Donnerstag, 31. Dezember 2015

KINO-JAHRESBILANZ 2015

Unmittelbar vor dem Jahreswechsel ist wieder einmal die Zeit für meinen Kino-Jahresrückblick samt Top 20 und Flop 6 gekommen. Und ich kann schon mal verraten, daß 2015 aus meiner Sicht das beste Kinojahr war, seit ich 2012 dieses Blog begonnen habe (und generell eines der besten Kinojahre, seit ich Mitte der 1990er Jahre meine Film-Leidenschaft entdeckt habe). Das betrifft sowohl die großen Blockbuster als auch das Arthouse-Kino und alles dazwischen; daß mit "The Avengers: Age of Ultron" und dem Bond-Abenteuer "Spectre" ausgerechnet zwei der am heißesten erwarteten Großproduktionen des Jahres leicht enttäuschten, fällt daher kaum ins Gewicht.
In die Wertung kommen alle Filme, die ich im Kalenderjahr 2015 im Kino gesehen habe – bis auf meine Kinobesuche im Rahmen des Fantasy Filmfests im August. Die dort vorgeführten Werke werden (soweit sie nicht später im Jahr einen regulären Kinostart erhielten) lediglich in einer kleinen Extra-Liste am Ende berücksichtigt. Da es sich bei meiner Jahresbilanz um rein subjektive Listen aus heutiger Sicht handelt, stimmen die Ranglisten nicht exakt mit meinen Wertungen in den einzelnen Rezensionen überein – es geht am Beispiel der Top 20 eher um meine persönlichen Lieblingsfilme des Jahres als um die tatsächlich besten, zudem hat sich meine Wahrnehmung mancher Filme auf längere Sicht etwas verändert.

Die Top 20 (mit Links zu den Rezensionen sowie kurzen Kommentaren):

Denis Villeneuves Kriegsfilm im Gewand eines Drogenthrillers begeistert mit kompromißloser Konsequenz, atemloser Spannung, unerwarteten Wendungen und zwei tollen Hauptdarstellern Emily Blunt und Benicio Del Toro.
Paolo Sorrentinos bittersüße philosophische Reflektion über das Älterwerden und menschliche Sehnsüchte ist ein echtes Kunstwerk, das zwar eine simple Geschichte erzählt, das aber auf herausragend faszinierende Art und Weise.  
Die von J.J. Abrams angeleitete Rückkehr in die Welt von Jedi-Rittern, Weltraumsöldnern und faschistischen Bösewicht-Fraktionen ist einfach ein perfekter Blockbuster geworden – nur die etwas zu starke dramaturgische Orientierung am allerersten "Star Wars"-Film stört ein kleines bißchen.
Paul Thomas Andersons kontrovers diskutierte Thomas Pynchon-Adaption mit Joaquin Phoenix als ständig bekifftem Privatdetektiv, der in eine verrückte Situation nach der anderen stolpert, ist skurriler als viele Filme der Coen-Brüder und so sprunghaft wie ein Känguru. Das erfordert viel Konzentration und Aufgeschlossenheit, ist aber unfaßbar witzig.
George Millers Rückkehr in die australische Endzeitwüste mit dem neuen Titeldarsteller Tom Hardy ist ein adrenalingeladener, geradliniger Actionkracher, der mit explosiven, aberwitzigen Rennsequenzen, innovativen inszenatorischen Ideen, wahnsinniger Musikuntermalung und einer der besten Frauenrollen der Blockbuster-Geschichte (exzellent verkörpert von Charlize Theron) aufwartet. 
Alejandro González Iñárritus meisterhaft inszenierte Showbiz-Satire ist ein Spielplatz schräger Ideen und ein willkommenes Comeback für Hauptdarsteller Michael Keaton.
Die britische Graphic Novel-Adaption von Matthew Vaughn vereint einfallsreich erzählte 1960er Jahre-Bond-Parodie (mit Colin Firth als beeindruckend coolem Geheimagenten) mit stylishem, herrlich durchgeknalltem Over the Top-Actionkracher. 

8. "Shaun das Schaf – Der Film"
Der beste Animationsfilm des Jahres stammt nicht von Studio Ghibli und auch nicht von Pixar, sondern vom britischen Studio Aardman Animations: Die Kinoversion der beliebten Knetgummi-Kinderserie über das schlaue Schaf Shaun, das mit seiner Herde und Hütehund Bitzer den an Gedächtnisverlust leidenden Farmer zurückholen will, ist einfach hervorragende und hochgradig amüsante Unterhaltung für die ganze Familie.

9. "Cinderella"
Sir Kenneth Branagh ist eine wunderschöne Neufassung der Geschichte vom Aschenputtel gelungen, was auch der starken Besetzung mit der sympathischen Newcomerin Lily James als Ella und Cate Blanchett als (glaubwürdig) fieser Stiefmutter zu verdanken ist.
Aaron Sorkins facettenreiches Drehbuch ist der wirkliche Star dieses ungewöhnlichen Biopics über den von Michael Fassbender gewohnt intensiv verkörperten Apple-Mitgründer Steve Jobs, das sich zwar viele künstlerische Freiheiten nimmt, daraus aber ein wunderbares, kunstvolles Charakterportrait strickt.
Das Regiedebüt von "28 Days Later"-Autor Alex Garland ist ein faszinierendes Kammerspiel über einen reichen, exzentrischen Erfinder á la Steve Jobs ("Star Wars"-Pilot Oscar Isaac), seinen Protegé ("Star Wars"-Fiesling Domhnall Gleeson) und seine Schöpfung: die erste echte künstliche Intelligenz (stark gespielt von Alicia Vikander).
Ähnlich wie "Star Wars" und "Mad Max" besinnt sich auch Colin Trevorrows neues Dinopark-Abenteuer auf die Stärken der Vergangenheit und präsentiert beste Dinosaurier-Unterhaltung mit einem wieder mal unglaublich charmanten Hauptdarsteller Chris Pratt.
Kommerziell leider ein Flop, doch künstlerisch überzeugt Robert Zemeckis' Spielfilm-Version der OSCAR-gekrönten Doku "Man on Wire" über den Franzosen Philippe Petit, der in den 1970er Jahren ungesichert auf einem Hochseil zwischen den beiden Türmen des World Trade Centers balancierte, als virtuose Mischung aus humorvollem Abenteuerfilm und Heist-Movie á la "Ocean's Eleven" in atemberaubenden 3D-Bildern. 
Matt Damon als auf dem Mars gestrandeter Astronaut, der sich in bester MacGyver-Manier durchlaviert, bis hoffentlich Rettung kommt, sorgt in diesem SciFi-Abenteuer von Altmeister Sir Ridley Scott für jede Menge Kino-Spaß
Jaco van Dormaels vermeintliche Religionssatire entpuppt sich eher als charaktergetriebene Tragikomödie im Stil von "Die fabelhafte Welt der Amélie", in der Gott nur als Comedic Relief fungiert – amüsant, einfallsreich und anrührend ist der Film trotzdem. 
Benedict Cumberbatch glänzt in dem in eine (wahre) Spionagestory gehüllten Charakterdrama als sozial extrem unangepaßter Computerpionier Alan Turing, der sich im Zweiten Weltkrieg als Codeknacker für den britischen Geheimdienst auszeichnete, nur um wenig später wegen seiner Homosexualität verfolgt zu werden. 
Der stilistisch starke iranisch-amerikanische Vampirfilm hat nicht wirklich viel mit Horror zu tun, sondern befaßt sich mit einigen einsamen Seelen in der seit Jahrzehnten zwischen westlichen Werten und islamischem Konservatismus hin- und hergerissenen iranischen Gesellschaft. 

18. "Selma"
Ava DuVernays Bürgerrechtsdrama über Martin Luther King und den Protestmarsch von Selma nach Montgomery in den 1960er Jahren ist zwar relativ konventionell in Szene gesetzt, das schmälert aber kaum die aufwühlende Wirkung des Gezeigten. 
Wer hätte gedacht, daß aus einer zwar im Kern historisch belegten, hier aber extrem frei interpretierten Nacht der künftigen Queen Elizabeth II. außerhalb des Palasts angesichts der Feiern zum Ende des Zweiten Weltkrieges mal eine solch charmante (romantische) Komödie werden würde? 
Nicht so innovativ wie der erste Teil der Gruselfilm-Reihe, aber deutlich besser als der zweite ist dieses Prequel, das aus einer eigentlich recht gewöhnlichen Besessenheits-Story erstaunlich viel herausholt.

Damit zu meinen Flop 6, also den sechs aus meiner Sicht schwächsten Filmen, die ich 2014 im Kino gesehen habe (wobei man berücksichtigen sollte, daß ich bei meiner Filmauswahl sehr sorgfältig vorgehe und deshalb meist vor richtig großen Enttäuschungen bewahrt werde):
Clint Eastwoods Portrait des Scharfschützen Chris Kyle ist zwar phasenweise spannend und von Hauptdarsteller Bradley Cooper gut gespielt – der Rückgriff auf längst vergessen gehoffte Propaganda-Mechanismen in der Dramaturgie macht den Kriegsfilm jedoch zu einem echten Ärgernis. 
Angelina Jolies Survival-Drama beginnt vielversprechend, rückt aber spätestens ab der Ankunft des Protagonisten in einem japanischen Kriegsgefangenenlager erzählerisch in die Nähe von (sehr patriotischem und ebenfalls ziemlich propagandistschen) "Torture Porn" und ist generell ziemlich langweilig. 
Die Verfilmung eines Broadway-Musical-Hits von "Sweeney Todd"-Schöpfer Stephen Sondheim hat zwar ein paar nette Märchen-Parodien zu bieten, kommt aber insgesamt deutlich zu zahm daher – und die Gesangseinlagen sind definitiv Geschmackssache (meinen Geschmack treffen sie nicht, aber das geht mir mit den meisten Sondheim-Kompositionen so). 
Während "Star Wars", "Mad Max" und "Jurassic World" vorgemacht haben, wie man lange brachliegende Filmreiehn erfolgreich wiederbelebt, scheiterte der fünfte "Terminator"-Film trotz der durchaus gelungenen Rückkehr von Arnold Schwarzenegger an einem mäßig aufregenden Drehbuch und ziemlich beliebigen Actionszenen. 
Das Weltraum-Abenteuer der Geschwister Wachowski ist kein schlechter Film, doch abseits der beeindruckenden Optik hat es nicht wirklich viel zu bieten. 
Wenn ausgerechnet das große Finale einer beliebten Filmreihe schwächelt, ist das besonders ärgerlich. Hier ist leider genau das passiert, denn das Ende der von Jennifer Lawrence gewohnt mitreißend angeführten Rebellion gegen das Kapitol um den diktatorischen Präsidenten Snow schafft das Kunststück, gleichzeitig zu ausgewalzt (in den Actionsequenzen) und zu gehetzt (in den Charaktermomenten) zu sein – und schließlich unspektakulär im Mittelmaß zu enden.

Abschließend meine Top 6 der besten Fantasy Filmfest-Werke des Jahres 2014:
 
Quentin Dupieuxs "Inception"-inspirierte surreale Komödie spielt geschickt mit verschiedenen Ebenen und entführt den aufgeschlossenen Zuschauer in eine aberwitzige Welt des herrlichen Wahnsinns! 
Die Sammlung von fünf stilistisch extrem unterschiedlichen Kurzfilmen nach Edgar Allan Poe ist zwar qualitativ etwas unausgewogen, insgesamt aber eine hervorragende Einführung in das elegante Werk des Schauer-Barden aus dem frühen 19. Jahrhundert. 
Eine energetische und gewitzte Hommage an die Actionfilme der 1980er Jahre, die mit ihrem ohrwurmverdächtigen Synthesizer-Soundtrack ebenso punktet wie mit dem undurchschaubar-charismatischen Hauptdarsteller Dan Stevens – das Over the Top-Finale spaltet allerdings das Publikum (mir hat's gefallen). 
Der intelligente, grimmige Kannibalen-Western mit Kurt Russell, Patrick Wilson, Matthew Fox und Richard Jenkins ist gemächlich, aber sehr atmosphärisch erzählte und charaktergetriebene Oldschool-Genreware mit einem blutigen Finale. 
Manchen ist die nur bedingt auf Subtilität setzende Satire auf das Musikgeschäft gar zu schrill geraten, als Eröffnungsfilm des Fantasy Filmfests kam sie auch dank Hauptdarsteller Nicholas Hoult in seiner zweiten Top-Rolle des Jahres (nach "Mad Max: Fury Road") aber prima an. 
Matteo Garrones opulente, international besetzte Verfilmung dreier alter italienischer Märchen ist wunderschön gestaltet und dramaturgisch erfrischend gegen den Strich gebürstet (viel besser als es der anderen Märchen-Parodie des Jahres, "Into the Woods", gelang), auch wenn das gewisse erzählerische Etwas fehlt, das einen so richtig mitreißen würde. 

Fazit:
Wie bereits eingangs erwähnt: 2015 war ein Kinojahr mit richtig vielen Höhen – allerdings auch einigen Tiefen, die primär mit der zunehmenden Rückkehr Hollywoods zum amerikanischen Patriotismus nach einer längeren Zeit der sehr kriegskritischen Haltung nach 9/11 zu tun haben (auf die ich übrigens auch in meinem gerade erschienenen neuen Buch "Zwischen Propaganda und Anti-Kriegsbotschaft: Die Darstellung des Krieges im US-amerikanischen Film als Indikator gesellschaftlichen Wandels" eingehe, das ich nicht ganz unerwähnt bleiben lassen will ...). Im Grunde genommen waren für mich die ersten zwölf Plätze meiner Jahresbestenliste echte Highlights, die es in vielen anderen Jahren sogar unter die Top 3 geschafft hätten.
Meine Bestenliste enthält zwar dieses Jahr größtenteils englischsprachige Werke, doch dank britischer, iranischer, italienischer, australischer und belgischer Beteiligung ist eine gewisse Internationalität trotzdem gewährleistet. Leicht schamvoll muß ich übrigens eingestehen, 2015 wohl erstmals überhaupt keinen einzigen deutschen Film im Kino gesehen zu haben (mit der netten Vampirkomödie "Therapie für einen Vampir" aber immerhin einen deutschsprachigen). Das liegt nicht in einer generellen Verweigerungshaltung begründet, denn mit "Victoria", "Der Staat gegen Fritz Bauer" oder "Elser" gab es durchaus deutsche Filme, die ich eigentlich sehen wollte – nur habe ich es irgendwie einfach nicht rechtzeitig geschafft, ehe sie wieder aus den Kinos verschwunden waren ...
Die Anzahl der 3D-Filme in den Top 20 ist von sieben in den letzten beiden Jahren auf nur noch fünf gesunken, bei diesen fünf hat sie sich dafür aber tatsächlich gelohnt. Gleichzeitig besteht die Hälfte meiner Flop 6 aus 3D-Filmen, was einer weniger ist als 2014. Nur vier Fortsetzungen bzw. Prequels befinden sich in der Top-Liste (zwei weniger als im Jahr zuvor), dazu kommen ein Remake ("Cinderella") und eine Kinoversion einer TV-Serie ("Shaun das Schaf"). Über zu wenig Originalität konnte man sich 2015 also kaum beschweren.

Mit der Hoffnung auf ein annähernd ähnlich tolles Kinojahr 2016 (mit Tarantinos "The Hateful 8", Leonardo DiCaprio als "The Revenant", "Batman vs. Superman", "Captain America: Civil War", dem ersten "Star Wars"-Spin-Off, dem ersten "Harry Potter"-Spin-Off und bestimmt wieder sehr vielen starken kleineren Produktionen, die man jetzt noch gar nicht so auf dem Schirm hat) wünsche ich damit allen Lesern einen guten Rutsch in das Jahr 2016.
Achja, und ich will auch nicht versäumen, mich bei denjenigen zu bedanken, die mich mittels Einkäufen über die diversen Amazon-Links auf meinem Blog finanziell unterstützen. Das sind nicht viele, aber denen bin ich dafür natürlich umso dankbarer (bei dieser Gelegenheit sollte ich vielleicht auch mal wieder erwähnen, daß es ausreicht, irgendeinen Amazon-Link auf "Der Kinogänger" anzuklicken und sich danach direkt bei Amazon die Käufe zusammenzustellen – es ist NICHT notwendig, alle Produkte einzeln etwa über das Amazon-Suchfeld in der rechten Blog-Spalte auszuwählen!).

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