Mittwoch, 24. Juli 2013

Klassiker-Rezension: PANZERSCHIFF GRAF SPEE (1956)

Originaltitel: The Battle of the River Plate
Regie und Drehbuch: Michael Powell und Emeric Pressburger, Musik: Brian Easdale
Darsteller: John Gregson, Anthony Quayle, Peter Finch, Bernard Lee, Ian Hunter, Jack Gwillim, Lionel Murton, Peter Illing, Anthony Bushell, Patrick Macnee, Michael Goodliffe, John Chandos, Douglas Wilmer, Andrew Cruickshank, Roger Delgado, April Olrich, Sir Christopher Lee, Donald Moffatt, John Schlesinger, Captain Patrick Dove
 The Battle of the River Plate
(1956) on IMDb Rotten Tomatoes: 82% (5,8); FSK: 12, Dauer: 114 Minuten.

November 1939: Nach der Invasion Polens haben die Nazis noch vor der offiziellen Erklärung des Kriegszustandes mit Großbritannien das ebenso moderne wie mächtige Panzerschiff Graf Spee in den Südatlantik entsandt, wo es nach der Kriegserklärung dann den Auftrag erhielt, britische Versorgungsschiffe zu versenken. Unter dem Kommando von Kapitän Hans Langsdorff (Peter Finch, "Network"), einem noblen Seemann alter Schule, kann die Graf Spee auf ihrer Kaperfahrt etliche Handelsschiffe aufbringen und gleichzeitig deren komplette Besatzungen retten. Kurz vor der Ablösung durch ein anderes Schiff und der Heimkehr nach Deutschland muß auch noch die "Africa Shell" dran glauben, deren Captain Patrick Dove (Bernard Lee, der Geheimdienstchef "M" in insgesamt elf James Bond-Filmen) gemeinsam mit den Offizieren weiterer versenkter Schiffe auf der Graf Spee festgehalten wird. Kapitän Langsdorff und seine Crew gehen sehr zuvorkommend mit ihren Gefangenen um, weshalb vor allem Captain Dove bald eine gewisse Bewunderung für den deutschen "Gentleman" entwickelt. Doch wenig später trifft die Graf Spee auf drei britische Kriegsschiffe, die alleine chancenlos wären, im Verbund jedoch den riskanten Angriff auf das deutsche Schlachtschiff wagen ...

Kritik:
Die britischen Regisseure und Drehbuch-Autoren Michael Powell und Emeric Pressburger sind mit großer Wahrscheinlichkeit das beste Filmemacher-Duo der Geschichte (dicht gefolgt von Joel und Ethan Coen). Leider sind sie im 21. Jahrhundert dem durchschnittlichen Filmfreund kaum noch ein Begriff, da alte britische Produktionen im deutschen Free-TV sehr viel seltener gezeigt werden als amerikanische (oder deutsche, versteht sich). Doch unter den 19 Filmen, die Powell und Pressburger gemeinsam realisierten, befinden sich einige wahre Meisterwerke, von denen zumindest die märchenhafte Liebeskomödie "Irrtum im Jenseits" (David Niven als Pilot, der im Zweiten Weltkrieg abgeschossen wird, aber wundersamerweise überlebt und das Himmelsgericht davon überzeugen muß, gegen alle Regeln am Leben bleiben zu dürfen) und die wunderbar nostalgische Tragikomödie "Leben und Sterben des Colonel Blimp" (über einen englischen Offizier zu Beginn des 20. Jahrhunderts und seine ungewöhnliche Freundschaft zu einem preußischen Offizier) wirklich jeder gesehen haben sollte, der sich ernsthaft für das Kino interessiert. "Panzerschiff Graf Spee", ihre vorletzte cineastische Zusammenarbeit, ist ohne Zweifel eines der schwächeren Werke des sonst so genialen Duos – doch auch ein etwas schwächerer Powell/Pressburger-Film ist immer noch absolut sehenswert. Das übrigens im doppelten Sinne, denn wie immer haben die beiden mit dem Kameramann Christopher Challis auch in "Panzerschiff Graf Spee" erinnerungswürdige Szenerien in satten Technicolor-Farben erschaffen.

Die inhaltlichen Schwächen von "Panzerschiff Graf Spee" – dessen deutscher Titel übrigens leicht irreführend ist, denn die Geschehnisse werden ausschließlich aus britischer Sicht geschildert – lassen sich vor allem auf eine große Stärke zurückführen: die Authentizität. Powell und Pressburger wollen der realen Schlacht vor dem Río de la Plata und den Soldaten beider Nationen, die daran teilgenommen haben, sichtlich gerecht werden und setzen deshalb auf größtmögliche Realitätsnähe. Das führt sogar dazu, daß kurioserweise im Vorspann die "Darsteller" der vier an der Schlacht beteiligten Schiffe gleichberechtigt mit den menschlichen Schauspielern genannt werden (zwei der Schiffe "spielen" übrigens sich selbst). Die Menschen spielen in "Panzerschiff Graf Spee" eigentlich nur eine Nebenrolle, die Schiffe und ihre jeweilige Besatzung – als Einheit, nicht als Individuen – sind das klare Zentrum. Entsprechend schwer fällt es dem Publikum, eine Verbindung zu den Männern auf den Schiffen aufzubauen, die kaum eine Gelegenheit bekommen, einen eigenen Charakter zu entwickeln.

Im Vorspann werden auch die Namen Dutzender Personen und Behörden genannt, die mit dem Filmteam zusammengearbeitet haben – darunter Kapitän Langsdorffs Ehefrau sowie Captain Dove, dessen Memoiren Powell und Pressburger als Ausgangspunkt dienten und der selbst in einer Minirolle zu sehen ist. Es ist mehr als offensichtlich und natürlich absolut verständlich, daß die Filmemacher versuchen, ihnen allen gerecht zu werden. Nur führt genau das dazu, daß die Schiffsbesatzungen gerade während der Schlacht nicht allzu glaubwürdig wirken – so haben sie selbst verwundet und unter schwerem Beschuß stets noch einen lockeren Spruch auf den Lippen. Das könnte man kriegsverherrlichend oder zumindest -verharmlosend finden, doch dafür sind Powell und Pressburger natürlich zu schlau. Auch ohne explizite Szenen werden die teils tödlichen Folgen des Kampfes keinesfalls verschwiegen, zudem hält sich der Patriotismus in Grenzen und die Deutschen werden ungewöhnlich wohlwollend dargestellt. So wirken die arg schablonenhaften Figuren zwar etwas irritierend, stören aber nicht wirklich. Schließlich spielen sie ja letztlich nur Nebenrollen.

Ein weiteres Problem von "Panzerschiff Graf Spee" ist ebenfalls der engen Zusammenarbeit mit dem Militär geschuldet – denn selbstverständlich kann man die echten Kriegsschiffe, die im Film zu sehen sind (als Graf Spee-Double diente übrigens ein US-Kriegsschiff, das aber dem Original kaum ähnlich sieht), nicht einfach nach Belieben mit Explosionen u.ä. verunstalten, und für computergenerierte Effekte war es 1956 dann doch noch ein klitzekleines bißchen zu früh. Entsprechend sind vor allem zu Beginn viele Treffer nicht im Bild zu sehen, sondern werden dem Zuschauer nur indirekt vermittelt, in der eigentlichen Schlacht kommen häufig Modelle zum Einsatz, was man durchaus sieht. Das ist schade, angesichts der Umstände aber kaum zu vermeiden – im Gegensatz zur bewußten Entscheidung, die Schlacht komplett aus britischer Perspektive zu zeigen. Die ist einerseits etwas inkonsequent, da der Großteil des ersten Aktes noch auf der Graf Spee stattfindet – wenn auch aus der Perspektive von Captain Dove –, und andererseits inhaltlich unbefriedigend, da es noch interessanter gewesen wäre, die ob des Bemühens um Authentizität sowieso recht langatmig inszenierte Schlacht und die angewendeten Strategien und Überlegungen von beiden Seiten zu betrachten.

Im finalen Akt nimmt "Panzerschiff Graf Spee" eine höchst ungewöhnliche dramaturgische Wende, denn die (im Original) titelgebende Schlacht vor dem Río de la Plata ist keineswegs der Showdown der Erzählung. Dieser findet in Montevideo statt, wo sich ein diplomatischer Schlagabtausch zwischen den beteiligten Staaten entwickelt und der Radiomoderator Mike Fowler (Lionel Murton, "Patton") beinahe im Stil einer Sportreportage die letzten Minuten eines ablaufenden Ultimatums an die Graf Spee zum Verlassen des von unzähligen Schaulustigen bevölkerten Hafens überträgt. In Sachen Spannung ist diese sehr unkonventionelle letzte halbe Stunde – in der übrigens auch ein junger Sir Christopher Lee ("Der Hobbit") als uruguayischer Barbesitzer Manolo auftritt – der eigentlichen Schlacht deutlich überlegen (zumindest sofern man nicht weiß, wie alles endet) und funktioniert deshalb wunderbar. Zumal auch die einzige echt wirkende Beziehung in diesem Film, die zwischen Kapitän Langsdorff und Captain Dove, zu einem gelungenen Ende gebracht wird.

Die deutschen Heimkino-Veröffentlichungen von "Panzerschiff Graf Spee" sind übrigens leicht geschnitten, enthalten dafür aber am Ende einen zusätzlichen kurzen Erzähltext, der über das weitere Schicksal des echten Kapitäns Langsdorff informiert. Wer aber mehr von Michael Powell und Emeric Pressburger sehen will und die englische Sprache beherrscht, dem rate ich unbedingt zu der fantastischen und sogar als UK-Import ziemlich preiswerten britischen "The Powell and Pressburger Collection", die elf Filme der beiden vereint (teilweise mit informativem Bonusmaterial).

Fazit: "Panzerschiff Graf Spee" ist eine in beeindruckenden Bildern geschilderte und betont realistische, wenn auch sehr distanziert wirkende Nacherzählung einer der ersten bedeutenden Seeschlachten des Zweiten Weltkrieges. Die fehlende emotionale Nähe zu den Protagonisten und das langsame Erzähltempo werden durch die ungewöhnlich hohe Authentizität und ein spannendes Finale nach der eigentlichen Schlacht ordentlich kompensiert.

Wertung: 7 Punkte.


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