Donnerstag, 22. August 2019

LEID UND HERRLICHKEIT (2019)

Originaltitel: Dolor y gloria
Regie und Drehbuch: Pedro Almodóvar, Musik: Alberto Iglesias
Darsteller: Antonio Banderas, Penélope Cruz, Asier Etxeandia, Nora Navas, César Vicente, Leonardo Sbaraglia, Asier Flores, Cecilia Roth, Pedro Casablanc, Susi Sánchez, Raúl Arévalo, Julieta Serrano, Agustín Almodóvar, Rosalía
Leid und Herrlichkeit
(2019) on IMDb Rotten Tomatoes: 96% (8,3); weltweites Einspielergebnis: $37,4 Mio.
FSK: 6, Dauer: 114 Minuten.

Salvador Mallo (Antonio Banderas, "Ich sehe den Mann deiner Träume") ist seit Jahrzehnten einer der erfolgreichsten spanischen Filmemacher, doch nun kann er ob diverser körperlicher Gebrechen nicht mehr arbeiten. Wegen der Schmerzen verläßt er kaum noch sein Haus, wo er seinen Tag größtenteils mit Träumereien von seiner Kindheit verbringt. Erst die Restaurierung seines 32 Jahre alten ersten Filmerfolges weckt Salvador ein wenig aus seiner Lethargie, denn er wird gebeten, bei einigen Jubiläumsvorführungen zusammen mit dem Hauptdarsteller Alberto Crespo (Asier Etxeandia, "Ma Ma - Der Ursprung der Liebe") Fragen aus dem Publikum zu beantworten. Dafür muß er sich allerdings zuerst mit Alberto versöhnen, mit dem er aufgrund eines Zerwürfnisses seit Abschluß der damaligen Dreharbeiten nicht mehr gesprochen hat. Das Wiedersehen nach so vielen Jahren verläuft ganz gut – wenn man einmal davon absieht, daß Salvador dabei zum ersten Mal in seinem Leben Heroin probiert und sofort auf den Geschmack kommt. Doch zumindest sind seine Lebensgeister wieder halbwegs geweckt, zumal Alberto Salvador darum bittet, einen von dessen unveröffentlichten Texten, "Die Abhängigkeit", als Ein-Mann-Theaterstück adaptieren zu dürfen …

Kritik:
Die Werke des spanischen OSCAR-Gewinners (für "Sprich mit ihr") Pedro Almodóvar sind seit jeher stark autobiobraphisch geprägt. In den stets von ihm geschriebenen Filmen verarbeitete er etwa seine Homosexualität, die innige Verbindung zu seiner Mutter oder auch sein schwieriges Verhältnis zur Kirche. Doch so persönlich wie "Leid und Herrlichkeit" hat sich vermutlich noch keine seiner Arbeiten angefühlt. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe: Am offensichtlichsten ist natürlich die Tatsache, daß der Filmemacher-Protagonist unschwer als Almodóvars Alter Ego zu erkennen ist, zumal Antonio Banderas in dieser Rolle (nicht zuletzt aufgrund seiner Frisur) dem Regisseur sogar erstaunlich ähnlich sieht. Es ist zwar nicht das erste Mal, daß Almodóvar einen an sich selbst erinnernden Filmemacher in den Mittelpunkt einer Geschichte stellt ("La mala educación"), aber hier passen sogar Alter und Optik einigermaßen. Auch der Verzicht auf die für Almodóvars Werk so typischen Exzentritäten und das Schrille speziell seiner früheren Filme schafft eine größere Realitätsnähe. Zudem sorgen die häufigen Rückblenden in Salvadors Kindheit (in der Penélope Cruz seine Mutter spielt) für Intimität und Salvadors gelegentliche Ausführungen über das Filmemachen klingen sehr nach Almodóvar selbst. Und das Schöne für die Zuschauer ist: "Leid und Herrlichkeit" wirkt nicht nur intim, sondern ist vor allem ein wirklich schöner, poetischer, wehmütiger und auch kluger Blick zurück eines weltweit wohl einzigartigen Filmschaffenden.

Antonio Banderas hat für seine gefühlvolle, verletzliche Darbietung des Salvador Mallo viel Lob erfahren – und das ist vollauf verdient. Der inzwischen unglaublicherweise auch schon fast 60-jährige Mime hat schon oft bewiesen, daß er weit mehr zu bieten hat als nur sein blendendes Aussehen, doch so gut wie in "Leid und Herrlichkeit" war er selten zuvor, wenn überhaupt. Er erweckt Almodóvars Alter Ego zum Leben, indem er dessen Schmerzen und seine depressive Stimmung, auch eine gewisse Wehleidigkeit auf die Leinwand transportiert, die immer wieder durch sein gedankliches Abgleiten in die einfache und recht beschwerliche, aber trotzdem gern erinnerte Kindheit unterbrochen werden, in der seine Mutter Jacinta eine große Rolle spielte. Doch auch das Wiedersehen mit alten Bekannten im Zuge der Wiederaufführung seines Debüts sorgt für sehenswerte Momente. Speziell die Versöhnung mit Alberto, der trotz des alten, aber heftigen Streits mit Salvador offensichtlich noch immer dessen Zuneigung und Anerkennung sucht, wirkt wunderbar aufrichtig, ebenso ein späteres Treffen mit einer anderen Person seiner Vergangenheit. Dabei verzichtet Almodóvar wohlgemerkt nicht auf Humor, nur fällt der deutlich leiser aus als in früheren Zeiten – was aber nicht zwangsläufig bedeutet, daß er weniger witzig wäre.

Ein beredtes Zeugnis für Almodóvars ungebrochenes humoristisches Können gibt eine herrliche Szene, in der Salvador und Alberto nach einer Aufführung des restaurierten Films per Telefon zugeschaltet werden und Salvador das Publikum mit einer unerwartet offenherzigen Antwort (seinem Heroin-Konsum unmittelbar zuvor sei Dank) überrascht … Eine richtige Handlung gibt es in "Leid und Herrlichkeit" eigentlich nicht, wenn man vielleicht davon absieht, daß Salvador den Weg zurück zu sich selbst sucht. Stattdessen ist die Story ziemlich anekdotenhaft, was beispielsweise dazu führt, daß Alberto in der ersten Hälfte die zweite Hauptfigur ist, aber in der zweiten kommentarlos nicht mehr vorkommt. Das stört aber nicht, da die Szenenübergänge auch zu den langen Rückblenden sehr harmonisch und natürlich wirken und das Gezeigte in seiner nostalgischen, poetischen Wehmut und seiner leisen, jedoch aufrichtigen Emotionalität eigentlich immer interessant und authentisch bleibt. Kenner von Almodóvars Werk werden sich auch über einige, zum Teil ironische Anspielungen auf sein früheres Schaffen freuen (wenn etwa Salvadors Mutter von ihm fordert, sie nicht in seinen Filmen zu verwenden, ist das ziemlich witzig, wenn man weiß, welch große Rolle Mütter in Almodóvars Werken spielen), außerdem kann man von Salvador einige interessante Dinge über das Filmemachen lernen. In den letzten Jahren konnte Pedro Almodóvar meines Erachtens mit Filmen wie "Fliegende Liebende" oder "Die Haut, in der ich wohne" nicht mehr an frühere Meisterwerke anknüpfen, doch mit "Leid und Herrlichkeit" beweist er, daß er es auch mit 70 Jahren und einer leiseren Herangehensweise immer noch drauf hat. Gerne mehr davon!

Fazit: "Leid und Herrlichkeit" ist eine wunderbar poetische, wehmütige und sehr persönliche Tragikomödie über einen von Antonio Banderas grandios verkörperten alternden Filmemacher, der auf sein Leben und sein Werk zurückblickt und zugleich einen Weg in die Zukunft sucht.

Wertung: 8,5 Punkte.


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