Dienstag, 7. Juli 2015

THE FOG OF WAR (2003)

Regie: Errol Morris, Musik: Philip Glass
Darsteller: Robert S. McNamara
 The Fog of War: Eleven Lessons from the Life of Robert S. McNamara
(2003) on IMDb Rotten Tomatoes: 96% (8,3); weltweites Einspielergebnis: $5,0 Mio.
FSK: 12, Dauer: 107 Minuten.

Robert S. McNamara ist ein hochintelligenter Mann. Er war in Schule und Universität immer unter den Besten, er wurde erster Präsident des Automobilkonzerns Ford, der nicht selbst zur Gründerfamilie gehörte. Sieben Jahre lang war McNamara zudem Verteidigungsminister unter den US-Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson (und damit zur Zeit des Vietnam-Krieges), anschließend war er noch 13 Jahre lang als Präsident der Weltbank tätig. Im Alter von 87 Jahren erzählt er Regisseur Errol Morris offen, ungeschminkt und dabei durchaus selbstkritisch aus seinem ereignisreichen politischen Leben und gibt dem Zuschauer damit einen ungewöhnlich intimen und aufschlußreichen Einblick hinter die Kulissen der Macht …

Kritik:
Regisseur Errol Morris ist quasi das Gegenteil des notorischen Krawallmachers Michael Moore ("Bowling for Columbine", "Fahrenheit 9/11"). Er ist niemals selbst im Bild, sondern nur ab und an aus dem Off zu hören, wenn er eine Frage stellt oder umsichtig nachhakt; er kommentiert McNamaras Antworten nicht; humorvoll, sarkastisch oder gar polemisch ist "The Fog of War" auch nicht geworden. Dennoch haben diese so unterschiedlichen Dokumentarfilm-Regisseure einiges gemeinsam: Beide haben einen OSCAR gewonnen (Morris eben für "The Fog of War"), beide erreichen mit ihren Filmen ein großes Publikum (wenngleich Moores Polemiken noch wesentlich mehr Zuschauer haben als Morris' Werke). Außerdem interessieren sich beide für ähnliche, oft sehr politische Themen – und schließlich machen sie ganz einfach gute Filme (zumindest manchmal).

"The Fog of War" ist eigentlich sehr unspektakulär in Szene gesetzt. Mindestens die halbe Zeit über sehen wir nur Robert S. McNamara, wie er erzählt: von seiner Jugend, von seiner Zeit im Zweiten Weltkrieg, von Kennedy und der Kubakrise und vor allem vom Vietnam-Krieg, als dessen verhasster Initiator er vielerorts gilt. Zusätzlich werden alte Aufnahmen eingespielt, darunter auch rein akustische – etwa aus den berühmten Tonbandaufnahmen, die Kennedy während der Kubakrise heimlich und eigentlich illegal während der Sitzungen des "Executive Committee" mit den Mitgliedern des Nationalen Sicherheitsrats sowie weiteren hochrangigen Politikern und Militärs im Weißen Haus machte –, und ab und zu gibt es ein paar grafische Spielereien. Das alles ist formal unheimlich trocken, wenn auch immerhin unterlegt mit Philip Glass' ("The Hours") einfühlsamer Musik, die in der Tat zu den besten Doku-Scores überhaupt zählt.

Aber wirklich wichtig ist natürlich nicht die Form, sondern der Inhalt – für Dokumentationen gilt das sicherlich noch stärker als für Spielfilme. Und hier gilt es mehr denn je, denn der Inhalt von "The Fog of War" ist hochgradig beeindruckend. McNamara ist auch im hohen Alter (er starb sechs Jahre später mit 93 Jahren) noch ein begnadeter Redner. Er argumentiert bestechend und präsentiert dem Publikum immer wieder verblüffend simple, aber durchaus einleuchtende Erklärungen für die weltverändernden Ereignisse, an denen er Anteil hatte. Den Vietnam-Krieg etwa haben die USA seiner Meinung nach vor allem deshalb verloren, weil sie ihn als einen Teil des Kalten Krieges gesehen haben, während es für die Vietnamesen ein Bürgerkrieg war, in dem es für sie schlicht und ergreifend um die nackte Existenz ging. Als eine Art roter Faden, der den Film durchzieht, dienen dabei elf Lehrsätze, die McNamara aus seinen reichhaltigen Erfahrungen schlußfolgert.

Faszinierend bis erschreckend ist es zu beobachten, wie McNamara scheinbar teilnahmslos über Entscheidungen spricht, die teils hunderttausende Zivilisten das Leben gekostet haben, während er gleichzeitig nur mit Mühe die Tränen zurückhalten kann, wenn er über Kennedys Ermordung spricht. Dabei kommt McNamara aber keineswegs selbstherrlich herüber. Er gibt ohne Umschweife Fehler zu, ohne sie ernsthaft zu rechtfertigen, gesteht sogar ein, daß er, hätten die Alliierten den Zweiten Weltkrieg (in dem er im Generalstab der US-Luftstreitkräfte diente) verloren, mit Sicherheit als Kriegsverbrecher angeklagt worden wäre. Und wenngleich mit keinem Wort Bezug auf die Weltsituation nach 9/11 genommen wird, ist es doch nicht zu übersehen, wie unzufrieden er mit der Bush-Regierung und vor allem deren Außenpolitik ist. Die große Leistung von Regisseur Morris ist es, daß er McNamaras mitunter recht ausschweifende Erzählungen im Zaum hält, sie immer wieder in sehr interessante Richtungen lenkt und dem brillanten Strategen mit kurzem, aber präzisem Nachhaken vielleicht sogar Details entlockt, die der so offen gar nicht preisgeben wollte. Und wenngleich Errol Morris McNamaras Aussagen nicht direkt kommentiert oder wertet, hält er doch wiederholt mit aussagekräftigen Statistiken und Grafiken dagegen, die zusätzliche – und gar nicht selten McNamara widersprechende – Informationen liefern. Im Zusammenspiel aller Elemente ist "The Fog of War" deshalb schlicht beeindruckend und einer der besten Dokumentarfilme, die ich je gesehen habe.

Fazit: "The Fog of War" ist das spannende, oft beklemmende Porträt einer ebenso starken wie umstrittenen Persönlichkeit; zugleich ist es ein tiefer Einblick in das politische und militärische Denken, der zwar relativ trocken daherkommt, von Regisseur Morris aber höchst intelligent ausgestaltet ist und zum intensiven Nachdenken und kontrovers Diskutieren anregt.

Wertung: 9 Punkte.


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