Da es in den vergangenen beiden Wochen kaum spannende Film-Neuigkeiten gab, ersetze ich meine "Neues aus Hollywood"-Rubrik diesmal durch OSCAR-News – zumal ich sowieso noch zwei Sachen nachtragen muß, die ich ohne meine kurze Blog-Pause bereits vor einer Woche vermeldet hätte.
Doch zunächst zum Aktuellen, denn Mitte der letzten Woche begannen in Venedig und dann in Telluride endlich die ersten Herbstfestivals, auf denen traditionell viele hochkarätige OSCAR-Anwärter vorgestellt werden. Diesmal ist der Start allerdings etwas ernüchternd verlaufen. Zwar gab es noch keinen Rohrkrepierer, aber andererseits ebenfalls keinen Film, der von Kritik und Zuschauern begeistert als garantierter "Best Picture"-Nominee aufgenommen worden wäre. Am besten schnitt bislang das Kindersoldaten-Drama "Beasts of No Nation" von "True Detective"-Regisseur Cary Fukunaga ab. Der in Westafrika spielende Film mit Idris Elba ("Pacific Rim") als sadistischer Warlord wurde vom Streaming-Anbieter Netflix produziert und wird in den USA gleichzeitig in den Kinos und bei Netflix anlaufen. Zumindest in der Theorie, denn in der Praxis boykottieren die großen Kinoketten den erschütternden Anti-Kriegsfilm, da sie durch parallele Starts in mehreren Medien ihre Existenzgrundlage bedroht sehen. Somit wird es am Ende wohl auf einen Alibi-Start in einigen unabhängigen Lichtspielhäusern hinauslaufen, um die OSCAR-Qualifikations-Kriterien zu erfüllen. Co-Hauptdarsteller Elba (die eigentliche Hauptrolle spielt einer der Kindersoldaten) werden jedenfalls gute Chancen auf eine Nominierung zugebilligt, je nach Stärke der Konkurrenz könnte es durchaus auch für Nennungen in den meisten anderen Hauptkategorien (Regie, Drehbuch, Bester Film) reichen.
Andere mit Spannung erwartete Filme konnten die hohen Erwartungen nicht komplett erfüllen. Das gilt etwa für Danny Boyles "Steve Jobs", der damit überraschte, nicht ein klassisches Biopic zu sein, das sich am Lebensweg des Computer-Pioniers entlanghangelt; stattdessen haben Boyle und "The Social Network"-Autor Aaron Sorkin sich ganz auf die exzentrische Hauptfigur konzentriert und daraus ein intimes Charakterporträt gestrickt. Die Vorgehensweise kam ganz offensichtlich Hauptdarsteller Michael Fassbender zugute, dessen Leistung selbst von jenen begeistert gefeiert wird, die im Vorfeld skeptisch wegen seiner geringen optischen Ähnlichkeit zu Jobs waren. Nun scheint eine weitere OSCAR-Nominierung für Fassbender beinahe unausweichlich. Der Film insgesamt erhielt zwar ebenfalls viel Lob, allerdings nicht unbedingt Begeisterungsstürme, wobei vor allem Sorkins mutig-unkonventionelles Drehbuch kontrovers beurteilt wird. Ob "Steve Jobs" am Ende zu den großen OSCAR-Filmen dieses Jahres gehören wird, läßt sich daher noch nicht wirklich beurteilen, ich würde aber schon damit rechnen. Zumindest einige Nominierungen sollten ihm auf jeden Fall gewiß sein. Gute Chancen kann sich dabei übrigens neben Kate Winslet auch Nebendarsteller Seth Rogen ausrechnen, der mit seiner einfühlsamen Darstellung von Jobs' Kompagnon Steve Wozniak viele Kritiker positiv überrascht hat.
In die gleiche Kategorie wie "Steve Jobs" scheint der Journalisten-Thriller "Spotlight" von Tom McCarthy ("Station Agent") zu fallen, in dem vor allem der seit "Birdman" von Hollywood wiederentdeckte Michael Keaton glänzt. Aber auch davon abgesehen erfährt der Film mit Mark Ruffalo, Rachel McAdams und Stanley Tucci viel Lob und könnte wie "Steve Jobs" eine gute Rolle im OSCAR-Rennen spielen. Problematisch könnte allerdings die Thematik sein, denn es geht um die Aufdeckung eines lange von vielen Seiten vertuschten Mißbrauchsskandals innerhalb der Katholischen Kirche in Boston. Nicht gerade ein leichtes Thema; ob das bei der noch immer sehr konservativ geprägten Academy von Vorteil oder von Nachteil ist, läßt sich schwer einschätzen.
Qualitativ etwas schwächer sieht es bei dem britischen Historienfilm "Suffragette" von Sarah Gavron aus. Das Frauenrechts-Drama mit Carey Mulligan, Helena Bonham Carter und (nur in einem kurzen Gastauftritt) Meryl Streep wird vor allem dafür gelobt, eine wichtige Thematik gekonnt, unterhaltsam und zugleich geschmackvoll auf die Leinwand zu bringen. Das gewisse Etwas, das aus einem guten einen großartigen Film macht, scheint ihm jedoch ebenso zu fehlen wie Tom Hoopers "The Danish Girl". Dessen Hauptdarsteller Eddie Redmayne dürfte für seine bewegende Darstellung eines der ersten Transsexuellen in Europa, der in den 1930er Jahren eine geschlechtsverändernde Operation vornehmen ließ, seine bereits zweite OSCAR-Nominierung in Folge sicher haben. Insgesamt ist "The Danish Girl" aber scheinbar etwas zu konventionell inszeniert, um zu den OSCAR-Favoriten gezählt zu werden. Wobei allerdings genau das bei der Academy durchaus ankommen könnte ...
Scott Coopers Gangsterfilm "Black Mass" wird derweil vor allem für die zentrale Performance von Johnny Depp gefeiert, der nach mehreren Jahren voller Enttäuschungen ("Lone Ranger", "Transcendence", "Mortdecai") ein fulminantes "Comeback" gibt – obwohl sein merkwürdiger Auftritt auf der Pressekonferenz gleichzeitig Anlaß zur Besorgnis gibt, daß die seit einiger Zeit immer wiederkehrenden Berichte über seine Probleme mit Alkohol und/oder Drogen nicht ganz aus der Luft gegriffen sein könnten. Auch die Nebendarsteller (Benedict Cumberbatch, Joel Edgerton, Sienna Miller) erfahren viel Lob, wohingegen die Handlung des Films eher in die Kategorie "ganz gut" eingeordnet wird. Für eine prominente Rolle im OSCAR-Rennen jenseits der Darstellerkategorien dürfte das eher nicht reichen.
Nachtrag: Da habe ich doch glatt ausgerechnet den Eröffnungsfilm von Venedig vergessen ... Leider zählt "Everest" jedoch eher zu den leichten Enttäuschungen, denn die Kritiken fielen zwar insgesamt wohlwollend aus und vor allem die technische Umsetzung des starbesetzten (u.a. Jake Gyllenhaal und Keira Knightley) 3D-Films wurde gepriesen, storymäßig soll sich der Film von Baltasar Kormákur aber wohl nicht großartig von anderen Bergsteigerfilmen abheben. OSCAR-Nominierungen in technischen Kategorien sollten drin sein, mehr aber eher nicht.
Nachtrag: Da habe ich doch glatt ausgerechnet den Eröffnungsfilm von Venedig vergessen ... Leider zählt "Everest" jedoch eher zu den leichten Enttäuschungen, denn die Kritiken fielen zwar insgesamt wohlwollend aus und vor allem die technische Umsetzung des starbesetzten (u.a. Jake Gyllenhaal und Keira Knightley) 3D-Films wurde gepriesen, storymäßig soll sich der Film von Baltasar Kormákur aber wohl nicht großartig von anderen Bergsteigerfilmen abheben. OSCAR-Nominierungen in technischen Kategorien sollten drin sein, mehr aber eher nicht.
So viel vorerst zu den in Venedig und Telluride vorgestellten OSCAR-Hopefuls. In den nächsten Wochen werde ich vermutlich noch öfters "Zwischenstände" aus der Festival-Saison vermelden. Bis dahin noch zu den zwei Meldungen aus der vorletzten Woche, die ich nachholen muß:
1. Die Ehren-OSCARs wurden bekanntgegeben. Einer geht im Dezember im Rahmen des "Governors Ball" in Los Angeles an den afroamerikanischen Filmemacher Spike Lee, der vor allem mit gesellschaftskritischen Dramen ("Do the Right Thing"), aber gelegentlich auch mit gut gemachtem Mainstream-Kino ("Inside Man", "Malcolm X") und Werken irgendwo dazwischen (das grandiose New York-Post 9/11-Porträt "25 Stunden") von sich Reden gemacht hat. Den zweiten Ehren-OSCAR erhält die zweifach OSCAR-nominierte Schauspielerin Gena Rowlands, die ihre besten Leistungen unter der Regie ihres Ehemannes John Cassavetes erbrachte ("Eine Frau unter Einfluß", "Opening Night", "Gloria", "Gesichter"). Der Jean Hersholt Humanitarian Award für humanitäres Engagement geht an die Schauspielerin Debbie Reynolds ("Du sollst mein Glücksstern sein" aka "Singin' in the Rain").
2. Als vor ein paar Monaten die Vorauswahl jener Filme vorgestellt wurde, die als deutscher Beitrag zum Auslands-OSCAR 2016 in Frage kommen, war meine erste Reaktion: Alles außer Sebastian Schippers "Victoria" wäre verrückt! Nun ist es tatsächlich anders gekommen, aber ich kann dem Auswahlgremium nicht einmal einen Vorwurf machen. Wie sich herausstellte, übertrifft der auch von der internationalen Presse gefeierte "Victoria" mit seinen 49% englischen Dialogen das von der Academy für diese Kategorie erlaubte Maximum von 40% deutlich und darf deshalb nicht gewählt werden (theoretisch könnte der Film angesichts der Lobeshymnen natürlich auch in den "normalen" Kategorien nominiert werden, was vor allem bei der Kamera gar nicht so unrealistisch erscheint – allerdings muß "Victoria" dafür bis Ende des Jahres in den US-Kinos zu sehen sein, und ob das geschieht, ist noch nicht bekannt). Das ist natürlich ärgerlich, da der deutschen Filmbranche somit eine fast sichere OSCAR-Nominierung entgeht und die Alternativen allesamt nicht übermäßig aussichtsreich aussehen. Letztlich dürfte die Entscheidung wohl zwischen Til Schweigers massentauglicher Alzheimer-Tragikomödie "Honig im Kopf" und dem historischen Justiz-Thriller "Im Labyrinth des Schweigens" von Giulio Ricciarelli über die Anbahnung des ersten Auschwitz-Prozesses gefallen sein. Und da überwog im Gremium offenbar die Ansicht, daß man mit der guten alten Nazi-Thematik trotz recht konventioneller Umsetzung bessere Chancen hat. Ich persönlich würde mein Geld aber nicht unbedingt auf eine Nominierung setzen.
Abschließend die deutschen Kino-Starttermine der oben erwähnten OSCAR-Hoffnungen:
"Everest": 17. September 2015
"Black Mass": 15. Oktober 2015
"Steve Jobs": 12. November 2015
"The Danish Girl": 7. Januar 2016
"Suffragette": 4. Februar 2016
"Beasts of No Nation" und "Spotlight" noch ohne Termin.
Abschließend die deutschen Kino-Starttermine der oben erwähnten OSCAR-Hoffnungen:
"Everest": 17. September 2015
"Black Mass": 15. Oktober 2015
"Steve Jobs": 12. November 2015
"The Danish Girl": 7. Januar 2016
"Suffragette": 4. Februar 2016
"Beasts of No Nation" und "Spotlight" noch ohne Termin.
Quellen:
Pressemitteilung der Academy (Ehren-OSCARs)
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