Mittwoch, 22. Mai 2013

DER GROSSE GATSBY (3D, 2013)

Originaltitel: The Great Gatsby
Regie: Baz Luhrmann, Drehbuch: Craig Pearce und Baz Luhrmann, Musik: Craig Armstrong
Darsteller: Leonardo DiCaprio, Tobey Maguire, Carey Mulligan, Joel Edgerton, Richard Carter, Jason Clarke, Isla Fisher, Elizabeth Debicki, Amitabh Bachchan, Jack Thompson, Adelaide Clemens, Brendan Maclean, Callan McAuliffe, Gemma Ward, Vince Colosimo, iOTA
The Great Gatsby
(2013) on IMDb Rotten Tomatoes: 48% (5,9); weltweites Einspielergebnis: $353,7 Mio.
FSK: 12, Dauer: 142 Minuten.

New York, 1922: Der 29-jährige Nick Carraway (Tobey Maguire, "Spider-Man") ist eigentlich ein angehender Schriftsteller, will nun jedoch den noch ungebremsten Börsenboom ausnutzen und nimmt deshalb einen Job als Börsenmakler an. Er mietet ein kleines Haus im Neureichen-Viertel der Stadt, wo sein Nachbar der mysteriöse Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio, "Django Unchained") ist, dessen ausschweifende, pompöse Partys in seinem gewaltigen Anwesen DAS Stadtgespräch sind. Eines Tages erhält Nick eine persönliche Einladung zu einer dieser Partys und obwohl er sich nicht wirklich diesem Teil der feierwütigen feinen Gesellschaft zugehörig fühlt, ist er doch unbestreitbar fasziniert von der ganzen Pracht. So ist er Gatsby auch nicht weiter böse, als sich herausstellt, daß dieser ihn nicht ohne Hintergedanken eingeladen hat: Er möchte, daß Nick seine Cousine Daisy Buchanan (Carey Mulligan, "Shame") – Gatsbys große Liebe, die er aber seit fünf Jahren nicht mehr gesehen hat – zum Tee einlädt, woraufhin er als guter Nachbar dann "zufällig" dazustoßen würde. Daisys äußerst wohlhabender Ehemann Tom (Joel Edgerton, "Zero Dark Thirty"), der aus nobler Familie stammt und mit Verachtung auf die neureichen Emporkömmlinge der Stadt herabschaut, denkt jedoch gar nicht daran, seine Frau so einfach einem anderen zu überlassen ...

Kritik:
Ich frage mich schon lange, warum so selten die 1920er Jahre im Fokus der Kinoindustrie stehen. Über die Zeit des Ersten Weltkrieges gibt es bekanntlich etliche namhafte Filme, über die Nazizeit sogar zahllose. Doch die 1920er Jahre, die sowohl aus deutscher (der fast nahtlose Übergang von Monarchie und verlorenem Ersten Weltkrieg über einen mutigen Demokratieversuch in der Weimarer Republik bis hin zur beginnenden Nazi-Barbarei) als auch aus amerikanischer Sicht ein sehr ergiebiges Themenfeld böten, werden meist ignoriert. Ein paar Gangsterfilme über die Prohibiton und die "Roaring Twenties", ansonsten findet man in den letzten Jahrzehnten bis auf ein paar löbliche Ausnahmen (z.B. Woody Allens "Bullets over Broadway" und "Midnight in Paris") erstaunlich wenig zu dieser so spannenden Dekade des Wandels. Einer der prägendsten Literaturklassiker dieser Ära ist F. Scott Fitzgeralds "Der große Gatsby", eine Kombination aus epischer Liebesgeschichte und genau beobachtetem, entlarvenden Sittengemälde, die ich leider nie gelesen habe. Entsprechend kann ich Baz Luhrmanns ("Australia") Verfilmung – die zweite namhafte nach der von Jack Clayton aus dem Jahr 1974 mit Robert Redford in der Titelrolle – nur als eigenständiges Werk beurteilen. Und dieses Urteil fällt positiv aus, auch wenn "Der große Gatsby" trotz mancher Ähnlichkeit nicht an Luhrmanns Meisterwerk "Moulin Rouge!" aus dem Jahr 2001 heranreicht.

Dabei beginnt "Der große Gatsby" sehr vielversprechend: Genau wie bei dem Musical "Moulin Rouge!" – wo sich ganz am Anfang wie bei einem Theaterbesuch der Vorhang öffnet und im Vordergrund der Dirigent des Orchesters zu sehen ist – entführt Luhrmann sein Publikum unmittelbar in die Vergangenheit, indem er sein Werk als Schwarz-Weiß-Film und in typischer Stummfilmoptik eröffnet, ehe es nach wenigen Sekunden farbig wird und die Dreidimensionalität einsetzt. Und wie bei "Moulin Rouge!" ist der Auftakt der Handlung ungemein faszinierend. Hier wie dort etabliert ein beinahe manisch wirkender Erzähler – in diesem Fall Nick Carraway, der in einem Sanatorium zur Therapie von seiner Alkoholsucht rückblickend seine Erlebnisse mit Jay Gatsby schildert – die Grundkonstellation und nimmt den Zuschauer mit auf die Reise in eine vordergründig phantastische, lang vergangene Zeit, die bei genauerem Hinsehen aber eine schmutzige Kehrseite offenbart. Hier wie dort begeistern nach wenigen Minuten sensationell choreographierte Massenszenen, in diesem Fall eine der sich zu treibender Musik entfaltenden Gatsby-Partys mit großem Orchester, einem exzentrischen Organisten, enthemmt tanzenden und feiernden Partygästen sowie einem Feuerwerk. Das alles ist verschwenderisch, dekadent und mitreißend, und durch die perfekt eingesetzte Dreidimensionalität fühlt man sich, als wäre man mittendrin in diesem fabelhaften, orgiastischen Feierwahn. Und genau wie in "Moulin Rouge!" sackt das Tempo nach diesem frühen Höhepunkt erst einmal drastisch ab und läßt das Publikum wieder zu Atem kommen.

Damit enden allerdings die dramaturgischen Parallelen dieser beiden Luhrmann-Filme, denn im Gegensatz zu "Moulin Rouge!" gelingt es "Der große Gatsby" anschließend leider nur noch phasenweise, jene fiebrige, beinahe hypnotische Atmosphäre und jenes Tempo zu erreichen, mit dem das Musical bis zum Schluß begeistert. Bei "Der große Gatsby" schlägt Luhrmann ein erheblich niedrigeres Tempo an, was angesichts einer Laufzeit von rund 140 Minuten bei einer eher überschaubaren Handlung nicht allzu sehr verwundert. Der Film konzentriert sich auf die Liebesgeschichte zwischen Gatsby und Daisy, deren (erneute) Anbahnung sehr einfühlsam dargestellt wird. Leonardo DiCaprio beweist dabei einmal mehr sein großes Können, indem er die Motivation und das Sehnen dieses so geheimnisvollen wie tragischen Mannes, der stets auf einem schmalen Grat zwischen Skrupellosigkeit und romantischer Naivität wandelt, mühelos nachvollziehbar macht. Zwar läßt ihm die Rolle nicht ganz so viel Spielraum zum Glänzen wie einige frühere (z.B. in "Zeiten des Aufruhrs" oder "Aviator"), aber er ist ohne Frage das Zentrum dieses Films. Carey Mulligan wiederum ist schon optisch die perfekte Besetzung für Daisy Buchanan, da sie tatsächlich ein Gesicht wie aus der Stummfilmzeit hat. Manche kritisieren, Mulligan sei nicht schön genug für die Rolle dieser Frau, um die sich alle Männer balgen, doch das ist eindeutig zu kurz gedacht: "Der große Gatsby" spielt nunmal im Jahr 1922 und wer einmal die Stummfilmschönheiten dieser Zeit betrachtet, der wird kaum leugnen können, daß Mulligan mit ihren aus heutiger Perspektive recht außergewöhnlichen Gesichtszügen diesen sehr nahe kommt. Und so ganz nebenbei ist sie auch noch eine hervorragende Schauspielerin.

Bedauerlicherweise widmet Luhrmann den restlichen Figuren und auch der Handlung deutlich weniger Aufmerksamkeit als dem zentralen (Nicht-)Paar. Lediglich Nick, der als Erzähler logischerweise eine große Rolle spielt und dessen Mischung aus Neugier, Faszination und Unverständnis über die Welt der Schönen und Reichen, in die er trotz der Freundschaft zu Gatsby, Daisy und auch Tom nie wirklich eindringt, Tobey Maguire überzeugend zum Ausdruck bringt, kann noch mit den beiden zentralen Charakteren mithalten, der Rest bleibt ziemlich blaß. Bei Daisy Ehemann Tom, energetisch verkörpert vom Australier Joel Edgerton, liegt das daran, daß er eigentlich erst im letzten Akt richtig zum Zuge kommt und sich deshalb nicht ganz zu jenem veritablen Gegenspieler Gatsbys entwickeln kann, der er sein sollte und schauspielerisch auch sein könnte. Daisys Freundin Jordan Baker (eine echte Entdeckung: Elizabeth Debicki, "Die Trauzeugen") und Gatsbys zwielichtiger Geschäftspartner Meyer Wolfsheim (Bollywood-Legende Amitabh Bachchan) schöpfen ihr vorhandenes erzählerisches Potential ebenfalls bei weitem nicht aus. Generell vergibt Luhrmann leichtfertig die Möglichkeit, erinnerungswürdige Nebenfiguren zu erschaffen, wie ihm dies in "Moulin Rouge!" so vortrefflich gelungen ist (man denke an Toulouse-Lautrec oder den narkoleptischen Argentinier), obwohl sich dafür viele Möglichkeiten anböten. So gibt es etwa bei den Partys einen enthusiatischen Orchesterdirigenten (gespielt vom australischen Musiker iOTA), den man zu einer Figur wie Joel Greys "Master of Ceremony" in Bob Fosses "Caberet" oder Curt Bois' ekstatischem Kapellmeister in Ernst Lubitschs Stummfilmklassiker "Die Austernprinzessin" hätte ausbauen können. Oder Gatsbys Hausorganist Klipspringer (Brendan Maclean), der angeblich von Ludwig van Beethoven abstammt und wie ein Verrückter in die Tasten haut. Doch es bleibt jeweils bei nur wenigen Szenen. Schade drum.

Auch die Darstellung der damaligen Zeit kann bei aller visuellen Pracht und hohen 3D-Qualität inhaltlich nicht restlos überzeugen. Zwar zeigt Luhrmann sehr wohl die große Diskrepanz zwischen Reich und Arm auf, die die Weltwirtschaftskrise bereits erahnen läßt, und verwendet einige schöne Symbolismen (wie die vergammelte Werbetafel eines Augenarztes in einem heruntergekommenen Arbeiterviertel, dessen riesige Augen das bunte und wilde Treiben mitleidlos verfolgen), doch außerhalb der Partys in Gatsbys Anwesen spürt man die "Roaring Twenties" nicht so richtig. Aber zum Glück gibt es ja noch eben diese Partyszenen, die stellvertretend für die von Fitzgerald beobachtete Oberflächlichkeit und Dekadenz der "feinen Gesellschaft" dieser Zeit stehen, wenn sie auch im Film weniger Zeit einnehmen, als es ob ihrer begeisternden Wirkung wünschenswert wäre. Einen großen Anteil am hohen Grad an Unterhaltsamkeit hat wenig überraschend die Musik. Wie bei "Moulin Rouge!" verquicken Luhrmann und sein bewährter Komponist Craig Armstrong echte Musik der damaligen Zeit (George Gershwin, Cole Porter, Louis Armstrong) mit neu arrangierten Pop- und HipHop-Songs aus dem 21. Jahrhundert, und das funktioniert wiederum einwandfrei (auch wenn nicht jeder Kritiker mit diesem Vorgehen glücklich ist). Daß eine Lana del Rey oder auch ein Bryan Ferry in diese eigentlich während des Jazz-Zeitalters spielende Handlung stilistisch hineinpassen würden, konnte man sich mit etwas gutem Willen ja noch denken; aber bei Jay-Z (der zudem einer der Produzenten von Film und Soundtrack ist), Beyoncé, Fergie oder auch Jack Whites grandiosem U2-Cover "Love is Blindness" (das im Trailer viel besser zur Geltung kommt als im Film, wo es leider nur kurz angespielt wird, wenn auch in einer wichtigen Szene) brauchte man dafür schon einiges an Phantasie. Doch Luhrmann, Armstrong und Jay-Z haben es hingekriegt und so klingt die Melange aus Alt und Neu geradezu unverschämt authentisch.

Fazit: Baz Luhrmanns "Der große Gatsby" ist die erwartet extravagante Adaption von F. Scott Fitzgeralds großem, gesellschaftskritischen Liebesdrama über Schein und Sein, die optisch, akustisch und schauspielerisch begeistert, aber phasenweise etwas zu sehr in die Länge gezogen wirkt und in der Figurenzeichnung zu oberflächlich bleibt.

Wertung: 7,5 Punkte. 
 
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