Mittwoch, 30. Dezember 2015

BASKIN (2015)

Regie: Can Evrenol, Drehbuch: Ogulcan Eren Akay, Cem Ozuduru, Ercin Sadikoglu und Can Evrenol, Musik: JF
Darsteller: Görkem Kasal, Ergun Kuyucu, Muharrem Bayrak, Sabahattin Yakut, Mehmet Fatih Dokgöz, Mehmet Cerrahoglu
Baskin
(2015) on IMDb Rotten Tomatoes: 80% (7,0); weltweites Einspielergebnis: $0,3 Mio.
FSK: 18, Dauer: 96 Minuten.

Fünf Polizisten vertreiben sich die Zeit in ihrer Nachtschicht in den Randbezirken Istanbuls in einem kleinen Restaurant, in dem sie sich gegenseitig versaute Sex-Geschichten erzählen und die Bedienung ein wenig schikanieren. Als sie sich wieder auf den Weg machen, erhalten sie per Funk einen Ruf nach Verstärkung in Inceaglac. Vier der Polizisten haben zu ihrem eigenen Erstaunen noch nie von diesem Ort gehört, doch Seyfi (Sabahattin Yakut), der aus der Gegend stammt, weiß zu berichten, daß sich düstere Geschichten über Inceaglac erzählt werden. Natürlich lachen seine Kollegen darüber, doch als sie vor der seit Jahrzehnten aufgegebenen Polizeistation des Ortes einen leeren Polizeiwagen mit aktiviertem Blaulicht sehen, macht sich doch ein mulmiges Gefühl breit. Vorsichtig erkunden sie die Station auf der Suche nach ihren Kollegen – und treffen auf das nackte Grauen …

Kritik:
Als aufgeschlossener Cineast habe ich schon Filme aus vielen Ländern gesehen. Was mir bisher noch gefehlt hat, war ein türkischer Film – zwar habe ich (vorwiegend dank Fatih Akin) bereits einige türkische Co-Produktionen gesehen, aber noch keinen "echten" türkischen Film. Der einzige Versuch, den ich machte (mit der erfolgreichen Weltraumkomödie "G.O.R.A."), war für mich aufgrund des Humors der blanke Horror, weshalb ich ihn vorzeitig abbrach. Trotzdem war das vielleicht schon ein Fingerzeig, denn somit ist "Baskin" (der in den deutschen Kinos in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln gezeigt wird) mein erster kompletter türkischer Film, und der ist ebenfalls der Horror – allerdings gewollt. Regisseur und Co-Autor Can Evrenol hat mit seinem Werk auf internationalen Festivals für einiges Aufsehen gesorgt, auch beim deutschen Fantasy Filmfest erhielt er recht wohlwollende Reaktionen. Das ist verständlich, da Evrenol sich offensichtlich gut mit dem Genre auskennt und Horrorfans einiges liefert, worüber sie sich freuen können – eine wenigstens halbwegs schlüssige Handlung zählt aber leider nicht dazu.

Nun kann man nicht unbedingt behaupten, daß sich Horrorfilme grundsätzlich in erster Linie durch eine gute Story auszeichnen – im Gegenteil gibt es gerade im Direct to DVD-Bereich selbstverständlich tonnenweise Werke, die sich noch weniger darum kümmern als "Baskin". Dennoch, ein richtig guter Horrorfilm muß auch eine spannende Geschichte mit interessanten Charaktere erzählen, so wie es etwa "Ring", "Das Omen", "The Fog – Nebel des Grauens" oder "Hellraiser" getan haben. Theoretisch ist das Evrenol wohl auch bewußt, denn er läßt sich viel Zeit mit der Exposition – allerdings ohne damit die erhoffte Wirkung zu erzielen. Im Grunde genommen dauert die Einleitung fast den halben Film, aber sie beschränkt sich größtenteils darauf, die Protagonisten als nur mäßig sympathische Proleten zu etablieren und gelegentlich kleinere "Foreshadowing"-Momente einzubauen (Seyfi wird von einer unerklärlichen Übelkeit geplagt; überall tauchen Frösche auf, was wohl eine Anspielung auf die biblischen Plagen ist; auf der Fahrt nach Inceaglac singen alle gemeinsam einen Song, dessen Refrain die Zeile "wir fürchten uns vor Niemandem" enthält). So etwas passiert wahrscheinlich, wenn man wie hier einen 11 Minuten dauernden Kurzfilm (den Evrenol 2013 unter dem gleichen Titel veröffentlichte) zu einem 90-Minüter ausweiten will – jedenfalls hatte Mike Flanagan bei seiner "Oculus"-Langfassung mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Immerhin reicht es hier gerade so aus, um die fünf Hauptdarsteller einigermaßen auseinanderhalten zu können: Remzi (Ergun Kuyucu, "Taken 2") ist der besonnene Anführer, Arda (Gorkem Kasal) das unerfahrene Nesthäkchen, Seyfi der Abergläubische, Apo (Mehmet Fatih Dokgöz) der Unauffällige und Yavuz (Muharrem Bayrak) der laute Ober-Prolet – dessen blumige, ganz und gar unpolizeihafte Ausdrucksweise ("Wir ficken dich, du gottverdammter Hurensohn!") jedoch nicht eines gewissen Fremdschäm-Unterhaltungswerts entbehrt.
Als Sympathieträger, mit denen man bangt und mitleidet, qualifizieren sie sich damit noch lange nicht, gleichzeitig kommen sie aber auch bei weitem nicht so hassenswert herüber, daß man sich á la "Uhrwerk Orange" bereits diebisch darauf freuen würde, was ihnen zustoßen wird – insofern ist der Sinn der überlangen Einführung mehr als fraglich. Immerhin gelingt es Evrenol, durch kleine, anfangs unauffällige Momente und eingestreute kryptische Traumsequenzen von Arda eine unheilschwangere Atmosphäre aufzubauen, die das Interesse des Publikums mit Mühe wachhält. Das ist durchaus eine Leistung, da "Baskin" auf einen klassischen, bewährten Spannungsbogen verzichtet; zuerst passiert 45 Minuten lang fast überhaupt nichts, dann gibt es einen kurzen Spannungsaufbau mit noch mehr Traumsequenzen respektive Rückblenden, abrupt gefolgt von einem 30-minütigen Alptraum-Finale ohne befriedigende Erklärungen. Meines Erachtens wäre es deutlich effektiver gewesen, den Anfang abzukürzen und dafür den Mittelteil auszubauen, also die Erkundung der verlassenen Polizeiwache, die den Cops ein "Silent Hill"-artiges Grauen offenbart, das man definitiv länger in den Mittelpunkt hätte stellen können. Aber gut, zumindest ist es angesichts der mageren Charakterzeichnung nur konsequent, daß die Polizisten nach Beginn ihres Horror-Einsatzes innerhalb kürzester Zeit in eine passive Rolle gezwungen werden.
Was dann passiert, werde ich natürlich nicht spoilern, ich kann aber versichern, daß Evrenol und sein Team ihre B-Movie-Hausaufgaben gemacht haben und mit so einigen Schauer-Szenen aufwarten, die sich problemlos für Adjektive wie "verstörend", "abartig", "eklig" oder "grauenhaft" qualifizieren. Die Einflüsse des Horrorkinos der 1980er Jahre sind dabei unverkennbar, wobei sich "Baskin" deutlich eher bei den drastischen Clive Barker-Verfilmungen á la "Hellraiser" als bei den subtileren, manchmal schwarzhumorigen H.P. Lovecraft-Adaptionen wie "Re-Animator" einordnet. Dabei zeichnet sich der letzte Akt von "Baskin" durch eine ungewöhnliche Eleganz aus – der Kameramann Alp Korfali ("Battle of Empires Fetih 1453") bringt uns das höllische Geschehen mit einigen stimmungsvollen Kamerafahrten näher und schafft es im gekonnten Zusammenspiel mit dem bedrohlichen, hörbar von John Carpenter ("Halloween") inspirierten Synthesizer-Score des Duos JF doch tatsächlich, die Schönheit im Grauen herauszuarbeiten. Dieses Grauen kommt übrigens sympathischerweise ohne (bemerkbare) Computereffekte aus und überzeugt mit einem eigentlichen simplen, aber sehr stimmungsvollen Design, dessen Beeinflussung durch die üblichen Verdächtigen Hieronymus Bosch und H.R. Giger, aber auch durch biblische Motive unübersehbar ist. Angesichts des atmosphärisch-grauenhaften Finales, das mit Sicherheit die Herzen vieler Oldschool-Horrorfans höher schlagen läßt, könnte man fast darüber hinwegsehen, daß Evrenol auf Erklärungen für das Gezeigte weitgehend verzichtet und das, was doch erklärt wird, ziemlich unverständlich bleibt. Aber eben nur fast.

Fazit: "Baskin" ist interessanter, im langen Finale bemerkenswert kompromißloser türkischer B-Movie-Horror, atmosphärisch in Szene gesetzt und visuell überzeugend, handlungstechnisch jedoch arg reduziert. Hier läßt sich einmal mit Fug und Recht eine eigentlich überbeanspruchte Kritiker-Phrase herauskramen: Nur für Genrefans (die auf die Wertung durchaus einen Punkt aufschlagen dürfen)!

Wertung: 6 Punkte.

Der Sichtungslink als Grundlage dieser Rezension wurde mir freundlicherweise von capelight pictures bereitgestellt, die den deutschen Kinostart an Neujahr 2016 und die spätere Heimkino-Veröffentlichung Ende April verantworten.


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