Freitag, 17. April 2015

AMERICAN SNIPER (2014)

Regie: Clint Eastwood, Drehbuch: Jason Hall
Darsteller: Bradley Cooper, Sienna Miller, Luke Grimes, Jake McDorman, Sammy Sheik, Mido Hamada, Eric Close, Navid Negahban, Max Charles, Kyle Gallner, Cory Hardrict, Kathe Mazur, Brian Hallisay, Ben Reed, Assaf Cohen, Jonathan Groff, Owain Yeoman, Jason Hall
American Sniper
(2014) on IMDb Rotten Tomatoes: 72% (6,9); weltweites Einspielergebnis: $547,7 Mio.
FSK: 16, Dauer: 132 Minuten.

Der Texaner Chris Kyle (Bradley Cooper, "American Hustle"), von einem strengen Vater religiös-konservativ erzogen, verbringt sein Leben als rodeoreitender Möchtegern-Cowboy, ohne einen echten Lebensplan zu haben. Erst als er 1998 in den Nachrichten von zwei Bombenanschlägen auf US-Botschaften in Afrika erfährt, glaubt er zu wissen, was zu tun ist: Er meldet sich zum Militär und beginnt, obwohl älter als die meisten anderen Anwärter, das harte Training der Navy Seals. Tatsächlich übersteht er es, und aufgrund seiner Fähigkeiten mit Schußwaffen wird er zum Scharfschützen ausgebildet. Auch privat läuft es rund für Chris, als er die hübsche Taya (Sienna Miller, "G.I. Joe – Geheimauftrag Cobra") kennenlernt und wenig später heiratet. Doch dann finden die Terroranschläge des 11. September 2001 statt und während Taya schwanger ist, wird Chris im Irak-Krieg eingesetzt, wo er bald als meisterhafter Scharfschütze mit dem Ehrennamen "Legende" gefeiert respektive gefürchtet wird …

Kritik:
Wenn es um die Beurteilung US-amerikanischer Filme geht, die mit einem gerüttelt Maß an Patriotismus und/oder Pathos daherkommen, dann tue ich mich immer etwas schwer. Klar, aus europäischer Sicht wirkt das äußerst selbstbewußte amerikanische Selbstverständnis ("God's Own Country") oft befremdlich und wird von nicht wenigen strikt abgelehnt – aber andererseits ist es nun einmal Fakt, und wenn Filme darauf verzichten würden, wäre das letztlich nichts anderes als unglaubwürdig. Deshalb handhabe ich es in der Regel so, daß ich einen gewissen Grad an Pathos/Patriotismus ohne Widerworte akzeptiere und auch nicht störend finde; aber wenn es zu sehr Überhand nimmt, spreche ich das klar an und bewerte es auch sehr kritisch. Bei Kriegsfilmen – zumindest solchen, die nicht ganz klare Anti-Kriegsfilme sind – ist diese unsichtbare Grenze naturgemäß schneller überschritten als in den meisten anderen Genres. Und nachdem nach 9/11 lange ausgesprochen kriegskritische Werke dominierten (allerdings selten an den Kinokassen Erfolg zeitigten), scheinen derzeit wieder patriotischere Filme gefragt zu sein. Bereits Kathryn Bigelows hervorragendem Thriller "Zero Dark Thirty" über die Tötung Osama bin Ladens wurden im Jahr 2012 vereinzelt entsprechende Tendenzen unterstellt – meiner Meinung nach zwar zu Unrecht, doch läßt sich kaum leugnen, daß die actionreiche Inszenierung nicht so klar kriegskritisch war wie in den meisten Filmen der vorangegangenen Jahre. Eindeutig wurde der Trend dann spätestens im Herbst 2014 mit (trotz differenzierten Beginns) David Ayers Panzerfilm "Herz aus Stahl" und Angelina Jolies "Unbroken", bei denen die alten Propaganda-Mechanismen wieder voll griffen. Leider setzt Clint Eastwoods "American Sniper" – vor allem dank der nordamerikanischen Einspielergebnisse sein kommerziell mit weitem Abstand erfolgreichster Film aller Zeiten – noch eines drauf. Bei einem Regisseur, der noch 2006 mit "Flags of our Fathers" und "Letters from Iwo Jima" zwei der eindrucksvollsten Anti-Kriegsfilme der Post-9/11-Ära realisierte, kommt das trotz seiner bekannt erzkonservativen politischen Haltung dann doch überraschend …

Eastwood selbst sieht das derweil anders. Die auch in den USA schnell aufgekommene Kritik an "American Sniper" konterte er mit dem Argument, es könne sich schon deshalb nicht um einen kriegsverherrlichenden Film handeln, weil er Kyles posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) thematisiere. Nunja. In der Tat ist dieser Handlungsstrang das einzige, was "American Sniper" davon abhält, ein waschechter, das US-Militär verherrlichender Propagandafilm zu sein. Allerdings spielt er zwar eine konstante Rolle, da er immer wieder aufgegriffen wird, wenn Chris zwischen zwei Einsätzen zu Hause bei seiner Familie ist; dennoch werden Chris' Probleme gerade im Vergleich zu seinen "Abenteuern" im Irak extrem kurz abgehandelt und vermögen auch emotional nur bedingt zu fesseln – das hat Kathryn Bigelow in ihrem OSCAR-Gewinner "The Hurt Locker – Tödliches Kommando" besser hinbekommen. Bei Eastwood wirkt diese Thematik eher alibihaft, als wäre sie nur deshalb aufgenommen worden, weil der echte Chris Kyle nun einmal (wie so viele Soldaten) unter PTBS litt. Einen wirklichen Kontrast zu den Propaganda-Szenen im Rest des Films bieten sie nicht.

Denn, ja: "Propaganda" ist genau das richtige Wort für das, was Clint Eastwood in seinem für sechs OSCARs nominierten Werk abliefert. Vermutlich fällt das vielen Kinogängern gar nicht so sehr auf – schließlich gibt es genügend Krachbumm, um einen während der gut zwei Stunden vom ernsthaften Nachdenken abzuhalten –, aber wenn man wie ich gerade erst ein Buch über amerikanische Kriegsfilme fertiggestellt hat (das im Laufe des Jahres veröffentlicht werden soll) und in diesem Zusammenhang genau das Vorgehen der Propagandafilme während des Zweiten Weltkrieges analysiert hat, dann ist es schon frappierend, wie eng sich Eastwood und sein Drehbuch-Autor Jason Hall ("Paranoia") an diese vergessen gehofften Schemata halten. Das beginnt noch recht harmlos mit "normalen" Kriegsfilm-Klischees – was passiert wohl mit einem Kameraden von Chris, gleich nachdem dieser im Einsatz von seiner bevorstehenden Hochzeit schwärmt? –, endet aber nicht damit. Stattdessen werden zahlreiche Propaganda-Mechaniken fast wie nach Handbuch durchexerziert: Die Feinde im Irak werden durchgehend abwertend als "Wilde" bezeichnet, Chris hegt (fast; die einzige Ausnahme sind Kinder) nie Zweifel an seiner Tätigkeit als Scharfschütze – das einzige, was er laut eigener Aussage bereut, ist, daß er nicht mehr Kameraden das Leben retten konnte –, selbstverständlich macht er auch nie Fehler wie die versehentliche Tötung eines unbewaffneten Zivilisten (weil den Amerikanern so etwas ja nie passiert). Noch deutlicher wird die Intention dadurch, daß alle Iraker, auf die Chris in seinen Einsätzen trifft, entweder unzweifelhaft "böse" sind (und damit den Tod verdient haben) oder, wenn es zunächst noch anders aussieht, gierig – und deshalb die braven Amis in einen fiesen Hinterhalt locken (und damit den Tod verdient haben). Außerdem wird der Sinn des (weißgott auch innerhalb der USA nicht unumstrittenen) Irak-Krieges nie hinterfragt, stattdessen werden Waffenbesitz und imperialistisches Gedankengut propagiert, wenn bereits Chris' Vater seinem Sohn beibringt, daß es nur drei Arten von Menschen gebe: Schafe (womit er vor allem liberale Waffengegner und Pazifisten meint), Hütehunde (die selbstlos mit Waffen das Gute in der Welt beschützen) und Wölfe (die einfach böse sind und damit den Tod verdient haben) … Wer jetzt meint, ich übertreibe mit meinen Propaganda-Unterstellungen, den möchte ich zum Abschluß meiner Argumentation mit der perfidesten Szene vertraut machen (die aber einen konkreten SPOILER darstellt): Als ein Kamerad von Chris im Irak erschossen wird, kurz nachdem er doch am Sinn des Einsatzes zu zweifeln beginnt, waren laut Chris genau diese Zweifel der Grund für seinen Tod!

Zugegeben, es gibt ein Argument, mit dem man all diese Propaganda relativieren kann: daß der Film ausdrücklich aus Chris' simplifizierter und von jeglichen politischen oder gesellschaftlichen Facetten befreiter Perspektive geschildert wird. Immerhin basiert "American Sniper" ja auf der Autobiographie von Chris Kyle (in der er übrigens nachweislich an einigen Stellen geflunkert hat, was seine Heroisierung im Film doppelt zweifelhaft macht), der als Scharfschütze mit den meisten bestätigten Abschüssen in der Geschichte des US-Militärs gilt. Und wenn dieser Chris Kyle ein völlig vom Krieg und von seiner Tätigkeit als Scharfschütze überzeugter Mustersoldat war, dann kann oder soll man das auch so zeigen. Auch kann man Chris' Platitüden im Film natürlich dahingehend hinterfragen, ob er sich letzten Endes nicht vielleicht selbst einfach nur Standhaftigkeit einreden und jegliche eventuell im Hinterkopf vorhandene Zweifel von vornherein ausschalten will; gerade bei der Sache mit dem angeblich nur durch seine Zweifel getöteten Kameraden halte ich eine solche Interpretation gar für recht wahrscheinlich. Doch ist einem ansonsten so plakativ inszenierten Film so viel Subtilität eigentlich nur schwerlich zuzutrauen, weshalb sie (so sie denn existiert) von vielen Zuschauern gar nicht erst wahrgenommen werden dürfte. Und selbst wenn es Eastwood und Hall nur um die Sicht eines (mehr oder weniger) einfachen Soldaten ging, macht das die fast kritiklose Machart von "American Sniper" nicht weniger irritierend. Außerdem: Wenn den Filmemachern eine authentische Verfilmung von Chris Kyles Erlebnissen tatsächlich so wichtig gewesen wäre, hätten sie wohl kaum entscheidende Details seiner Einsätze im Irak erfunden. Realistischerweise gab es in Wirklichkeit nämlich keine "Duelle", in die Kyle verwickelt gewesen wäre, stattdessen hat er einfach seinen "Job" gemacht und (mutmaßliche) Feinde zum Schutz seiner Kameraden aus großer Entfernung erschossen. Das erschien Hall und Eastwood wohl zu unspektakulär, um daraus einen ganzen Film zu machen. Und so ist es aus dramaturgischer Hinsicht absolut nachvollziehbar, daß es nicht nur – wie bei Jean-Jacques Annauds Scharfschützen-Film "Duell – Enemy at the Gates" aus dem Jahr 2001 – eine, sondern sogar gleich zwei große "Fehden" gibt, die Chris Kyle führt. Einmal gegen den Meister-Scharfschützen und früheren Olympia-Teilnehmer Mustafa (Sammy Sheik, "Lone Survivor"), zusätzlich gegen einen besonders sadistischen Oberfiesling (Mido Hamada, "Unknow Identity"), der passenderweise "Der Schlächter" genannt wird (und nebenbei das ständige Gerede von den "Wilden" rechtfertigt). Und – so viel zum Thema Authentizität – selbstredend wird eines dieser Duelle mit einem meisterhaften, in Zeitlupe zelebrierten Schuß beendet. Irgendwie ist es auch bezeichnend, daß "American Sniper" erschreckend stark an den Nazi-Propagandafilm mit Daniel Brühl als Scharfschütze in Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" erinnert …

Handwerklich kann man "American Sniper" dagegen nicht viel vorwerfen. Innovationen bleiben zwar aus, aber speziell die Irak-Szenen sind spannend in Szene gesetzt, auch wenn durch die repetitive Natur von Chris' Tätigkeit zunehmend Monotonie einsetzt. Deshalb die Sache mit den erfundenen und wenig subtil konstruierten Duellen, die – wie angedeutet – dramaturgisch gut funktionieren und für die nötige Abwechslung sorgen. Bradley Cooper spielt die Hauptrolle, für die er sich viel Muskelmasse antrainieren mußte, sehr überzeugend, allerdings kann auch er der Eindimensionalität dieses extrem patriotischen Cowboys nicht übermäßig entgegenwirken. Da der Fokus ganz auf Chris liegt, können die Nebendarsteller kaum glänzen, bei den meisten kann man sich die Rollennamen nicht bis zum Schluß merken. Am besten schneidet noch Luke Grimes ("Fifty Shades of Grey") ab, der Chris' Kameraden Marc sympathisch verkörpert.

Fazit: "American Sniper" ist ein routiniert inszenierter US-Kriegsfilm, dessen betont unkritische Präsentation eines (von Bradley Cooper sehr gut verkörperten) "amerikanischen Kriegshelden" mitsamt Rückgriffen auf uralte Propaganda-Mechanismen heftige Bauchschmerzen verursachen kann.

Wertung: 4 Punkte (gefühlt noch weniger, aber ich will die "Aussage" oder Haltung des Films im Vergleich zu seinen handwerklichen Qualitäten nicht zu stark übergewichten).


3 Kommentare:

  1. Sehr umfangreiche, gut begründete Kritik. Deckt sich mit meiner Auffassung des Filmes. Typische Elemente Eastwoods, handwerklich souverän, aber eben auch nicht mehr. Man könnte sagen, der redundante Eastwood, denn während jeder Film etwas einzigartiges Vorweisen (Stimmung, Atmosphäre, Figuren) konnte, prägt diesen Film lediglich diese "Aussage". Werde hier häufiger mal reinschauen, besonders zur Oscarsaison. Als Favorit im Browser eingespeichert.

    Andreas

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    1. Vielen Dank für das Lob. :-)
      Was Eastwood betrifft, sehe ich ehrlich gesagt aber schon seit einiger Zeit einen qualitativen Abwärtstrend. Sein letztes richtig gutes Jahr hatte er für meine Begriffe 2008 mit "Der fremde Sohn" und "Gran Torino" (obwohl beide bei den Kritikern nicht wirklich euphorisch aufgenommen wurden). Die folgenden Regiearbeiten "Invictus", "Hereafter", "J. Edgar" und "Jersey Boys" waren kaum mehr als inspirationsarmes Mittelmaß - und daß er jetzt mit "American Sniper" seinen größten Hit landete, liegt wohl eher in der Thematik begründet ...

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    2. Da meine Kinoleidenschaft erst vor etwa 1,5 Jahren entfacht ist, ist mein Erfahrungsschatz relativ klein. Deshalb konnte ich den aktuellen Film lediglich mit den bekannteren Klassikern von Eastwood vergleichen und daher dieser unfundierte Eindruck. Die aktuellen Neuerscheinungen von Starregisseuren des älteren Kalibers scheinen generell eher einen entsprechendern Abwärtstrend vorzuweisen; so auch Ridley Scott oder Woody Allen. Manchmal frage ich mich, ob das mit dem Alter zusammenhänge könnte. Schließlich ist es meiner Ansicht nach lediglich ein schmaler Grat, welcher einzigartige Kunst, welche die Kinolandschaft nachhaltig prägt, vom langweilligen, uninspirierten Einheitsbrei trennt und dieser hängt sicherlich von entsprechenden kognitiven Faktoren zusammen. Aber nein, der finanzielle Erfolg bestätigt ja beispielsweise Eastwood und American Sniper.

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