Montag, 30. Dezember 2019

PARASITE (2019)

Originaltitel: Gisaengchung
Regie: Bong Joon-ho, Drehbuch: Jin Won-han und Bong Joon-ho, Musik: Jeong Jae-il
Darsteller: Song Kang-ho, Park So-dam, Choi Woo-shik, Jang Hye-jin, Jo Yeo-jeong, Lee Sun-kyun, Jeong Ji-so, Lee Jung-eun, Park Myung-hoon
Parasite (2019) on IMDb Rotten Tomatoes: 99% (9,4); weltweites Einspielergebnis: $263,1 Mio.
FSK: 16, Dauer: 132 Minuten.

Die südkoreanische Familie Kim lebt in einer ärmlichen Kellerwohnung und hält sich seit der Kündigung des Vaters Ki-taek (Song Kang-ho, "Durst – Thirst") mit Gelegenheitsjobs halbwegs über Wasser. Als der Sohn Ki-woo (Choi Woo-shik, "Train to Busan") durch einen ehemaligen Schulkameraden die Gelegenheit erhält, vorübergehend als Nachhilfelehrer für Da-hye (Jeong Ji-so, "Daeho"), jugendliche Tochter des wohlhabenden Ehepaars Park, zu arbeiten, nutzt er das mit großer Raffinesse und Skrupellosigkeit als einen Startpunkt für den Aufstieg seiner ganzen Familie. Denn da der kleine Park Da-song (Jung Hyun-joon) gerne Bilder malt, überredet Ki-woo die Parks, die ihm bekannte angesehene Kunsttheurapeutin Jessica anzuheuern, um Da-songs Talent zu fördern – nur daß diese "angesehene Kunsttherapeutin" Da-songs ältere Schwester Ki-jung (Park So-dam, "Sado") ist, die Erfahrung im Fälschen von Dokumenten hat. Es dauert nicht lange, bis sie auch Da-songs und Ki-jungs Vater Ki-taek eine Anstellung als Chauffeur bei den Parks beschaffen, und zu guter Letzt wird Mutter Kim Chung-sook (Jang Hye-chin) neue Haushälterin der Parks – die keine Ahnung haben, daß die vier miteinander verwandt sind. Die Kims genießen den bescheidenen Wohlstand, zu dem sie durch die erschwindelten, aber sehr ansprechend vergüteten Jobs kommen, und als die Parks sich zu einem Wochenendausflug aufmachen, feiern die Kims in deren noblem Haus eine fröhliche Party – doch dann kommt unerwarteter Besuch und wenig später kündigen die Parks ihre verfrühte Rückkehr an, womit es für die Kims immer schwieriger wird, die Scharade aufrechtzuerhalten …

Kritik:
Normalerweise ist mein Filmgeschmack nicht allzu weit vom Kritikerkonsens entfernt. Natürlich gibt es immer Ausnahmen und generell bewerte ich etwas großzügiger als die professionellen Kritiker; doch selbst bei hochgelobten Filmen, die ich nicht sehr mag, kann ich fast immer nachvollziehen, was andere in ihnen erkennen. Bei "Parasite" ist das anders. Der subversive Genremix des südkoreanischen Filmemachers Bong Joon-ho hat seit seiner umjubelten, mit der Goldenen Palme gekrönten Premiere bei den Filmfestspielen von Cannes die Welt erobert – und das schlägt sich nicht nur in nahezu ausnahmslos überragenden Kritiken nieder, sondern auch in einem ungewöhnlichen Publikumsinteresse. Selbst in einem Markt wie Deutschland, wo nur selten asiatische Filme auch nur einen regulären Kinostart erhalten, erreichte "Parasite" die Top 10, ebenso in Rußland, Australien und Brasilien, in Frankreich sogar Platz 3 und in den USA (wo er im Originalton mit Untertiteln lief) immerhin Rang 11. Etwas Vergleichbares dürfte seit "Tiger & Dragon" im Jahr 2000 kein asiatischer Film mehr geschafft haben. Der krönende Höhepunkt des "Parasite"-Siegeszugs sind vier OSCARs inklusive dem in der Königskategorie "Bester Film" als erster nicht englisch-sprachiger Gewinner überhaupt! Und ich? Ich verstehe einfach nicht, was alle an "Parasite" finden! Natürlich, es ist bei weitem kein schlechter Film und Aspekte wie die Leistungen der Schauspieler, die wendungsreiche Story und die clevere (wenn auch recht koreaspezifisch anmutende) Gesellschaftskritik verdienen großes Lob – aber zu einem Meisterwerk fehlt meiner Ansicht nach trotzdem viel.

Man könnte meinen, ein Grund für mein Unverständnis wäre, daß ich nicht an die Eigenheiten asiatischer Filme gewöhnt sei – doch eher ist das Gegenteil der Fall. Ich bin seit vielen Jahren ein Anhänger des asiatischen Kinos und habe mit Sicherheit mehr japanische, chinesische und südkoreanische (allen voran die von Park Chan-wook) Filme gesehen als die meisten Europäer. Könnte umgekehrt vielleicht gerade das der Grund sein, warum mich "Parasite" vergleichsweise kalt läßt? Aber dann wäre der Film wohl kaum auch in Asien ein riesiger Hit. Meine aktuell bevorzugte Erklärung ist, daß ich ein generelles Problem mit dem Stil von Bong Joon-ho habe. Denn bereits bei seinen Frühwerken "Memories of Murder", "The Host" und "Mother" konnte ich in die allgemeine Begeisterung nur bedingt einstimmen, obgleich die Bewertungsunterschiede da nicht ganz so groß waren – und Bongs "Snowpiercer" wiederum mochte ich sehr, aber das kann daran liegen, daß der auf einer französischen Comic-Vorlage basierte. Wie auch immer, jedenfalls ist "Parasite" definitiv kein Film, der bei mir je in irgendeiner Bestenliste auftauchen wird (es sei denn, ich ändere meine Meinung bei einer Zweitsichtung komplett). Dabei, das will ich gar nicht verhehlen und habe es ja bereits erwähnt, gibt es durchaus Positives über Bongs Film zu sagen. So wirkt gerade die Darstellung der extremen Klassenunterschiede in Südkorea sehr authentisch und ist dabei nicht mal zu plakativ geraten, vielmehr sprechen die Kontraste zwischen Arm und Reich wie auch einzelne Elemente, auf die immer wieder beiläufig Bezug genommen wird (wie der Geruch der Familie Kim), für sich. Niemand kann es den Kims wohl ernstlich übelnehmen, daß sie fast alles zu tun bereit sind, um aus dem Loch, in dem sie zu leben gezwungen sind, herauszukommen – sogar, sich wie Parasiten zu verhalten (wobei der Film ebenso gute Gründe liefert, die Parks und das, wofür sie stehen, als die wahren Parasiten zu betrachten).

Weil das Quartett zudem einen recht sympathischen Eindruck macht, ist man auch bereit, als Zuschauer darüber hinwegzusehen, wie sie immer stärker die Regeln und Gesetze beugen – die Gesellschaft hat den Kims schließlich ganz eindeutig übel mitgespielt, warum sollten sie sich dann nicht auch ein paar Freiheiten herausnehmen, um voranzukommen? Und es schadet ja auch niemandem, wenn man ein bißchen lügt oder die eigenen Fähigkeiten übertreibt und eine falsche Identität vorgibt, nicht wahr? Nur, daß es irgendwann doch Jemandem schadet. All die Grenzübertretungen akzeptiert das Publikum bereitwillig, solange man argumentieren kann, daß sie großen Nutzen bringen und allen anderen Beteiligten höchstens minimalen Schaden. Schließlich sind die Parks reich genug, um die Kims auch ohne die (oder zumindest mit nur einem Bruchteil der) erwarteten Gegenleistungen auszuhalten. Bong sorgt raffiniert dafür, daß diese Grenzübertretungen ganz langsam immer größer werden, so daß es kaum auffällt. Erst, als die Betrügereien der Kims eindeutig negative Folgen für andere Personen haben, merkt man richtig, wie man sich von Bong und den Kims hat einwickeln lassen. Denn es sind nicht allein die reichen Parks, welche die Konsequenzen spüren, sondern noch viel mehr Menschen in vergleichbarer Lage wie der von den Kims skrupellos aus seinem Job gedrängte ursprüngliche Chauffeur von Herrn Park. Das macht es schon deutlich schwieriger, die Taten der Kims zu rechtfertigen, denn warum sollten sie durch Schwindeleien ein Recht auf etwas haben, das sich andere ehrlich hart erarbeitet haben? Immerhin: Speziell den beiden Kim-Kindern geht dieser Gedanke ebenfalls durch den Kopf, was wiederum dafür sorgt, daß man sich weiterhin mehr oder weniger mit ihnen identifizieren kann. Es ist ein Bild voll von Grautönen, das Bong Joon-ho zeichnet, und das macht er richtig gut.

Das gilt auch für die Darstellung der Familie Park, denn zu den Bösewichten der Geschichte taugen diese kaum. Mutter Yeon-kyo (Jo Yeo-jeong) ist auf unschuldige Weise naiv und ein bißchen lebensfremd, dabei aber immer gut gelaunt, freundlich und großzügig, auch ihr Mann – Vorstandschef eines IT-Unternehmens – ist umgänglich und zuvorkommend. Zugegeben, beide sind ein wenig überheblich gegenüber ihren Bediensteten, auch etwas protzig, und in einigen Schlüsselszenen mag man ihnen ein heuchlerisches Verhalten unterstellen (z.B. bei der von den Kims ertricksten Kündigung des ursprünglichen Chauffeurs ihres Mann); aber unterm Strich sind die Parks eine normale, wenn auch stinkreiche Familie mit zwei wirklich liebenswerten Kindern. Und deshalb fühlt man auch mit ihnen mit, weil sie von den Kims so nach Strich und Faden betrogen und ausgenutzt werden. Diese von Kameramann Hong Kyung-pyo ("Burning") stark bebilderte gesellschaftskritische Milieustudie ist neben den exzellenten Schauspielern mit Sicherheit der stärkste Aspekt von "Parasite". Bedauerlicherweise kann die Handlung da nicht mithalten. Zwar wird sie allseits gelobt für ihre Unvorhersehbarkeit und teils drastische Wendungen, die wiederholt einen deutlichen Genrewechsel des Films mit sich bringen – und ja, das stimmt schon alles. Ein Problem habe ich jedoch mit dem, was dazwischen passiert. Das ist nämlich nicht sehr viel. Zieht man die überraschenden Wendungen ab, dann bleibt in der mehr als zweistündigen Laufzeit eigentlich nicht viel mehr übrig als die besagte Milieustudie – und so überzeugend die Bong auch gelungen ist, auf Dauer wurde sie zumindest mir doch ziemlich langweilig. Klar, die Wendungen bringen immer wieder kurzzeitig Schwung herein und in der Verbindung mit schwarzem Humor bis hin zum Zynismus, der stets durchscheint, gibt es einige unterhaltsame Passagen. Gleichzeitig büßt "Parasite" mit diesen Wendungen aber an Glaubwürdigkeit ein und im Kern bleibt das Erzähltempo ziemlich gemächlich. Letztlich ist "Parasite" ein durchaus faszinierender, handwerklich gut gemachter Film, der zweifellos zum Nachdenken und Diskutieren anregt aber meines Erachtens mehr Schein als Sein ist.

Fazit: "Parasite" ist ein satirisches Gesellschaftsdrama mit Thriller-Anklängen, das mit einer ausgeklügelten Figurenzeichnung und einer authentischen Milieustudie überzeugt, jedoch arg langsam erzählt ist und mich mit seiner wendungsreichen Handlung nicht wirklich überzeugen konnte.

Wertung: 6,5 Punkte.


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