Mittwoch, 14. Oktober 2015

MEIN PRINZ. MEIN KÖNIG. (2011)

Regie: Ciril Braem, Drehbuch: Thomas Huber, Musik: Marcus Johanssen und Johannes Malfatti
Darsteller: Johannes Moss, Dale Rapley, Oktay Khan, Narges Rashidi, Thomas Huber, Tilman Wiegers
 Mein Prinz. Mein König.
(2011) on IMDb Rotten Tomatoes: -; FSK: 16, Dauer: 80 Minuten.
Ritch (Johannes Moss) ist ein wütender junger Mann, der allein durch die Straßen Berlins zieht und sich ab und zu als Stricher verdingt. Mike (Dale Rapley) ist um die 40 und gerade aus dem Gefängnis entlassen worden. Beider Leben ist durch eine Straftat, die sie verbindet, zumindest schwer beeinträchtigt, vielleicht sogar zerstört worden. Ihr Umgang mit der Situation ist höchst unterschiedlich: Während Ritch die Menschen aggressiv von sich wegstößt und sich hin und wieder in einem Boxclub abreagiert, wirkt Mike sehr passiv bei dem Versuch, mit seiner Schuld und seinem Schuldbewußtsein zu leben sowie mit dem Wissen um die allgegenwärtige Gefahr, daß er womöglich rückfällig werden könnte. Eines Abends begegnen sie sich zufällig auf der Straße …

Kritik:
Triste Vorstadtbilder in authentischem Look wechseln sich mit künstlerischen, fast poetischen Bildkompositionen ab; die Figuren sind weitgehend rau, ungeschönt und wenig sympathisch, lange Einstellungen begleiten sie bei ihren meist banalen Tätigkeiten; eine echte Handlung ist zunächst kaum erkennbar. Ja, die Anzeichen sind deutlich: "Mein Prinz. Mein König." ist ein ebenso minimalistisches wie ambitioniertes deutsches Sozialdrama. Ich gebe zu, daß ich nicht wirklich ein Fan dieser Art von Filmen bin. Ich habe absolut nichts gegen anstrengendes Kino (immerhin bin ich beispielsweise Fan von Terrence Malick) und auch nicht gegen schwierige, sogar deprimierende Themen … aber zumindest ein bißchen unterhaltend sollte ein Film in meinen Augen trotzdem immer sein. Bei Sozialdramen – speziell bei deutschen Sozialdramen – mußte ich oft die Erfahrung machen, daß das nicht der Fall ist.

Anfangs hatte ich die Befürchtung, daß "Mein Prinz. Mein König." – das Langfilmdebüt eines Züricher Absolventen der Babelsberger Filmuniversität – in diese Kategorie fallen würde. Doch trotz des sehr gemächlichen Erzähltempos entfaltet "Mein Prinz. Mein König." durchaus eine gewisse Faszination mit den stilvollen Bildern und der gelungenen, fast hypnotisch anmutenden musikalischen Untermalung der "künstlerischen" Szenen (in der Regel Erinnerungen an eine glücklichere Zeit, teils auch kryptische Träume, in denen beispielsweise ein schwarzer Ritter buchstäblich aus dem Sumpf auftaucht) – die sich nicht nur wegen der stets anstelle der Dialoge zu hörenden Musik stilistisch deutlich von ihren "realistischen" Pendants abheben. An dieser Stelle möchte ich eine vorsichtige Spoilerwarnung einfügen, denn um den Film genauer zu besprechen, komme ich im Folgenden nicht um ein paar Details umhin.

Wenn man (wie ich) vorher nicht weiß, wovon genau der Film handelt, dann bekommt man erst nach etwa 20 Minuten (was immerhin schon mehr als ein Viertel der Gesamtlaufzeit von 75 Minuten plus Abspann ist) zumindest eine vage Ahnung davon, worum es gehen könnte – nämlich um irgendwas mit Homosexualität und vermutlich auch Mißbrauch. Aber auch danach entwickelt sich alles weiter extrem langsam und wenig erhellend, erst zur "Halbzeit" bestätigt sich die Story-Vermutung. Auf Dauer ist das für den Zuschauer doch recht ermüdend, wobei ironischerweise die erwähnte Faszination ziemlich genau ab jenem Zeitpunkt nachlässt, an dem sich das Mysterium des "Worum zum Teufel geht's hier eigentlich?" auflöst. Erst die Zuspitzung mit der finalen Konfrontation von Mike und Ritch sorgt wieder für etwas Spannung, läuft aber sehr einseitig ab und endet letztlich ziemlich unspektakulär. Das mag realistisch und vor allem sehr ehrlich sein, es ist aber nicht sehr befriedigend als Schlußpunkt – und auch nicht wirklich cineastisch.

Von der Thematik und auch der Inszenierung her erinnert "Mein Prinz. Mein König." ein wenig an Gregg Arakis "Mysterious Skin", ohne allerdings dessen drastische Herangehensweise zu teilen. Da auch die Täter-Perspektive beleuchtet wird, bieten sich auch das Pädophilen-Drama "The Woodsman" mit Kevin Bacon sowie Todd Fields "Little Children", in dem sich ebenfalls ein Handlungsstrang um einen von Jackie Earle Haley mit einer OSCAR-nominierten Glanzleistung verkörperten Pädophilen nach seiner Entlassung aus der Haft dreht (mit Matthias Glasners "Der freie Wille" mit Jürgen Vogel gibt es auch einen namhaften deutschen Film zur Thematik, den ich aber nicht gesehen habe). Für meinen Geschmack kann "Mein Prinz. Mein König." mit diesen Werken nicht mithalten, was aber angesichts der unterschiedlichen Voraussetzungen natürlich nicht wirklich überraschen kann. Wer auf eine möglichst realistische, bodenständige Herangehensweise Wert legt, der wird eventuell dennoch Ciril Braems Film bevorzugen, der mich mit seiner Mischung aus ungeschöntem Sozialdrama und (leider relativ wenig) Poesie eher an Benh Zeitlins "Beasts of the Southern Wild" erinnert (dem ich im Gegensatz zu vielen Kritikern nur wenig abgewinnen konnte; den direkten Vergleich würde "Mein Prinz. Mein König." bei mir daher sogar gewinnen); als verdeutlichendes Beispiel für die Unterschiede mag eine Schwimmbad-Sequenz dienen, die sehr ähnlich in "Mein Prinz. Mein König." wie auch in "Little Children" vorkommt, aber bei Braem ein vollkommen unspektakuläres Ende findet, wohinwegen es bei Field einen denkwürdigen Abschluß gibt.

Unabhängig von allen stilistischen und inhaltlichen Geschmacksfragen ist das größte Problem von "Mein Prinz. Mein König." meines Erachtens die zu große Distanz zu den beiden zentralen Charakteren (sämtliche Nebenrollen bleiben sowieso blaß, abgesehen vielleicht von Mikes Freund und Laufpartner Yusuf). Letzten Endes gibt "Mein Prinz. Mein König." gar nicht erst vor, irgendwelche Offenbarungen oder Antworten vorweisen zu können, er will einfach "nur" einen beobachtenden Blick auf Täter und Opfer werfen. Und gerade deshalb ist es bedauerlich, daß die beiden Hauptfiguren dem Zuschauer seltsam fremd bleiben – mangels Dialogen, mangels tiefgehender Einblicke in ihre Psyche, auch mangels Sympathie. Der weitgehende Verzicht auf Gespräche sorgt nunmal nicht unbedingt dafür, daß der Zuschauer in die Empfundungswelt der beiden Männer eintauchen kann. Zwar geht Braem durchaus gekonnt bei der Charakterisierung der beiden vor, deren Verhalten man intellektuell absolut nachvollziehen kann – doch eine emotionale Bindung ergibt sich kaum. Vor allem Ritch kann bei allem Mitgefühl für das, was ihm zugestoßen ist, nur wenige Sympathien auf sich vereinen: Er ist immer wütend, zornig, manchmal spielt er mit Playmobil-Figuren "heile Familie", bis etwas Schlimmes geschieht. Das ist nicht gerade subtil und auch wenn sein Verhalten begründbar ist, macht es das lange noch nicht sympathisch. Kurioserweise – vielleicht auch fieserweise – ist Mike die interessantere Figur, was sicherlich auch der starken darstellerischen Leistung von Dale Rapley (der bereits in einigen britischen TV-Serien wie "Spooks" oder "Silent Witness" Gastrollen hatte) geschuldet ist, der Mikes Schuldbewußtsein und sein Leiden an der eigenen Untat aus der Vergangenheit begreifbar macht. Doch unter dem Strich ist Braems Film mit seinen Stärken und Schwächen und mit der klaren Aufteilung in "realistische" und "künstlerische" Sequenzen ein zwiespältiges Seherlebnis.

Fazit: "Mein Prinz. Mein König." ist ein ambitioniertes Mißbrauchsdrama, das sein Augenmerk ganz auf den Umgang von Täter und Opfer mit einem lange zurückliegenden Verbrechen richtet, dabei aber zu distanziert und "verkopft" vorgeht, um nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen.

Wertung: 6 Punkte.

"Mein Prinz. Mein König." ist am 30. September auf DVD erschienen. Ein Sichtungslink wurde mir von der Agentur rische & co PR zur Verfügung gestellt.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen