fall war; und andererseits können auf diese Weise aktuelle gesellschaftspolitische Themen wie der NSA-Abhörskandal aufgegriffen werden (und die Briten stellen derzeit ja in ihrer Lauschwut die Amerikaner fast noch in den Schatten). Allerdings bleibt das alles viel zu sehr an der Oberfläche und ist, vor allem C und seine Rolle in der Geschichte betreffend, zu klischeehaft aufgezogen. Thematisch erinnert "Spectre" in diesem Handlungsstrang frappierend an "Mission: Impossible – Rogue Nation", hat aber das Pech, eben erst ein paar Monate nach diesem an der imaginären Ziellinie anzulangen. Und auch sonst zieht "Spectre" im direkten Vergleich mit dem fünften "Mission: Impossible"-Teil und seinen spektakulären Actionsequenzen knapp den Kürzeren. Da kann die Hauptstory mit Bonds Jagd nach Oberhauser auch nicht herausreißen, weil das Abklappern diverser mehr oder weniger exotischer Locations zwar immer noch Laune macht, aber inhaltlich absolut nichts Neues bringt und auch die emotionale Verbindung zwischen Bond und seinem Zieh-Bruder erst ganz am Schluß zum Tragen kommt.

Den Craig-Filmen wird von Bond-Nostalgikern ja gerne nachgesagt, sie seien humorlos. Das entspricht nicht der Wahrheit, denn Bonds Humor in der Craig-Ausprägung ist zwar angesichts der Schicksalsschläge, die ihm seit "Casino Royale" widerfuhren, ein gutes Stück rauer und ironischer, nicht selten sogar regelrecht zynisch geworden, aber er ist definitiv noch vorhanden. Ich muß allerdings zugeben, daß sich die witzigen Momente in "Spectre" im Vergleich zu den direkten Vorgängern doch ziemlich rar machen. Das paßt zwar zu der generellen Entwicklung dieses betont problembeladenen, ja sogar traumatisierten James Bond, aber wenn – wie hier – die Actionsequenzen und auch die anderen Figuren nicht allerhöchste Qualität erreichen, dann vermißt man vielleicht doch ein paar richtige Gags (gerade in der Roger Moore-Ära gab es nicht wenige recht mittelmäßige Produktionen, die durch viele gute Oneliner vor der Belanglosigkeit gerettet wurden). Hier mag ein gewisser Zusammenhang mit der ebenfalls gewandelten Rolle der unverzichtbaren Bond-Girls bestehen, die in der Vergangenheit häufig für pikant-humorvolle Szenen und mal einfallsreiche, mal ziemlich platte Wortspiele herhalten mußten (wer erinnert sich nicht an Dr. Christmas Jones und Bonds letzte Zeile in "Die Welt ist nicht genug"?). Beim ernsthafteren Craig-Bond läuft das eben anders ab, dennoch hat "Spectre" in diesem Bereich doch tatsächlich eine Premiere zu bieten: Mit Monica Bellucci ("Brothers Grimm") in der Rolle der Mafia-Witwe Donna Lucia Sciarra gibt es zum ersten Mal ein "Bond-Girl" (hier wirkt die Bezeichnung etwas unpassend), das älter ist als Bond selbst (aber trotzdem ganz erheblich schöner; meine Meinung)! Das bedeutet jedoch nicht, daß sie von 007 schwerer ins Bett zu bekommen wäre als ihre zahllosen Vorgängerinnen, eher im Gegenteil. Als ein feministisches Statement taugt dieser PR-trächtige Besetzungscoup also eher weniger. Etwas glaubwürdiger gestaltet sich das bei Léa Seydoux, die eine starke Frauenfigur spielen darf – auf Dauer aber natürlich auch nicht immun ist gegen Bonds Charme …

Fazit: "Spectre" ist ein unterhaltsamer James Bond-Film geworden, der aber trotz des gleichen kreativen Teams nicht die turmhohen Erwartungen erfüllen kann, die der Vorgänger "Skyfall" so virtuos schürte – das ist vor allem der zu langen Abwesenheit des Oberschurken geschuldet, aber auch einem generellen Mangel an echten erzählerischen oder inszenatorischen Highlights (abseits der Eröffnungssequenz).

Wertung: Knapp 7,5 Punkte.


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