Ehrlich gesagt gab es in der letzten Woche kaum nennenswerte Meldungen über kommende Projekte, weshalb ich einfach das Ende der Filmfestspiele von Cannes als Gelegenheit nutze, um mit einem kurzen Bericht über die dort präsentierten potentiellen OSCAR-Kandidaten zu beginnen:
- Denn während der Hauptpreis, die begehrte Goldene Palme, an das französische Flüchtlingsdrama "Dheepan" von Jacques Audiard ging, haben sich vor allem drei Werke bereits nachdrücklich für mindestens eine Nebenrolle in der kommenden Awards Season empfohlen: "Carol", "Macbeth" und "Alles steht Kopf". Letzterer wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sogar eine Hauptrolle spielen, allerdings nur in der Animationsfilm-Kategorie – es handelt sich nämlich um das neueste Pixar-Meisterwerk. Und um ein Meisterwerk soll es sich tatsächlich handeln, denn nachdem die letzten Filme der "Toy Story"- und "WALL-E"-Schöpfer nicht mehr ganz so viel Begeisterung hervorriefen ("Cars 2", "Merida"), soll "Alles steht Kopf" von "Die Monster AG"-Regisseur Pete Docter mit seiner originellen und einsichtsreichen Story wieder klar an die alten Stärken anknüpfen. Erzählt wird die Geschichte der jungen Riley, deren Gefühlswelt buchstäblich Kopf steht, als ihre Familie wegen eines neuen Jobs des Vaters umzieht und sie so aus ihrer Heimat und von ihren Freunden weggerissen wird. Und um zu zeigen, was genau sie fühlt, entführt uns "Alles steht Kopf" in Rileys Kopf, wo ihre personalisierten Gefühle wie Freude, Traurigkeit, Wut oder Angst versuchen, mit der Situation klarzukommen. Erfahrungsgemäß ist es durchaus möglich, daß ein Pixar-Film auch in den anderen Kategorien Beachtung findet (speziell beim Drehbuch oder in der Königskategorie "Bester Film", wo es bislang aber noch keinen Sieg gab), bei den Animationsfilmen dürfte "Alles steht Kopf" auf jeden Fall schwer zu schlagen sein. Vor allem in den Darstellerkategorien auftrumpfen dürfte derweil Todd Haynes' ("In the Bedroom") elegante Adaption des ungewöhnlichen Liebesromans "Carol" der eigentlichen Krimi-Spezialistin Patricia Highsmith ("Der talentierte Mr. Ripley"), den sie 1952 ob seines für die Zeit brisanten Inhalts unter Pseudonym veröffentlichte. Rooney Mara ("Verblendung") wurde in Cannes bereits mit dem Darstellerpreis geehrt, was insofern bemerkenswert ist, als sie sich damit gegen ihre kongeniale Leinwandpartnerin Cate Blanchett durchsetzen konnte. Beide sollten in der Awards Season eine sehr gute Rolle spielen, wobei vorstellbar ist, daß die Produzenten-Legende Harvey Weinstein versuchen wird, eine von ihnen als Hauptdarstellerin und die andere als Nebendarstellerin zu promoten, um die Erfolgschancen zu erhöhen. Andererseits hat Cate Blanchett bereits als fiese Stiefmutter in "Cinderella" reelle Aussichten auf eine OSCAR-Nominierung als Nebendarstellerin, und Rooney Mara wird spätestens nach der Cannes-Ehrung schwer als Nebendarstellerin zu verkaufen sein; insofern könnte am Ende doch beide als Hauptdarstellerinnen konkurrieren. Kritiker und Festival-Publikum waren jedenfalls begeistert von beider Leistung in der Geschichte einer tabubrechenden lesbischen Beziehung zwischen einer älteren, verheirateten Frau und einer jungen Verkäuferin im New York der prüden 1950er Jahre. Auch Haynes' Inszenierung und diverse technische Aspekte werden über den grünen Klee gelobt, womit ein halbes Dutzend OSCAR-Nominierungen (oder mehr) absolut machbar erscheint (wobei das selbstverständlich auch maßgeblich von der Dichte und Qualität der Konkurrenz abhängen wird). Damit wären wir bei "Macbeth". Shakespeares blutiges Drama wurde schon oft verfilmt, die bekanntesten direkten Adaptionen sind Roman Polanskis "Macbeth" aus dem Jahr 1971 und Orson Welles' Version von 1948. Natürlich kann man sich fragen, ob da jetzt unbedingt noch eine Variante nötig war, aber wenn man der Mehrzahl der Kritiker glauben darf, dann lautet die Antwort: Ja, durchaus! Denn das Langfilm-Debüt des jungen australischen Regisseurs Justin Kurzel ging zwar bei der Preisvergabe leer aus, doch viele zeigten sich beeindruckt von der ausgesprochen grimmigen und intensiven Inszenierung und der Leistung der beiden Hauptdarsteller Michael Fassbender ("Shame") als titelgebender König und Marion Cotillard ("The Dark Knight Rises") als intriganter Lady Macbeth. Ob es tatsächlich für OSCAR-Nominierungen in den Hauptkategorien reichen wird, ist deutlich fraglicher als bei "Carol", da der Film doch etwas zu polarisieren scheint und generell Shakespeare-Adaptionen in den letzten Jahrzehnten nicht mehr so prestigeträchtig sind wie sie es zuvor lange Zeit waren in Hollywood. Fest rechnen darf man aber mit einigen Nominierungen in den Nebenkategorien (etwa Kostüme, Ausstattung oder Ton), vielleicht haben ja auch Fassbender und Cotillard eine Chance. Und damit ist mein kurzer Cannes-Report auch schon wieder beendet.
- Auf wenigstens eine aktuelle Filmmeldung will ich aber nicht verzichten, wenngleich "Sleepless Night" zugegebenermaßen nicht zwangsläufig nach einem zukünftigen Blockbuster klingt. Bemerkenswert ist der Action-Thriller aus deutschsprachiger Sicht aber schon allein deshalb, weil er das Hollywood-Debüt des in Berlin lebenden schweizerischen Filmemachers Baran bo Odar ("Who Am I") darstellt. OSCAR-Gewinner Jamie Foxx ("Django Unchained") spielt einen scheinbar korrupten Cop in Las Vegas namens Vincent, der eine Tasche voller Kokain wiederbeschaffen muß, um seinen Sohn vor einem Gangsterboß zu retten. Die Handlung soll sich innerhalb einer Nacht in einem Casino entspinnen und wird für Vincent noch verkompliziert durch die Tatsache, daß die interne Abteilung ihm auf den Fersen ist. Ein Mitglied der internen Abteilung spielt Michelle Monaghan ("Mission: Impossible III"), zudem verkörpert Gabrielle Union ("Denk wie ein Mann") Vincents Ex-Frau. Falls die Story jemandem bekannt vorkommt, könnte es daran liegen, daß es sich um ein Remake des französischen Films "Sleepless Night – Nacht der Vergeltung" aus dem Jahr 2011 handelt, der in Deutschland direkt auf DVD und Blu-ray veröffentlicht wurde. Das Drehbuch für die US-Adaption hat Andrea Berloff ("World Trade Center") geschrieben, die übrigens auch den ersten Skript-Entwurf für den seit längerem geplanten (aber noch nicht endgültig beschlossenen) Fantasyfilm "The Legend of Conan" mit Arnold Schwarzenegger verfaßt hat.
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