Mittwoch, 22. April 2015

KINGSMAN: THE SECRET SERVICE (2014)

Regie: Matthew Vaughn, Drehbuch: Jane Goldman, Matthew Vaughn, Musik: Henry Jackman und Matthew Margeson
Darsteller: Colin Firth, Taron Egerton, Samuel L. Jackson, Sir Michael Caine, Mark Strong, Sophie Cookson, Sofia Boutella, Samantha Womack, Geoff Bell, Nicholas Banks, Nicholas Agnew, Jack Cutmore-Scott, Rowan Polonski, Tom Prior, Fiona Hampton, Björn Floberg, Hanna Alström, Jack Davenport, Mark Hamill
Kingsman: The Secret Service
(2014) on IMDb Rotten Tomatoes: 75% (6,8); weltweites Einspielergebnis: $414,4 Mio.
FSK: 16, Dauer: 129 Minuten.

Gary Unwin (Taron Egerton), genannt "Eggsy", ist eigentlich ein sehr talentierter junger Mann, doch aus Sorge um seine Mutter – die den frühen Tod ihres Mannes nie verwunden hat und nun mit einem brutalen Gangster zusammenlebt – nutzt er seine Möglichkeiten nicht, sondern bleibt bei ihr in einem heruntergekommenen Londoner Vorort. Als er sich eines Tages wieder einmal mit den Schergen seines Stiefvaters anlegt und in der Folge im Gefängnis landet, zieht Eggsy seinen letzten Trumpf: Er ruft eine Telefonnummer an, die ihm ein eleganter Gentleman vor vielen Jahren für den Notfall überreicht hat, als er Eggsys Mutter vom Tod ihres Gatten in Kenntnis setzte. Und der Anruf wirkt Wunder: In Windeseile ist Eggsy wieder frei und wird von besagtem Gentleman abgeholt, der sich ihm als Harry Hart (Colin Firth, "Dame, König, As, Spion") vorstellt, Inhaber eines traditionsreichen Schneidergeschäfts. Allerdings ist das nur eine Tarnidentität, denn in Wirklichkeit ist dieser Harry Hart – wie einst Eggsys Vater – ein britischer Geheimagent, ein "Kingsman". Harry bietet Eggsy an, ihn auszubilden, damit er ebenfalls in die Organisation aufgenommen werden kann. Der akzeptiert, doch das Auswahlverfahren der Kingsmen ist richtig hart. Während der junge Mann und seine Konkurrenten verbissen um einen freigewordenen Platz als Geheimagent kämpfen, bekommt es Harry mit dem mysteriösen Verschwinden zahlreicher Prominenter rund um die Welt zu tun – und mit dem hemdsärmeligen Milliardär Valentine (Samuel L. Jackson, "Django Unchained"), der sich als Wohltäter gibt, aber finstere Hintergedanken hegt …

Kritik:
Comicverfilmungen sind im Kino (und zunehmend auch im TV-Bereich) bekanntlich bereits seit etlichen Jahren ganz groß in Mode – von den klassischen Superhelden-Comics á la "The Avengers" oder "The Dark Knight" über anspruchsvolle Graphic Novels wie "Road to Perdition", "A History of Violence" oder "V wie Vendetta" bis hin zu schrägen Indie-Comics wie "Ghost World" oder "Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt"; der gezeichnete Fundus, aus dem die Filmbranche schöpfen kann, ist schier unendlich. Zu den ungewöhnlicheren Vorlagen zählen einige Comics von Mark Millar – und auf die scheint der britische Regisseur Matthew Vaughn besonders zu stehen, denn nachdem er bereits Millars etwas andere Superhelden-Geschichte "Kick-Ass" erfolgreich adaptierte, hat er sich nun "Secret Service" gewidmet, einer irrwitzigen Parodie auf die eleganten Spionage-Filme der 1960er Jahre. Nun ist es zwar nicht übermäßig originell, die alten James Bond-Filme auf den Arm zu nehmen ("Johnny English" läßt grüßen), aber "Kingsman" ist eben – obwohl sich das von Vaughn gemeinsam mit Jane Goldman ("Der Sternwanderer") geschriebene Drehbuch inhaltlich nur lose an der Vorlage orientiert – typisch Mark Millar und damit … anders. Hier heißt "anders" unter anderem, daß es in dieser ganz besonderen Geheimagenten-Story extrem brutal zugeht, wobei die Wirkung der zeigefreudigen Szenen dadurch abgemildert wird, daß sie von Anfang bis Ende hemmungslos überzogen wirken. Dieses Stilmittel überzeugte sogar die FSK davon, Vaughns Film trotz teils extremer Splatter-Szenen ab 16 Jahren freizugeben – gut so, denn "Kingsman: The Secret Service" ist dermaßen gut und dabei unglaublich spaßig geworden, daß er jeden einzelnen Kinozuschauer verdient hat (und erfreulicherweise sind es sehr viele, die "Kingsman" zu einem veritablen Hit machten)!

Wie so viele Kinofilme in den letzten Jahren läßt sich auch "Kingsman" ziemlich klar in zwei unterschiedliche Hälften unterteilen. Zwar ist die tonale Veränderung hier nicht ganz so extrem wie etwa in "The Cabin in the Woods" oder den beiden Fantasy Filmfest-Hits "The Voices" und "The Guest", aber ein Blick auf die internationalen Kritiken zeigt doch sehr gut, daß auch bei "Kingsman" die zweite Hälfte konträre Reaktionen hervorruft. Das ist durchaus nachvollziehbar, wandelt sich die Geschichte doch von einer anfangs noch halbwegs konventionell erzählten Spionagegeschichte hin zu einer völlig durchgeknallten, mit cartoonhafter Gewalt durchzogenen Weltrettungsstory. Die erste Hälfte unterteilt sich in zwei große Handlungsstränge: Zunächst steht meist Eggsys Ausbildung zum Gentleman-Spion im Fokus, während die Ermittlungen der Kingsmen hinsichtlich der verschwundenen Prominenten noch zweitrangig bleiben. Für sich genommen ist in dieser Phase keine der beiden Storylines herausragend, im Zusammenspiel funktionieren sie jedoch ausgezeichnet. Während Harrys harte "Boot Camp"-Erfahrungen zwar im Kern wenig originell daherkommen, können sie mit (nach einer kurzen Einführungsphase) hohem Tempo sowie immer neuen witzigen Einfällen und Tests für die Rekruten punkten, wobei schauspielerisch vor allem der charismatische Hauptdarsteller Taron Egerton sowie der alte Haudegen Mark Strong ("The Guard") als Ausbildungsleiter mit trockenem Humor glänzen. Der dennoch unbestreitbaren Vorhersehbarkeit von Eggsys Training entgegen wirken regelmäßige Umschnitte zu Harrys Ermittlungen, die dringend benötigte Spannung in die Handlung bringen. Daß der Milliardär Valentine der Bösewicht der Geschichte ist, wird zwar schnell verdeutlicht; auch ist bald klar, daß er die Promis entführt und daß sein Plan irgendwie mit Umweltschutz zu tun hat. Was genau hinter seinem Vorgehen steckt, bleibt aber erfreulich lange im Dunklen und dürfte sich auch von aufmerksamen Zuschauern nur schwer enträtseln lassen – zumal die Story immer wieder mit Überraschungen glänzt, die man in aller Regel selbst als ein geübter Kinogänger kaum antizipieren kann.

Das gilt übrigens für so ziemlich die komplette zweite Filmhälfte. Kommt "Kingsman" zunächst noch – trotz diverser parodistisch-komödiantischer Einlagen – einigermaßen geerdet daher, so werden in Richtung Showdown zunehmend alle Grenzen lustvoll gesprengt. Die Handlung wird mehr oder weniger zu einer typischen "Mad Scientist"-Story wie aus einem James Bond-Film der 1960er Jahre ("Goldfinger", "Feuerball"), allerdings mit einem aktuellen gesellschaftlichen, letztlich gar revolutionären Twist, was gegen Ende in einer wahrlich un-faß-baren Anti-"V wie Vendetta"-Szene zu den unsterblichen Tönen von Edward Elgars "Pomp and Circumstance" kulminiert! Überhaupt ist die zweite Hälfte dermaßen irre und überzeichnet brutal geraten (was einige Kritiker und auch manche Kinogänger nachhaltig vergrault hat), daß vermutlich selbst die für durchgeknallte Filmstoffe berühmt-berüchtigten Japaner neidisch sind. Eingeleitet wird das Ganze durch eine lange Kampfsequenz in einer Kirche, die sensationell choreographiert ist und in ihrer Machart an die legendäre Korridorsequenz in Park Chan-wooks Rachereißer "Oldboy" erinnert – ein größeres Kompliment kann ich einer Kampfsequenz kaum machen. Allerdings ist die Kamera manchmal etwas zu nahe dran am Geschehen, womit die Übersicht vorübergehend flöten gehen kann.

Zum Reiz von "Kingsman" zählt derweil nicht nur die hochkarätige Besetzung, sondern vor allem auch deren konkreter Einsatz. Matthew Vaughn hat nämlich viele Darsteller erkennbar gegen den Strich besetzt: Colin Firth gibt zwar grundsätzlich den eleganten Gentleman, als den man den ehemaligen "Mr. Darcy" aus der BBC-Miniserie "Stolz und Vorurteil" kennt … bei der erwähnten Actionsequenz in der Kirche läßt er dann aber mal so richtig die Sau raus und offenbar ungeahnte – aber sehr willkommene! – "Badass"-Qualitäten. Bei Samuel L. Jackson trifft eher das Gegenteil zu. Sonst stets der "Mr. Cool" wie als "Shaft" oder als Nick Fury in den "Avengers"-Filmen, ist er in "Kingsman" eigentlich so uncool wie man nur sein kann: er lispelt stark, hat ein gezwungen legeres, in seinem Alter ziemlich albern wirkendes Auftreten samt Baseball-Cap, außerdem kann er partout kein Blut sehen. Und Mark Strong scheint seinem umfangreichen Portfolio an gut gespielten Nebenrollen einen weiteren Part hinzuzufügen, bis er irgendwann tatsächlich in einen astreinen Helden-Modus umschalten darf – der ihm verdammt gut steht! Man merkt den Schauspielern regelrecht an, wie sehr sie es genießen, sich einmal ganz anders geben zu dürfen als man es sonst von ihnen gewohnt ist. Da muß man den guten Michael Caine schon fast bedauern, der als Chef der Kingsmen eine für ihn relativ "normale" Rolle spielt, die er aber selbstredend mit der gewohnten Souveränität auf die Leinwand bringt. Erfreulicherweise halten sich die Jungdarsteller neben dieser Riege an erfahrenen Hochkarätern übrigens ganz ausgezeichnet. Newcomer Taron Egerton, der echte Starqualitäten mehr als nur erahnen läßt, habe ich ja bereits gelobt, aber auch Sophie Cookson (die vorher nur zwei Rollen gespielt hat, darunter eine in einer Rosamunde Pilcher-Verfilmung) als seine Mitrekrutin Roxy und die Algerierin Sofia Boutella ("StreetDance 2") als Valentines Sidekick-Kampfmaschine Gazelle (deren laserscharfe Klingenbeine selbst Rose McGowans Maschinengewehr-Prothese aus Robert Rodriguez' blutiger Grindhouse-Hommage "Planet Terror" beinahe harmlos wirken lassen) stehen problemlos ihre Frau. Die Besetzung zählt also ohne jeden Zweifel zu den vielen Stärken von "Kingsman: The Secret Service" – und dabei bin ich noch nicht einmal auf die köstlichen Kurzauftritte von Mark "Luke Skywalker" Hamill (der in der Graphic Novel übrigens auch eine Rolle spielt, allerdings eine ganz andere) als Professor, Jack Davenport ("Fluch der Karibik", TV-Serie "Coupling") als Kingsman "Lancelot" und Hanna Alström (aus der TV-Serie "Real Humans") als gänzlich unprinzessinenhafte schwedische Prinzessin Tilde eingegangen. Mein einziger kleiner Kritikpunkt: Ich finde es schade, daß es keine Cameos der laut Handlung ja dutzendweise entführten (und teilweise sogar namentlich genannten) Promis gibt. Das wäre gewissermaßen das Sahnehäubchen gewesen, aber auch so ist Matthew Vaughn und seinem Team ein echter Hit gelungen. Fortsetzung erwünscht!

Fazit: "Kingsman: The Secret Service" ist eine temporeiche und glänzend besetzte Spionage-Actionfarce, die halbwegs seriös beginnt und dann immer weiter in die grenzenlosen Weiten höchst spaßigen Irrsinns abgleitet – die (comichaft überzeichnete) Brutalität wird gewiß nicht jedem munden, doch wer sich darauf einlassen kann, der bekommt hier eine mutige Graphic Novel-Verfilmung dargeboten, die sich stark vom üblichen Hollywood-Mainstream abhebt.

Wertung: 9 Punkte.


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