Donnerstag, 4. April 2013

AGORA – DIE SÄULEN DES HIMMELS (2009)

Regie: Alejandro Amenábar, Drehbuch: Mateo Gil, Alejandro Amenábar, Musik: Dario Marianelli
Darsteller: Rachel Weisz, Max Minghella, Oscar Isaac, Sammy Samir, Michael Lonsdale, Ashraf Barhom, Rupert Evans, Manuel Cauchi, Homayoun Ershadi, Richard Durden
Agora
(2009) on IMDb Rotten Tomatoes: 56% (5,8); weltweites Einspielergebnis: $39,5 Mio.
FSK: 12, Dauer: 127 Minuten.

Im Jahr 391 nach Christus: Das römische Weltreich ist im Untergang begriffen und auch in der entfernten Provinz Alexandria an der Nordküste Afrikas spürt man die Auswirkungen: Anhänger der alten Götter, Juden und Christen kämpfen dort erbittert um die Seelen der Menschen und vor allem um die weltliche Macht. Die verbliebenen römischen Truppen sorgen zwar mühsam noch einigermaßen für Ordnung, doch schwindet der Einfluß Roms zusehends. Inmitten dieses politischen wie auch vor allem religiösen Chaos' lebt und lehrt die angesehene atheistische Philosophin und Astronomin Hypatia (Rachel Weisz, "Das Bourne Vermächtnis") und bemüht sich dabei, ihren Schülern eine pazifistische Gesinnung zu vermitteln. Doch je stärker der Einfluß der Christen wird, desto schwieriger wird Hypatias Stellung – schließlich ist sie eine Frau, und Gott sagt: Kein Mann darf auf eine Frau hören. Behauptet zumindest der fanatische Bischof Kyrill ...

Kritik:
Der Spanier Alejandro Amenábar hat sich ab Mitte der 1990er Jahre als in zahlreichen Genres bewanderter Top-Regisseur und -Drehbuchautor etabliert. Ob der atmosphärische Horror-Thriller "Thesis – Faszination des Grauens", das hypnotische Verwirrspiel "Öffne die Augen" (Vorlage des Hollywood-Remakes "Vanilla Sky" mit Tom Cruise), der subtile Gruselfilm "The Others" mit Nicole Kidman oder das zutiefst bewegende Sterbehilfe-Drama "Das Meer in mir" – der Name Amenábar steht für Qualität und Anspruch. Im Jahr 2009 versuchte er sich mit "Agora" an einem aufwendig produzierten antiken Drama mit einer klaren moralischen Botschaft und zahlreichen Anspielungen auf die Gegenwart. Das Resultat war leider außerhalb Spaniens – wo "Agora" der vierterfolgreichste Film des Jahres war und sieben spanische Filmpreise (Goyas) gewann – ein kommerzieller Flop und wurde von den Kritikern sehr gemischt aufgenommen. In meinen Augen ist es jedoch ein wahrer künstlerischer Triumph!

"Agora" ist im Grunde genommen ein Film über die Dummheit des Menschen. Konkret ist er ein leidenschaftliches Manifest gegen religiösen Fanatismus jeglicher Couleur, aber angesichts dessen unausrottbarer Langlebigkeit dürfte das in etwa auf das Gleiche hinauslaufen. Dabei installiert Amenábar Hypatia – die tatsächlich existiert hat, doch da über ihr genaues Wirken heute nur noch sehr wenig bekannt ist, dient sie Amenábar eher als lose Inspiration – als Zentrum der Geschichte, als charismatische Identifikationsfigur des aufgeklärten Zuschauers, die voller Überzeugung gegen jeglichen kriegerischen religiösen Wahn ankämpft. In ihrem letztlich aussichtslosen Bemühen ist sie ebenso verbissen wie ausdauernd, dennoch wird Hypatia hier nicht als antike Superheldin skizziert. Vielmehr ist sie eine zwar gebildete, mutige und hochintelligente, aber keineswegs makellose Frau (wie sich vor allem gelegentlich in ihrem Verhalten gegenüber ihren Sklaven zeigt) und Wissenschaftlerin.

Überhaupt ist es die Figurenzeichnung, die mich an "Agora" besonders begeistert hat: In den rund zwei Stunden Laufzeit wird nicht nur Hypatia lebensnah und authentisch präsentiert, sondern auch ihre ziemlich verschiedenen Schüler Orestes (Oscar Isaac, "Drive") und Synesius (Rupert Evans, "Hellboy"), die beide eine glaubwürdige Charakterwandlung durchlaufen und später wichtige Machtpositionen bekleiden. Man mag vielleicht kritisieren, daß die Fanatiker wie Bischof Kyrill (Sammy Samir, "Das geheimnisvolle Grab") oder sein Helfershelfer und Mann fürs Grobe Ammonius (Ashraf Barhom, "Operation: Kingdom") trotz logisch nachvollziehbarer Motivation für ihr Handeln etwas sehr klischeehaft rüberkommen, aber wenn man ehrlich ist: Die Existenz von Fanatikern ist nun einmal ein bedauerlicher Fakt, und solche Fanatiker kann man kaum sympathisch erscheinen lassen. Zudem gibt es mit Hypatias ehemaligem Sklaven Davus (Max Minghella, "The Social Network") auch auf dieser Seite zumindest eine Figur, die nicht einfach nur "böse", sondern einigermaßen komplex ist.

Aber bevor es zu Mißverständnissen kommt: Es geht Amenábar in "Agora" keineswegs um kategorisches "Christen-Bashing" (auch wenn das dem Film vorhersehbarerweise von den üblichen Gruppierungen unterstellt wurde), denn auch die Juden und die "Heiden" werden alles andere als grundsätzlich positiv gezeigt. Es geht tatsächlich um jegliche religiöse Fanatiker, eigentlich sogar ganz generell um alle Fanatiker. Und da die Frühchristen damals als "Sieger" (man könnte auch sagen: als "Last Man Standing") aus dem langen und blutigen Eiferer-Wettstreit hervorgingen, hinterlassen sie hier auch den schlechtesten Eindruck. Was gerade für einen spanischen Film durchaus bemerkenswert ist, ebenso wie die Tatsache, daß "Agora" vor der Veröffentlichung im Vatikan gezeigt und erstaunlicherweise bis auf eine einzelne Dialogzeile akzeptiert wurde. Das negative Bild der Frühchristen innerhalb der Handlung von "Agora" liegt vor allem in der selbstgerechten Arroganz ihrer Wortführer begründet und auch darin, daß sie mit hinterlistiger Wortverdreherei und dem steten, jede Diskussion beendenden Zusatz "So steht es in der Bibel geschrieben!" ihren Widersachern keine Chance zur Verteidigung geben, ganz gleich, wie intelligent und redegewandt diese auch sein mögen.

Kommt das jemandem bekannt vor? Nunja, wie gesagt: Die Parallelen zur Gegenwart sind unübersehbar, was auch und gerade anhand der barbarischen Zerstörung der weltberühmten Bibliothek von Alexandria samt "heidnischer" Götterbilder durch einen fanatisierten, hirnlosen Mob deutlich wird. Die Anspielung auf reale Geschehnisse der jüngeren Vergangenheit wie beispielsweise die Zerstörung der Buddha-Statuen in Afghanistan durch die Taliban ist nicht zu übersehen (Ähnliches geschah 2012 mit der Verwüstung von Heiligen-Grabmälern in Timbuktu durch islamistische Rebellen, der Film verliert also leider nichts von seiner bedauerlichen Aktualität).

Obwohl "Agora" selbst mit seinem für europäische Verhältnisse sehr beachtlichen Budget von $70 Mio. immer noch nicht ganz Hollywood-Dimensionen erreicht, wirkt die äußerst detailreiche Wiederauferstehung der Antike im Film insgesamt absolut überzeugend. Einige Panorama-Kamerafahrten á la "Gladiator" wirken zwar arg künstlich, aber ansonsten gibt es mit vielen eindrucksvollen Massenszenen und auch dank des gelungenen Zusammenspiels der Bilder mit dem klangvollen Soundtrack von OSCAR-Gewinner Dario Marianelli ("Abbitte") wenig Grund zur Klage. Die schauspielerischen Leistungen lassen, abgesehen von ein paar etwas hölzern wirkenden Nebendarstellern, ebenfalls kaum etwas zu wünschen übrig. Allen voran gilt das natürlich für Rachel Weisz, der es vortrefflich gelingt, die zentrale Protagonistin Hypatia nicht nur als aufopferungsvolle Friedenskämpferin zu zeigen, sondern in zahlreichen überraschend ausführlichen Szenen auch als bemerkenswerte Wissenschaftlerin und Vordenkerin. Oscar Isaac, Rupert Evans, Max Minghella und Michael Lonsdale (als Hypatias Vater) verleihen ihren erfreulich ambivalenten Figuren gleichfalls viel Würde und Glaubwürdigkeit.

Fazit: "Agora – Die Säulen des Himmels" ist ein ebenso anspruchsvolles wie aufwühlendes historisches Drama, das objektiv betrachtet bestimmt kein perfekter Film ist; aber es gelingt ihm, bei mir genau die richtigen emotionalen Knöpfe zu drücken. Es gibt sicherlich Menschen, die "Agora" zu belehrend finden oder zu "anti-religiös" (obwohl er schlicht "anti-fanatisch" ist), und dem durchschnittlichen Hollywood-Historienspektakel-Zuschauer könnte er zu dialoglastig und actionarm sein. Für mich ist er ein kleines Meisterwerk, das die Höchstwertung verdient.

Wertung: 10 Punkte.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen