Regie:
Clint Eastwood, Drehbuch: Jason Hall
Darsteller:
Bradley Cooper, Sienna Miller, Luke Grimes, Jake McDorman, Sammy Sheik, Mido
Hamada, Eric Close, Navid Negahban, Max Charles, Kyle Gallner, Cory Hardrict,
Kathe Mazur, Brian Hallisay, Ben Reed, Assaf Cohen, Jonathan Groff, Owain
Yeoman, Jason Hall
FSK: 16, Dauer: 132 Minuten.
Der Texaner Chris Kyle (Bradley Cooper, "American Hustle"), von einem strengen Vater religiös-konservativ erzogen, verbringt
sein Leben als rodeoreitender Möchtegern-Cowboy, ohne einen echten
Lebensplan zu haben. Erst als er 1998 in den Nachrichten von zwei Bombenanschlägen auf
US-Botschaften in Afrika erfährt, glaubt er zu wissen, was zu tun ist: Er meldet sich zum Militär und beginnt, obwohl älter als die meisten anderen Anwärter, das harte Training der
Navy Seals. Tatsächlich übersteht er es, und aufgrund seiner Fähigkeiten mit
Schußwaffen wird er zum Scharfschützen ausgebildet. Auch privat läuft es rund
für Chris, als er die hübsche Taya (Sienna Miller, "G.I. Joe – Geheimauftrag Cobra")
kennenlernt und wenig später heiratet. Doch dann finden die Terroranschläge des
11. September 2001 statt und während Taya schwanger ist, wird Chris im
Irak-Krieg eingesetzt, wo er bald als meisterhafter Scharfschütze mit dem Ehrennamen "Legende"
gefeiert respektive gefürchtet wird …
Kritik:
Wenn es um die Beurteilung US-amerikanischer Filme geht, die
mit einem gerüttelt Maß an Patriotismus und/oder Pathos daherkommen, dann tue
ich mich immer etwas schwer. Klar, aus europäischer Sicht wirkt das äußerst
selbstbewußte amerikanische Selbstverständnis ("God's Own Country")
oft befremdlich und wird von nicht wenigen strikt abgelehnt – aber andererseits
ist es nun einmal Fakt, und wenn Filme darauf verzichten würden, wäre das
letztlich nichts anderes als unglaubwürdig. Deshalb handhabe ich es in der
Regel so, daß ich einen gewissen Grad an Pathos/Patriotismus ohne Widerworte
akzeptiere und auch nicht störend finde; aber wenn es zu sehr Überhand nimmt,
spreche ich das klar an und bewerte es auch sehr kritisch. Bei Kriegsfilmen –
zumindest solchen, die nicht ganz klare Anti-Kriegsfilme sind – ist diese
unsichtbare Grenze naturgemäß schneller überschritten als in den meisten
anderen Genres. Und nachdem nach 9/11 lange ausgesprochen kriegskritische Werke
dominierten (allerdings selten an den Kinokassen Erfolg zeitigten), scheinen
derzeit wieder patriotischere Filme gefragt zu sein. Bereits Kathryn Bigelows
hervorragendem Thriller "Zero Dark Thirty" über die Tötung Osama bin
Ladens wurden im Jahr 2012 vereinzelt entsprechende Tendenzen unterstellt – meiner Meinung nach
zwar zu Unrecht, doch läßt sich kaum leugnen, daß die actionreiche Inszenierung nicht
so klar kriegskritisch war wie in den meisten Filmen der vorangegangenen
Jahre. Eindeutig wurde der Trend dann spätestens im Herbst 2014 mit (trotz
differenzierten Beginns) David Ayers Panzerfilm "Herz aus Stahl" und
Angelina Jolies "Unbroken", bei denen die alten
Propaganda-Mechanismen wieder voll griffen. Leider setzt Clint Eastwoods
"American Sniper" – vor allem dank der nordamerikanischen Einspielergebnisse sein kommerziell mit weitem Abstand
erfolgreichster Film aller Zeiten – noch eines drauf.
Bei einem Regisseur, der noch 2006 mit "Flags of our Fathers" und "Letters
from Iwo Jima" zwei der eindrucksvollsten Anti-Kriegsfilme der
Post-9/11-Ära realisierte, kommt das trotz seiner bekannt erzkonservativen
politischen Haltung dann doch überraschend …
Eastwood selbst sieht das derweil anders. Die auch in den
USA schnell aufgekommene Kritik an "American Sniper" konterte er mit
dem Argument, es könne sich schon deshalb nicht um einen kriegsverherrlichenden
Film handeln, weil er Kyles posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
thematisiere. Nunja. In der Tat ist dieser Handlungsstrang das einzige, was
"American Sniper" davon abhält, ein waschechter, das US-Militär
verherrlichender Propagandafilm zu sein. Allerdings spielt er zwar eine
konstante Rolle, da er immer wieder aufgegriffen wird, wenn Chris zwischen zwei
Einsätzen zu Hause bei seiner Familie ist; dennoch werden Chris' Probleme
gerade im Vergleich zu seinen "Abenteuern" im Irak extrem kurz
abgehandelt und vermögen auch emotional nur bedingt zu fesseln – das hat
Kathryn Bigelow in ihrem OSCAR-Gewinner "The Hurt Locker – Tödliches
Kommando" besser hinbekommen. Bei Eastwood wirkt diese Thematik eher alibihaft,
als wäre sie nur deshalb aufgenommen worden, weil der echte Chris Kyle nun einmal (wie so
viele Soldaten) unter PTBS litt. Einen wirklichen Kontrast zu den
Propaganda-Szenen im Rest des Films bieten sie nicht.
Denn, ja: "Propaganda" ist genau das richtige Wort
für das, was Clint Eastwood in seinem für sechs OSCARs nominierten Werk abliefert. Vermutlich fällt das vielen
Kinogängern gar nicht so sehr auf – schließlich gibt es genügend Krachbumm, um
einen während der gut zwei Stunden vom ernsthaften Nachdenken abzuhalten –,
aber wenn man wie ich gerade erst ein Buch über amerikanische Kriegsfilme
fertiggestellt hat (das im Laufe des Jahres veröffentlicht werden soll) und in
diesem Zusammenhang genau das Vorgehen der Propagandafilme während des Zweiten
Weltkrieges analysiert hat, dann ist es schon frappierend, wie eng sich
Eastwood und sein Drehbuch-Autor Jason Hall ("Paranoia") an diese vergessen gehofften Schemata
halten. Das beginnt noch recht harmlos mit "normalen"
Kriegsfilm-Klischees – was passiert wohl mit einem Kameraden von Chris, gleich nachdem dieser im Einsatz von seiner bevorstehenden Hochzeit
schwärmt? –, endet aber nicht damit. Stattdessen werden zahlreiche
Propaganda-Mechaniken fast wie nach Handbuch durchexerziert: Die Feinde im Irak
werden durchgehend abwertend als "Wilde" bezeichnet, Chris hegt
(fast; die einzige Ausnahme sind Kinder) nie Zweifel an seiner Tätigkeit als
Scharfschütze – das einzige, was er laut eigener Aussage bereut, ist, daß er
nicht mehr Kameraden das Leben retten konnte –, selbstverständlich macht er
auch nie Fehler wie die versehentliche Tötung eines unbewaffneten Zivilisten
(weil den Amerikanern so etwas ja nie passiert). Noch deutlicher wird die Intention
dadurch, daß alle Iraker, auf die Chris in seinen Einsätzen trifft, entweder
unzweifelhaft "böse" sind (und damit den Tod verdient haben) oder,
wenn es zunächst noch anders aussieht, gierig – und deshalb die braven Amis in einen
fiesen Hinterhalt locken (und damit den Tod verdient haben). Außerdem wird der
Sinn des (weißgott auch innerhalb der USA nicht unumstrittenen) Irak-Krieges nie hinterfragt, stattdessen werden Waffenbesitz und
imperialistisches Gedankengut propagiert, wenn bereits Chris' Vater seinem Sohn
beibringt, daß es nur drei Arten von Menschen gebe: Schafe (womit er vor allem
liberale Waffengegner und Pazifisten meint), Hütehunde (die selbstlos mit
Waffen das Gute in der Welt beschützen) und Wölfe (die einfach böse sind und
damit den Tod verdient haben) … Wer jetzt meint, ich übertreibe mit meinen
Propaganda-Unterstellungen, den möchte ich zum Abschluß meiner Argumentation
mit der perfidesten Szene vertraut machen (die aber einen konkreten SPOILER
darstellt): Als ein Kamerad von Chris im Irak erschossen wird, kurz nachdem er
doch am Sinn des Einsatzes zu zweifeln beginnt, waren laut Chris genau diese
Zweifel der Grund für seinen Tod!
Zugegeben, es gibt ein Argument, mit dem man all diese
Propaganda relativieren kann: daß der Film ausdrücklich aus Chris' simplifizierter
und von jeglichen politischen oder gesellschaftlichen Facetten befreiter Perspektive
geschildert wird. Immerhin basiert "American Sniper" ja auf der
Autobiographie von Chris Kyle (in der er übrigens nachweislich an einigen
Stellen geflunkert hat, was seine Heroisierung im Film doppelt zweifelhaft
macht), der als Scharfschütze mit den meisten bestätigten Abschüssen in der Geschichte des US-Militärs gilt. Und wenn dieser Chris Kyle ein völlig vom Krieg und von seiner Tätigkeit als
Scharfschütze überzeugter Mustersoldat war, dann kann oder soll man das auch
so zeigen. Auch kann man Chris' Platitüden im Film natürlich dahingehend
hinterfragen, ob er sich letzten Endes nicht vielleicht selbst einfach nur
Standhaftigkeit einreden und jegliche eventuell im Hinterkopf vorhandene
Zweifel von vornherein ausschalten will; gerade bei der Sache mit dem angeblich
nur durch seine Zweifel getöteten Kameraden halte ich eine solche Interpretation gar für recht wahrscheinlich. Doch ist einem ansonsten so plakativ inszenierten
Film so viel Subtilität eigentlich nur schwerlich zuzutrauen, weshalb sie (so
sie denn existiert) von vielen Zuschauern gar nicht erst wahrgenommen werden dürfte. Und
selbst wenn es Eastwood und Hall nur um die Sicht eines (mehr oder weniger) einfachen
Soldaten ging, macht das die fast kritiklose Machart von "American
Sniper" nicht weniger irritierend. Außerdem: Wenn den Filmemachern eine
authentische Verfilmung von Chris Kyles Erlebnissen tatsächlich so wichtig
gewesen wäre, hätten sie wohl kaum entscheidende Details seiner Einsätze
im Irak erfunden. Realistischerweise gab es in Wirklichkeit nämlich keine
"Duelle", in die Kyle verwickelt gewesen wäre, stattdessen hat er
einfach seinen "Job" gemacht und (mutmaßliche) Feinde zum Schutz
seiner Kameraden aus großer Entfernung erschossen. Das erschien Hall und
Eastwood wohl zu unspektakulär, um daraus einen ganzen Film zu machen. Und so
ist es aus dramaturgischer Hinsicht absolut nachvollziehbar, daß es nicht nur –
wie bei Jean-Jacques Annauds Scharfschützen-Film "Duell – Enemy at the
Gates" aus dem Jahr 2001 – eine, sondern sogar gleich zwei große
"Fehden" gibt, die Chris Kyle führt. Einmal gegen den
Meister-Scharfschützen und früheren Olympia-Teilnehmer Mustafa (Sammy Sheik, "Lone Survivor"), zusätzlich
gegen einen besonders sadistischen Oberfiesling (Mido Hamada, "Unknow Identity"), der passenderweise
"Der Schlächter" genannt wird (und nebenbei das ständige Gerede von den
"Wilden" rechtfertigt). Und – so viel zum Thema Authentizität –
selbstredend wird eines dieser Duelle mit einem meisterhaften, in
Zeitlupe zelebrierten Schuß beendet. Irgendwie ist es auch bezeichnend, daß
"American Sniper" erschreckend stark an den Nazi-Propagandafilm mit
Daniel Brühl als Scharfschütze in Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" erinnert …
Handwerklich kann man "American Sniper" dagegen
nicht viel vorwerfen. Innovationen bleiben zwar aus, aber speziell die
Irak-Szenen sind spannend in Szene gesetzt, auch wenn durch die repetitive
Natur von Chris' Tätigkeit zunehmend Monotonie einsetzt. Deshalb die Sache mit
den erfundenen und wenig subtil konstruierten Duellen, die – wie angedeutet –
dramaturgisch gut funktionieren und für die nötige Abwechslung sorgen. Bradley
Cooper spielt die Hauptrolle, für die er sich viel Muskelmasse antrainieren
mußte, sehr überzeugend, allerdings kann auch er der Eindimensionalität dieses
extrem patriotischen Cowboys nicht übermäßig entgegenwirken. Da der Fokus ganz
auf Chris liegt, können die Nebendarsteller kaum glänzen, bei den meisten kann
man sich die Rollennamen nicht bis zum Schluß merken. Am besten schneidet
noch Luke Grimes ("Fifty Shades of Grey") ab, der Chris' Kameraden Marc sympathisch
verkörpert.
Fazit: "American Sniper" ist ein routiniert
inszenierter US-Kriegsfilm, dessen betont unkritische Präsentation eines (von Bradley Cooper sehr gut verkörperten) "amerikanischen Kriegshelden" mitsamt
Rückgriffen auf uralte Propaganda-Mechanismen heftige Bauchschmerzen
verursachen kann.
Wertung: 4 Punkte (gefühlt noch weniger, aber ich
will die "Aussage" oder Haltung des Films im Vergleich zu seinen handwerklichen
Qualitäten nicht zu stark übergewichten).
Sehr umfangreiche, gut begründete Kritik. Deckt sich mit meiner Auffassung des Filmes. Typische Elemente Eastwoods, handwerklich souverän, aber eben auch nicht mehr. Man könnte sagen, der redundante Eastwood, denn während jeder Film etwas einzigartiges Vorweisen (Stimmung, Atmosphäre, Figuren) konnte, prägt diesen Film lediglich diese "Aussage". Werde hier häufiger mal reinschauen, besonders zur Oscarsaison. Als Favorit im Browser eingespeichert.
AntwortenLöschenAndreas
Vielen Dank für das Lob. :-)
LöschenWas Eastwood betrifft, sehe ich ehrlich gesagt aber schon seit einiger Zeit einen qualitativen Abwärtstrend. Sein letztes richtig gutes Jahr hatte er für meine Begriffe 2008 mit "Der fremde Sohn" und "Gran Torino" (obwohl beide bei den Kritikern nicht wirklich euphorisch aufgenommen wurden). Die folgenden Regiearbeiten "Invictus", "Hereafter", "J. Edgar" und "Jersey Boys" waren kaum mehr als inspirationsarmes Mittelmaß - und daß er jetzt mit "American Sniper" seinen größten Hit landete, liegt wohl eher in der Thematik begründet ...
Da meine Kinoleidenschaft erst vor etwa 1,5 Jahren entfacht ist, ist mein Erfahrungsschatz relativ klein. Deshalb konnte ich den aktuellen Film lediglich mit den bekannteren Klassikern von Eastwood vergleichen und daher dieser unfundierte Eindruck. Die aktuellen Neuerscheinungen von Starregisseuren des älteren Kalibers scheinen generell eher einen entsprechendern Abwärtstrend vorzuweisen; so auch Ridley Scott oder Woody Allen. Manchmal frage ich mich, ob das mit dem Alter zusammenhänge könnte. Schließlich ist es meiner Ansicht nach lediglich ein schmaler Grat, welcher einzigartige Kunst, welche die Kinolandschaft nachhaltig prägt, vom langweilligen, uninspirierten Einheitsbrei trennt und dieser hängt sicherlich von entsprechenden kognitiven Faktoren zusammen. Aber nein, der finanzielle Erfolg bestätigt ja beispielsweise Eastwood und American Sniper.
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