Regie: Can
Evrenol, Drehbuch: Ogulcan Eren Akay, Cem Ozuduru, Ercin Sadikoglu und Can
Evrenol, Musik: JF
Darsteller: Görkem Kasal, Ergun Kuyucu, Muharrem Bayrak,
Sabahattin Yakut, Mehmet Fatih Dokgöz, Mehmet Cerrahoglu
Fünf Polizisten vertreiben sich die Zeit in ihrer
Nachtschicht in den Randbezirken Istanbuls in einem kleinen Restaurant, in dem
sie sich gegenseitig versaute Sex-Geschichten erzählen und die Bedienung ein wenig
schikanieren. Als sie sich wieder auf den Weg machen, erhalten sie per Funk
einen Ruf nach Verstärkung in Inceaglac. Vier der Polizisten haben zu ihrem
eigenen Erstaunen noch nie von diesem Ort gehört, doch Seyfi (Sabahattin Yakut), der
aus der Gegend stammt, weiß zu berichten, daß sich düstere Geschichten
über Inceaglac erzählt werden. Natürlich lachen seine Kollegen darüber,
doch als sie vor der seit Jahrzehnten aufgegebenen Polizeistation des Ortes
einen leeren Polizeiwagen mit aktiviertem Blaulicht sehen, macht sich doch ein
mulmiges Gefühl breit. Vorsichtig erkunden sie die Station auf der Suche nach
ihren Kollegen – und treffen auf das nackte Grauen …
Kritik:
Als aufgeschlossener Cineast habe ich schon Filme aus vielen
Ländern gesehen. Was mir bisher noch gefehlt hat, war ein türkischer Film – zwar
habe ich (vorwiegend dank Fatih Akin) bereits einige türkische Co-Produktionen
gesehen, aber noch keinen "echten" türkischen Film. Der einzige
Versuch, den ich machte (mit der erfolgreichen Weltraumkomödie
"G.O.R.A."), war für mich aufgrund des Humors der blanke Horror,
weshalb ich ihn vorzeitig abbrach. Trotzdem war das vielleicht schon ein
Fingerzeig, denn somit ist "Baskin" (der in den deutschen Kinos in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln gezeigt wird) mein erster kompletter türkischer
Film, und der ist ebenfalls der Horror – allerdings gewollt. Regisseur und
Co-Autor Can Evrenol hat mit seinem Werk auf internationalen Festivals für einiges Aufsehen gesorgt,
auch beim deutschen Fantasy Filmfest erhielt er recht wohlwollende Reaktionen. Das
ist verständlich, da Evrenol sich offensichtlich gut mit dem Genre auskennt und Horrorfans einiges liefert, worüber sie sich freuen können – eine wenigstens
halbwegs schlüssige Handlung zählt aber leider nicht dazu.
Nun kann man nicht unbedingt behaupten, daß sich Horrorfilme grundsätzlich in erster Linie durch eine gute Story auszeichnen – im Gegenteil
gibt es gerade im Direct to DVD-Bereich selbstverständlich tonnenweise Werke,
die sich noch weniger darum kümmern als "Baskin". Dennoch, ein
richtig guter Horrorfilm muß auch eine spannende Geschichte mit interessanten
Charaktere erzählen, so wie es etwa "Ring", "Das
Omen", "The Fog – Nebel des Grauens" oder "Hellraiser"
getan haben. Theoretisch ist das Evrenol wohl auch bewußt, denn er läßt sich
viel Zeit mit der Exposition – allerdings ohne damit die erhoffte Wirkung zu
erzielen. Im Grunde genommen dauert die Einleitung fast den halben Film, aber sie beschränkt sich größtenteils darauf, die Protagonisten als nur mäßig
sympathische Proleten zu etablieren und gelegentlich kleinere
"Foreshadowing"-Momente einzubauen (Seyfi wird von einer unerklärlichen
Übelkeit geplagt; überall tauchen Frösche auf, was wohl eine Anspielung auf die
biblischen Plagen ist; auf der Fahrt nach Inceaglac singen alle
gemeinsam einen Song, dessen Refrain die Zeile "wir fürchten uns vor
Niemandem" enthält). So etwas passiert wahrscheinlich, wenn man wie hier einen 11 Minuten dauernden Kurzfilm (den Evrenol 2013 unter dem gleichen Titel veröffentlichte) zu einem 90-Minüter ausweiten will – jedenfalls hatte Mike Flanagan bei seiner "Oculus"-Langfassung mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Immerhin reicht es hier gerade so aus, um die fünf
Hauptdarsteller einigermaßen auseinanderhalten zu können: Remzi (Ergun Kuyucu, "Taken 2")
ist der besonnene Anführer, Arda (Gorkem Kasal) das unerfahrene
Nesthäkchen, Seyfi der Abergläubische, Apo (Mehmet Fatih Dokgöz) der Unauffällige und Yavuz (Muharrem Bayrak) der laute Ober-Prolet – dessen blumige,
ganz und gar unpolizeihafte Ausdrucksweise ("Wir ficken dich, du
gottverdammter Hurensohn!") jedoch nicht eines gewissen Fremdschäm-Unterhaltungswerts
entbehrt.
Als Sympathieträger, mit denen man bangt und mitleidet,
qualifizieren sie sich damit noch lange nicht, gleichzeitig kommen sie aber
auch bei weitem nicht so hassenswert herüber, daß man sich á la "Uhrwerk
Orange" bereits diebisch darauf freuen würde, was ihnen zustoßen wird – insofern
ist der Sinn der überlangen Einführung mehr als fraglich. Immerhin gelingt
es Evrenol, durch kleine, anfangs unauffällige Momente und eingestreute kryptische
Traumsequenzen von Arda eine unheilschwangere Atmosphäre aufzubauen, die das
Interesse des Publikums mit Mühe wachhält. Das ist durchaus eine Leistung, da
"Baskin" auf einen klassischen, bewährten Spannungsbogen verzichtet;
zuerst passiert 45 Minuten lang fast überhaupt nichts, dann gibt es einen
kurzen Spannungsaufbau mit noch mehr Traumsequenzen respektive
Rückblenden, abrupt gefolgt von einem 30-minütigen Alptraum-Finale ohne befriedigende
Erklärungen. Meines Erachtens wäre es deutlich effektiver gewesen, den Anfang
abzukürzen und dafür den Mittelteil auszubauen, also die Erkundung der
verlassenen Polizeiwache, die den Cops ein "Silent Hill"-artiges
Grauen offenbart, das man definitiv länger in den Mittelpunkt hätte stellen
können. Aber gut, zumindest ist es angesichts der mageren Charakterzeichnung nur konsequent, daß die Polizisten nach Beginn ihres Horror-Einsatzes
innerhalb kürzester Zeit in eine passive Rolle gezwungen werden.
Was dann passiert, werde ich natürlich nicht spoilern, ich
kann aber versichern, daß Evrenol und sein Team ihre B-Movie-Hausaufgaben
gemacht haben und mit so einigen Schauer-Szenen aufwarten, die sich problemlos
für Adjektive wie "verstörend", "abartig",
"eklig" oder "grauenhaft" qualifizieren. Die Einflüsse des
Horrorkinos der 1980er Jahre sind dabei unverkennbar, wobei sich
"Baskin" deutlich eher bei den drastischen Clive Barker-Verfilmungen á
la "Hellraiser" als bei den subtileren, manchmal schwarzhumorigen H.P.
Lovecraft-Adaptionen wie "Re-Animator" einordnet. Dabei zeichnet
sich der letzte Akt von "Baskin" durch eine ungewöhnliche Eleganz aus
– der Kameramann Alp Korfali ("Battle of Empires – Fetih 1453") bringt uns das höllische Geschehen mit einigen stimmungsvollen
Kamerafahrten näher und schafft es im gekonnten Zusammenspiel mit dem
bedrohlichen, hörbar von John Carpenter ("Halloween")
inspirierten Synthesizer-Score des Duos JF doch tatsächlich, die Schönheit im Grauen
herauszuarbeiten. Dieses Grauen kommt übrigens sympathischerweise ohne (bemerkbare)
Computereffekte aus und überzeugt mit einem eigentlichen simplen, aber sehr
stimmungsvollen Design, dessen Beeinflussung durch die üblichen
Verdächtigen Hieronymus Bosch und H.R. Giger, aber auch durch biblische Motive
unübersehbar ist. Angesichts des atmosphärisch-grauenhaften Finales, das mit
Sicherheit die Herzen vieler Oldschool-Horrorfans höher schlagen läßt, könnte
man fast darüber hinwegsehen, daß Evrenol auf Erklärungen für das Gezeigte
weitgehend verzichtet und das, was doch erklärt wird, ziemlich unverständlich
bleibt. Aber eben nur fast.
Fazit: "Baskin" ist interessanter,
im langen Finale bemerkenswert kompromißloser türkischer B-Movie-Horror, atmosphärisch in Szene gesetzt und visuell überzeugend,
handlungstechnisch jedoch arg reduziert. Hier läßt sich einmal mit Fug und
Recht eine eigentlich überbeanspruchte Kritiker-Phrase herauskramen: Nur für
Genrefans (die auf die Wertung durchaus einen Punkt aufschlagen dürfen)!
Wertung: 6 Punkte.
Der Sichtungslink als Grundlage dieser Rezension wurde mir freundlicherweise von capelight pictures bereitgestellt, die den deutschen Kinostart an Neujahr 2016 und die spätere Heimkino-Veröffentlichung Ende April verantworten.
Der Sichtungslink als Grundlage dieser Rezension wurde mir freundlicherweise von capelight pictures bereitgestellt, die den deutschen Kinostart an Neujahr 2016 und die spätere Heimkino-Veröffentlichung Ende April verantworten.
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