Mittwoch, 11. Dezember 2019

DER LEUCHTTURM (2019)

Originaltitel: The Lighthouse
Regie: Robert Eggers, Drehbuch: Max und Robert Eggers, Musik: Mark Korven
Darsteller: Robert Pattinson, Willem Dafoe, Valeriia Karaman
Der Leuchtturm (2019) on IMDb Rotten Tomatoes: 90% (8,0); weltweites Einspielergebnis: $18,2 Mio.
FSK: 16, Dauer: 109 Minuten.

Ende des 19. Jahrhunderts werden der frühere Holzfäller Ephraim Winslow (Robert Pattinson, "Wasser für die Elefanten") und der ehemalige Seemann Tom Wake (Willem Dafoe, "Mord im Orient Express") zur einer unbewohnten Felseninsel im Nordosten der USA übergesetzt, wo sie bis zu ihrer Ablösung in vier Wochen den dortigen Leuchtturm in Gang halten sollen. Da der erfahrene, aber wenig von Manieren haltende Tom ziemlich arrogant und ruppig mit dem Neuling Ephraim umgeht und diesen alle niederen Arbeiten erledigen läßt, während er selbst sich um das Licht kümmert, entstehen schnell Spannungen zwischen den ungleichen Männern. Doch die Einsamkeit der häufig sturmumtosten Gegend bringt Tom und Ephraim phasenweise auch dazu, sich zu verbrüdern, wobei Tom viel Seemannsgarn spinnt – zumindest ist das Ephraims Überzeugung. Dennoch fragt er sich, warum Tom so eifersüchtig darauf aufpasst, daß Ephraim niemals in die Spitze des Leuchtturms eindringt, zumal er von dort seltsame Geräusche hört. Und als Ephraim dann noch eine leibhaftige Meerjungfrau (Valeriia Karaman) sieht, beginnt er zunehmend, an seinem Verstand zu zweifeln …

Kritik:
So ziemlich jeder Mensch auf Erden hat ein Steckenpferd. Der eine liebt es, Briefmarken zu sammeln, der nächste tanzt leidenschaftlich gern und wieder andere begeistern sich für einen Sportverein oder für eine Sängerin. Das Steckenpferd des US-amerikanischen Independent-Filmemachers Robert Eggers ist offensichtlich das intensive Studium mittelalterlicher Schriften. Jedenfalls würde das erklären, warum Eggers nach "The Witch" – dessen Story und Dialoge in erster Linie auf historischen Prozeßakten und Gebetsbüchern basieren – auch seinen zweiten Langfilm auf erhalten gebliebene Dokumente und Geschichten aus vergangener Zeit begründet. Die liegt jedoch nicht gar so weit in der Vergangenheit wie beim im 17. Jahrhundert spielenden "The Witch", denn die Handlung von "Der Leuchtturm" spielt sich im frühen 20. Jahrhundert ab und hat ihre Grundlage in den Erzählungen des "Moby Dick"-Autors Herman Melville sowie in historischen Zeitschriften – aber auch die antike Sagenwelt und die Horrorgeschichten von H.P. Lovecraft (ja, es kommen Tentakel vor!) dienten Eggers als Inspirationsquelle, wie unschwer zu erkennen ist. Passend zur Ära, in der "Der Leuchtturm" spielt, ist der Film in Schwarzweiß gehalten und wurde zudem in einem schon lange nicht mehr verwendeten, fast quadratischen Bildformat gedreht, wie man es aus der Zeit des Stummfilms kennt (dem zollt Eggers übrigens gleich zu Beginn Hommage, als die gerade auf der Insel angekommenen Ephraim und Tom sekundenlang regungslos dem abfahrenden Schiff hinterhersehen und dabei so aussehen wie Stummfilm-Protagonisten in ihrer Einführungseinstellung – nur daß hier keine Texttafel folgt). Es dürfte klar sein, daß sich "Der Leuchtturm", ähnlich wie Darren Aronofskys "mother!", ganz gezielt an ein experimentierfreudiges Arthouse-Publikum richtet, welches zudem nicht in erster Linie Wert auf eine kohärente, einigermaßen lineare Story legt. Wer sich davon angesprochen fühlt, der wird mit einem anstrengenden, aber ungemein faszinierenden Filmerlebnis belohnt, über das man lange nachdenken und diskutieren kann.

Wenn es schon keine richtige Handlung gibt, dann muß es ja irgendetwas anderes geben, das "Der Leuchtturm" interessant macht – und das sind neben der ungewöhnlichen Ästhetik und der unheilvollen Atmosphäre in erster Linie die beiden zentralen Charaktere. Erzählt werden die verstörenden Ereignisse von "Der Leuchtturm" aus der Perspektive des jungen Ephraim, mit fiebriger Intensität verkörpert von Robert Pattinson, der nach einigen sehenswerten Indie-Rollen die beste Leistung seiner vom frühen "Twilight"-Ruhm überschatteten Karriere abliefert. Dabei kann man nicht behaupten, daß wir als Zuschauer Ephraim jemals richtig nahekommen. Zwar erfahren wir nach und nach ein paar Hintergründe über ihn und lernen ihn natürlich auch durch seine Worte und Taten ein wenig kennen, doch im Grunde genommen ist seine Vergangenheit sowieso nebensächlich. Denn hier geht es alleine darum, wie er bei seiner ersten Mission als Leuchtturmwärter mit der Einsamkeit, der Isolation, der harten körperlichen Arbeit und seinem exzentrischen Kollegen klarkommt – oder eben nicht. Denn der von einem nicht ganz verheilten Beinbruch geplagte Tom – großartig: Willem Dafoe – ist nicht nur ein herrischer Rüpel, der gar nicht daran denkt, gewisse unziemliche Körpergeräusche zu unterdrücken, nein, er hält sich auch nicht an die Vorschriften, nach denen er und Ephraim eigentlich in etwa gleichberechtigt sind. Stattdessen hetzt er Ephraim herum, als wäre er sein Sklave, und treibt ihn unbarmherzig von einer Ausbesserungsarbeit an dem weißgott reparaturbedürftigen Leuchtturm zur nächsten, ohne ein freundliches Wort für ihn übrigzuhaben. Ephraim reagiert darauf mit einer Mischung aus grimmiger Ergebenheit und Trotz, wobei sein Geduldsfaden im Laufe des Monats immer dünner wird wer will es ihm verdenken? Nur beim von Tom zubereiteten Abendessen kommt man sich etwas näher, wenngleich Ephraim Toms Erzählungen als erfundendes Seemannsgarn abtut.

Unterhaltsam sind Toms Geschichten jedoch zweifellos und nach und nach ist sich Tom auch nicht mehr ganz so gewiß in seiner Überzeugung, daß das alles nichts mit der Realität zu tun hat. Dafür sorgen merkwürdige Träume oder Visionen ebenso wie eine Meerjungfrau, die er am felsigen Strand entdeckt, oder die verdächtigen Geräusche von der Spitze des Leuchtturms, die er nicht betreten darf. Einen großen Teil seiner Faszination zieht "Der Leuchtturm" daraus, daß man als Zuschauer Ephraim auf seiner Reise in den einsamkeitsinduzierten Wahnsinn hautnah folgt – oder ist es doch kein Wahnsinn, sondern es gehen tatsächlich mysteriöse Dinge auf der kleinen Felseninsel vor sich? Und was wäre schlimmer? Hat Tom doch Recht, wenn er Ephraim eindringlich warnt, die lästigen Möwen zu verletzen, weil das Neptuns Zorn auf sich ziehe? Ist die attraktive Meerjungfrau (sofern nicht komplett eingebildet) in Wirklichkeit eine gefährliche Sirene? Warum will Tom Ephraim um keinen Preis zum Licht des Leuchtturms lassen? Was ist eigentlich aus Ephraims Vorgänger als Toms Kollege geworden? Und erinnert die denkwürdige Schlußeinstellung des Films nur mich an die Prometheus-Sage? Solche Fragen stellt man sich unweigerlich und da sie – soviel darf ich wohl verraten – nicht zweifelsfrei beantwortet werden, bleiben sie einem auch nach dem Abspann im Kopf. Daß sowohl Tom als auch Ephraim immer aggressiver und fiebriger agieren, je länger die Isolation andauert, trägt ebenso zur zunehmend verstörenden Stimmung bei wie die schönen und unheilvollen (und OSCAR-nominierten) Bilder, in denen Kameramann Jarin Blaschke ("Back Roads") die beengte und immer sturmumtostere Szenerie einfängt, und die ausdrucksstarke, andeutungsweise dissonante und manchmal gar furchteinflößende Musik von Mark Korven ("Cube"). Das ist nicht selten ziemlich anstrengend anzuschauen, weil alles so rätselhaft und das Erzähltempo so überschaubar ist, es eben keine richtige Handlung gibt und sich irgendwann eine gewisse Monotonie einstellt (die ja wunderbar zur Thematik paßt); doch wenn man sich darauf einläßt, ist es ein spannendes, faszinierendes, ästhetisch eindruckvolles und insgesamt vielleicht sogar einzigartiges Erlebnis in der heutigen Kinolandschaft. Und alleine für diesen Mut sollte man Robert Eggers und sein vielschichtiges Werk mit einer Sichtung belohnen.

Fazit: "Der Leuchtturm" ist ein kunstvolles, durchaus anstrengendes und langsam erzähltes, aber zugleich ungemein faszinierendes Schwarzweiß-Psychodrama mit Horrorelementen, das aufgeschlossene Zuschauer schnell in seinen Bann schlägt.


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Wertung: 8 Punkte.

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