Dienstag, 9. Februar 2016

ALLES STEHT KOPF (3D, 2015)

Originaltitel: Inside Out
Regie: Pete Docter und Ronnie Del Carmen, Drehbuch: Pete Docter, Meg LeFauve und Josh Cooley, Musik: Michael Giacchino
Sprecher der deutschen Synchonfassung: Nana Spier, Philine Peters-Arnolds, Vivien Gilbert, Hans-Joachim Heist, Olaf Schubert, Tanya Kahana, Michael Pan, Bettina Zimmermann, Kai Wiesinger, Katja von Garnier, Franziska Pigulla, Dietmar Bär, Klaus J. Behrendt, Matthias Roll, Philipp Laude
Alles steht Kopf
(2015) on IMDb Rotten Tomatoes: 98% (8,9); weltweites Einspielergebnis: $858,9 Mio.
FSK: 0, Dauer: 95 Minuten.

Eigentlich freut sich die elfjährige Riley über den Umzug mit ihren Eltern aus dem ländlichen Minnesota in die kalifornische Millionenstadt San Francisco. Dort läuft jedoch von Beginn an so ziemlich alles schief: Das neue Haus ist bei weitem nicht so schön wie erhofft, der Transport der Möbel verzögert sich immer weiter und auch in der neuen Schule und dem neuen Mädchen-Eishockey-Team gefällt es ihr nicht so richtig. Als das Heimweh Überhand annimmt und sie auch noch erfährt, daß sich ihre beste Freundin in Minnesota schon eine neue beste Freundin angelacht hat, spielen Rileys Emotionen endgültig verrückt. Apropos Emotionen: Wie bei allen Menschen gibt es in Rileys Kopf eine Emotionszentrale, in der die personifizierten Kummer, Freude, Wut, Angst und Ekel dafür sorgen sollen, daß es ihr möglichst gut geht und sie stets passend empfindet. Vor allem Freude geht dieser verantwortungsvollen Aufgabe enthusiastisch nach, trotzdem ihr Kummer wiederholt ungewollt in die Quere kommt. Während Riley sowieso schon deprimiert ist, geschieht bei den Kabbeleien zwischen Freude und Kummer ein Unglück, das droht, sämtliche positive Kernerinnerungen Rileys zu vernichten. Um das zu verhindern, machen sich Freude und Kummer auf einen turbulenten Irrweg durch das Langzeitgedächtnis, um alles wieder zu richten, bevor Riley in ihrem emotionalen Aufruhr eine große Dummheit begehen kann …

Kritik:
Das Phänomen kennt bestimmt jeder: Die ganze Welt redet und schwärmt von einem neuen Film, und wenn man ihn sich dann selbst anschaut, denkt man sich während des Abspanns: "Naja, okay … schon ein guter Film – aber was soll der ganze Hype?" Genau so ergeht es mir seit zwei Jahrzehnten mit den vielfach preisgekrönten 3D-Animationsfilmen aus dem Hause Pixar. Abgesehen von "Die Monster AG" und den "Cars"-Teilen habe ich mich zwar stets gut unterhalten gefühlt, doch wahre Begeisterung konnte in mir lediglich "WALL*E" auslösen (mit Abstrichen vielleicht noch "Findet Nemo"). Der neueste Pixar-Streich zählt leider nicht zu den positiven Ausnahmen. Natürlich, "Alles steht Kopf" ist zweifelsohne ein guter Film, angesichts der originellen Thematik und der oft betonten Zusammenarbeit mit einem "Experten auf dem Gebiet der Emotionsforschung" hatte ich mir jedoch definitiv mehr erhofft als eine Geschichte mit einer letztlich doch recht banalen "Das Leben kann nicht immer nur schön sein"-Botschaft. Zugegeben, das ist immer noch raffinierter als die berühmt-berüchtigte Holzhammer-Pädagogik der Sorte "Wenn du es nur wirklich willst, kannst du alles schaffen" oder "Nichts geht über die Familie" in zahlreichen Disney-Zeichentrickfilmen – aber nicht viel. Für OSCAR für den besten Animationsfilm des Jahres 2015 hat es trotzdem gereicht.

Besonders schade ist das, da "Alles steht Kopf" vereinzelt durchaus andeutet, was möglich gewesen wäre. Vor allem ein leider nur kurzer, aber umso genialerer Ausflug in den Hirnbereich für abstraktes Denken ist in dieser Hinsicht beispielhaft, wird aber von relativ konventionellen – wenn auch oft witzigen, gelegentlich anrührenden, manchmal gar einsichtsreichen – Momenten zu stark in den Hintergrund gedrängt. Bedauerlich finde ich zudem, daß drei der fünf Emotionen – Wut, Angst und Ekel – von Beginn an zu komödiantischen Sidekicks degradiert werden. Das sorgt zwar für zahlreiche Lacher, aber daß Freude und Kummer mit ihrer Odyssee zurück in die Emotionszentrale so eindeutig im Zentrum der Geschichte stehen, bringt doch eine ziemliche Simplifizierung des komplexen realen Zusammenspiels der Gefühle sowie auch der generellen Figurenzeichnung mit sich. Dazu kommt, daß die Abenteuer von Freude und Kummer den anfänglichen Einfallsreichtum nicht ganz durchhalten und stattdessen gegen Ende mitunter langatmig wirken. Die Highlights wie besagter Hirnbereich für abstraktes Denken oder auch der sich stark entwickelnde Handlungsstrang rund um Rileys imaginierten und inzwischen fast vergessenen Kindheitsfreund Bing Bong sind im Vergleich zu richtig genialen Animations- oder Zeichentrickfilmen (nein, ich werde dieses eine Mal nicht Studio Ghibli als Referenz nennen! Ach Mist, zu spät …) einfach ein wenig zu rar gesät.

Die Animationsqualität bewegt sich ebenso wie die Musik von Michael Giacchino ("Super 8") auf dem typischen hohen Pixar-Niveau, stilistisch liegt "Alles steht Kopf" für mein Empfinden sogar noch etwas über dem Pixar-Schnitt. Die 3D-Effekte sind dagegen wie bei den meisten Animationsfilmen kaum mehr als nette Spielerei und eigentlich überflüssig. Erfreulich gelungen präsentiert sich die deutsche Synchronfassung. Da zum Sprecherensemble etliche Comedians und sogar ein paar Youtuber zählen, war ich im Vorfeld sehr skeptisch, da das im Vergleich zu professionellen Sprechern qualitativ meist keine gute Idee ist. Doch die Youtuber (konkret: zwei Drittel von Y-Titty) haben nur Minirollen und die Comedians (Olaf Schubert und Hans-Joachim Heist alias Gernot Haßknecht aus der "heute-show", der passenderweise Wut spricht) machen ihre Sache gut. Dennoch merkt man, daß professionelle Synchronsprecher im Zweifelsfall die bessere Wahl sind, denn die mit Abstand beste und nuancenreichste Leistung liefert Nana Spier (die deutsche Stimme von u.a. Sarah Michelle Gellar und Claire Danes) in der Rolle von Freude ab.

Fazit: "Alles steht Kopf" ist ein guter Familien-Animationsfilm, der mit viel Witz, ein bißchen Nachdenklichkeit und einer originellen Prämisse punktet – aus letzterer aber nicht genügend herausholt.

Wertung: 7,5 Punkte.

Vorfilm:
LAVA (2015):
Regie: James Ford Murphy

Der Kurzfilm über einen einsamen Südsee-Vulkan ist wunderschön animiert, aber übermäßig kitschig – wozu die ständige Begleitung durch singende Erzähler nicht unerheblich beiträgt. Im Original sorgen die bekannten hawaiianischen Musiker Kuana Torres Kahele (auch Komponist) und Napua Greig für den Gesang, leider konnte ich nicht herausfinden, wer in der deutschen Synchronfassung singt. Auch habe ich eventuelle qualitative Unterschiede zwischen englisch- und deutschsprachiger Version nicht überprüft, Fakt ist aber: Die deutsche Fassung trifft nicht meinen Geschmack, ist (wie die gesamte Story) viel zu kitschig und fast schon schlagerartig und dürfte das Publikum ziemlich polarisieren.

Wertung: Dank der schönen Animation und der netten Idee: 6,5 Punkte.


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