Mittwoch, 3. April 2013

SPRING BREAKERS (2012)

Regie und Drehbuch: Harmony Korine, Musik: Cliff Martinez und Skrillex
Darsteller: James Franco, Selena Gomez, Vanessa Hudgens, Ashley Benson, Rachel Korine, Gucci Mane, Heather Morris, Ash Lendzion, Emma Holzer
Spring Breakers
(2012) on IMDb Rotten Tomatoes: 68% (6,6); weltweites Einspielergebnis: $32,2 Mio.
FSK: 16 (DVD/Blu-ray ohne relativierende Texttafel: 18), Dauer: 94 Minuten.

Jeden Frühling startet in den USA in den Semesterferien der Colleges der berühmt-berüchtigte "Spring Break" – Studenten fahren zu Tausenden in Party-Hochburgen vor allem in Florida und Mexiko, um hemmungslos und mit viel Alkohol, Drogen und Sex zu feiern. Was auf (vor allem ältere) Menschen außerhalb der USA äußerst befremdlich wirkt, ist für viele Amerikaner ein sehnlichst erwartetes Highlight ihres jungen Lebens – so auch für die Freundinnen Faith (Selena Gomez), Candy (Vanessa Hudgens), Brit (Ashley Benson) und Cotty (Rachel Korine). Da sie jedoch kaum genug Geld angespart haben, um den Trip nach Florida anzutreten – geschweige denn dort gepflegt die Sau rauszulassen –, überfallen sie mal eben ein Restaurant und machen sich mit den erbeuteten Dollars auf den Weg. Am Ziel ihrer Reise angekommen, landen sie dummerweise schon bald wegen Drogenkonsums im Gefängnis, und da sie schon wieder pleite sind, können sie die Kaution nicht bezahlen. Auftritt Alien (James Franco, "Die fantastische Welt von Oz"), schmieriger Drogendealer und Hobby-Rapper. Er übernimmt die Kaution, erwartet aber eine Gegenleistung: Die Mädels sollen ihm bei seinen Geschäften und dem gewalttätigen Konflikt mit seinem ehemaligen besten Freund "Big Arch" (Rapper Gucci Mane) helfen. Faith kehrt lieber reumütig nach Hause zurück, doch ihre drei Freundinnen fühlen sich von Aliens ausschweifendem Lebensstil sehr angezogen ...

Kritik:
Um jeglichen Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich eines von vornherein klarstellen: "Spring Breakers" ist KEINE typische Teenie-Sex/Party-Komödie á la "Road Trip" oder "Project X"! Da das anhand des Titels, der Darsteller(innen) und der Plakate nicht wirklich ersichtlich ist, dürfte es keine leichte Aufgabe sein, irgendwo auf der Welt eine Kinovorstellung von "Spring Breakers" zu besuchen, in der nicht Zuschauer den Saal vorzeitig verlassen (bei mir waren es mindestens drei). Es fällt schwer, dieses Werk des exzentrischen Independent-Regisseurs und -Autors Harmony Korine ("Gummo", Drehbuch zu Larry Clarks Skandalfilm "Kids") überhaupt irgendwie zu kategorisieren, aber am ehesten vergleichbar ist "Spring Breakers" wohl noch mit Roger Avarys wilder (und zu Unrecht etwas in Vergessenheit geratener) Bret Easton Ellis-Verfilmung "Die Regeln des Spiels" aus dem Jahr 2002. Das Kategoriesierungsproblem hängt auch damit zusammen, daß Korines Film sich vielfältig interpretieren läßt – je nach Alter, Herkunft oder Moralvorstellungen des Betrachters. Was für die einen möglicherweise eine realistische Darstellung ihrer Gegenwart ist, ist für andere ein satirisches Dokument des moralischen Verfalls der heutigen Jugend oder auch eine bittere Zustandsbeschreibung des "American Way of Life" an sich (gewissermaßen als Teenie-Version von Andrew Dominiks Gangsterdrama "Killing Them Softly" mit Brad Pitt). Ob es die eine richtige Interpretation gibt, weiß wohl nur Harmony Korine.
Diese ungezügelte Ambivalenz macht "Spring Breakers" für neugierige und aufgeschlossene Betrachter natürlich sehr spannend, verprellt jedoch zwangsläufig viele Zuschauer, die mit einer vollkommen falschen Erwartungshaltung an den Film herangehen. Korine ist auch noch so fies, letztere damit zusätzlich vorzuführen, daß er in den ersten Minuten ziemlich genau das liefert, was sie erwarten – einen unkommentierten Zusammenschnitt von Party-Aufnahmen vom Spring Break mit seligen Kiffern, Unmengen an Alkohol und mehr nackten Brüsten, als man zählen kann. Als der Film jedoch mit der Einführung seiner vier Protagonistinnen richtig beginnt, gibt es eine 180°-Kehrtwendung: Die Girls sind mit ihrer mit dem Restaurant-Überfall bis ins Extrem getriebenen "Party um jeden Preis"-Einstellung nicht gerade Sympathieträgerinnen, generell bleiben sie mit Ausnahme der von Selena Gomez dargestellten, eigentlich recht braven Faith sehr austauschbar. Das ist naturgemäß nicht allzu gut für die Zuschauerbindung, hat aber andererseits den von Korine vermutlich gewollten Nebeneffekt, daß sie beispielhaft für ihre gesamte Generation oder zumindest einen beträchtlichen Anteil davon stehen. Die Besetzung der Rollen ist dabei ebenfalls als Statement des Regisseurs zu betrachten, denn Selena Gomez und Vanessa Hudgens sind beide durch jene bekannt biedere Disney-Kinderstar-Schule gegangen, die sie mit "Spring Breakers" endgültig hinter sich lassen dürften (bei Hudgens war das ja eigentlich schon mit Zack Snyders "Sucker Punch" der Fall). Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch, daß ausgerechnet Songs von Britney Spears, die bekanntlich selbst eine heftige Transformation von der personifizierten Unschuld mit Disney-Hintergrund hin zum sehr offensiv mit seinen Reizen umgehenden Vamp mit Dauerabo in den Klatschspalten vollzogen hat, eine prominente Rolle im Film spielen: Die Szene, in der Alien, der sich so abgebrüht gebende Dealer und Gangsta-Rapper, die zuckersüße Ballade "Everytime" zu seiner eigenen Klavierbegleitung singt, ist einfach herrlich und wohl der deutlichste Hinweis auf Korines satirische Intention. Und um den Anspielungsoverkill komplett zu machen, ist in einer kleinen Nebenrolle übrigens auch noch Heather Morris zu sehen, die in der komödiantischen Musical-Serie "Glee" eine Art Britney-Parodie spielt.
In der ersten Hälfte der 90 Minuten gibt es nicht wirklich viel klassische Handlung: Man lernt vor allem die vier Mädels kennen und staunt darüber, wie verkorkst sie oder ihre Lebensentwürfe wohl sein müssen, daß sie offenbar allen Ernstes ausgerechnet dieses orgiastische Spektakel des Spring Breaks als Erlösung aus ihrer beengenden Monotonie herbeisehen, es sogar als Symbol der Freiheit in einem Leben voller gesellschaftlicher, moralischer und religiöser Zwänge empfinden und als Chance zur Selbstverwirklichung betrachten. Es ist schwer zu sagen, ob das einfach nur für große Naivität oder für echte Verzweiflung spricht – die zunehmende politische und gesellschaftliche Zerrissenheit der Vereinigten Staaten in Zeiten der "Tea Party"-Bewegung wird zwar ebenso wie die Auswirkungen der langanhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 nicht direkt angesprochen, schwingt jedoch stets unheilvoll im Hintergrund mit. Zumindest laut meiner Interpretation. Harmony Korine bebildert die von den unheilvoll-melancholischen elektronischen Melodien des "Drive"-Komponisten Cliff Martinez (in Zusammenarbeit mit dem bekannten amerikanischen DJ Skrillex) unterstrichene scheinbare Verlorenheit dieser vier Vertreterinnen der Generation Facebook mit vielen gelungenen inszenatorischen und optischen wie auch akustischen Spielereien wie Zeitsprüngen und Dialog-Dauerschleifen. Besonders gerne kontrastiert er die chaotischen, im schnell geschnittenen Musikclip-Stil gehaltenen Bilder von den Spring Break-Ausschweifungen mit den salbungsvollen Worten seiner zweifelhaften Heldinnen. Wenn diese etwa hin und wieder ihren Familien am Telefon von dem Erlebnis Spring Break vorschwärmen, von den Freunden und Gleichgesinnten, die sie dort getroffen hätten und unter denen sie sich endlich wie sie selbst verhalten könnten und nicht so, wie es von ihnen erwartet wird, dann klingt das für sich genommen zwar etwas naiv, aber doch noch einigermaßen nachvollziehbar. Wenn zu diesen Worten jedoch Bilder von Sexorgien, Komasäufern und vollgereiherten Toiletten gezeigt werden, dann läßt das als impliziter Kommentar an Deutlichkeit nichts vermissen. Daß Korine sich in Sachen Sex jedoch fast ausschließlich auf das Zeigen unzähliger nackter Brüste beschränkt, wirkt angesichts des von ihm sonst gewohnten Pfeifens auf jegliche Konventionen fast schon wieder spießig ...
Dennoch entfaltet sich auf diese Weise die erste Filmhälfte wunderbar subversiv. Korines Vorgehensweise ist nicht immer sehr subtil, aber dafür äußerst wirkungsvoll. Dennoch – daran besteht kein Zweifel – ist "Spring Breakers" ob seines Mangels an narrativer Stringenz und der wohl bewußt vermiedenen Charaktertiefe niemals einfach anzuschauen. Die Inhaftierung der Mädchen und ihre Freilassung durch die von Alien übernommene Kaution markiert dann jedoch erneut einen deutlichen Wendepunkt. Haben wir das bizarre Geschehen bis dahin vorrangig mit den Augen der zwischen jugendlichem Selbstverwirklichungsdrang und braver christlicher Erziehung kämpfenden Faith verfolgt, wechselt die Perspektive nun zu Alien. Der Spring Break selbst spielt ab sofort kaum noch eine Rolle, stattdessen bewegt sich "Spring Breakers" eher in Richtung Gangsterfilm(-Parodie). Dadurch wird Korines Werk ein klein wenig zugänglicher, aber eben auch konventioneller und in seiner völlig überzogenen Zuspitzung der Ereignisse zunehmend unglaubwürdig – Satire hin oder her. James Franco zeigt dabei allerdings eine klasse Vorstellung als silberzahnbewehrter Poser, die vier eigentlichen Hauptdarstellerinnen machen ihre Sache ebenfalls gut.

Fazit: "Spring Breakers" ist keine massenkompatible Teenie-Komödie, sondern ein schwer verdaulicher und gezielt polarisierender, aber innovativ gestalteter satirischer Abgesang auf den "American Way of Life". Oder auch nicht, denn für Interpretationen gibt es jede Menge Spielraum.

Wertung: 7,5 Punkte.

Nachtrag vom 20. April 2013: Um von der FSK eine Freigabe ab 16 Jahren zu erhalten, mußte "Spring Breakers" übrigens zwar nicht gekürzt werden, dafür wurde am Ende des Films aber eine deutschlandexklusive Texttafel hinzugefügt, in der klargestellt wird, daß die Girls rechtliche Konsequenzen für ihre Taten tragen müssen. Theoretisch könnte man sich über diese arg moralinsaure Addition durchaus aufregen, allerdings wird sie während des Abspanns durch eine weitere deutschlandexklusive Textzeile sowieso vortrefflich durch den Kakao gezogen. Die Zeile lautet (aus dem Gedächtnis zitiert): "written by Harmony Korine ... except for the shitty addition at the end".


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