Regie: Ciril Braem, Drehbuch: Thomas Huber, Musik: Marcus
Johanssen und Johannes Malfatti
Darsteller: Johannes Moss, Dale Rapley, Oktay Khan, Narges
Rashidi, Thomas Huber, Tilman Wiegers
Ritch (Johannes Moss) ist ein wütender junger Mann, der
allein durch die Straßen Berlins zieht und sich ab und zu als Stricher
verdingt. Mike (Dale Rapley) ist um die 40 und gerade aus dem Gefängnis
entlassen worden. Beider Leben ist durch eine Straftat, die sie verbindet,
zumindest schwer beeinträchtigt, vielleicht sogar zerstört worden. Ihr Umgang
mit der Situation ist höchst unterschiedlich: Während Ritch die Menschen
aggressiv von sich wegstößt und sich hin und wieder in einem Boxclub abreagiert,
wirkt Mike sehr passiv bei dem Versuch, mit seiner Schuld und seinem Schuldbewußtsein
zu leben sowie mit dem Wissen um die allgegenwärtige Gefahr, daß er womöglich rückfällig werden
könnte. Eines Abends begegnen sie sich zufällig auf der Straße …
Kritik:
Triste Vorstadtbilder in authentischem Look wechseln sich
mit künstlerischen, fast poetischen Bildkompositionen ab; die Figuren sind
weitgehend rau, ungeschönt und wenig sympathisch, lange Einstellungen
begleiten sie bei ihren meist banalen Tätigkeiten; eine echte Handlung ist zunächst
kaum erkennbar. Ja, die Anzeichen sind deutlich: "Mein Prinz. Mein
König." ist ein ebenso minimalistisches wie ambitioniertes deutsches
Sozialdrama. Ich gebe zu, daß ich nicht wirklich ein Fan dieser Art von Filmen
bin. Ich habe absolut nichts gegen anstrengendes Kino (immerhin bin ich
beispielsweise Fan von Terrence Malick) und auch nicht gegen schwierige, sogar
deprimierende Themen … aber zumindest ein bißchen unterhaltend sollte ein Film
in meinen Augen trotzdem immer sein. Bei Sozialdramen – speziell bei
deutschen Sozialdramen – mußte ich oft die Erfahrung machen, daß das nicht der
Fall ist.
Anfangs hatte ich die Befürchtung, daß "Mein Prinz.
Mein König." – das Langfilmdebüt eines Züricher Absolventen der
Babelsberger Filmuniversität – in diese Kategorie fallen würde. Doch trotz des
sehr gemächlichen Erzähltempos entfaltet "Mein Prinz. Mein König."
durchaus eine gewisse Faszination mit den stilvollen Bildern und der
gelungenen, fast hypnotisch anmutenden musikalischen Untermalung der
"künstlerischen" Szenen (in der Regel Erinnerungen an eine glücklichere Zeit, teils auch kryptische Träume, in denen beispielsweise ein schwarzer
Ritter buchstäblich aus dem Sumpf auftaucht) – die sich nicht nur wegen der stets anstelle der Dialoge zu hörenden Musik stilistisch deutlich von ihren "realistischen" Pendants abheben. An dieser Stelle möchte ich eine vorsichtige Spoilerwarnung einfügen, denn um den Film genauer zu besprechen, komme ich im Folgenden nicht um ein paar Details umhin.
Wenn man (wie ich) vorher nicht weiß, wovon genau der Film
handelt, dann bekommt man erst nach etwa 20 Minuten (was immerhin schon mehr
als ein Viertel der Gesamtlaufzeit von 75 Minuten plus Abspann ist) zumindest
eine vage Ahnung davon, worum es gehen könnte – nämlich um irgendwas mit
Homosexualität und vermutlich auch Mißbrauch. Aber auch danach entwickelt sich
alles weiter extrem langsam und wenig erhellend, erst zur
"Halbzeit" bestätigt sich die Story-Vermutung. Auf Dauer ist das für
den Zuschauer doch recht ermüdend, wobei ironischerweise die erwähnte Faszination
ziemlich genau ab jenem Zeitpunkt nachlässt, an dem sich das Mysterium des
"Worum zum Teufel geht's hier eigentlich?" auflöst. Erst die
Zuspitzung mit der finalen Konfrontation von Mike und Ritch sorgt wieder für
etwas Spannung, läuft aber sehr einseitig ab und endet letztlich ziemlich
unspektakulär. Das mag realistisch und vor allem sehr ehrlich sein, es ist aber
nicht sehr befriedigend als Schlußpunkt – und auch nicht wirklich cineastisch.
Von der Thematik und auch der Inszenierung her erinnert
"Mein Prinz. Mein König." ein wenig an Gregg Arakis "Mysterious
Skin", ohne allerdings dessen drastische Herangehensweise zu teilen. Da
auch die Täter-Perspektive beleuchtet wird, bieten sich auch das
Pädophilen-Drama "The Woodsman" mit Kevin Bacon sowie Todd Fields
"Little Children", in dem sich ebenfalls ein Handlungsstrang um einen
von Jackie Earle Haley mit einer OSCAR-nominierten Glanzleistung verkörperten
Pädophilen nach seiner Entlassung aus der Haft dreht (mit Matthias Glasners "Der freie Wille" mit Jürgen Vogel gibt es auch einen namhaften deutschen Film zur Thematik, den ich aber nicht gesehen habe). Für meinen Geschmack kann
"Mein Prinz. Mein König." mit diesen Werken nicht mithalten, was aber
angesichts der unterschiedlichen Voraussetzungen natürlich nicht wirklich
überraschen kann. Wer auf eine möglichst realistische, bodenständige Herangehensweise
Wert legt, der wird eventuell dennoch Ciril Braems Film bevorzugen, der mich mit seiner Mischung aus ungeschöntem Sozialdrama und (leider relativ wenig) Poesie eher an Benh Zeitlins "Beasts of the Southern Wild" erinnert (dem ich im Gegensatz zu vielen Kritikern nur wenig abgewinnen konnte; den direkten Vergleich würde "Mein Prinz. Mein König." bei mir daher sogar gewinnen); als verdeutlichendes
Beispiel für die Unterschiede mag eine Schwimmbad-Sequenz dienen, die sehr
ähnlich in "Mein Prinz. Mein König." wie auch in "Little
Children" vorkommt, aber bei Braem ein vollkommen unspektakuläres Ende
findet, wohinwegen es bei Field einen denkwürdigen Abschluß gibt.
Unabhängig von allen stilistischen und inhaltlichen
Geschmacksfragen ist das größte Problem von "Mein Prinz. Mein König."
meines Erachtens die zu große Distanz zu den beiden zentralen Charakteren
(sämtliche Nebenrollen bleiben sowieso blaß, abgesehen vielleicht von Mikes Freund
und Laufpartner Yusuf). Letzten Endes gibt "Mein Prinz. Mein König." gar
nicht erst vor, irgendwelche Offenbarungen oder Antworten vorweisen zu können, er will einfach
"nur" einen beobachtenden Blick auf Täter und Opfer werfen. Und gerade
deshalb ist es bedauerlich, daß die beiden Hauptfiguren dem Zuschauer seltsam
fremd bleiben – mangels Dialogen, mangels tiefgehender Einblicke in ihre
Psyche, auch mangels Sympathie. Der weitgehende Verzicht auf Gespräche sorgt
nunmal nicht unbedingt dafür, daß der Zuschauer in die Empfundungswelt der
beiden Männer eintauchen kann. Zwar geht Braem durchaus gekonnt bei der
Charakterisierung der beiden vor, deren Verhalten man intellektuell absolut
nachvollziehen kann – doch eine emotionale Bindung ergibt sich kaum. Vor allem Ritch
kann bei allem Mitgefühl für das, was ihm zugestoßen ist, nur wenige Sympathien
auf sich vereinen: Er ist immer wütend, zornig, manchmal spielt er mit
Playmobil-Figuren "heile Familie", bis etwas Schlimmes geschieht. Das ist nicht gerade subtil und auch wenn sein Verhalten begründbar ist, macht es das lange noch nicht sympathisch. Kurioserweise – vielleicht auch fieserweise – ist Mike die interessantere
Figur, was sicherlich auch der starken darstellerischen Leistung von Dale
Rapley (der bereits in einigen britischen TV-Serien wie "Spooks" oder
"Silent Witness" Gastrollen hatte) geschuldet ist, der Mikes
Schuldbewußtsein und sein Leiden an der eigenen Untat aus der Vergangenheit begreifbar
macht. Doch unter dem Strich ist Braems Film mit seinen Stärken und Schwächen
und mit der klaren Aufteilung in "realistische" und
"künstlerische" Sequenzen ein zwiespältiges Seherlebnis.
Fazit: "Mein Prinz. Mein König." ist ein
ambitioniertes Mißbrauchsdrama, das sein Augenmerk ganz auf den Umgang von
Täter und Opfer mit einem lange zurückliegenden Verbrechen richtet, dabei aber
zu distanziert und "verkopft" vorgeht, um nachhaltigen Eindruck zu
hinterlassen.
Wertung: 6 Punkte.
"Mein Prinz. Mein König." ist am 30. September auf DVD erschienen. Ein Sichtungslink wurde mir von der Agentur rische & co PR zur Verfügung gestellt.
"Mein Prinz. Mein König." ist am 30. September auf DVD erschienen. Ein Sichtungslink wurde mir von der Agentur rische & co PR zur Verfügung gestellt.
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