Originaltitel:
In the Heart of the Sea
Regisseur:
Ron Howard, Drehbuch: Charles Leavitt, Musik: Roque Baños
Darsteller:
Chris Hemsworth, Benjamin Walker, Tom Holland, Cillian Murphy, Ben Whishaw,
Brendan Gleeson, Michelle Fairley, Charlotte Riley, Frank Dillane, Paul
Anderson, Jamie Sives, Joseph Mawle, Donald Sumpter, Osy Ikhile, Gary Beadle,
Edward Ashley, Jordi Mollà
Nach langem Bitten gelingt es dem jungen, aufstrebenden Schriftsteller
Herman Melville (Ben Whishaw, "Cloud Atlas") endlich doch, Thomas
Nickerson (Brendan Gleeson, "The Guard"), den letzten Überlebenden
des legendenumwobenen Untergangs des Walfangschiffes "Essex" einige
Jahrzehnte zuvor, zu überreden, ihm die ganze Wahrheit über das Unglück zu
erzählen. Der noch immer traumatisierte Mann war seinerzeit, im Jahr 1820, das mit
14 Jahren jüngste Besatzungsmitglied, als das Schiff unter dem unerfahrenen
Captain George Pollard (Benjamin Walker, "Abraham Lincoln:
Vampirjäger") von der Insel Nantucket aus in See stach. Doch als Folge der
boomenden Nachfrage nach Waltran sind in den üblichen Gewässern nur noch sehr wenige
Wale zu finden, weshalb die "Essex" immer weiter hinaus auf die hohe
See steuern muß. Der anhaltende Mißerfolg verstärkt die Spannungen zwischen
Captain Pollard und dem ersten Steuermann Owen Chase (Chris
"Thor" Hemsworth), dem eigentlich versprochen worden war, die Fahrt
selbst als Captain anzuführen. Als die "Essex" schließlich doch auf
eine riesige Walherde stößt, ist der Jubel groß – allerdings nur kurz, denn ein gewaltiger weißer Walbulle attackiert das Schiff …
Kritik:
Herman Melvilles Klassiker der Abenteuer-Literatur
"Moby Dick" wurde bereits mehrfach für Kino und TV verfilmt, am
bekanntesten ist John Hustons Version von 1956 mit Gregory Peck in der
Hauptrolle des rachsüchtigen Captain Ahab. Melville, der in jungen Jahren selbst
kurz als Walfänger arbeitete, erfand seine Geschichte nicht einfach,
sondern ließ sich von mehreren realen Vorkommnissen inspirieren. Eines davon
war der Untergang des Walfangschiffs "Essex", der nun erstmals selbst im Zentrum
eines Kinofilms steht. Als Basis dient ein Bestseller aus dem Jahr 2000 von Nathaniel
Philbrick, wobei sich Regisseur Ron Howard ("Rush") und der Drehbuch-Autor
Charles Leavitt ("Blood Diamond") bei der Rahmengeschichte
aber relativ viele Freiheiten nahmen. Während Melville in der Realität nämlich vor
allem auf Aufzeichnungen der Überlebenden zurückgriff, ist er im Film fast
komplett auf die Erzählung von Thomas Nickerson angewiesen. Von diesem kleinen
Kunstgriff abgesehen hält sich "Im Herzen der See" ziemlich
dicht an das, was man über den Untergang der "Essex" weiß. Das ist
zwar ehrenwert und wird Anhänger möglichst realitätsnaher Filme freuen, die
sich sonst gerne über jede noch so kleine künstlerische Freiheit ärgern – aus cineastischer
Sicht führt das Vorgehen jedoch zu einem zwar handwerklich sehr gut gemachten,
aber inhaltlich komplett überraschungsfreien Werk.
Nun kann man natürlich nicht verlangen, daß jeder neue Film
immer etwas Neues zu bieten haben muß, um irgendwie relevant zu sein (auch wenn es
Kritiker gibt, die genau das tun), aber wenn man wie hier etwas vorgesetzt
bekommt, das man so ähnlich schon oft und nicht selten aufregender und spannender gesehen hat,
dann fragt man sich schon, ob man das nicht besser hätte gestalten können. Aber
wenn man schon bei der eigentlichen Handlung zum Wohle der Realitätsnähe auf
jegliche Sperenzchen verzichtet, dann sollte man zumindest die handelnden
Figuren fesselnd gestalten. Dabei versagt "Im Herzen der See" leider.
Lediglich Owen Chase und Captain Pollard bleiben einem halbwegs im Gedächtnis,
wobei Pollard sogar der einzige ist, der eine charakterliche Entwicklung
durchläuft. Benjamin Walker bringt diese glaubwürdig rüber und bietet einen
soliden Gegenpol zum den Film klar dominierenden Chris Hemsworth, der als heißblütiger
Owen Chase eine gute Leistung abliefert. Doch diese beiden Charaktere allein
reichen nicht aus, um eine enge emotionale Bindung des Publikums zu diesen verzweifelt um ihr
Leben kämpfenden Männer zu schaffen. Dafür bleiben einem eigentlich selbst
Chase und Pollard zu fremd, erst Recht gilt das für die übrige Mannschaft. Daran
können auch gute Darsteller wie Cillian Murphy ("Batman Begins", als
Chases Kindheitsfreund Matthew Joy) oder der zukünftige "Spider-Man" Tom
Holland ("The Impossible", als junger Tom Nickerson) nichts ändern –
zumal der Film (anders als "Moby Dick") vor allem in der zweiten
Hälfte fast komplett auf Konflikte innerhalb der Mannschaft verzichtet.
Doch wo "Im Herzen der See" in Sachen Handlung und Charaktere nicht mehr als gediegenes Mittelmaß präsentiert und auch die
verzweifelte Notlage der Schiffbrüchigen psychologisch nur oberflächlich angerissen wird, da überzeugt die künstlerische Darbietung dafür umso mehr. Kameramann
Anthony Dod Mantle ("127 Hours") verwöhnt das Publikum immer wieder
mit tollen 3D-Aufnahmen auf hoher See und mit actionreichen Kamerafahrten etwa während
eines Sturms oder natürlich beim Walfang. Zwar wirkt das auch angesichts der
beinahe romantischen Farbgebung immer wieder etwas künstlich, das ist aber
erkennbar so gewollt – immerhin soll Kino dieser Art die Zuschauer in eine
andere, fremde und in diesem Fall auch lange vergangene Welt entführen und das
gelingt Howard und Mantle vortrefflich; wohl nicht ohne Grund erinnern
manche Szenerien gar an die imposanten romantischen Meeresgemälde eines William
Turner. Die Seefahrt-Sequenzen überzeugen auf ganzer Linie und
rufen in ihrer betont unspektakulären, altmodischen Inszenierung
Erinnerungen an Peter Weirs "Master & Commander" wach.
Apropos "in eine vergangene Zeit entführen":
Interessant ist natürlich, wie das Thema "Walfang" angegangen wird,
dessen Rezeption durch die Öffentlichkeit sich ja nicht nur gegenüber der
damaligen Zeit extrem verändert hat, sondern selbst gegenüber früheren
Verfilmungen wie der von John Huston. Im 19. Jahrhundert war der Walfang ein
großes Abenteuer, lukrativ noch dazu und gewissermaßen gar religiös
legitimiert (schließlich soll sich der Mensch die Natur Untertan machen, wie im
Film der gläubige Captain Pollard argumentiert); heute hingegen ist Walfang
weitestgehend verpönt, Wale stehen als Symbol für den Umweltschutz sogar im
Zentrum von Filmen wie "Star Trek IV: Zurück in die Gegenwart" und
die wenigen noch immer am Walfang festhaltenden Nationen wie Japan und Norwegen
werden zumindest moralisch geächtet. Wie also eine Geschichte adaptieren, in
der eigentlich die tapferen Walfänger die Helden sein sollen und der
zerstörerische weiße Wal der Bösewicht? Howard und Leavitt entschieden sich
dafür, sich im Detail weitgehend der Wertung zu enthalten. Sie beschönigen
nichts, sie dramatisieren nichts, sie erzählen einfach eine Geschichte aus
einer anderen Zeit, deren Protagonisten weder Helden noch Fieslinge sind. Nur
eine, allerdings recht deutliche, Ausnahme machen sie: Bei der ersten Walfang-Szene läßt
Komponist Roque Baños ("Evil Dead") die bis dahin aufregend-dramatische Musik am Ende in eine melancholische, stark von Moll-Tönen
geprägte Melodie übergehen, die die Jubelrufe der Männer übertönt. Das ist nicht unbedingt
subtil, aber durchaus eine gute Lösung. Weniger gefallen hat mir,
daß zwei Männer nicht in die Jubeltraube einfallen: Tom Nickerson und Owen
Chase. Bei Nickerson ist das in Ordnung, schließlich ist es sein "Erstes
Mal" und bei einem 14-Jährigen ist angesichts der grausamen Situation
(die übrigens von Howard in der Darstellung trotz beeindruckender Bilder
lobenswerterweise nicht beschönigt oder verharmlost wird) eine solche Reaktion absolut
nachvollziehbar. Beim erfahrenen Waljäger Chase hingegen widersprecht sie
eigentlich komplett seiner sonstigen Charakterisierung und ist daher erkennbar
nur deshalb eingefügt worden, um ihm die Sympathien des Publikums zu sichern.
Meines Erachtens ist das eine relativ feige, manipulative Vorgehensweise, die
der Film nicht nötig hätte. Ehrlicher wäre es gewesen, Chase als den Mann des
frühen 19. Jahrhunderts zu zeigen, der er war. Denn das 19. Jahrhundert war nun einmal keine einfache Zeit und der Walfang war eine gefährliche Tätigkeit, in der es für Skrupel wenig Platz gab.
Fazit: "Im Herzen der See" ist ein durchaus
erfrischend altmodisch inszenierter Abenteuerfilm, der auf ein großes
Action-Spektakel verzichtet und sich stattdessen lieber der Schönheit der
künstlerischen Gestaltung widmet – es dabei allerdings auch versäumt, der
Handlung und vor allem den Charakteren genügend Sorgfalt zu widmen.
Wertung: 6 Punkte.
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