Freitag, 14. August 2015

HOWL (2015)

Regie: Paul Hyett, Drehbuch: Mark Huckerby und Nick Ostler, Musik: Paul E. Francis
Darsteller: Ed Speleers, Holly Weston, Elliot Cowan, Shauna Macdonald, Sam Gittins, Duncan Preston, Ania Marson, Amit Shah, Rosie Day, Calvin Dean, Sean Pertwee
Howl
(2015) on IMDb Rotten Tomatoes: 63% (5,6); weltweites Einspielergebnis: $0,5 Mio.
FSK: 16, Dauer: 92 Minuten.
Joe (Ed Speleers, "Eragon") ist ziemlich mies drauf. Der Londoner Zug-Schaffner hat gerade erfahren, daß seine Bewerbung um eine Beförderung abgelehnt wurde – und dann drückt ihm derjenige, der an seiner statt befördert wurde, auch noch eine zusätzliche Nachtschicht auf. Die Passagiere sind um die Uhrzeit nicht mehr allzu freundlich, dann läßt ihn auch noch seine hübsche Kollegin Ellen (Holly Weston, TV-Serie "Hollyoaks"), die für das Catering im Zug zuständig ist, abblitzen. Und als Krönung des Ganzen stößt der Zug mit irgendetwas auf den Gleisen zusammen und bleibt mitten in einem Waldgebiet stehen, woraufhin der Zugführer Tony (Sean Pertwee, "Doomsday") aussteigt, um nachzuschauen – und spurlos verschwindet! Da die Verbindung zur Zugleitzentrale gestört ist und die Handys keinen Empfang haben, läßt sich Joe von den verbliebenen Passagieren – dem großkotzigen Adrian (Elliot Cowan, TV-Serie "Da Vinci's Demons"), der taffen Geschäftsfrau Kate (Shauna Macdonald, "The Descent"), dem älteren Ehepaar Ged (Duncan Preston, TV-Serie "Emmerdale Farm") und Jenny (Ania Marson, "Nikolaus und Alexandra"), der schlecht gelaunten Jugendlichen Nina (Rosie Day), dem jungen Ingenieurstudent Billy (Sam Gittins) und dem schüchternen Bücherwurm Matthew (Amit Shah, "Alles koscher!") – überreden, zur nächsten Haltestelle zu laufen. Ein Vorhaben, das sie nach lautem Wolfsgeheul und einem Angriff unheimlicher Kreaturen schnell wieder fallenlassen, um sich stattdessen im Zugabteil zu verbarrikadieren …

Kritik:
Neben Vampiren sind Werwölfe wohl die beliebtesten Kreaturen in Horrorfilmen. Das begann so richtig mit Universals "Der Wolfsmensch" (1941) mit Lon Chaney Jr. und Claude Rains. Auch in der Ära des britischen Studios Hammer Film spielten Werwölfe natürlich eine Rolle ("Der Fluch von Siniestro", 1961), weitere Klassiker sind John Landis' humoristisch angehauchte Variante "American Werewolf" (1981) und Joe Dantes gruseliger "Das Tier" (1981), vielleicht kann man (dank Hauptdarsteller Jack Nicholson) auch noch Mike Nichols' eher romantischen "Wolf" (1994), John Fawcetts kanadische Pubertäts-Metapher "Ginger Snaps" aus dem Jahr 2001 und Neil Marshalls Actionfilm "Dog Soldiers" (2002) zu den Klassikern dieser Subspezies des Horrorgenres zählen. Daß sich "Howl" in diese Liste einreihen wird, wage ich zu bezweifeln, dafür ist er dann doch zu unspektakulär geraten – die zweite Regiearbeit (nach "The Seasoning House") des eigentlichen Spezialeffekt- und Makeup-Spezialisten Paul Hyett (u.a. "Centurion", "Doomsday", "Attack the Block") qualifiziert sich aber definitiv als grundsolider Vertreter der Werwolf-Filme, der speziell dank eines vergleichsweise gut ausgearbeiteten Figurenensembles bis zum Schluß Laune macht.
Angesichts der überschaubaren Anzahl von Personen, die sich in dem Zug blutiger Attacken erwehren müssen, kann man sich bereits denken, daß "Howl" einer jener Filme ist, die dem "Zehn kleine Negerlein"-Prinzip folgen (auch wenn der Begriff inzwischen als politisch unkorrekt gilt: ich habe noch keine gleichwertige Alternative gefunden). Und damit das funktioniert, ist ganz entscheidend, daß man die Reihenfolge der Todesopfer nicht vorhersehen kann. Viele Genrevertreter versauen sich die Spannung schon dadurch, daß entweder zwei oder drei sehr bekannte Namen zum Cast gehören, bei denen man genau weiß, daß sie sich nicht vorzeitig verabschieden werden; oder dadurch, daß einigen Figuren viel mehr Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet wird als anderen (von denen deshalb klar ist, daß sie nicht lange leben werden). Regisseur Paul Hyett und die beiden Drehbuch-Autoren Huckerby und Ostler vermeiden diese Stolperfalle erfreulicherweise sehr geschickt. Zwar gibt es ein paar Namen in der Besetzung, die schon größere Rollen gespielt haben, doch keiner qualifiziert sich für die Bezeichnung "Star". Und der Schaffner Joe ist zwar erkennbar der Protagonist von "Howl", aber ansonsten werden die Passagiere weitgehend gleichwertig präsentiert (mit einer Ausnahme, die dann auch früh hopsgeht). Ich kann jedenfalls versichern, daß ich weder das erste "echte" Opfer (den verschollenen Zugführer nicht mitgerechnet) noch das letzte vorhergesehen habe; und so etwas passiert mir als langjährigem Anhänger des Horrorgenres leider nicht mehr oft.
Natürlich muß man aber Zugeständnisse machen. So orientieren sich die Passagiere anfangs doch erkennbar an gängigen Klischeevorstellungen, was einerseits schon ein bißchen stört, andererseits aber hilft, die Konstellation ohne große Vorarbeit zu etablieren. Und da alle im Angesicht der tödlichen Bedrohung eine zwar unterschiedlich bedeutsame, aber in jedem Fall wahrnehmbare Charakterentwicklung durchlaufen, ist die anfängliche Schablonenhaftigkeit von meiner Seite aus schnell verziehen. Man mag kritisieren, daß ein echter Sympathieträger fehlt, mit dem man aus ganzem Herzen mitfiebern kann; dafür wirken die Figuren mit zunehmender Laufzeit erfreulich realistisch, und Hyett gönnt ihnen allen mindestens einen starken Moment. Zugegeben: Die Dialoge sind nicht die größte Stärke des Drehbuchs; manche Sätze klingen wenig authentisch, andere sind so banal, daß man sie lieber hätte weglassen sollen. Aber insgesamt macht die gelungene Besetzung dieses Manko einigermaßen wett. Nichts machen können die Schauspieler gegen die unübersehbaren dramaturgischen Verrenkungen, um im Smartphone-Zeitalter nicht weit von London entfernt eine Situation ohne jeden Kontakt zum Rest der Welt zu schaffen. Aber irgendwie gehört ja auch das seit jeher zum Horrorgenre dazu (auch wenn es in der Prä-Handy-Ära wesentlich glaubwürdiger zu machen war) ...
Die starke Konzentration auf die bedrohte Gruppe hat zudem einen angenehmen Nebeneffekt: Die Angreifer bleiben lange Zeit eine eher abstrakte Bedrohung. Auch dies gehört ja zu den Grundregeln des Genres: Je länger man über die Natur und das genaue Aussehen einer unheimlichen Bedrohung rätselt, desto effektiver ist sie. In den letzten Jahren scheinen das viele Filmemacher vergessen zu haben, die bereits früh alles enthüllen und sich dann wundern, daß das Interesse des Zuschauers bis zum Ende deutlich nachläßt. Hyett begeht diesen Fehler nicht, stattdessen hält er Spannung und Neugierde hoch. Einen ersten genaueren Blick auf den tierischen Angreifer gewährt er erst kurz vor "Halbzeit", in voller Pracht wird der Werwolf noch deutlich später enthüllt. Dessen Design wird vermutlich nicht jedem gefallen, denn Hyett hat sich (bewußt, wie er in Interviews erzählt) von früheren Werwolf-Darstellungen emanzipiert und auf die altmodische, CGI-freie Art eine eigene Kreatur erschaffen, bei der die menschlichen Elemente ungewöhnlich deutlich ausgeprägt sind. Ehrlich gesagt bin ich mir selbst noch nicht so ganz sicher, wie ich das Resultat im Vergleich zu anderen Filmen beurteilen soll – es ist aber auf jeden Fall mal was Neues und das ist doch lobenswert. Durch das lange Hinauszögern der direkten Konfrontation ist "Howl" übrigens nicht übermäßig brutal geraten. Es gibt zwar einige kleinere (und gut gemachte) Splatter-Einlagen und nicht wenig Blut, aber oft schwenkt die Kamera auch im entscheidenden Moment weg und überläßt das Folgende (im Verbund mit schaurigen Toneffekten) der Phantasie des Zuschauers. Das mag Anhänger harter Horrorkost ärgern, dem Film an sich schadet es aber nicht.

Fazit: "Howl" ist ein rundum solider Werwolf-Streifen, der sich ziemlich eng an die etablierten Gesetze des Genres hält, sie aber im Detail genügend variiert, um durchgängig unterhaltsam zu bleiben.

Wertung: Knapp 7 Punkte.


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